Genehmigungsfiktion

© Kunertus

Der frühere Vorsitzende des ersten Senats BSG, Prof. Hauck, hat eine Reihe von Urteilen verfasst, die – besonders auf Krankenhausseite – auf heftige Kritik stießen. Ein „Trostpflaster“, das Prof. Hauck in den letzten Jahren seines Wirkens dabei hatte, war die „Genehmigungsfiktion“.

Wenn die Kasse einen Leistungsantrag nicht fristgerecht beantwortet, gilt die Leistung als genehmigt. So könnte man die Genehmigungsfiktion – etwas verkürzt – zusammenfassen. Dieses Konstrukt wurde damals vom ersten Senat relativ großzügig zu Gunsten der Versicherten angewendet. Siehe zum Beispiel Bundessozialgericht vom 11.07.2017, Az. B 1 KR 1/17 R. Das betrifft auf den ersten Blick nicht der Krankenhäuser. Warum die Situation für Krankenhäuser trotzdem wichtig ist, erklären wir weiter unten

Jetzt, wo Prof. Dr. Schlegel dem ersten Senat seit einigen Jahren vorsitzt, hat sich die Rechtsprechung und damit  die Rechtslage etwas geändert. Wie genau, erklären wir hier.

Genehmigungsfiktion

Die Genehmigungsfiktion wird im § 13 Abs. 3a SGB V beschrieben.

§ 13 Abs. 3 SGB V

„Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. …

Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich oder elektronisch mit; … Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet.“

Also auf Deutsch: Wenn ein Leistungsantrag eingeht, hat die Kasse 3 Wochen Zeit (wenn der MD begutachten soll 5 Wochen), um eine Entscheidung mitzuteilen. Wenn das nicht klappt, muss innerhalb der Frist zumindest eine hinreichende Begründung geliefert sein.

Anderenfalls darf der Versicherte die Leistung auf eigene Faust beschaffen. Die Kosten muss die Kasse dann erstatten.

Soweit die Theorie.

Leistungsanträge und die Rolle der Krankenhäuser

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Für die Krankenhäuser sind die rechtlichen Überlegungen durchaus von Interesse. Viele Häuser erbringen Spezialleistungen, deren Notwendigkeit von der Kostenträgerseite oft und hartnäckig infrage gestellt wird. Man denke an die multimodale Schmerztherapie, Eventrecorder, Hypoglossus-Schrittmacher, endobronchiale Coils und so weiter.

Die Erbringung solcher Leistungen bedeutet ein hohes finanzielles Risiko für das Krankenhaus. Aus diesem Grund werden Patienten häufig um die vorherige Einholung einer Kostenübernahmeerklärung von der Kasse gebeten.

Die AOK plus in Sachsen war genervt, weil ein Dresdner Krankenhaus ihre Versicherten für die Schmerztherapie immer wieder KÜ-Erklärungen einholen ließ. Dabei störte der höchst vorwurfsvolle und selbstgerechte Ton der krankenhäuslichen Schreiben an die Patienten noch am meisten.

Am Ende der Geschichte gab es einen Beschluss des Landessozialgerichts Sachsen, der die vorherige Antragstellung verbot. Die Krankenhäuser sollten tunlichst selbst entscheiden, was medizinisch notwendig ist, und was nicht, so das Gericht sinngemäß (LSG Sachsen vom 26.02.2019, Az. L 9 KR 691/17 B ER).

Diese Sichtweise hat das BSG neulich als Randbemerkung („obiter Dictum“) widersprochen. Die Eckpunkte der neueren Urteil finden Sie weiter unten.

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Aktuelle Urteile zur Genehmigungsfiktion

Maßgeblich sind zwei einschlägige Urteile des 1. Senats:

  1. Bundessozialgericht vom 26.05.2020, Az. B 1 KR 9/18 R und
  2. Bundessozialgericht vom 26.05.2022, Az. B 1 KR 21/19 R

Kurz zusammengefasst sagt das Gericht Folgendes:

  • Die Genehmigungsfiktion wird grundsätzlich bestätigt.
  • Die Kasse muss – unabhängig von einer Notwendigkeitsprüfung – erst mal bezahlen.
  • Eine nicht notwendige Leistung wird aber nicht auf Dauer vergütet.

Etwas ausführlicher:

  • Nicht auf Dauer

    Eine Genehmigungsfiktion (§ 13 Abs 3a SGB V) in Folge eines Fristversäumnisses durch die Krankenkasse, erlaubt es dem Versicherten, die beantragte Leistung selbst zu beschaffen. Das gilt bei einer Dauerbehandlung nur bis zum Zeitpunkt der Leistungsbewertung durch die Kasse. (B 1 KR 9/18 R RdNr 30)

  • Kasse muss erst mal bezahlen

    Die Genehmigungsfiktion ist eine Fiktion und nicht eine Art Verwaltungsakt der Kasse. Die Kasse ist verpflichtet, die selbstbeschaffte Leistung unabhängig von einer Wirtschaftlichkeitsprüfung erst mal zu erstatten. Trotzdem darf eine Wirtschaftlichkeitsprüfung erfolgen. Der Versicherte hat dann unter Umständen keinen Anspruch auf die Fortsetzung einer medizinisch nicht erforderlichen Arzneimittelbehandlung. (B 1 KR 9/18 R RdNr 9) Wenn die Leistung eine einmalige Operation (typisch: Liposuktion) war, ist diese natürlich einmalig erfolgt und dann vollständig zu vergüten.

  • Grober Unfug wird nicht vergütet

    Dinge, die eine Kasse völlig offensichtlich nicht vergüten muss (z.B. Ankauf eines E-Bikes) können nicht durch eine Genehmigungsfiktion auf Kassenkosten erworben werden. Auf Richterdeutsch:

    „Wenn der Versicherte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, dh wer schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss, handelt er grob fahrlässig. Leistungen, die offensichtlich nicht von einer Krankenkasse erstattet werden, können auch nicht auf dem Wege einer Genehmigungsfiktion in Anspruch genommen werden.“ (B 1 KR 9/18 R RdNr 24)

    Das Gericht macht eine ausdrückliche Ausnahme für Leistungen, von denen das Krankenhaus mitgeteilt hat, dass die Kasse sie nicht genehmigt. Die dürfen grundsätzlich beantragt werden, ohne dass das fahrlässig sei. (B 1 KR 9/18 R RdNr 25)

  • Antragstellung kritischer Leistungen ausdrücklich erlaubt

    Manchmal will das Krankenhaus keine Sachleistung erbringen, weil befürchtet wird, dass die KK den Vergütungsanspruch bestreiten oder eine Erlöskürzung vornehmen könnte. In solchen Fällen kann der Versicherte die Leistung gemäß § 13 Abs 3a SGB V bei der Kasse beantragen. Damit ist der oben genannte Beschluss des LSG Sachsen hinfällig geworden. (B 1 KR 21/19 R RdNr 31)

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