Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 1 KR 68/08

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg

Urteil vom 30.04.2010 (nicht rechtskräftig)

  • Sozialgericht Frankfurt (Oder) S 4 KR 199/06
  • Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 1 KR 68/08

 

Das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Oder vom 07. Dezember 2007 wird aufgehoben und die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 24. Juli 2006 und 01. September 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. November 2006 verurteilt, die Klägerin für 12 Monate mit dem Arzneimittel NovoSeven für die Durchführung der Gerinnungstherapie zu versorgen, soweit die behandelnde Ärztin diese Behandlung verordnet. Es wird weiterhin festgestellt, dass die aufgrund des Beschlusses des Landessozialgerichts vom 19. November 2007 durch die Beklagte erbrachten Leistungen von dieser endgültig zu erbringen waren. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Versorgung mit dem Arzneimittel NovoSeven als Sachleistung.

Die 1987 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Im Juni 2006 beantragte Dr. N als behandelnde Ärztin bei der Beklagten die Genehmigung einer Gerinnungstherapie mit NovoSeven im Off-Label-Use. Die Klägerin leide am Gardner-Diamond-Syndrom, der so genannten autoerythrozytären Purpura. Diese Erkrankung ist gekennzeichnet durch das schubweise Auftreten von großen, extrem schmerzhaften Einblutungen in die Haut und Schleimhäute sowie in innere Organe. Für dieses Krankheitsbild würden wegen der Seltenheit des Auftretens keine klinischen Behandlungsoptionen existieren. Weltweit seien in der Literatur 120 Fälle beschrieben, ihr Zentrum habe zwei dieser Patienten in Behandlung. Alle bisher durchgeführten Therapien hätten ein Fortschreiten der Erkrankung nicht aufhalten können. Die Klägerin habe mittlerweile Schübe mit handtellergroßen, extrem schmerzhaften Einblutungen an den Extremitäten, im Gesicht, am Körper, mit Erbrechen und Kopfschmerzen, im Intervall von 15 Tagen mit einer Dauer von 10 Tagen. Sie werde schmerztherapeutisch u.a. mit Morphium versorgt. Als einzig effektive Therapiestrategie habe sich im stationären Bereich die Behandlung mit NovoSeven, einem rekombinanten Faktor VII-Präparat, welches bei anderen Thrombozytenfunktionsstörungen effektiv und zugelassen sei, erwiesen. Nach Diskussion mit Kollegen aus der C scheine eine Prophylaxe mit NovoSeven zunächst im Schub täglich, dann zwei bis dreimal in der Woche die momentan einzige therapeutische Option zu sein, das Leben der Klägerin wieder erträglich und schmerzfrei zu gestalten.

Die Beklagte veranlasste daraufhin eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 11. Juli 2006. In der Zusammenschau der Befunde handele es sich um ein “schillerndes” Krankheitsbild, das diagnostisch als Gardner-Diamond-Syndrom eingestuft werden könne, für das jedoch weder die Ursachen noch aussichtsreiche Behandlungsoptionen klar seien, und bei dem eine psychische Überlagerung eine erhebliche Rolle spielen dürfte. Was den Erfolg medikamentöser Behandlungsversuche der Gerinnungsstörung im individuellen Fall betreffe, werde dementsprechend in den übermittelten Arztberichten teilweise eine rasche Besserung unter Placebo bzw. ohne spezifische medikamentöse Therapie berichtet. Dass die Gabe von NovoSeven die momentan weltweit einzige therapeutische Option sei, sei vor diesem Hintergrund gutachterlich nicht sicher nachvollziehbar. Bei der Diskussion über Handlungsalternativen müsse deshalb die Frage aufgeworfen werden, inwieweit es für das Krankheitsbild überhaupt eine medikamentöse Therapie mit spezifischer Wirksamkeit gebe. Eine psychotherapeutische Mitbehandlung bei chronischem Schmerzsyndrom sei sicherlich indiziert, allerdings sei ersichtlich, dass die Klägerin einer solchen Maßnahme wenig aufgeschlossen gegenüberstehe. Verschiedene Versuche, das Krankheitsbild durch psychotherapeutische Maßnahmen günstig zu beeinflussen, einschließlich einer stationären Rehabilitation, seien offensichtlich ohne wesentlichen Erfolg geblieben. Zusammenfassend sei aus sozialmedizinischer Sicht auch unter Berücksichtigung der ergänzend übermittelten medizinischen Informationen festzustellen, dass für den indikationsüberschreitenden Einsatz von rekombinantem aktiviertem Gerinnungsfaktor VIIa (NovoSeven) die vom Bundessozialgericht (BSG) aufgestellten Kriterien zum Off-Label-Use nicht erfüllt seien.

