Neues AOP-Verfahren: Riskant für Krankenhäuser
Seit dem Jahresanfang schauen wir auf das recht komplexe neue AOP-System. Erst nach und nach wird uns klar, welche Kröte die Selbstverwaltung (eben auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft DKG!) den Krankenhäusern aufgetischt hat! Das Gutachten vom IGES wurde nur teilweise umgesetzt. Das Ergebnis ist existentiell bedrohlich für die Krankenhäuser.
Immer mehr macht sich Unruhe unter den Krankenhäusern breit: Das AOP-System vom 01.01.23 ist nicht so gut, wie wir gehofft hatten. Es ist sogar unendlich viel schlechter, als wir erwartet hatten! Das Thema steht mit hoher Dringlichkeit auf der Agenda bei den verschiedenen Interessenvertretern, wie der Verband der Klinikdirektoren, der Verband der Universitätsklinika, die Allianz kommunaler Großkrankenhäuser und viele mehr.
Nur die Deutsche Krankenhausgesellschaft scheint sich gar nicht zu schämen. Die findet, dass sie damit einen wichtigen Schritt gegangen ist, „um das ambulante Potential der Kliniken besser zu nutzen“ (Pressemitteilung). Das sehen viele anders und es werden Stellungnahmen mit derben Vorwürfen und viel Fettschrift verteilt. Was ist da genau dran? Wo liegt die Gefahr für die Krankenhäuser genau und wie gefährlich ist es tatsächlich.
Wieso ein Update des AOP-Verfahrens nötig ist
Wir tun uns in Deutschland seit Jahrzehnten schwer, dem internationalen Trend in Richtung ambulante Leistungserbringung zu folgen. Wir halten uns hartnäckig an der Spitze der Statistik. Es gibt auf der Erde kein Land, wo die Bevölkerung so oft akutstationär behandelt wird!
Während unsere europäischen Nachbarländer massiv auf ambulante Leistungen setzen, will uns diese Entwicklung nicht gelingen. Wir halten Krankenhausbetten in einer Anzahl vor, die uns auch dort zum Weltmeister macht. In der Corona-Zeit war vor allem unsere rechnerische Überversorgung mit Intensivbetten unsere knappe Rettung. Dennoch bezahlen wir alle einen zu hohen Preis für unnötige Ressourcen.
Die Ursachen dafür sind natürlich nicht in einem Satz zu beschreiben. Ein großes Problem aber ist die übertrieben strikte Trennung zwischen dem „ambulanten und stationären Sektor“. Handelnde Personen, Vergütungssystem, ja sogar die interne Organisation der Krankenkassen schaffen eine nahezu unüberwindbare Trennung. Krankenhäuser können gar nicht ambulant abrechnen und machen das deshalb stationär.
Die Lösung dieses Problems war das Ziel des AOP-Systems, das bereits 1992 vorbereitet wurde. Seit 2004 ist das System ernsthaft ausgestattet und erlaubt den Krankenhäusern die Erbringung und Abrechnung ambulanter Leistungen. Allerdings war es besonders die schlechte Vergütung, die eine echte Begeisterung bei den Krankenhäusern nachhaltig verhinderte. Die (fast) gleiche Leistung für ca. 1/3 des Geldes? Wer macht das schon? So bleiben die Betten voll und ambulante OPs eher etwas für HNO-Belegärzte.
Statt hier mal kräftig nachzubessern – immerhin ist jede Leistung, die ambulant erbracht wird, dann immer noch günstiger als stationär – wird nun auf das Anziehen der Daumenschrauben gesetzt. Aber immerhin gibt es eine Verbesserung der Bezahlung in Form eines Zuschlags für bestimmte Operationen (u.a. Leistenbrüche und arthroskopische Operationen). Dadurch steigt die Vergütung um 16 – 42 %. Immer noch zu knapp für die Krankenhäuser, aber immerhin.
Jetzt mussten die Selbstverwaltungspartner nur noch die IGES-Vorschläge abschreiben und schon hätten wir ein System, das den Druck auf die Krankenhäuser erhöht, aber immer noch sinnvoll erscheint. Das hat die Selbstverwaltung aber nicht geschafft. Stattdessen hat die DKG eine Vereinbarung unterschrieben, die droht, Krankenhäuser in den Ruin zu treiben.
Was IGES vorschlägt – Was die Selbstverwaltung daraus macht
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Das IGES-Gutachten macht umfassende Vorschläge für die Neuerung des Systems, und benennt nicht nur die hinlänglich bekannten knapp 2.500 neue Leistungen, die in den Katalog gehören sollen. Eine ausführliche Liste mit den Vorschlägen von IGES und was die Selbstverwaltung daraus gemacht hat finden Sie am Ende dieses Artikels.
IGES hat eine Reihe von Instrumenten vorgeschlagen, die zusammen eingesetzt eine halbwegs akzeptable Regelung bedeutet hätten. Dazu gehören zum Beispiel:
- Eine Liste mit DRG, die nicht ambulant erbracht werden können
- Eine Liste mit DRG, die ambulant erbracht werden können, außer es handelt sich um einer Tumorerkrankung mit Staging, oder mit einem Patienten in schlechtem Zustand resp. ein finales Stadium
- Eine umfassende Liste OPS stationär, die nur zu 29% übernommen wurde
- Eine Liste ICD nicht ambulant
- Der Frailty-Index, der Grad der Behinderung (GdB), der Pflegegrad
- PCCL
- usw.
