Rechnungsänderung und Nachkodierung

Lena Wieland über Nachkodierung

Sie lesen einen Gastbeitrag von Frau Lena Wieland, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Medizinrecht; Rechtsanwälte Dr. Caspers, Mock & Partner mbB

Krankenhäuser verlieren erhebliche Summen, weil Leistungen in den Kodierabteilungen nicht optimal erfasst werden. Hier hilft die Kodierrevision den Krankenhäusern bei der Erlössicherung. Aber: Welche Rechnung kann in welchem Zeitrahmen erfolgreich gegenüber den Krankenkassen nachberechnet werden? Was ist bei der Nachberechnung alles zu beachten? Diese Fragen beschäftigten die Sozialgerichtsbarkeit. Der 1. und der 3. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) haben in zwei unmittelbar aufeinanderfolgenden Entscheidungen (BSG, Urteil vom 13.11.2012 – B 1 KR 6/12 R; BSG, Urteil vom 22.11.2012 – B 3 KR 1/12 R) folgende Grundsätze statuiert.[1]

1. Grundsätzliche Berechtigung der Krankenhäuser zur Nachberechnung

Beide Entscheidungen konstatierten zunächst, dass das Krankenhaus durch die Schlussrechnung nicht an den dort berechneten Betrag gebunden ist. Nachkodierungen sind damit grundsätzlich zulässig.

Ratio des BSG: „Auch die Krankenkassen dürfen nachträgliche Korrekturen vornehmen.“

Das zugelassene Krankenhaus hat bei Erforderlichkeit der Krankenhausbehandlung gegen die Krankenkasse einen gesetzlichen und unmittelbaren Vergütungsanspruch. Dies ergibt sich aus der Behandlungspflicht der Krankenhäuser

Die Höhe des Vergütungsanspruchs wird durch § 109 Abs 4 S 2 SGB V nach Maßgabe des KHG, des KHEntgG und, sofern das Krankenhaus nicht in das DRG-Vergütungssystem einbezogen ist, der Bundespflegesatzverordnung (vgl dort § 1 Abs 1) bestimmt.

Maßgebend für den Vergütungsanspruch ist der Fallpauschalen-Katalog nach § 7 iVm § 17b Abs 1 S 10 KHG. Diesem grundsätzlich eng auszulegenden Fallpauschalenkatalog kann nicht entnommen werden, dass der Zahlungsanspruch des Krankenhauses auf den zunächst geforderten Betrag beschränkt ist.

So wie die Krankenkasse auch nach Bezahlung der Krankenhausrechnung nachträgliche Korrekturen vornehmen darf (BSG SozR 4-2500 § 109 Nr 16 RdNr 17 mwN), ist ebenso das Krankenhaus noch nach Rechnungsstellung grundsätzlich zur Nachforderung einer offenen Vergütung berechtigt.

2. Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben

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Bei der Nachberechnung hat das Krankenhaus aber den Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB zu beachten. Dieser zivilrechtliche Grundsatz gilt über § 69 SGB V auch in dem sozialrechtlichen Verhältnis zwischen Krankenhaus und Krankenkasse.

Ratio des BSG: „Die dauerhaften, professionellen Vertragsbeziehungen zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen sind von einem systembedingten Beschleunigungsgebot geprägt und verpflichten zu gegenseitiger Rücksichtnahme“,

Daraus ergibt sich für die Prüfung der Zulässigkeit einer Nachberechnung folgender Leitfaden:

Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB gilt über 69 SGB V

  • Unzulässigkeit von Nachforderungen unterhalb der Bagatellgrenze = mehr als 300 € und mindestens 5 % des Ausgangsrechnungswertes
  • Nachforderungsschlussrechnung muss zeitnah erfolgen = bis zum Ablauf des auf die Schlussrechnung folgenden Kalenderjahres
  • keine systematische Rechnungsoptimierung durch das Krankenhaus
Das BSG konstatiert also 3 Hürden, die jede Nachberechnung durch das Krankenhaus überwinden muss:

  • Beide Bagatellgrenzen müssen kumulativ überschritten sein:

mehr als 300 € und

mindesten 5% des Ausgangsrechnungswertes

Exkurs: Bei Korrekturen innerhalb der 6-Wochen-Frist des § 275 Absatz 1c Satz 2 SGB V (ab Rechnungsstellung) oder im Rahmen eines Prüfverfahrens des MDK ist auch nach Ablauf der 6-Wochenfrist eine Korrektur auch für Bagatellbeträge zulässig!

  • Zeitnahe Nachberechnung:

Die Nachberechnung kann nur bis zum Ende des auf die Schlussrechnung folgenden Kalenderjahres erfolgen. Eine Rechnungskorrektur muss also innerhalb von maximal 729 Tagen (für eine der Krankenkasse am 1.1. zugegangene Schlussrechnung) und mindestens 365 Tagen (für eine am 31.12. zugegangene Schlussrechnung) erfolgen.

