Vorstationäre Behandlung am Ende?

Bei der Abrechnungsfähigkeit wird die Position der Krankenhäuser rapide schwächer

Die Sozialgerichte brüten über die Abrechnungsfähigkeit vorstationärer Behandlungen und kommen zu erstaunlichen Schlüssen. Mittlerweile liegen dem Bundessozialgericht mehrere Urteile zur Revision vor. Es könnte sein, dass in der nahen Zukunft keine vorstationären Vergütungen mehr bezahlt werden.

Ein Patient wird vom Vertragsarzt wegen des Verdachts auf ein Rezidiv eines Non-Hodgkin Lymphoms eingewiesen. Die ersten Untersuchungen ergeben jedoch, dass die Sorge unbegründet war: ein Rezidiv liegt nicht vor und der Patient wird nicht aufgenommen. Stattdessen wird eine vorstationäre Pauschale berechnet („Vorstationär ohne nachfolgende stationäre Behandlung“). Die Kasse bezahlt nicht. Das Sozialgericht Kiel und das Landessozialgericht Schleswig-Holstein sehen die Kasse dabei im Recht. Der Fall steht jetzt auf der Agenda des ersten Senats des BSG (B 1 KR 21/12 R).

Ein Patient wird zur Operation seiner Gallenblase eingewiesen. Weil er beschwerdefrei ist, wird er zunächst wieder entlassen. Zwei Wochen später wird er erneut aufgenommen und operiert. Für die erste Untersuchung berechnet das Krankenhaus eine vorstationäre Pauschale, weil die Fünf-Tagefrist überschritten war. Die Kasse bezahlt nicht. Das Sozialgericht Landshut und das Landessozialgericht Bayern sehen die Kasse dabei im Recht. Auch dieser Fall wartet auf den ersten Senat des BSG (B 1 KR 2/12 R).

Ein Säugling bekommt eine Sonographie zur Abklärung einer möglichen Entwicklungsstörung der Nieren. Der Verlauf soll kontrolliert werden. Sechs Wochen später wird diese Verlaufskontrolle im Rahmen eines stationären Aufenthaltes durchgeführt. Für die erste Kontrolle berechnet das Krankenhaus eine vorstationäre Pauschale. Die Kasse bezahlt nicht. Das Sozialgericht Hannover und das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen sehen die Kasse im Recht. Eine Revision wird nicht zugelassen und das Urteil vom 28.08.2012 (L 4 KR 30/10) ist rechtskräftig.

Was ist los mit den vorstationären Vergütungen? Plötzlich werden die genannten (und zwei weitere) Fälle, die aus Sicht der Krankenhäuser bislang als eindeutig angesehen wurden, dem Bundessozialgericht angetragen. Und der Kontext ist unerfreulich: Kein einziger Prozess zwischen Nordsee und Alpen konnte gewonnen werden! Was mit der unzulässigen kassenseitigen Verallgemeinerung der Regel „Neben einer DRG ist keine vorstationäre Behandlung abrechnungsfähig“ (§ 8 Abs. 2 Nr. 3 des Krankenhausentgeltgesetzes) begann, mündet jetzt in eine Krise der vorstationären Pauschale. Um zu verstehen, wie es so weit kommen konnte, müssen wir die wichtigen Stellen der Urteilsbegründungen betrachten. Wie haben die Richter gedacht?

Vorstationär ohne stationär (Schleswig-Holstein)

Hier ging es, wie beschrieben, um den Verdacht auf Rezidiv eines Lymphoms, der sich nicht erhärten ließ. Die Kasse hatte den MDK beauftragt und der MDK hat wie folgt argumentiert: Die Einweisung war zur Durchführung einer Zytostase. Eine solche Zytostase ist grundsätzlich ambulant durchführbar und deswegen wäre eine stationäre Behandlung, unabhängig vom Ergebnis der Untersuchung, nicht notwendig gewesen. Deswegen fand die Untersuchung nicht statt, um die Erforderlichkeit einer stationären Behandlung zu klären oder eine stationäre Behandlung  vorzubereiten (§115a Abs. 1 SGB V): Eine stationäre Behandlung war von vorn herein nicht erforderlich.

