DRG-Forum: Verärgerung und blanke Nerven

Ärger auf dem DRG-ForumDer Ton auf dem DRG-Forum wird von Jahr zu Jahr rauher. Damit meine ich nicht die politischen Beiträge der großen Namen. Interessant für mich sind die kleineren Veranstaltungen, die das Verhältnis zwischen Krankenhaus und Kostenträger betreffen. Rechnungsprüfungen eben. Die Nerven lagen dieses Jahr fühlbar blank.

Wir sind es gewohnt, dass die wirklich heißen Eisen nur scheinbar angefasst werden. Wortreiche Vorträge lassen einen am Ende unbefriedigt zurück, weil der eigentliche Streitpunkt kaum berührt wurde. Worthülsen. Das scheint sich langsam zu ändern und das ist gut so.

„Der MDK als Qualitätspolizei“ war der Titel eines „Workshops“ („Workshop“ auf dem DRG-Forum ist eigentlich eine Vortragsreihe). Gemeint war der Umgang mit „Strukturprüfungen“ für Komplexbehandlungen durch den MDK. Das ist ein brandheißes Thema, zu dem am nachfolgenden Tag in etwas größerer Runde unter anderem Prof. Hauck (Präsident 1. Senat BSG) noch etwas sagen sollte.

Das Thema ist brandheiß, weil es um viel Geld geht, das Verfahren komplett ungeregelt ist und die Willkür grassiert. Außerdem gibt es Rechtsprechung des BSG, die bestehende und allseits konsentierte Regelauslegungen ohne Not und ohne Sinn über den Haufen wirft (Stichworte „Geriatrie“ und „Schlaganfallbehandlung“).

Wir waren also gespannt, was die Referenten zu sagen haben würden. Schon beim ersten Vortrag geschah der Aufreger: Als Dr. Hörmann (Rechtsanwalt) § 281 SGB V (Finanzierung des MDK) vorlas, platzte einem leitenden MDK-Mitarbeiter im Publikum der Kragen. Er unterbrach den Vortrag mit Zwischenrufen „Ich kann es nicht mehr hören, ich kann es nicht mehr hören!!“. Als er darauf hingewiesen wurde, dass lediglich eine Gesetzesnorm vorgelesen worden war, sackte der Protest in sich zusammen. Die Nerven lagen blank, soviel wurde deutlich.

Später zeigte sich Dr. Krokotsch des MDK Nord seinem Kollegen gegenüber verständnisvoll und wiederholte das Anliegen jetzt etwas sachlicher als „Message of the day“: „Bitte glauben sie mir, dass der MDK unabhängig ist“. Nun macht es schon misstrauisch, wenn jemand von uns verlangt, dass wir etwas glauben sollen. Es ist keine Glaubensfrage, ob der MDK unabhängig ist, sondern eine Sachfrage. Don’t tell me, show me!

Dabei hat gerade der MDK Nord in der rezenten Vergangenheit Anlass gegeben, seine Unabhängigkeit anzuzweifeln. Der Verwaltungsrat des MDK Nord besteht ausschließlich aus Vertretern der Kostenträger. Da der Verwaltungsrat über die Besetzung der Führungspositionen entscheidet, ist diese Struktur wohl kein Beleg für Unabhängigkeit!

Auch die Ergebnisse der Begutachtungsarbeit des MDK Nord sprechen nicht für eine vollkommene Unabhängigkeit. Bei den „Strukturprüfungen“ für die Komplexbehandlungen fallen im Norden überraschend viele Kliniken durch. Dabei tut sich der MDK Nord durch Interpretationen des OPS hervor, die weit über den Wortlaut hinaus gehen: Wo ein „geriatrisches Team unter fachärztlicher Behandlungsleitung“ beschrieben ist, fordert der MDK Nord eine 24-stündige Anwesenheit eines Facharztes für Geriatrie. Wo der OPS eine besonders qualifizierte Pflegekraft im Behandlungsteam beschreibt, fordert der MDK Nord eine solche Pflegekraft in jeder Schicht.

Da ist es nachvollziehbar, dass gerade dieser MDK auf seiner Webseite und bei Vorträgen, das unwiderstehliche Bedürfnis hat, seine Unabhängigkeit zu beschwören. Um glaubwürdig zu werden, reichen inbrünstige Appelle und unsachliche Zwischenrufe jedoch nicht aus!

Screenshot der Webseite des MDK-Nord (24.03.2019)

Auch Prof. Hauck vom BSG hatte am nächsten Tag Mühe, seinen Ärger zu verbergen. Seine Rechtsprechung zur Transportdauer im Zusammenhang mit der Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls wurde verschiedentlich kritisiert. Außerdem legte Nicole Wagner (Rechtsanwältin) in einem hervorragenden Beitrag ihre Finger präzise in die offenen Wunden der tendenziösen Rechtsprechung des ersten Senats BSG.

In einer Reaktion auf Fragen wollte Prof. Hauck einiges klarstellen. Er betonte, dass das Bundesverfassungsgericht seine Rechtsprechung vollumfänglich bestätigt habe. Das stimmt nicht ganz: Das Verfassungsgericht hat festgestellt, dass das BSG sicherlich auch anders hätte urteilen können. Die Rechtsprechung war dennoch nicht verfassungswidrig, so das BVerfG. „Vollumfänglich“ klingt anders.

Dann äußerte sich Prof Hauck noch zu der Frage des 30-minütigen Transportabstands, den der erste Senat so restriktiv ausgelegt hatte, dass kein einziges Krankenhaus das Mindestmerkmal erfüllen kann. Die 30 Minuten kämen nicht von ihm, sagte er. Vielmehr stand das im OPS-Katalog. Da der Grundsatz „time is brain“ gelte, müsse man die 30 Minuten weitgreifend deuten. Da kann die Qualität der Versorgung nicht egal sein und sie müsse wichtiger sein als Erlöse, so der Rechtsgelehrte.

Dabei argumentiert der Präsident am Kern der Sache vorbei: Das BSG verlangt aus Unwissen um die Lebenswirklichkeit in der Intensivmedizin Unmögliches. Bei der Verlegung eines intensivmedizinisch versorgten Patienten vergehen zwischen Anforderung des Transportmittels und Übergabe im übernehmenden Krankenhaus immer mehr als 30 Minuten. Mit “Erlös auf Kosten der Qualität” hat das nichts zu tun. Für Professor Hauck kommt diese Erkenntnis zu spät; ihm bleibt nichts anderes übrig, als sich trotzig an seine Rechtsprechung zu klammern. Einmal mehr hat seine Abneigung gegen ärztliche Sachverständige Chaos im Krankenhausleistungsrecht ausgelöst. Wer nicht fragt bleibt eben dumm.
Illustration: © abf – Fotolia

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