Risikoaufklärung und Bedenkzeit – Was ist rechtzeitig?

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Hartnäckig hält sich der Glaube an eine “24-Stunden-Frist”, wenn es um die Einwilligung für einen Eingriff geht. Lässt man einem Patienten weniger Bedenkzeit, sei die Einwilligung unwirksam, wird oft erzählt. Was ist da dran?

Nur wenige Ärzte kennen die gesetzliche Grundlage für die Risikoaufklärung, die vor jedem Eingriff erfolgen muss. Das holen wir also schnell nach: § 630e BGB. Inhaltlich steht da wenig Überraschendes drin, aber man sollte es mal gelesen haben!

Wichtige Eckpunkte:

  • Es darf nur vom Behandelnden aufgeklärt werden, oder von einer anderen Person, die die für die Maßnahme notwendige Ausbildung hat. Ein Dermatologe kann also nicht stellvertretend für einen Neurochirurgen eine rechtswirksame Einwilligung für eine Bandscheiben-OP einholen. Ein Orthopäde schon.
  • Es muss rechtzeitig aufgeklärt werden, damit der Patient wohlüberlegt entscheiden kann.
  • Der Patient darf auf eine Aufklärung verzichten.
  • Bei unaufschiebbaren Eingriffen darf auf eine Aufklärung und Einwilligung verzichtet werden.
  • Wenn ein Vertreter/Vormund des Patienten einwilligen muss, ist der Patient trotzdem seinen Verständnismöglichkeiten entsprechend aufzuklären.
  • Der Patient muss eine Kopie aller Unterlagen bekommen, die er unterschrieben hat.

Rechtzeitige Aufklärung

Der Punkt “rechtzeitige Aufklärung” Abs. 2 Nr. 2 ist immer wieder Gegenstand von Streitigkeiten. Im Dezember hat das Bundesgerichtshof dazu ein Grundsatzurteil gesprochen. Zuerst wurde darüber  berichtet von “Medizinrecht Saarland”, Dr. Florian Wölk.

Der Streitfall betraf einen Patienten, der sich einer Begradigung der Nasenscheidewand unterzog. Dabei lief eine Menge schief: Es wurde (unbemerkt!) die Dura verletzt, ein N. Olfactorius wurde durchtrennt und es entstand eine Hirnblutung. Der Patient war post-operativ nicht erweckbar und der Verlauf war nachvollziehbar sehr protrahiert.

Der Patient forderte Schadensersatz und Schmerzensgeld. Dabei wurde seitens der Gerichte festgestellt, dass die Risikoaufklärung inhaltlich ausreichend gewesen war. Allerdings erkannte das Berufungsgericht, dass der Patient zwischen Einwilligung und Eingriff keine Bedenkzeit hatte. Deswegen sei die Einwilligung unwirksam gewesen, so das Urteil. Dieser Ansicht widersprach nun der Bundesgerichtshof.

Urteil des Bundesgerichtshofs: Patient ist kein passives Objekt

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Das Gericht legt in seiner Entscheidung (Bundesgerichtshof vom 20.12.2022, Az. III ZR VI ZR 375/21) dar, dass die oben genannte Norm den Ärzten nicht die Pflicht auferlegt, eine Bedenkzeit als Sperrfrist einzuhalten. Von 24 Stunden ist im Gesetz überhaupt keine Rede. Es gehe stattdessen um das Selbstbestimmungsrecht, das ein Patient in “angemessener Weise” wahrnehmen können muss.

Man wird dem Gesetz gerecht, wenn die Aufklärung die Möglichkeit zu einer reflektierten Entscheidung gewährleistet. Keine Erwähnung braucht, dass eine wirksame Einwilligung nach Verabreichung der Prämedikation, aufgrund der bewusstseinsverändernden Wirkung, nicht mehr möglich ist.

Man kann dem Patienten aber – meint der 6. Zivilsenat – zumuten, von seinem Selbstbestimmungsrecht aktiv Gebrauch zu machen und an der Behandlungsentscheidung mitzuwirken. Das ist z. B. auch der Fall, wenn die OP-Vorbereitungen schon soweit fortgeschritten sind, dass der Patient sich einem „Apparat“ gegenübersieht, den er möglichst nicht stören möchte. Das mag eine gewisse Überwindung kosten, aber der Patient ist dazu berufen, von seinem Selbstbestimmungsrecht aktiv Gebrauch zu machen und sich trotzdem zu Wort zu melden. Der ordnungsgemäß aufgeklärte Patient ist nicht passives Objekt ärztlicher Fürsorge.

Der Patient muss sagen, ob ihm die Bedenkzeit für eine besonnene Entscheidung reicht, oder nicht. Tut er das nicht, darf der Arzt grundsätzlich davon ausgehen, dass er keine weitere Überlegungszeit braucht.

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Kein Freibrief

Besonders bei elektiven Eingriffen ist diese Feststellung nicht als “Freibrief” zu verstehen. Auch wenn sich der Patient nicht konkret äußert, aber durch zögerndes Verhalten und fehlende Entscheidungsfähigkeit zu erkennen gibt, dass er (noch) nicht zu einer Einwilligung bereit ist, darf er nicht zu einer Entscheidung gedrängt und “überfahren” werden.

Fazit

Das BGH macht sehr deutlich, dass es keine allgemeine Sperrfrist – etwa 24 Stunden – gibt. Eine Einwilligung kann auch sofort nach dem Aufklärungsgespräch rechtswirksam erteilt werden. Es bleibt grundsätzlich dem Patienten überlassen, um mehr Bedenkzeit zu bitten, wenn nötig.

Im vorliegenden Fall ging es um einen vermeintlich kleinen Eingriff, dessen Indikation medizinisch außer Frage stand (der Patient hatte chronische Mittelohrentzündungen). Der Verlauf war überraschend komplikationsbehaftet. Wie die Frage der wirksamen Aufklärung zu beantworten ist, wenn es um medizinisch nicht oder nur schwach indizierte Eingriffe (“Schönheits-OPs” z. B.) geht, ist hiermit möglicherweise nicht endgültig beantwortet. Daher bleibt die Empfehlung: “So früh, wie möglich”.

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