Rechnerische Richtigkeit: Jetzt erst Recht!

bockiger kleiner junge

Seit Jahren beharrt das Bunddessozialgericht (BSG) auf die Existenz einer Form der Krankenhausrechnungsprüfung, die es selbst erfunden hat: Die „sachlich-rechnerische Prüfung“. Eine solche reine Kodierungs-Prüfung soll u.a. nicht mit einer Aufwandspauschale (§ 275 SGB V) bewehrt sein.

Nicht nur die Krankenhausgesellschaften sind darüber irritiert. Das Gesundheitsministerium, das sich um die Umsetzung „seiner“ Gesetze betrogen sieht, hat diesen Trick durch eine Gesetzesänderung mit Wirkung zum 01.01.16 verboten. Sogar der Spitzenverband der GKV hat in die PrüfvV geschrieben, dass es ein solches Konstrukt nicht mehr geben soll.

Jetzt hat das BSG erneut zum Thema geurteilt und es hält trotzig an seine frühere kreative Rechtsprechung fest: Es gibt sie doch, die sachlich rechnerische Prüfung!

Termin am 25.10.2016

In vier Fällen hatten die Vorinstanzen unterschiedlicher Bundesländer die Kassen zur Zahlung von Aufwandspauschalen verurteilt. Es ging um eine Reihe von Fällen, in denen die MDK-Prüfung der Kodierung von Diagnosen und / oder Prozeduren keine Rechnungsänderung ergeben hatte.

Die jeweiligen Kostenträger legten die Fälle nun dem obersten Sozialgericht zur Prüfung vor. Ein Fall betraf die AOK Niedersachsen, einen die Bahn BKK und zwei betrafen Versicherte der VIACTIV BKK.

Die Fälle

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Fall 1 (B 1 KR 22/16 R)

Der MDK forderte von der Klägerin den Entlassungsbericht an und kam zum Ergebnis, die Hauptdiagnose sei korrekt kodiert. Der Datensatz wurde ergänzt durch Y57! – Unerwünschte Nebenwirkungen bei therapeutischer Anwendung von Arzneimitteln und Drogen. Die Kodierung der Nebendiagnose D68.8 Sonstige näher bezeichnete Koagulopathien sei entbehrlich.

Fall 2 (B 1 KR 16/16 R)

Die Kasse erteilte  dem MDK den Auftrag, die Prozeduren  zu prüfen. Der MDK forderte von der Klägerin den ausführlichen Entlassungs- und OP-Bericht an und sah die Prozeduren als korrekt an.

Fall 3 (B 1 KR 18/16 R)

Die Kasse erteilte  dem MDK den Auftrag zu prüfen, ob die Nebendiagnosen und Prozeduren korrekt kodiert seien. Der MDK kam in seinem Gutachten zum Ergebnis, dass die kodierten Prozeduren korrekt seien, dass aber eine Nebendiagnose von K86.2 – Pankreaszyste in K85.80 – Crohn-Krankheit des Magens geändert werden müsse. Eine Rechnungsminderung folgte hieraus nicht.

Fall 4 (B 1 KR 19/16 R)

Die Kasse ließ die Hauptdiagnose vom MDK prüfen. Der MDK bestätigte die Hauptdiagnose.

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Die Argumentation für die „sachlich rechnerische Richtigkeit“

Der erste Senat lässt in seinem Terminbericht kein gutes Haar an die neue Formulierung des § 275 SGB V, die seit 2016 gültig ist. Das Gesetz begünstige möglicherweise unzutreffenden, irreführenden, vermögenschädigenden oder gar strafrechtlich relevanten Abrechnungen, so der Senat.

Dieser Schutz von möglicherweise strafrechtlich relevanten Abrechnungen erfolge, indem unzutreffende Angaben durch ein zeitliches Prüffenster von sechs Wochen und anschließende Verwertungsverbote vor Entdeckung geschützt würden.

Die neue Version des § 275 werde nicht rückwirkend (gemeint sind wahrscheinlich Fälle die vor 2016 aufgenommen wurden) angewandt.

Schlussfolgerungen

Die Kritik des ersten Senats ist noch nie so drastisch ausgefallen und ist für die Krankenhäuser, die hier pauschal kriminalisiert werden, ein Schlag ins Gesicht. Die Unschuldsvermutung, ein wichtiges Merkmal eines Rechtsstaats, gilt in den Augen des ersten Senates offenbar nicht.

Der Senat tobt, aber das ist nicht per se ein schlechtes Zeichen. Immerhin geht das Gerücht um, dass Prof. Hauck geneigt sei, die neue Fassung des § 275 insgesamt zu ignorieren und weiterhin seine eigenen Prüfregeln zu definieren. Am Gesetz vorbei.

Diese Gefahr besteht natürlich weiterhin, aber sie scheint doch nicht so groß zu sein, wie befürchtet. Immerhin kündigt das Gericht nun mittelbar an, dass die Lage für Fälle ab dem 01.01.2016 anders sei (Schutz der Kriminelle eben).

Ein anderer Aspekt ist vielleicht auch von Interesse: Der erste Senat hat bekanntlich geurteilt, dass Aufwandspauschalen nicht bezahlt werden, wenn das Krankenhaus durch „falsche Angaben“ das Prüfbegehren ausgelöst hat (B 1 KR 1/10 R vom 22.06.2010). Seitdem warten wir auf weitere Rechtsprechung zu diesem Thema: Sollen beispielsweise auch bei „Nebendiagnosenfehler“ Aufwandspauschalen gestrichen werden?

In den vorliegenden Fällen gab es derartige Korrekturen, in seiner mündlichen Stellungnahme nahm das Gericht Bezug darauf: Es steht zu befürchten, dass Änderungen am Datensatz den Anspruch auf eine Aufwandspauschale verhindern. Es steht uns vielleicht eine (Intensivierung der bereits bestehende) Rückforderungswelle seitens der Kassen ins Haus. Warten wir mal auf die endgültige Urteilsbegründung. Das Wort “Verfassungsbeschwerde” wird schon hinter vorgehaltener Hand geflüstert.
Foto: © Picture Factory – Fotolia

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