BSG stärkt Kassen: Vorstationär

Die Abrechnung, oder eben Nicht-Abrechnung von vorstationären Behandlungstagen war in den letzten Tagen das Thema von BSG-Urteilen. Der erste Senat berichtet über ihre Sitzung am 17. September. Die 5-Tage-Frist (§ 115a SGB V) ist nun endgültig zur Makulatur geworden. Stattdessen haben wir nun eine schwammige Interpretation der Regelung: Eine Behandlung, die vorstationär läuft, ist in Zusammenhang mit einer stationären Behandlung nicht abrechnungsfähig, „wenn ein die Behandlung prägender sachlicher Zusammenhang zwischen den Behandlungsepisoden besteht“. Einen Teil der Fälle haben wir schon hier im Blog vorgestellt.

Eine weitere „Neuerung“, die jetzt vom BSG formuliert wurde: Wenn der Krankenhausarzt erkennen kann, dass der einweisende Vertragsarzt die „notwendige vertragsärztliche Diagnostik nicht ausgeschöpft hat“, muss er den Patienten an den Vertragsarzt zurück verweisen. Allerdings mit einer kleinen Hintertür: Der Umgang mit dem Patienten muss während dessen zumutbar und kunstgerecht sein. Auch dieser Fall wurde bereits in unserem Blog kommentiert.

Ein Patient wird zur Operation seiner Gallenblase eingewiesen. Weil er beschwerdefrei ist, wird er zunächst wieder entlassen. Zwei Wochen später hat er erneut Beschwerden. Jetzt wird er operiert. Für die erste Untersuchung berechnet das Krankenhaus eine vorstationäre Pauschale, weil die Fünf-Tagefrist überschritten war. Die Kasse bezahlt nicht. Das BSG sieht die Kasse dabei im Recht (B 1 KR 2/12 R).

Der „sachliche Zusammenhang“

Der genannte  Fall mit der Cholezystektomie und zwei weitere wurden vom ersten Senat mit dem Aktenzeichen B 1 KR 2/12 R bearbeitet. Die anderen zwei Sachverhalte:

  1. Eine Mutter muss noch eine Betreuung für ihr Kind organisieren, was mehr als fünf Tage dauert.
  2.  Eine Operation wird mehr als fünf Tage verschoben, bis die Wirkung von Antikoagulantien abgeklungen ist (Quick war zu niedrig).

Das Gericht setzt sich hier ausdrücklich über die Regelung des § 115a SGB V hinweg, weil in allen Fällen ein die Behandlung prägender sachlicher Zusammenhang zwischen den Behandlungsepisoden (vorstationär-stationär) bestehen soll. Der Senat berichtet im Terminbericht: „Die Überschreitung der Zeitgrenzen für zulässige vorstationäre Behandlungen ist demgegenüber für den Abrechnungsausschluss wegen späterer Fallpauschalen ohne Belang“. Wie das begründet wird, werden wir in einigen Monaten erfahren, wenn der Urteilstext publiziert wird. Wir werden berichten.

Die „notwendige vertragsärztliche Diagnostik“

Ein weiterer Fall aus Schleswig-Holstein (Az. B 1 KR 21/12 R) betraf die „Notwendigkeit vorstationärer Behandlungen“ bei der Situation „vorstationär ohne stationär“.

Es ging um den Verdacht auf Rezidiv eines Lymphoms, der sich nicht erhärten ließ. Der MDK: Die Einweisung war zur Durchführung einer Zytostase. Eine solche Zytostase sei grundsätzlich ambulant durchführbar und deswegen wäre eine stationäre Behandlung, unabhängig vom Ergebnis der Untersuchung, nicht notwendig gewesen. Die vorstationäre Untersuchung habe nicht stattgefunden, um die Erforderlichkeit einer stationären Behandlung zu klären oder eine stationäre Behandlung  vorzubereiten. Das LSG Schleswig-Holstein gibt der Kasse Recht und leitet eine komplizierte Regelung dafür ab (siehe unseren früheren Beitrag).

Der erste Senat gibt dem Krankenhaus nunmehr Recht, verwirft die Ableitung des LSG scheinbar komplett und baut die Urteilsfindung auf die folgenden Überlegungen auf:

  1. Wenn der Krankenhausarzt nicht wissen konnte, dass die notwendige vertragsärztliche Diagnostik pflichtwidrig nicht ausgeschöpft war, kann das Krankenhaus dafür nicht „bestraft“ werden.
  2. Hätte der Krankenhausarzt aber von der „Nicht-Ausschöpfung“ gewusst, hätte er den Patienten, sofern zumutbar und kunstgerecht, an den Hausarzt zurückverweisen müssen.
  3. Die Krankenkasse kann gegenüber dem Vertragsarzt, der pflichtwidrig notwendige vertragsärztliche Diagnostik unterließ, die entstandenen Kosten geltend machen.

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Kommentar

Erneut ergreift der erste Senat die Gelegenheit, gesetzliche Regelungen auszuhebeln und umzudeuten. Aus einer einfachen und aus Sicht des Autors auch sachgerechten gesetzlichen Regelung ist jetzt Richterrecht mit viel Interpretationsspielraum geworden. Denn was genau ist ein „die Behandlung prägender sachlicher Zusammenhang“?

Ein Säugling bekommt eine Sonographie zur Abklärung einer möglichen Entwicklungsstörung der Nieren. Der Verlauf soll kontrolliert werden. Sechs Wochen später wird diese Verlaufskontrolle im Rahmen eines stationären Aufenthaltes durchgeführt. Für die erste Kontrolle berechnet das Krankenhaus eine vorstationäre Pauschale. Die Kasse bezahlt nicht. Das SG Hannover und das LSG Niedersachsen-Bremen sehen die Kasse im Recht. Eine Revision wird nicht zugelassen und das Urteil vom 28.08.2012 (L 4 KR 30/10) ist rechtskräftig.

Hätte der erste Senat den Fall genau so gesehen? Da nun die gesetzliche 5-Tage-Frist ersatzlos gestrichen wurde, spielen zeitliche Zusammenhänge wohl keine Rolle mehr.  Dadurch sind skurrilen Interpretationen seitens der Kassen  Tür und Tor geöffnet. Vielleicht dass die Urteilsbegründung noch einige Lichtblicke bieten wird. Wir werden berichten.

Erfreulicher ist, dass die „Notwendigkeitsdiskussion“ einigermaßen entschärft scheint. Obwohl? Immerhin kündigt der Senat an, dass eine vorstationäre Behandlung in der Regel nicht erforderlich sei und formuliert Maßstäbe, die an die Notwendigkeit einer stationären Behandlung erinnern. Bleibt abzuwarten, ob und wie die Kassen diesen Ball schlagen können. Sie dürfte aber schwer zu treffen sein.