Wirtschaftliches Alternativverhalten

Der frühere Vorsitzende des ersten Senats BSG hat seinem Nachfolger, Prof. Schlegel, einige heiße Eisen hinterlassen. Eins davon ist das “fiktive wirtschaftliche Alternativverhalten”. Dieser vage Begriff ist die Antwort des obersten Sozialgerichts auf den Vorwurf des “Fallsplittings”

Wirtschaftliches Alternativverhalten = Fallzusammenführung

Was passiert, wenn ein Patient früh entlassen wird, um dann nach wenigen Tagen zur weiteren Behandlung wieder aufgenommen zu werden? Darf ein Krankenhaus sich die Behandlung dann mit zwei Fallpauschalen vergüten lassen?

Wie alles begann

Im November 2004 behandelte ein Krankenhaus einen Patienten mit einem Herzinfarkt. Nach 10 Tagen wurde er entlassen, um eine Woche später erneut aufgenommen zu werden. Jetzt wurde eine Koronarangiographie durchgeführt. Die Kasse meinte, dass diese Behandlung ein “Fallsplitting” darstellte.

Dieser Fall war der Anlass für das erste Urteil zum Thema “fiktives wirtschaftliches Alternativverhalten” (B 1 KR 62/12 R vom 01.07.2014). Das BSG hat damit den Weg für ungeregelte Fallzusammenführungen geebnet.

Die tatsächlich fragwürdige Behandlungsplanung des klagenden Krankenhauses war Anlass für die Bestrafung von vielen Krankenhäusern für Fälle, die sicherlich nicht fragwürdig waren.

Tatsächlich kann man Lücken bei den Regelungen zur Fallzusammenführung (FPV und KHEntgG) ausnutzen, um sich eine Behandlung “doppelt” bezahlen zu lassen. Seit die oben dargestellte Rechtsprechung aktuell wurde, ist der umgekehrten Weg Tür und Tor geöffnet. Zwei Behandlungen, die mit gutem Grund getrennt erbracht wurden, können leicht zu Unrecht als “Fallsplittung” bewertet werden.

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Seit nunmehr fast einem Jahr hat der 1. Senat BSG einen neuen Vorsitzenden und Krankenhäuser und Kassen schauen gespannt auf wegweisende Rechtsprechung. Wird Prof. Schlegel an die erratischen Urteile seines Vorgängers festhalten?

Inzwischen entsteht der Eindruck, dass Herr Schlegel das nicht möchte. Er bewegt sich wieder mehr in Richtung Gesetzestext und damit weg vom “Richterrecht” aus den vergangenen Jahren. Dabei taktiert er vorsichtig: Ein klarer Bruch mit der vorherigen Rechtsprechung darf nicht geschehen.

Das würde das Ansehen des ersten Senats noch weiter schädigen. Im vergangen Jahrzehnt hat ein erstaunlicher Streit zwischen den Senatsvorsitzenden des 1. und 3. Senats für Rechtsunsicherheit gesorgt. Später prägte die genannte umstrittene Rechtsprechung das Bild des 1. Senats in der Fachöffentlichkeit.

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Wirtschaftliches Alternativverhalten: Neues Urteil

Am 27.10.2020 hat der erste Senat ein Urteil zum Thema Fallsplitting und Fallzusammenführung gesprochen (B 1 KR 9/20 R). Auf dem ersten Blick wird die Rechtsprechung früherer Jahre bestätigt und fortgeschrieben:

Abklingen der Plavix-Wirkung

Ein Patient wurde 2012 wegen Sprunggelenksempyem und Weichteilmazeration nach einer OP aufgenommen. Es wurde eine OP-Indikation zur Arthrodese gestellt. Weil der Patient auf Plavix eingestellt war, wurde er für 5 Tage nach Hause entlassen. Danach wurde er zur Operation wieder aufgenommen.

Die Kasse fordert die Fallzusammenführung, weil die Behandlung bei der ersten Entlassung nicht abgeschlossen war.

Das Gericht bestätigt die Sicht der Kasse und weist die Revision des Krankenhauses ab. Das Krankenhaus hätte nur “Anspruch auf die Vergütung, die bei fiktivem wirtschaftlichem Alternativverhalten anfiele”, so das Urteil. Allerdings verweist der Senat auf § 8 Abs. 5 Satz 3 KHEntgG.

§ 8 Abs. 5 S. 3 KHEntgG

“In anderen als den vertraglich oder gesetzlich bestimmten Fällen ist eine Fallzusammenführung insbesondere aus Gründen des Wirtschaftlichkeitsgebots nicht zulässig.”

Diese Regelung sei nicht anwendbar, weil sie erst 2019 in Kraft getreten ist, lautet die Begründung.

Also doch!

Es gibt es also noch, das fiktive Alternativverhalten. Damit stellt der Senat die frühere Rechtsprechung nicht völlig auf den Kopf. Gleichzeitig kann man den oben genannten Hinweis so verstehen, dass dieses Konstrukt zukünftig nicht mehr angewendet werden soll. Paragraph 8 des KHEntgG sticht als “Lex specialis” das Wirtschaftlichkeitsgebot.

Also hat das Krankenhaus leider verloren aber für die Zukunft dürfen wir auf eine Änderung hoffen, wenn der Fall aus 2019 oder später stammt.

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