Diese Argumentation wurde vom Gericht aufgegriffen und „juristisch verfeinert“: Die vorstationäre Behandlung kann nicht völlig losgelöst von einer stationären Behandlung gesehen werden. Sie ist eine „Sonderform“ ein „Annex“ der stationären Behandlung. Daher kann auch keine vorstationäre Behandlung abgerechnet werden, wenn eine nachfolgende stationäre Behandlung „sehr unwahrscheinlich“ ist. Das LSG schließt hier andere Wahrscheinlichkeiten („möglich“, „wahrscheinlich“, „sicher“) ausdrücklich aus. Ein vom Gericht bestellter Sachverständiger hat in diesem Fall bestätigt, dass mit einer stationären Behandlungsnotwendigkeit im vorliegenden Fall kaum zu rechnen war. Deswegen erkennt das Gericht hier eine besondere Situation, die keine vorstationäre Abrechnung begründet.

Dieser Fall wird, wie bereits dargestellt vom BSG beurteilt. Wenn sich diese Rechtsprechung bestätigt (und die Wahrscheinlichkeit ist aus Sicht des Autors groß), dann ist das nicht das Ende der vorstationären Abrechnung. Allerdings ist damit zu rechnen, dass einige Kassen das Urteil verallgemeinern und eine vorstationäre Pauschale „ohne nachfolgende stationäre Behandlung“, die vom Gericht ausdrücklich als grundsätzlich statthaft beschrieben wird, nicht mehr bezahlen werden.

Manche Krankenhäuser rechnen auch dann vorstationäre Pauschalen ab, wenn Behandlungen durchgeführt wurden, die nicht als notfallambulant oder im Rahmen einer Ermächtigungsambulanz abgerechnet werden können. Diese Praxis könnte problematisch werden.

Die Fünf-Tagefrist

Im SGB V beschreibt §115a die Fristen für vorstationäre Behandlungen:“ Die vorstationäre Behandlung ist auf längstens drei Behandlungstage innerhalb von fünf Tagen vor Beginn der stationären Behandlung begrenzt“.

Daraus haben wir immer geschlossen, welche vorstationären Behandlungen mit einer Fallpauschale „mit abgegolten“ sind: Eben höchstens drei, die innerhalb von höchstens  fünf Tagen vor der stationären Aufnahme stattfanden. Wenn mehr als drei vorstationäre Tage erbracht werden oder die Fünf-Tagefrist überschritten wird, so glauben wir, darf man vorstationäre Pauschalen in Rechnung stellen.

Das bayerische Landessozialgericht dreht diese Definition aber um (L 5 KR 81/08): Leistungen, die länger als fünf Tage vor einer stationären Aufnahme erbracht werden seien aufgrund der Fristüberschreitung eben keine vorstationären Behandlungen mehr! Mit dieser Argumentation wurden drei Fälle aus Bayern abgelehnt. Schlussendlich werden sie auch noch in Kassel beurteilt und wir dürfen gespannt sein.

Grundsätzlich ist diese Denkweise nicht schlüssig: Der Trick mit der Frist klingt noch logisch. Wie sieht es denn aber mit der Mengenbegrenzung aus? Wenn man (theoretisch) vier oder fünf vorstationäre Tage erbringen würde, sind das dann alles vorstationäre Behandlungstage? Oder sind zwei davon „definitionsgemäß“ nicht mehr vorstationär? Wenn ja, welche Tage sind das?

Es ging in den Fällen um Patienten, die zur Durchführung einer Behandlung aufgenommen wurden und aus verschiedenen Gründen für einige Zeit (mehr als 5 Tage) wieder entlassen wurden.

