Sepsis und die Deutungshoheit des MDK

Sepsis

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Jeder, der Kodierfachkraft werden will, lernt die Kodierung einer Sepsis zu fürchten. Die Regeln sind kompliziert und manchmal von der klinischen Praxis weit entfernt. Der MDK maßt sich an, die Kodierrichtlinien zu erweitern, statt sie nur zu interpretieren.

Sepsis – DIMDI-FAQ

Wir kodieren Sepsis nach Regeln, die einst von der deutschen Sepsisgesellschaft aufgestellt wurden. Bis heute sind diese Regeln auf der Website der Gesellschaft recht übersichtlich dargestellt. Diese Regeln wurden vom DIMDI als Teil des amtlichen Katalogs ICD 10 – GM übernommen (als sogenannten FAQ). Dieser DIMDI-FAQ ist leider nicht so übersichtlich geraten, wie die Übersicht bei der Sepsisgesellschaft. Unser Kodiertool, das Ihnen hilft eine Sepsis fehlerfrei zu verschlüsseln, basiert übrigens auf diese Regeln.

Das Problem der Regelung ist, dass eine Sepsis häufig schon kodiert werden kann, obwohl der klinische Arzt noch nicht von einer Sepsis sprechen würde. Schon eine schwere Infektion kann die Sepsiskriterien erfüllen. Manche Begleitkrankheiten können sogar ein Sepsiskriterium erfüllen, ohne dass sie Zeichen einer Infektion sind. Man denke zum Beispiel an eine Leukämie, die mit extrem hohen Leukozytenzahlen einher gehen kann. Die Leukozytose ist dann kein Infektzeichen. Wird sie trotzdem formal als Sepsiskriterium gewertet?

Nein, wird sie nicht. In der Definition von DIMDI steht:

Der Nachweis der nachfolgenden Kriterien (einschließlich derjenigen der Organkomplikationen) muss im Einzelfall unter Würdigung ggf. anderer, gleichzeitig bestehender Krankheitszustände bewertet werden.

Solche Feinheiten sind der Grund für zähe Auseinandersetzungen zwischen Krankenhaus und MDK.

SIRS

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Wenn es um Sepsis geht, spielt der Begriff “SIRS” eine wichtige Rolle. Das “Systemic Inflammatory Response Syndrome” wird als Zusatzkode verschlüsselt (R65.-!) und ist erlösrelevant. “SIRS” ist ein Begriff, der oft falsch verstanden wird. Was ist das genau und was hat es mit Sepsis zu tun?

SIRS kann man etwas laienhaft beschreiben als eine überschießende Immunantwort des Körpers. SIRS ist die Reaktion auf eine schwere Störung des Gleichgewichts. Diese Störung kann eine schwere Infektion bis hin zu einer Sepsis sein. Sie kann aber z. B. auch eine Vergiftung, eine schwere Verbrennung oder Verletzung sein. Die bekannten Sepsiskriterien könnte man eigentlich besser als “SIRS-Kriterien” bezeichnen: sie beschreiben die Reaktion des Körpers.

  • Fieber (≥38,0°C) oder Hypothermie (≤36,0°C) bestätigt durch eine rektale, intravasale oder intravesikale Messung
  • Tachykardie mit Herzfrequenz ≥90/min
  • Tachypnoe (Frequenz größer oder gleich 20/min) oder Hyperventilation (bestätigt durch Abnahme einer arteriellen Blutgasanalyse mit PaCO2 ≤4,3kPa bzw. 33mmHg)
  • Leukozytose (≥12.000/mm³) oder Leukopenie (≤4.000/mm³) oder 10% oder mehr unreife Neutrophile im Differentialblutbild

Auch ein Organversagen kann ein Zeichen einer SIRS sein.

Faustregel: Schwere Infektion / Sepsis oder Verletzung / Vergiftung (u.a.) sind die Ursache. SIRS ist die Folge.

Deswegen ist die Kodierung einer SIRS nicht fest mit der Kodierung einer Sepsis verknüpft. Der Kriterienkatalog der Sepsisgesellschaft heißt dann auch “Kriterienkatalog SIRS“. Eine SIRS kann auch durch eine schwere Infektion ohne positive Blutkultur oder auch völlig ohne Infektion ausgelöst werden.

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Kodierrichtlinie und Kommentar des MDK

Allerdings wird diese Erklärung von SIRS nicht überall richtig “angenommen”. Die Kodierrichtlinien werden bekanntlich Jahr für Jahr “mit MDK-Kommentar” der Herren Euler und Dirschedl herausgegeben. Diese Kommentare sind parteiische Interpretationen, die insbesondere den Kassen helfen sollen.

Zum Thema Sepsis steht in den Kodierrichtlinien (DKR 0103) u.a. der folgende Text:

Dabei ist zunächst ein Kode für die Sepsis oder die ein SIRS nichtinfektiöser Genese auslösende Grundkrankheit anzugeben, gefolgt von einem Kode aus R65.–! Systemisches inflammatorisches Response-Syndrom [SIRS].

Dazu lautet der “MDK-Kommentar”:
Kommentar Sepsis MDK
Es ist offensichtlich, dass der Kommentar nicht vom Text der Kodierrichtlinie gedeckt wird. Die Kodierrichtlinie begrenzt die möglichen auslösenden Grundkrankheiten eben nicht ausschließlich auf die Sepsis. Der MDK unterscheidet hier zwischen “formaler” Erfüllung der SIRS-Kriterien mit und ohne Sepsis. Wie hat man sich das bitte schön vorzustellen?

Klingt wie: Ich habe ein “formales” Zugticket, darf aber möglicherweise doch nicht mitfahren. Es bleibt rätselhaft, was die Kommentatoren hier bezwecken. Verwirrung stiften vielleicht? Die Kodierrichtlinien werden von der Selbstverwaltung herausgegeben. So wie sie sind, sind sie schon völlig ausreichend kompliziert und streitbefangen.

SOFA

Es gibt mittlerweile neue und völlig andere Sepsiskriterien: SOFA (Sepsis-Related Organ Failure Assessment). Die Idee ist nicht mehr so neu: Schon 1996 wurde über die Kriterien berichtet. 2016 wurden die Kriterien auf einer Konsensuskonferenz international vereinbart.

Die Kriterien sind komplexer als die, die wir bis heute anwenden:
SOFA - JAMA
Quelle: JAMA. 2016;315(8):801-810.
Diese Sepsiskriterien sind also für die Klinik von Bedeutung. Für die Kodierung gelten jedoch immer noch die Kodierrichtlinie 0103 und die FAQ von DIMDI. Nichts anderes…

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