Handelt das BSG verfassungswidrig?

Handelt BSG VerfassungswidrigEin verblüffender Vorwurf kommt aus Mainz: Laut dem dortigen Sozialgericht sind manche Urteile des BSG verfassungswidrig! In seinem Urteil (Az. S 3 KR 518/11) vom 24.06.2014 geht das SG Mainz von einer Verjährungsfrist von drei Jahren aus. Das Bundessozialgericht postuliert seit vielen Jahren eine “kurze sozialrechtliche Verjährungsfrist” von vier Jahren.

 Der Fall

Eine Uniklinik und die Krankenkasse stritten sich über die richtige Hauptdiagnose: Thrombose oder Lungenembolie? Die Rechnung stammte vom Dezember 2005. Nach einigem Hin-und-her mit dem MDK teilte die Kasse am 21.05.2007 mit, dass sie den strittigen Betrag mit einer anderen Rechnung aufrechnen wird.

Das Krankenhaus ließ sich mehr als vier Jahre Zeit und widersprach der Verrechnung am 14.09.2011. Wenig später reicht das Krankenhaus Klage ein. Im Prozess bekommt die Kasse Recht, weil die Forderung verjährt sei.

Die Forderung entstand am 21.05.2007. Die dreijährige Verjährungsfrist, die das Sozialgericht annimmt, endete somit schon am 31.12.2010.

Die Begründung

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Wir gehen “schon immer” von einer vierjährigen Verjährungsfrist im Sozialrecht aus (Siehe unsere Artikel zum Thema 1, 2 und 3). Noch vor Kurzem hat das BSG (B 1 KR 14/13 R und B 1 KR 47/12 R) bestätigt, dass vier Jahre Nichtstun einem Anspruch nicht schaden solle, und jetzt das?

Die Mainzer Richter begründen ihre Sichtweise, und die Begründung hat es in sich! Sinngemäß seien die Argumente hier dargestellt:

Das Bundessozialgericht gründet ihre Annahme einer Verjährung nach vier Jahren nicht auf eine Regelung aus dem SGB V. Stattdessen werden andere Fristen, aus anderen Büchern des Sozialgesetzes (zum Beispiel § 45 SGB I, oder § 25 SGB IV). Obwohl das eigentliche Leistungserbringerrecht aus  dem SGB V nichts über Verjährung regelt, werden die genannten anderen Regelungen vom BSG zu einem “Allgemeinen Rechtsprinzip” erhoben.

Da hält das Sozialgericht aus Mainz dagegen: Das BSG setze sich über eine Regelung im SGB V hinweg. Gemeint ist § 69 SGB V, dort steht (sinngemäß und verkürzt), dass die Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) gelten, wenn das SGB V nichts regelt. Es bestehe also keine Notwendigkeit, irgendwelche Regelungen aus anderen Teilen des Sozialgesetzes grundlos als “Allgemeines Rechtsprinzip” zu betrachten und analog anzuwenden, so die erkennende Kammer des SG Mainz.

Und das Gericht aus Mainz geht noch weiter: Das Bundessozialgericht handele so immer wieder gegen explizite gesetzliche Regelungen und macht so seine “eigenen Gesetze”. Damit handele das BSG verfassungswidrig, denn es verstößt gegen das Prinzip der Gesetzesbindung (Art 20 Grundgesetz).

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Was jetzt, wenn das BSG verfassungswidrig handeln soll?

Diese Sichtweise des Sozialgerichtes ist äußerst spannend, auch wenn es für das Krankenhaus natürlich “dumm gelaufen” ist. Schon länger berichten wir von dieser Stelle über eine gewisse Beliebigkeit in der Rechtsprechung des BSG. Zum Beispiel bei der nachstationären Behandlung, beim so genannten “Fallsplitting“, aber vor Allem beim Umgang mit den Aufwandspauschalen.

Bei den Aufwandspauschalen wurde eindeutig eine klar formulierte rechtliche Regelung vom BSG inhaltlich falsch angewendet. Inwiefern hilft uns das jetzt?

Im Nachgang gar nichts, soviel ist klar. Allerdings steht die Frage, ob erster und dritter Senat des BSG verfassungskonform urteilen, jetzt im Raum. Vielleicht sollten die streitenden Parteien dann und wann überlegen, ob eine Verfassungsbeschwerde angemessen wäre. Immerhin haben wir gelernt: auch das BSG muss sich an Gesetze halten.

Wir dürfen auf das nächste Urteil des Bundessozialgerichtes zum Thema Verjährung (z. B. B 1 KR 26/14 R) gespannt sein!

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