Betrug: Alter Wein in neuen Schläuchen

Betrug (c) pathdoc - fotoliaSchon länger sehen sich neonatologische Zentren mit Vorwürfen konfrontiert: Es wird eine auffällige und nicht zufällige Häufung von Geburtsgewichten knapp unter den “Split-Grenzen” des G-DRG-Systems festgestellt.

Das sei Betrug und dadurch hätten Mitarbeiter neonatologischer Abteilungen 12.000 Neugeborene falsch eingestuft und die Krankenhäuser 114 Millionen Euro ergaunert, so die Autoren einer Studie, die diese Beobachtung thematisiert.

Im Jahr 2011 wurde diese (internationale) Beobachtung zum ersten Mal beschrieben (Abler e.a.1). Danach (2013) wurden die Ergebnisse von Autoren der Bergischen Universität Wuppertal überarbeitet und beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung publiziert (kostenloser Download hier). Jetzt wird der (nahezu) gleiche Text bei Elsevier erneut veröffentlicht (Journal of Health Economics 43 (2015) 13–26) und kann  nunmehr auch kostenpflichtig erstanden werden.

Kranke Neugeborene falsch eingestuft

Die Autoren der letztgenannten (englischsprachigen) Arbeit haben einen interessanten Punkt aufgegriffen, der besonders vom Spitzenverband der Krankenkassen schon mehrfach genüsslich öffentlich ausgeschlachtet wurde.

Offensichtlich führen wirtschaftliche Anreize dazu, dass Geburtsgewichte unter bestimmten Bedingungen “nach unten gerundet” werden. Die Studie beschreibt, dass das überwiegend dann erfolgen soll, wenn das Neugeborene besonders krank erscheint und hohe Behandlungskosten vermutet werden. Die Krankenhausmitarbeiter täten sich mit Betrug leichter, wenn er sich durch eine unterstellt teure Behandlung rechtfertigen lasse, vermuten die Verfasser.

Allerdings bekommt dieser “mildernde Umstand” wenig Raum, wenn die Autoren sich über die Bedeutung ihrer Beobachtungen auslassen. Immer wieder tauchen die Begriffe Betrug (“cheating”), systematische Manipulation (“systematic manipulation”), Ergaunern (“unfair gain”) und Verbrechen (“crime”) auf.

Die Verfasser mutmaßen nebenbei über die Schädigung von Neugeborenen durch eine unterstellte medizinisch unnötige Beatmung. Sie malen Szenarien aus, in denen Ärzte absichtlich Frühgeburten herbeiführen, wenn die Vergütung an die Dauer der Schwangerschaft gekoppelt würde. Insgesamt atmet der Artikel ein tief gewurzeltes Misstrauen gegen Ärzte und Krankenhäuser, deren kriminelle Energie anscheinend ein unabänderlicher Wesenszug sein soll.

Falsche Dokumentation = Manipulation

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Durch die einseitige und tendenziöse Art, in der die Autoren ihre Schlüsse formulieren, gerät die eigentliche Aussage der Arbeit leicht aus dem Blickfeld. Das ist schade; auch wenn der alte Wein nun zum dritten Mal in neuen Schläuchen präsentiert wird, ist des Pudels Kern deswegen noch nicht uninteressant.

Zweifelsfrei ist die falsche Dokumentation des Geburtsgewichtes ein Regelverstoß; wenn er bewusst geschieht, um dem Arbeitgeber einen wirtschaftlichen Vorteil zu verschaffen, kann man mit Fug und Recht von Manipulation sprechen.

Allerdings ist die Feststellung, dass diese Manipulation besonders dann geschieht, wenn der handelnde Person eine moralische Rechtfertigung (“außergewöhnlich hohe Behandlungskosten”) vermutet, nicht ohne Bedeutung. Zumindest passt diese Beobachtung nicht zur unterstellten Manipulation von Beatmungsstunden und zu den künstlich erzeugte Frühgeburten. Eine hemmungslose Kriminalität, die die Autoren den Krankenhäusern scheinbar unterstellen, sehe ich da nicht.

Was im Artikel vollkommen außer Acht bleibt, ist die Art der wirtschaftlichen Konsequenzen solcher Manipulationen. Die 114 hochgerechneten Millionen werden nicht der Krankenkasse, dem Versicherten oder dem Steuerzahler “geklaut”. Sie werden durch das gedeckelte Krankenhausbudget letztlich anderen Krankenhäusern und niemandem sonst fehlen. Dieses kleine, aber oh so wichtige Detail wird in der Diskussion immer wieder “vergessen”. Von unabhängigen Professoren der Gesundheitsökonomie hätte man an diesem Punkt mehr und Besseres erwarten können.

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Betrug ist Betrug ist Betrug?

Der “Skandal”, der im genannten Artikel nun zum dritten Mal aufgedeckt und von anderen Stellen ausgebreitet wird, betrifft in der Tat eine falsche Abrechnung. Diese Ungerechtigkeit wird anscheinend flächendeckend begangen und dürfte für InEK ein Thema bei der Kalkulation sein (immerhin: auch neonatologische Zentren kalkulieren DRG).

Solche Verwerfungen sind zutiefst menschlich und treten überall dort auf, wo man sich ohne großes Entdeckungsrisiko einen Vorteil verschaffen kann, der gefühlt “niemanden” schadet. Ein Beispiel: 40 % der Amerikaner finden es vollkommen in Ordnung, wenn in einem Versicherungsfall der Schaden übertrieben wird, damit der Selbstbehalt auch noch von der Versicherung vergütet wird. Insurance Research Council (2000). Und wie sehen Sie das?

Auch die Krankenhausabrechnung, die künstlich und sehr komplex reguliert ist, bietet solche Gelegenheiten. Gelegentlich werden sie auch ausgenutzt. Das ist nicht korrekt, aber das ist kein Grund die Menschen, die in Krankenhäusern arbeiten, eine pauschale Neigung zum Betrug zu bescheinigen.

 

1Abler, S., Verde, P., Stannigel, H., Mayatepek, E., Hoehn, T., 2011. Effect of the introduction of diagnosis related group systems on the distribution of admissionweights in very low birth weight infants. Archives of Disease in Childhood. Fetaland Neonatal Edition 96, F186–F189.
Foto: © pathdoc – fotolia

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