Auf das Ablehnungsschreiben der Beklagten teilte die behandelnde Ärztin erläuternd mit, die Erkrankung gehöre zu den schweren, bisher ursächlich nicht behandelbaren Erkrankungen. Die einzig fassbare Kausalität sei die Störung der Thrombozytenfunktion, die zu den Blutungen führe. Viele Therapieansätze seien erfolglos geblieben, lediglich die Behandlung mit NovoSeven habe bei der Klägerin andauernde und schnelle Wirkung gezeigt. Da man sich in der Situation befinde, dass die Klägerin seit April 2006 quasi einen Schub nach dem anderen durchleben müsse, dadurch schulunfähig und in Perspektive – ohne zumindest den Versuch einer alternativen Therapie – auch erwerbsunfähig sein werde, werde nochmals um Überprüfung der Ablehnung gebeten. Als Hämostaseologin und Mitglied der Gesellschaft für Thrombose und Hämostase sei sie in der Anwendung dieser Faktoren erfahren und könne den ökonomischen Einsatz gewährleisten. Es handele sich um eine die Lebensqualität auf Dauer beeinträchtigende Erkrankung, alle medikamentösen und psychotherapeutischen Möglichkeiten seien über Jahre ausgeschöpft. Unter dem Gesichtspunkt der Thrombozytenfunktionsstörung bestünde begründete Aussicht, mit dem Präparat einen anhaltenden Behandlungserfolg zu erzielen.

Mit Schreiben vom 24. Juli 2006 teilte die Beklagte mit, dem Antrag auf Übernahme der Kosten für das Arzneimittel NovoSeven könne leider nicht entsprochen werden. Mit weiterem, an die Klägerin adressiertem Schreiben vom 01. September 2006 blieb die Beklagte bei ihrer Entscheidung. Den Widerspruch der Klägerin wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 30. November 2006 als unbegründet zurück. Zwar handele es sich bei dem vorliegenden Krankheitsbild zweifellos um eine die Lebensqualität nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung. Auch könne bestätigt werden, dass die Klägerin als “austherapiert” anzusehen sei und keine alternativen Behandlungen zur Verfügung stünden. Jedoch lägen eindeutig keine Daten vor, die einen Behandlungserfolg dokumentieren. Anspruch auf Versorgung mit dem Medikament NovoSeven ergebe sich auch nicht aus den Grundsätzen des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 06.12.2005 -1 BvR 347/98-. Das Gardner-Diamond-Syndrom könne trotz seiner schweren Ausprägung nicht mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung auf eine Stufe gestellt werden. Zudem sei diese Therapieform in der Wissenschaft nicht anerkannt, es gäbe keine Hinweise über gefährliche Nebenwirkungen. Die Behandlungszahlen der Ärztin (zwei Fälle von deutschlandweit bekannten 54) sprächen nicht für eine wissenschaftliche Befürwortung. Der leitende Wissenschaftler der Herstellerfirma Nhabe bestätigt, dass bislang kein publizierter Fall hinsichtlich der Behandlung mit NovoSeven beim Gardner-Diamond-Syndrom vorliege.

Mit der Klage vom 08. Dezember 2006 hat die Klägerin ihr Begehren, die Verurteilung der Beklagten zur Finanzierung des Arzneimittels NovoSeven für die Durchführung der Gerinnungstherapie, soweit die behandelnde Ärztin dies verordne, weiter verfolgt.

Die Beklagte hat u.a. eingewandt, auch mit der Einnahme des Medikaments hätten die häufigen stationären Aufenthalte der Klägerin nicht verhindert werden können, was den Schluss zulasse, dass mit der Therapie eine Besserung des Zustandes nicht zu erreichen sei. Es würden keine Daten auch über einen annehmbaren Behandlungserfolg vorliegen, es handele sich nur um einen Therapieversuch.

Die Beklagte hat eine Stellungnahme des MDK Baden-Württemberg vom 19. Januar 2007 zum Off-Label-Einsatz von rekombinatem F VIIa (NovoSeven) vorgelegt. Dessen Anwendung finde bisher offensichtlich über 90% im Off-Label-Use statt. Es seien vier Indikationsgebiete bekannt, u.a. bei der Herzchirurgie und Stammzelltransplantation. In Auswertung der veröffentlichten Studien müsse dem Off-Label-Gebrauch von Faktor VIIa mit ausgesprochener Zurückhaltung begegnet werden. Die Studienergebnisse seien uneinheitlich, eine Häufung von signifikanten Verbesserungen sei nicht zu verzeichnen. Eine prophylaktische Verwendung bei selektiven Operationen werde nicht empfohlen, Faktor VIIa solle nur als zusätzliche Therapie eingesetzt werden, wenn bei bedrohlichen Blutungen andere Therapien fehlgeschlagen seien.

Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens von Prof. Dr. T vom 26. Juli 2007. Die Klägerin leide u.a. am Gardner-Diamond-Syndrom, einer sehr seltenen Krankheit, welche mit immer wieder spontan auftretenden schweren, stark schmerzhaften Hauteinblutungen einhergehe. Begleitet würden diese Gesundheitsstörungen von häufiger Übelkeit und Erbrechen, Bauchbeschwerden, Kopfschmerzen und allgemeinen Schmerzen. Auch seien Schleimhauteinblutungen, stärkere Nachblutungen nach chirurgischen Eingriffen und einmalig eine vorübergehende Hirndurchblutungsstörung mit Halbseitenlähmung rechts im Juni 2004 aufgetreten. Daneben lägen depressive Verstimmungen und allgemeine Belastungsminderungen vor. Die Ursache dieser Erkrankung sei bisher nicht eindeutig geklärt. Der Zustand gehe mit erheblichen, sehr unangenehmen Beschwerden einher, die auch unter dauerhafter Opiatmedikation und anderen, aber nur symptomatisch wirkenden Medikamenten sowie Psychotherapie nur teilweise gelindert werden könnten. Damit sei die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt. Es sei nach den bisherigen Veröffentlichungen auch mit Einblutungen in innere Organe, so auch in das Gehirn zu rechnen. Dabei handle es sich um jeweils lebensbedrohliche Zustände, die akut aufträten, aber nicht vorausgesagt werden könnten. Außer NovoSeven seien echte Handlungsalternativen nicht vorhanden. Die bisher angewandten, rein symptomatisch wirkenden Medikamente hätten durchaus Nebenwirkungen. Auf seine Rückfrage habe der Hersteller im Juli 2007 angegeben, eine Zulassung von NovoSeven für die Indikation des Gardner-Diamond-Syndroms sei nicht beabsichtigt. Es gebe rein zahlenmäßig zu wenige Fälle, für eine aussichtsreiche Studie. Man habe schon bei der weit häufigeren Thrombasthenie Glanzmann bei der Zulassung große Schwierigkeiten gehabt. Es lägen zwar eine Reihe von Fallbeschreibungen zum Gardner-Diamond-Syndrom vor, eine Studie zur Behandlung gebe es jedoch nicht. Die Verursachung durch eine Thrombozytopathie sei erst seit wenigen Jahren bekannt und noch wenig untersucht. Zuverlässige, wissenschaftlich überprüfbare Erkenntnisse über die Qualität und Wirksamkeit in der neuen Indikationsform lägen nicht vor. Es seien lediglich einzelne Mitteilungen über den Einsatz vorhanden, die eine positive Wirksamkeit erwarten ließen. Bei der Seltenheit der Erkrankung sei ein einschlägiger Konsens in Fachkreisen auch kaum zu erwarten. Außerdem handele es sich bei dieser Indikation um relatives Neuland, da die Thrombogenese der Erkrankung erst in jüngerer Zeit überhaupt entdeckt worden sei. Zusätzlich zu erwähnen sei, dass ein Probeeinsatz des Medikaments der Klägerin gut geholfen habe.

Mit Beschluss vom 19. November 2007 hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg im Verfahren L 24 B 588/07 KR ER einstweilig die Beklagte verpflichtet, längstens für vier Monate auf ärztliche Verordnung die Klägerin mit NovoSeven zur Durchführung einer Gerinnungstherapie als Sachleistung versorgen, sofern diese Sicherheit in Höhe von 5500 Euro leistet. Auf die Gründe des Beschlusses wird Bezug genommen.

