Sechs Revisionen beim ersten Senat

Am 21.04. wird der erste Senat des BSG in Kassel sechs Revisionen verhandeln. Es geht, wie immer im Revisions­register, um grundsätzliche Fragen: Was ist Recht bei Kranken­haus­leis­tungen. Die Themen sind nicht völlig neu und die Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit lassen nicht allzu viel Zuversicht aufkommen. Die Rechtsfragen im Einzelnen:

1. Darf das Krankenhaus Beweismittel “nachliefern”?

B 1 KR 10/15 R. Die Horst-Schmidt-Kliniken hatten einen Patienten stationär behandelt wegen einer Krankheit (Entzündung der Ohrmuschel), von der die Kasse annahm, eine ambulante Behandlung hätte reichen müssen. Das Krankenhaus weigerte sich jedoch, der Kasse weitere Auskünfte zu geben. Anscheinend wurde der MDK nicht eingeschaltet.

Als die Klinik Klage erhob, wurde klar, dass die stationäre Behandlung unstrittig begründet und notwendig gewesen war. Allerdings waren das SG Wiesbaden und das LSG Hessen der Meinung, dass diese Information zu spät gekommen sei. Deshalb habe das Krankenhaus kein Anrecht auf eine Vergütung mehr.

Bekanntlich lässt der erste Senat nur selten Gnade gelten, wenn es um die Kranken­häuser geht. Vielleicht ist es hier aber anders. Zu einer ähnlichen Frage hat sich nämlich der dritte Senat schon 2013 geäußert (B 3 KR 28/12 R). Das LSG Niedersachsen hatte Argumente, die das Krankenhaus als ärztliche Stellungnahme dem MDK vortrug, “unerheblich” genannt. Das LSG meinte, dass diese Argumente der Kasse bei der Abrechnung mitgeteilt werden müssten, sonst sei es für immer zu spät. Diese Sichtweise hat das BSG seinerzeit kassiert (siehe unser Artikel dazu). Vielleicht mag der erste Senat an dieser Dogmatik anschließen…

2. Entlassbrief löst nach vier Jahren Fehlbelegungsvorwurf aus.

Selbständige Arbeit als Kodierfachkraft / MD-Managerin / Beraterin.

Klingt das für dich nach einer guten Idee?
Dann ist unser Partnerprogramm für dich gemacht!

B 1 KR 7/15 R. Eine Klinik aus Hamm (Westfalen) schickte der AOK Niedersachsen bei einer Fallprüfung aus 2008 eine Akte, in der ein alter Brief aus 2004 enthalten war. Aufgrund dieses Briefes kam die Kasse zum Schluss, dass die stationäre Behandlung 2004 nicht erforderlich gewesen sei.  Im Jahr 2008 galt schon die 6-Wochen-Frist, daher könnte man glauben, dass die Klage der Kasse gegen  das Krankenhaus nicht erfolgreich sein dürfte. Das Sozialgericht Dortmund sah das auch so. Allerdings hob das LSG dieses Urteil auf.

Was der erste Senat dazu sagen wird? In vergleichbaren Fällen war es leider nichts Gutes…

Spezielle Fragen zur Kodierung und im MD-Management ohne aufwendige Recherche beantworten?
Unser online Praxis-Handbuch!

3. Die richtige Hauptdiagnose?

B 1 KR 9/15 R. Ein durch Zerebralparese mit Krampfanfällen behinderter Patient wurde 2005 aufgenommen (man nehme zur Kenntnis, wie lange das Verfahren schon gedauert hat!). Anscheinend ist unstrittig, dass der Patient zunächst wegen eines Fieberzustandes stationär aufgenommen wurde und später, nach Abklingen des Fiebers, wegen des Krampf­leidens  eine Komplexbehandlung (schwer behandelbare Epilepsie) bekam.

Die Kasse verklagte das Krankenhaus, weil es auf die Hauptdiagnose G40.2 (fokale Epilepsie) bestand , während der MDK hier die A41.9 (Sepsis) für korrekt hielt. Vom LSG NRW hat das Krankenhaus eine auf die Nase bekommen. Warum die Klinik jetzt noch Revision eingelegt hat, ist nicht ganz klar. Das könnte schief gehen…

4. Wenn die Verlegung nicht schnell klappt.

B 1 KR 6/15 R. Ein Problem, dass nicht ganz selten ist: Das Johanniter-Krankenhaus aus Treuenbrietzen nimmt am 06.08.2007 eine Patientin mit Purpura Schönlein-Henoch auf. Um eine weitere Diagnostik durchzuführen, soll eine Verlegung stattfinden. Der zeitliche Ablauf:

06.08.2007 Aufnahme
08.08.2007 Bitte um Verlegung
15.08.2007 Verlegung

Die Verweildauer führte zu Langliegerzuschlägen, was der MDK als nicht erforderlich ansah. Die entscheidende Frage lautet daher: Hätte das Krankenhaus die Verlegung aktiver betreiben müssen, oder reicht es aus, auf eine Rückmeldung der übernehmende Klinik zu warten?

Das LSG Berlin-Brandenburg sah die AOK im Recht. Wir sind gespannt, was der erste Senat dazu sagt.

5. Neurologische Behandlung des akuten Schlaganfalls

B 1 KR 8/15 R. Eigentlich wollte der MDK ein Fass über die ärztliche Quali­fika­tion aufmachen: Im Jahr 2007 stand in der OPS über 8-981 Neurologische Behandlung des akuten Schlaganfalls der folgende Text zur ärztlichen Anwesenheit:
[quote style= “boxed” ]Der Arzt kann ein Facharzt oder ein Assistenzarzt in der Weiterbildung zum Facharzt sein.[/quote]
Später wurde das dann geändert in respektive “Facharzt für Neurologie” und “Weiterbildung zum Facharzt für Neurologie”. Der MDK monierte also die Fachrichtung.

Das Thüringer LSG umschiffte eine Entscheidung über dieses Thema, indem die Transportentfernung ins Feld geführt wurde. Die OPS fordert:

[quote style= “boxed” ]unmittelbarem Zugang zu neurochirurgischen Notfalleingriffen sowie zu gefäß­chirur­gischen und interventionell-neuroradiologischen Behandlungsmaßnahmen (jeweils eigene Abteilung im Hause oder Kooperationspartner in höchstens halbstündiger Trans­port­ent­fernung unabhängig vom Transportmittel)[/quote]

Laut Landessozialgericht war die Transportentfernung von Gotha nach Erfurt länger und damit bekam das Krankenhaus eben Unrecht. Das ist interessant, weil die Reise laut Google Maps mit einem Auto genau 30 Minuten dauert. Eine Alarmfahrt und erst recht ein Hubschrauber müssten deutlich schneller sein.

Da kann man gespannt sein, in welche Richtung das BSG hier argumentieren wird!

6. Anschubfinanzierung einer integrierten Versorgung

B 1 KR 11/15 R. Hier geht es um eine abrechnungstechnische Frage: War ein Vertrag ein Vertrag für integrierte Versorgung, oder nicht?

Online Schulungen Kodierung für Profis und Anfänger?
Schauen Sie sich unsere E-Learning-Angebote an!