Exkurs: Korrekturen von Rechnungen unter Vorbehalt

Rechnungen, die unter dem Vorbehalt einer nachträglichen Korrektur gestellt werden, können innerhalb der 4-jährigen Verjährungsfrist zeitlich unbegrenzt korrigiert werden. Der 1. Senat spricht in der oben bezeichneten Entscheidung vom 13.11.2012 allerdings von einem „rechtsbedeutsamen“ bzw. „spezifischen“ Vorbehalt“, also einem Vorbehalt, der den Krankenkassen den eventuell erforderlichen Rückstellungsbedarf transparent macht.

  • Keine systematische, flächendeckende Rechnungsoptimierung

Nach dem Leitgedanken des BSG verbietet das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme ein treuwidriges Abrechnungsverhalten.

Das BSG hat offen gelassen, wo genau die Grenze für ein treuwidriges Abrechnungsverhalten zu ziehen ist. Angedeutet wurde, dass eine Überschreitung von 10% des Erlösbudgets für ein treuwidriges Abrechnungsverhalten sprechen könnte.

„…Jedenfalls so lange weniger als 1% der Schlussrechnungen eines Kalenderjahres korrigiert werden und das Korrekturvolumen weniger als 0,5 der Summe aller Ausgangswerte beträgt, gibt es grundsätzlich kein Indiz für ein treuwidriges Abrechnungsverhalten…“

Als weiterer Anhaltspunkt wurde aufgeführt, dass das Abrechnungsverhalten des Krankenhauses nicht den Anschein erwecken darf, dass eine zuvor eher vorläufig bzw. summarisch erstellte Abrechnung korrigiert wird.

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3. Genereller Vorbehalt?

Alle relevanten Entscheidungen des BSG zur Frage der Nachberechnungsmöglichkeit betrafen vorbehaltslose Schlussrechnungen.

Rechnungen, die unter dem Vorbehalt einer nachträglichen Korrektur gestellt werden, können grundsätzlich innerhalb der 4-jährigen Verjährungsfrist zeitlich unbegrenzt korrigiert werden können. Folglich –so wird in der Literatur teilweise vertreten- sei den Krankenhäusern zu raten, Rechnung gegenüber den GKV nicht mehr als „Schlussrechnung“ zu benennen oder sich aber die Nachberechnung ausdrücklich vorzubehalten.
Problem: Verbot der systematischen, flächendeckenden Rechnungsoptimierung

BSG: Das Abrechnungsverhalten des Krankenhauses darf nicht den Anschein erwecken, dass eine zuvor eher vorläufig bzw. summarisch erstellte Abrechnung korrigiert wird.

Problematisch an einem solchen Vorgehen ist, dass die Krankenhausabrechnung so einen generell vorläufigen Charakter erhält, was nach Auffassung des BSG gerade nicht geschehen darf. Das grundsätzliche Vorbehalten von Nachforderungen bietet die Gefahr, als systematische Rechnungsoptimierung angesehen zu werden und deshalb als treuwidrig eingestuft zu werden.

Demzufolge sollten nur Rechnungen unter den Vorbehalt einer Nachkorrektur gestellt werden, wenn bestimmte Abrechnungskonstellationen tatsächlich umstritten sind. Ein solches Vorgehen empfiehlt sich auch vor dem Hintergrund, dass der 1. Senat –wie dargestellt- einen „rechtsbedeutsamen“ oder „spezifischen“ Vorbehalt verlangt. Den Krankenhäusern – so der 1.Senat – sei es zuzumuten, bei auslegungsbedingten Abrechnungsunsicherheiten in der “Schlussrechnung” explizit Vorbehalte zu erklären, die den Krankenkassen den eventuell erforderlichen Rückstellungsbedarf transparent machen. Ein pauschaler Hinweis, der allgemein bei jeder Abrechnung den Vorbehalt noch weiterer Nachforderungen vorbehält, genüge hierfür bei Schlussrechnungen nicht. Solange das Krankenhaus den zu fordernden Rechnungsbetrag pauschal nicht überblicken könne, könne es Abschlagszahlungen auf vorläufige Teilrechnungen fordern.

4. Fazit

Das BSG hat zur Frage der Zulässigkeit von Nachkodierungen einige Grundsätze aufgestellt. Diese Grundsätze eignen sich als Handwerkszeug, wenngleich die Frage, bis zu welchem Korrekturvolumen die Nachberechnungen noch zulässig sind, offen geblieben ist. Hier gilt es, die Rechtsprechung abzuwarten.

Anzumerken ist jedoch, dass der Grundsatz von Treu und Glauben keinen scharfen Rechtsbegriff beschreibt und er deshalb als Einfalltor für Abwägungsprozesse weitere Einschränkungsmöglichkeiten – je nach Einzelfallkonstellation- bietet.

[1] Die Darstellung bezieht sich primär auf die zeitlich spätere Entscheidung des 3. Senats (BSG, Urteil vom 22.11.2012 – B 3 KR 1/12 R). Der 3. Senat kannte bei seiner Entscheidung den Terminbericht des 1. Senats und verneinte eine Divergenz zur eigenen Rechtsauffassung.

Foto Übersichtsseite: © simonkr – Fotolia

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