Das Sozialgericht hat den Sachverständigen Prof. Dr. T in der mündlichen Verhandlung am 07. Dezember 2007 gehört. Er hat unter anderem ausgeführt: NovoSeven sei beim Gardner-Diamond-Syndrom angewandt worden aufgrund der Erfahrungen mit der Behandlung ähnlicher Erkrankungen. Aus der Behandlung bei einem angeborenen Faktor-VII-Mangel bei kleinen Kindern wisse man, dass die Nebenwirkungsrate relativ gering sei. Man wende NovoSeven bei verstärkten Blutungen nach und bei Operationen, bei stärkeren Menstruationsblutungen u.ä. an. Es gebe eine einzige Aussage zur Wirkung bei der Klägerin, nämlich dass es ihr über drei Monate gegeben worden sei und sie hier weniger Blutungen gehabt habe. Eine subjektive Angabe, die durchaus glaubwürdig, aber schwer zu objektivieren sei. Alle anderen Versuche seien oft aus Kostengründen nicht fortgeführt worden. Aufgrund der Seltenheit der Erkrankung gebe es keine Erfahrungen zur Therapie. Die Grundlage der Erkrankung sei eine Einblutung in die Haut, in die Gelenke – nicht im Sinne eines Gefäßrisses, sondern sie gehe einher mit der langsamen Zersetzung der roten Blutkörperchen in einem langsamen Prozess. Es fänden sich entzündliche Prozesse, Antikörperreaktionen, die dafür sprächen, dass es keine psychosomatische Erkrankung sei. Die Erkrankung betreffe fast ausschließlich junge Frauen und gehe einher mit einer reaktiven depressiven Reaktion. Den Wirkmechanismus des Medikaments kenne man bei dieser Erkrankung nicht. Bei einem Faktor-VII-Mangel ersetze man die fehlende Substanz, beim Gardner-Diamond-Syndrom sei nicht nur der Faktor VII gestört, man versuche mit dem Medikament wenigstens diesen Faktor zu beeinflussen. Es gebe auch keine Nachweise für eine Wirkung des Medikaments. Die behandelnde Ärztin stütze sich auf die Wirksamkeit in den beiden Fällen, die sie beobachtet habe und die Wirksamkeit bei ähnlichen Störungen. Sie habe beobachtet, dass bei kurzfristiger Einnahme ein Rückgang eintrete. Es gebe einige Veröffentlichungen, die darüber berichteten, dass das Medikament kurzzeitig angewandt und dass Verbesserungen beobachtet worden seien. Daneben gebe es ältere Veröffentlichungen, die noch von einer psychosomatischen Verursachung ausgingen. In den Unterlagen habe er eine Auflistung gefunden, die etwa 20 Berichte über diese Erkrankung angebe. Der Bericht des MDK aus Baden-Württemberg verneine die Wirksamkeit des Medikaments nicht, meine nur nachvollziehbar, dass es keinen Nachweis gebe, was ja etwas anderes sei.

Mit Urteil vom 07. Dezember 2007, den Bevollmächtigten der Klägerin zugestellt am 18. Dezember 2007, hat das Sozialgericht Frankfurt/Oder die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen für die Gewährung des begehrten Arzneimittels als Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung seien nicht erfüllt, auch nicht für eine ausnahmsweise Gewährung im Rahmen eines Off-Label-Use unter den Bedingungen eines Seltenheitsfalles (bei singulärer Erkrankung). Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei jedenfalls nicht davon auszugehen, dass aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht bestehe, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg erzielt werden könne. Es gebe kein wissenschaftlich-theoretisches Erklärungsmuster für dessen Wirksamkeit. Man kenne seinen Wirkungsmechanismus (zumindest) bei dieser Erkrankung nicht. Es gebe auch keinen Nachweis für die Wirkung. Insoweit komme es tatsächlich auf die Erfahrungen der behandelnden Ärztin an und ob sich diese Annahme eines Behandlungserfolgs durch andere Ärzte in ähnlicher Weise wiederholen lasse. Soweit sich die behandelnde Ärztin auf die von der Klägerin angegebene Besserung bei kurzzeitiger Verabreichung stütze, könne weder hieraus noch aus den vorliegenden Berichten ein Nachweis über die Wirksamkeit im wissenschaftlichen Sinne gesehen werden. Erfahrungen anderer Ärzte, die einen Behandlungserfolg bei einem Gardner-Diamond-Syndrom bestätigen würden, habe der Sachverständige nicht zu finden vermocht. Auch nach Maßgabe des Urteils des BVerfG vom 06. Dezember 2005 könne die Klägerin mit ihrem Begehren nicht durchdringen. Die Beweisaufnahme habe zwar ergeben, dass bei der Klägerin eine vorübergehende Hirndurchblutungsstörung mit Halbseitensymptomatik und damit eine sehr ernste Komplikation, welche durchaus auch lebensgefährlich verlaufen könne, jedenfalls nicht ausgeschlossen werden könne. Andererseits habe der Sachverständige ausgeführt, dass es sich nach den relativ wenigen Literaturangaben wohl um eine nicht regelmäßig lebensbedrohliche bzw. zum Tode führende Erkrankung handele.

