Die Transportentfernung

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Die Verfasser der Beschreibung einer Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls haben bekanntlich ein Händchen für mehrdeutige Definitionen. Schon mehrfach musste der Text des OPS angepasst werden, um unbillige Leistungsverweigerungen der Kostenträger einzudämmen. Bei der „halbstündigen Transportentfernung“ muss nun wohl zum dritten Mal Hand angelegt werden um endlich eine eindeutige Begriffsbestimmung zu erreichen.
Das Bundessozialgericht hat bei der Interpretation eine Definition formuliert, die ein Krankentransport innerhalb einer halben Stunde de facto unmöglich macht: B 1 KR 38/17 R und B 1 KR 39/17 R vom 19.06.2018.
Die Geschichte der Komplexbehandlung
Schon kurz nach der Einführung des DRG-Systems wurde die erste Komplexbehandlung formuliert: 8-981 Neurologische Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls feierte Premiere im OPS 2005. Es war der neurologischen Fachgesellschaft ein Bedürfnis, die Schlaganfall-Behandlung auf einer Stroke-Unit besonders hervorzuheben.
Nach zwei Jahren wurde 2007 8-98b Andere neurologische Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls eingeführt. Die Internisten fühlten sich nämlich ungerecht behandelt, weil die Kodierung der Komplexbehandlung (nicht ganz zufällig!) an die Behandlungsleitung durch einen Neurologen geknüpft war. Als Ausgleich gab es die Komplexbehandlung „light“ für internistisch geführte Stroke-Units.
Die Geschichte der Transportentfernung
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Die Komplexbehandlung hat immer vorgesehen, dass gewisse seltene Notfalleingriffe und -interventionen von einem Kooperationspartner durchgeführt werden dürfen. Eine „halbstündige Transportentfernung“ war erlaubt, um einen entsprechenden Partner zu erreichen. Die Formulierung war aber von Anfang an mehrdeutig, und es gab immer wieder Diskussionen mit MDK und Kassen.
Die Korrektur 2014 macht das Problem klar: Der Transport konnte definitionsgemäß nie schnell genug sein! Das LSG Thüringen (L 6 KR 193/10 vom 25.06.2013) hatte diese Formulierung so verstanden, dass auch mit einem normalen Krankentransport ohne Martinshorn und Blaulicht eine Dauer von 30 Minuten niemals überschritten werden durfte. Das Gericht ging davon aus, dass es auch nicht-dringliche Behandlungen beim Kooperationspartner geben würde, bei denen der Transport ebenfalls höchstens eine halbe Stunde dauern durfte. „Unabhängig vom Transportmittel“ eben!
Die wortreiche neue Formulierung von 2014 sollte dieses Problem lösen, hat es aber nicht wirklich. Scheinbar möchten die Verfasser keine Notfalltransporte von „normalen“ Transporten unterscheiden. Es wurden neue Begriffe eingeführt: „Rettungstransportbeginn“ und „Rettungstransportende“. Die Betroffenen haben das als Anfang und Ende der Zeit verstanden, in der das Transportmittel tatsächlich transportiert; also die reine Fahrt- oder Flugzeit. Das wird jetzt von den Füßen auf den Kopf gestellt.
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Das aktuelle Urteil
Das Bundessozialgericht hat über einen Fall entschieden, in dem es keinen Transport gegeben hatte; es ging nur um die grundsätzliche Frage.
Bei Dunkelheit konnte ein nachtflugtauglicher Hubschrauber angefordert werden, der brauchte aber einen Vorlauf von mehr als 40 Minuten. Die Richter der Vorinstanz (LSG RLP) gingen davon aus, dass ein solcher Transport sehr dringend sei und dass solche Wartezeiten zur Transportzeit gehören müssen.
In der Grafik stellt der rote Balken die Transportentfernung dar, die die Sozialgerichte in diesem Fall angenommen haben. Der Transport beginnt mit der Anforderung des Transportmittels und endet mit der Übergabe. Diese Einschätzung geht an die medizinische Realität vorbei. Wenn es um ein Notfall geht, ist der Patient höchst wahrscheinlich schon intubiert und beatmet, was den sicheren Transport aufwendig macht.
Wer Erfahrung in der Intensivmedizin hat weiß, dass diese Abläufe nicht in 30 Minuten erledigt sein können. Sogar wenn die Krankenhäuser direkt neben einander stehen würden, vergehen zwischen Anforderung des Transportmittels und Übergabe auf der Ziel-Station mehr als 30 Minuten.
Selbst bei einer internen Verlegung von Intensivstation zu Intensivstation innerhalb eines großen Hauses der Maximalversorgung ist ein solches Tempo unrealistisch. Der grüne Balken in der Grafik stellt die mutmaßlich beabsichtigte Regelung im OPS dar. Damit hängt die Latte schon recht hoch.
Einschätzung von Dringlichkeit
Die Richter bringen mit ihrer Einschätzung ein laienhaftes Verständnis von Dringlichkeit in der Behandlung von vital bedrohten Patienten zum Ausdruck. Die Vorstellung ist offenbar: „Wenn ein Notfall vorliegt, kann es eigentlich nicht schnell genug gehen.“
Die Verfasser der Beschreibung im OPS haben diese Dringlichkeit selbstverständlich bedacht. Mit einer reinen Transportzeit von 30 Minuten wurde dieser Dringlichkeit angemessen Rechnung getragen. Eine Vorlaufzeit von 40 Minuten, bis der Hubschrauber am Krankenhaus landet, bedeutet keinen Leerlauf. Es dauert sicherlich so lang, einen intensivmedizinisch versorgten Patienten für einen sicheren Transport vorzubereiten.
Adäquate Intensivmedizin, auch während eines vorsichtigen Transportes, ist lebensrettend. In Galopp durch Fluren rennen und übereilte Hubschrauber-Starts veranlassen schadet jedoch den Patienten und gefährdet das Personal. Ein „Beschleunigen“ von Verlegungen ist selbstverständlich völlig abwegig.
Konsequenzen und die Zukunft
Wie auch Herr Mohr in seiner Newsletter schon beschrieben hat, gehen die Gerichte in diesem Fall deutlich über den Wortlaut des OPS hinaus und definieren den Transportanfang weit vor dem tatsächlichen Transport. Damit dürfte es unmöglich werden, die regelhafte Erfüllung dieses Mindestmerkmals nachzuweisen: Deutschlandweit dürfte kein Krankenhaus in der Lage sein, die verschärften Verlegungs-Regeln der Sozialrichter einzuhalten. Nur wer nicht verlegen muss, darf dann noch die 8-981.- und 8-98b.- kodieren. Das sind also die Maximalversorger.
Dadurch wird die Schlaganfallversorgung in Frage gestellt, kritisiert die Deutsche Krankenhausgesellschaft. Diese Urteile haben das Potential, einen Großteil der Krankenhäuser ohne adäquate Vergütung für die Versorgung von Schlaganfallaptienten zurückzulassen. Wenn diese sich gezwungenermaßen aus der Versorgung zurückziehen, würde es an Behandlungsmöglichkeiten fehlen.
Es kann daher nur eine Lösung geben: Der Text des OPS muss mal wieder angepasst werden, damit auch Juristen ihn verstehen.
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