Die Selbstverwaltung übernahm aus verschiedenen Gründen die Vorschläge nur sehr zum Teil. Es wurden wichtige Möglichkeiten, eine stationäre Leistungserbringung zu begründen, einfach weggelassen oder bis zur Unkenntlichkeit verändert.
Dabei ging es wohl zum Teil darum, dass neue ICD-Kodes erforderlich sind (z. B. Frailty, Zustandsbeschreibung Tumorpatienten und GdB). Das Gutachten wurde im März 2022 vorgelegt, aber 9 Monate waren wohl nicht genug Zeit, diese ICD-Änderung umzusetzen?
Ein weiteres Problem war, dass das Bundesministerium mit einer Ersatzvornahme drohte, wenn die Selbstverwaltung nicht pünktlich liefern würde. Wenn man in die Vergangenheit zurückblickt hat die Selbstverwaltung sich mit der Umsetzung von gesetzlichen Regelungen des Öfteren seeehr viel Zeit gelassen (Schlichtungsausschuss z. B.). Ersatzvornahmen sind kein neues Mittel, so wurde z. B. die erste Fassung der Fallpauschalenvereinbarung verabschiedet (also keine Vereinbarung, sondern eine Verordnung).
Die Selbstverwalter hatten angeblich Sorge, dass das Ministerium keine gute Arbeit abliefern würde und beschlossen, Gas zu geben. Das Ergebnis liegt uns vor und wir stellen fest: Die Selbstverwaltung hat eine Arbeit abgeliefert, die das Ministerium bestimmt nicht noch schlechter hätte machen können.
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Wie das Ergebnis aussehen sollte und die Realität
Wenn alle Empfehlungen ausgearbeitet und umgesetzt sind, so schreibt IGES, sollten die Kontextfaktoren Entscheidungen einfach und schlüssig ermöglichen. IGES ging davon aus, dass aufgrund seiner Empfehlungen sogenannte „Arztvorbehalte“ nur noch in Ausnahmefällen vorkommen würden. Das System mit „Kategorie 1“ und „Kategorie 2“ könne dann ohne zusätzliches Streitpotential wegfallen, glaubte man. Ja, IGES nannte sogar einen „Ambulantisierungs-Grouper“, der alle denkbaren Fälle erkennen und einteilen könne. IGES publizierte den nachstehenden Ablaufdiagramm zur Verdeutlichung:
Die Selbstverwaltung hat sich jedoch mit der Umsetzung eines Bruchteils der Empfehlungen zufrieden gegeben. Wir haben das obige Schema von IGES modifiziert, um die „Anpassungen“ der Selbstverwaltung sichtbar zu machen. Die nachstehende Grafik macht deutlich, dass das Konstrukt von IGES bis zur Unkenntlichkeit eingedampft wurde. Die Erwartung von IGES, dass alle mögliche Gründe für eine stationäre Erbringung durch das System von Kontextfaktoren erfasst werden, ist weit von der Realisierung entfernt.
In Kenntnis dieser Unvollkommenheit hat die Selbstverwaltung dennoch die Einteilung in den Kategorien 1 (regelhaft ambulant) und 2 (sowohl stationär als auch ambulant) verlassen. Diese kleine Orientierungshilfe, die für die Verhandlung zwischen Leistungserbringern und Kostenträgern ein wichtiger Anker war, fällt weg. Damit ist jede AOP-Leistung grundsätzlich ambulant zu erbringen. Eine Begründung für eine stationäre Durchführung ist mit den derzeit angebotenen Kontextfaktoren nahezu unmöglich geworden.
Es ist unbegreiflich, dass die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) diese Vereinbarung tatsächlich unterschrieben und ihre Mitglieder damit vogelfrei erklärt hat!
Was nun passieren wird
Am 15. Februar sind die wichtigsten Übergangsfristen ausgelaufen und das System ist scharf geschaltet. Alle Leistungen aus dem AOP-Katalog, die derzeit stationär erbracht werden (ca. 20% aller stationären Leistungen!!) sind zur Disposition gestellt. Medizinisch gut begründete stationäre Aufnahme sind gemäß Kontextfaktoren ab sofort als Fehlbelegung zu betrachten – so will es die Selbstverwaltung.
Wir gehen davon aus, dass die meisten Kassen keine plötzlichen Änderungen im Abrechnungsverhalten vornehmen werden. Allerdings ist mittelfristig eine deutliche Verschiebung des Prüfgeschehens zu erwarten. Die Kassen werden dabei keine neuen MD-Prüfungen einleiten. Stattdessen werden die Rechnungen einfach unbezahlt bleiben. Dieses Verhalten entspräche der seit 2013 bestehenden Rechtslage.
Abhängig davon, wie viele von den genannten 20% der Rechnungen unbezahlt bleiben wird diese Entwicklung Krankenhäuser in existentielle Gefahr bringen. Schon ohne dieses selbstgemachte Problem ist die wirtschaftliche Lage vieler Krankenhäuser hoch kritisch, wie dieselbe DKG zu betonen nimmer müde wird.
Wie schon 2014 bei der Einführung der viel zu kurzen 4-Wochenfrist für die Übersendung von Akten an den MD, wird auch jetzt die DKG wieder ihre handwerklichen Fehler schnellstmöglich korrigieren müssen. Um das zu erreichen, sollten sich die Krankenhäuser schnell und laut bei ihren Landeskrankenhausgesellschaften beschweren. Nur so besteht eine Chance, dass in Berlin verstanden wird, dass ein Riesen-Bock geschossen wurde.
Hoffen wir, dass der Schaden nicht allzu groß wird.
Liste: Vorschläge IGES und ihre Umsetzung
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