Die Gründe:

  1. Eine Mutter muss noch eine Betreuung für ihr Kind organisieren.
  2. Eine Gallen-OP wird aufgeschoben, weil der Patient beschwerdefrei war (der Fall wurde in der Einleitung genannt)
  3. Eine Operation wird verschoben, bis die Wirkung von Antikoagulantien abgeklungen ist (Quick war zu niedrig).

Fall 1 und 3 sind aus der Sicht des Autors noch nachvollziehbar: Die Behandlung war definitiv geplant und wurde für eine absehbare Zeit verschoben. Das Gericht betont den Zusammenhang mit einer stationären Behandlung auch. Fall 2 ist da anders gelagert: Die Entlassung fand nicht statt, weil sich eine Gallenblase besser operieren lässt, wenn sie weh tut. Vielmehr bestand wohl die Hoffnung, dass die steingefüllte Gallenblase vielleicht doch nicht operiert werden musste. Daher war die Wiederaufnahme wohl nicht ganz überraschend, aber sicherlich nicht geplant. Da ist der direkte Zusammenhang mit einer stationären Behandlung schon nicht mehr eindeutig. Dieses Urteil verdient es, aufgehoben zu werden; zu pauschal ist die Argumentation.

Zu guter Letzt sei das Urteil aus Niedersachsen noch kommentiert. Hier ging es um eine Ultraschalldiagnostik bei einem Säugling, die vorstationär abgerechnet werden sollte. Kostenträger und Gerichte stellen dabei einen Zusammenhang mit einer stationären Behandlung her, die sechs Wochen später stattfand. Bei diesem Zeitablauf wird aus der Sicht des Autors der Bogen weit überspannt. Das Sozialgericht lässt hier eine schlüssige Begründung für diese doch überraschend großzügige Auslegung im Sinne der Krankenkassen vermissen. Es wird lediglich kurz auf das (nicht rechtskräftige!) Urteil aus Bayern verwiesen. Dass im bayerischen Urteil niemals sechs Wochen zwischen vorstationärer und stationärer Behandlung gelegen haben, nimmt beim LSG Niedersachsen-Bremen scheinbar niemand zur Kenntnis.

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Schlussfolgerungen

Eine Reihe von Urteilen zur Abrechnungsfähigkeit von vorstationären Behandlungen signalisiert eine Trendwende in der Jurisprudenz zu diesem Thema: Die Position der Krankenhäuser wird rapide schwächer. Dabei werden zwei Rechtsauffassungen definiert:

1. Eine vorstationäre Behandlung ohne nachfolgende stationäre Behandlung ist bedingt abrechnungsfähig. Es darf sich nämlich nicht um eine von vorn herein offensichtlich ambulant zu erbringende Leistung gehandelt haben. Das Gericht beschreibt, dass eine stationäre Behandlung nicht „sehr unwahrscheinlich“ gewesen sein darf (LSG Schleswig-Holstein L 5 KR 52/11 vom 09.02.2012, nicht rechtskräftig).

2. Eine vorstationäre Behandlung, die in einem irgendwie gearteten Zusammenhang mit einer stationären Behandlung steht, ist niemals abzurechnen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Fünf-Tagefrist (§115a SGB V) eingehalten wurde oder nicht. Auch an der Art des „Zusammenhangs“ zwischen vorstationärer und stationärer Behandlung werden keine Anforderungen formuliert (LSG Bayern L 5 KR 81/08 vom 27.09.2011, nicht rechtskräftig und LSG Niedersachsen-Bremen L 4 KR 30/10 vom 28.08.2012, rechtskräftig).

Es bleibt zu hoffen, dass das BSG im zweiten Punkt eine andere Dogmatik definiert (auf der Agenda: B 1 KR 2/12 R). Grund genug gibt es dafür aus Sicht des Autors; die Urteilsbegründungen sind in sich nicht schlüssig und sehr pauschal gehalten. Allerdings lässt die neuste Rechtsprechung des BSG kaum auf viel Verständnis für die Position der Leistungserbringer im Gesundheitswesen hoffen. Es bleibt spannend; im Laufe des Jahres 2013 wissen wir wahrscheinlich mehr.