Rückforderung von Aufwandspauschalen
Eine Aufwandspauschale (AWP) wird bekanntlich von den Krankenkassen gezahlt, wenn das Krankenhaus korrekt abgerechnet hat. Theoretisch!
In früherer Rechtsprechung hat das Bundessozialgericht (BSG) im Jahr 2014 „sachlich-rechnerische Prüfungen“, in denen nur Diagnosen und/oder Prozeduren überprüft wurden, eingeführt. Bei dieser Prüfung soll, laut BSG, keine Aufwandspauschale fällig werden. Diese Art der Rechtsprechung spiegelt den Wortlaut des Gesetzes keineswegs wider, aber das Phänomen ist beim 1. Senat des BSG nicht neu.
Durch die „sachlich-rechnerische Prüfung“ sehen jetzt die Krankenkassen ihre Chance, die Aufwandspauschale für vergangene Jahre rückwirkend zurück zu fordern. Ist das möglich?
Das Sozialgericht Aachen hat sich mit der Frage auseinandergesetzt (S 13 KR 410/15 vom 13.09.2016).
Der Fall
Vor dem SG wurde darüber gestritten, ob die Krankenkasse einen Anspruch auf Rückerstattung der Aufwandspauschale (300 Euro ) für 77 Rechnungsprüfungen aus den Jahren 2011-2015 hat. Die geforderte Rückerstattung lag bei 23.100 Euro.
Die Krankenkasse begründete ihre Forderung für die Rückerstattung mit dem Argument, dass eine „sachlich-rechnerische Prüfung“ erfolgt sei, da nur die Kodierung überprüft wurde. Das Krankenhaus hielt die Rückforderung für nicht begründet und leistete keine Rückzahlung. Die Kasse zog darauf vor das Gericht.
Das Urteil
Die Klage der Krankenkasse wurde abgewiesen. Allerdings ist das Urteil noch nicht rechtskräftig; zurzeit läuft die Berufung des Falles beim Landessozialgericht NRW.
Interessantes Detail: Das Gericht hat ein Gutachten von einer vorsitzenden Richterin a. D. beim Bundessozialgericht eingeholt. Dieses Gutachten erteilt der „sachlich-rechnerischen Prüfung“ eine klare Absage: Diese Rechtsprechung widerspreche den klaren und eindeutigen gesetzlichen Vorschriften zur Rechnungsprüfung unter Beteiligung des MDK und dem Willen des Gesetzgebers. Die „sachlich-rechnerische Prüfung“ sei demnach rechtswidrig, sagt die Gutachterin.
Das Sozialgericht verneint ein Recht auf rückwirkende Erstattung aus mehreren Gründen:
- Der MDK hat die Prüfung der 77 Krankenhausfälle durchgeführt. Es wurde keine Erlösminderung erzielt und die Aufwandspauschale wurde anstandslos bezahlt. Durch die Zahlung der Aufwandspauschale darf das Krankenhaus davon ausgehen, dass die Kasse die Berechnung der AWP als korrekt akzeptiert hat und muss nicht mit einer späteren Rückforderung rechnen.
- Die rückwirkende Anwendung einer neuen Regel ist nicht zulässig. Die Krankenhäuser (und übrigens auch die Kassen) konnten nicht ahnen, welches Kaninchen das BSG aus dem Hut zaubern würde. Eine neue Rechtslage kann allenfalls für zukünftige Fälle gelten, aber niemals für „Altfälle“. Die Verfassung beschreibt das Recht auf Rechtssicherheit und Vertrauensschutz.
- Die rechtswidrige Annahme einer „sachlich-rechnerischen Prüfung“ ist nicht zulässig.
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Der erste Senat BSG
Bis jetzt ist das Bundessozialgericht in Kassel in der Sache nicht involviert: Die Kasse hat auf die ausdrücklich erlaubte Sprungrevision unter Umgehung des Landessozialgerichtes verzichtet.
Scheinbar ärgert das den Präsidenten des ersten Senats gewaltig! Zu gern hätte er dieses Urteil in die Finger bekommen, um es scheppernd „in die Tonne zu kloppen“. Was macht ein Senatspräsident im BSG, wenn er unbedingt seine Meinung los werden muss? Er schreibt ein „Obiter Dictum“.
In zwei Urteilen aus dem Oktober 2016 (B 1 KR 16/16 R und B 1 KR 22/16 R) bekommt das SG Aachen „nebenbei“ sein Fett weg. Im Namen des erkennenden Senates schreibt er: „Er vermag den hiervon abweichenden, das Gesamtsystem unter Nutzung aller Auslegungsmethoden nur unzureichend würdigenden Ansichten nicht zu folgen.“ Er nennt danach eine Reihe apokrypher Urteile, die den Spott und die Verachtung des Senates verdient haben sollen; an erster Stelle steht das hier besprochene.
Eine Stellungnahme von Prof. Hauck (vorsitzender Richter des 1. Senats BSG) zu der Thematik finden Sie hier.
Schlussfolgerungen und Empfehlungen
In der ersten Instanz haben die Krankenhäuser Recht bekommen: Die Rückforderung von Aufwandspauschalen ist nicht rechtens. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, aber die Chancen stehen gut, dass die rückwirkende Anwendung vom „Richterrecht“ aus 2014 auch in den weiteren Instanzen scheitern wird.
Lassen Sie sich daher von Kassen-Rhetorik nicht beeindrucken: Zahlen Sie nicht und klagen Sie, wenn nötig, nachträglich verrechnete Aufwandspauschalen ein.
Ein Wermutstropfen gibt es leider noch: Die Äußerungen des 1. Senats BSG könnten bedeuten, dass das oberste Gericht seine Dogmatik „sachlich-rechnerische Prüfung“ ab Juli 2014 als eine Art Gesetz verstanden wissen möchte. Das kann bedeuten, dass Rückforderungen von AWP, die ab dem 01.07.14 bezahlt wurden, in Kassel bestätigt werden könnten. Das ist aber „Spökenkiekerei“, wie der Bremer sagt: Man weiß es nicht…
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