BSG: Ohne Wirksamkeitsnachweis kein Preis

Wirksamkeitsnachweis - StammzelleDas Bundessozialgericht hat am 21.03.2013 über die Vergütung für Behandlungsmethoden ohne eindeutigen Wirksamkeitsnachweis geurteilt (B 3 KR 2/12 R). Nicht unerwartet war das Ergebnis, wenn auch etwas ernüchternd: Wenn eine Methode nicht “bewiesen” ist, darf sie die Kasse nicht bezahlen.

Der Fall

Im vorliegenden Fall ging es um eine sehr kostspielige in vitro Anreicherung von CD35+ Zellen vor einer autologen Knochenmarkstransplantation bei Non-Hodgkin-Lymphom. Das Anreichern von Zellen, die das CD35-Gen exprimieren, soll den Therapieerfolg beschleunigen, den therapiefreien Intervall verlängern und die Überlebensrate steigern (Studie von Yoon et al). Dieser Effekt ist jedoch nicht eindeutig nachgewiesen und es gibt auch Studien die keinen Wirksamkeitsnachweis erbringen.

Die Begründung

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Für die Bewertung von Behandlungsmethoden ist die Selbstverwaltung zuständig: Genau genommen der GBA. In §137 c SGB V steht beschrieben wie: Der GBA prüft auf Antrag der Kassen Behandlungsmethoden hinsichtlich der “Zweckmäßigkeit” und “Wirtschaftlichkeit”. Der GBA selbst beschreibt dieses Prinzip als “Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt” und meint, dass ein Krankenhaus Behandlungen zu Lasten der Krankenkassen erbringen darf, so lange das nicht vom GBA verboten wird (mehr zum GBA).

Das Bundessozialgericht entwickelt dazu eine eigene Meinung. Das Wirken des GBA wird den § 2 Abs 1, § 12 Abs 1 und § 28 Abs 1 SGB V untergeordnet. In diesen Paragraphen wird der “allgemein anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse” (Handbuch Fallprüfung im Krankenhaus zu diesem Thema) genannt und von “ausreichend“, “wirtschaftlich” (Handbuch Fallprüfung im Krankenhaus zum Wirtschaftlichkeitsgebot) und “zweckmäßig” gesprochen. Im Wesentlichen heißt es, dass der gemeinsame Bundesausschuss nicht legitimiert sei, Entscheidungen zu treffen, die den gesetzlichen Regelungen zuwider laufen. Auch der erste Senat hat schon seinen Zweifel an der Legitimation des GBA zum Ausdruck gebracht (B 1 KR 34/12).

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Wirksamkeitsnachweis

Die Sozialgerichtsbarkeit hat auch den Wirkungsnachweis bereits definiert:

[quote]”wenn die große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler)” die Behandlungsmethode befürwortet und von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens besteht. Dieses setzt im Regelfall voraus, dass über Qualität und Wirksamkeit der Methode zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können. Der Erfolg muss sich aus wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode ablesen lassen. Die Therapie muss in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen erfolgreich gewesen sein.”[/quote]

Die Geister, die ich rief…

Was das Gericht nicht berücksichtigt (nicht weiß?), ist die Tatsache, dass viele Behandlungen, die täglich erbracht werden, dieser Definition nicht gerecht werden. Auch wenn sie von einer großen Mehrheit der einschlägigen Fachleute befürwortet werden, heißt das noch lange nicht, dass die Wirksamkeit durch wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien nachgewiesen wäre. Einige Beispiele:

Endarteriektomie

Seit 60 Jahren wird weltweit  bei einer Carotisstenose mit Schlaganfallgefahr eine Endarteriektomie durchgeführt. Dass die “Rohrfrei-Operation” tatsächlich das Langzeitergebnis hinsichtlich Schlaganfällen erheblich verbessert, ist erst seit etwa zehn Jahren durch “einwandfrei durchgeführte Studien” bewiesen. Haben wir 50 Jahre lang “unnötige” Behandlungen “aus ökonomischen Gründen” durchgeführt?

Periduralanästhesie bei Entbindungen

Der “Schmerzkatheter” bei Entbindungen ist seit Jahrzehnten international eine feste Größe. Eine einwandfreie Studienlage, die die Wirksamkeit (sichere Methode mit ausgezeichneter Schmerzlinderung) beweist, gibt es nicht. Ich nehme trotzdem nicht an, dass ein Verbot der Behandlung auf Verständnis stoßen würde.

Parenterale Ernährung

In der Intensivmedizin werden lebensbedrohlich kranke Patienten häufig mit Hilfe von Infusionslösungen ernährt. Die parenterale Ernährung ist seit Jahrzenten Gegenstand klinischer Forschung. Es gilt als erwiesen, dass eine parenterale Ernährung im Vergleich zu einer enteralen Ernährung über Magen- oder Duodenalsonde kein besseres Outcome hat hinsichtlich Überleben, Beatmungsdauer oder Verweildauer auf Intensivstation. Dafür haben parenteral ernährte Patienten eine höhere Chance auf nosokomiale Infektionen.  Dennoch: Wie lange warten wir, wenn der Darm aton ist und Sondennahrung noch nach Stunden unverdaut aus dem Magen zurückläuft? Richtig, falsch oder gar verboten?

Fazit

Die Sozialgerichte bewegen sich, besonders seit der Einführung der Fallpauschalen, auf einem skurrilen Grat zwischen Juristik und Medizin. Ich habe Verständnis für das Bedürfnis der Richter, “eigene” Regeln für die Rationierung von Medizin (nichts Anderes ist das) aufstellen zu wollen und sich über die Kompetenz des GBA hinwegzusetzen. Allerdings erwecken die Urteile der letzten Jahren öfters den Eindruck, dass die richterlichen Grenzübertritte ins Reich der Medizin und des Krankenhausalltags etwas naiv und ohne Verständnis für die Fernwirkung ihrer Dogmatik stattfinden. Cave!

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