Die Berufung der Klägerin ist am 18. Januar 2008 beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingegangen. Ihre Bevollmächtigten machen u.a. geltend, nachdem die Klägerin von September 2006 bis Februar 2007 mit NovoSeven behandelt worden sei, habe es nicht mehr so große, sondern nur noch winzig kleine, vereinzelte und nicht mehr so schmerzhafte Einblutungen gegeben. Die Klägerin habe sich insgesamt wohler gefühlt und im Gesamtzustand sei eine Besserung zu verzeichnen gewesen. Es werde gerügt, dass das Sozialgericht weder Befundberichte eingeholt noch die Behandlerin befragt habe. Allein die auf die Aussage der Klägerin gestützte Nutzen-Risiko-Abwägung des Sachverständigen sei nicht ausreichend. Die krankheitsbedingten Beeinträchtigungen der Klägerin in ihrer Lebensqualität seien notstandsähnlich.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Oder vom 07. Dezember 2007 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 24. Juli 2006 und 01. September 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. November 2006 zu verurteilen, sie für 12 Monate mit dem Arzneimittel NovoSeven für die Durchführung der Gerinnungstherapie zu versorgen, soweit dies ärztlich verordnet wird, ferner die Entscheidung des Landessozialgerichts vom 19. November 2007 insoweit als die Klägerin danach mit NovoSeven zu versorgen war für endgültig zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie wendet ein, der Nachweis für die Wirksamkeit des strittigen Medikaments beim Gardner-Diamond-Syndrom habe auch nach den Erfahrungen anderer Ärzte nicht geführt werden können. Eine – wie vom BSG verlangte – notstandsähnliche Situation sei bei allem Verständnis für die Lage der Klägerin nicht gegeben.

Die Firma N hat auf Anfrage des Gerichts mitgeteilt, dass weder ein Antrag auf Zulassung des Medikaments gestellt, noch ihr Fälle der Anwendung von NovoSeven beim Gardner-Diamond-Syndrom bekannt seien.

Dr. N hat auf Befragen zur aktuellen Behandlung der Klägerin angegeben, sie behandele aktuell die schweren Schübe mit einer Infusion von 2,4 mg NovoSeven Infusionen über 8 Stunden plus intravenöse Gabe eines Medikaments gegen das Erbrechen. Wegen des schlechten Allgemeinzustands sei die stationäre Infusionstherapie über 24 Stunden indiziert gewesen, heute (29. September 2008) sei die Einweisung erfolgt. Die Ärztin hat die Patientenakte übersandt.

Auf ergänzende Befragung durch das Gericht hat Dr. N mitgeteilt, ihr seien in Deutschland aktuell zwei Kollegen bekannt, die je einen Patienten mit Gardner-Diamond-Syndrom behandeltn. Da es sich um ein heterogenes Krankheitsbild handele und in diesen Fällen die Blutungen nicht im Vordergrund stünden, seien ihr keine weiteren Patienten mit so schweren Blutungen bekannt, dass sie mit NovoSeven behandelt werden müssten. Bei der Klägerin, bei der eine so genannte Thrombozytenfunktionsstörung ursächlich für die massiven Blutungen zu sein scheine, sei der Einsatz in Akutsituationen bisher sehr erfolgreich gewesen, die Hämatomneubildung habe gestoppt, die Rückbildung der bestehenden Blutungen beschleunigt und die schweren Schmerzzustände hätten sichtbar gelindert werden können. Dies sei durch kein anderes Behandlungsmodell in der Vergangenheit zu beobachten gewesen. Der Behandlungserfolg sei erklärlich, da das Medikament für die Behandlung von angeborenen Thrombozytenfunktionsstörungen zugelassen sei. Da es nur sehr wenige diagnostizierte Patienten gebe und die Symptomatik bei jedem Patienten auch zeitlich variiere, gebe es keine Studien über Diagnostik oder Behandlung. Diese werde es auch auf absehbare Zeit nicht geben. Die Behandlung sei daher immer experimentell und schwierig.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf die von ihr begehrte Versorgung mit NovoSeven durch die Beklagte im Off-Label-Use nach entsprechender ärztlicher Verordnung. Das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Oder vom 07. Dezember 2007 ist aufzuheben, ebenso wie der angefochtene Versagungsbescheid der Beklagten vom 24. Juli 2006 und 01. September 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. November 2006, der die Klägerin in ihren Rechten verletzt.

Gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln. Arzneimittel sind jedoch nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst, wenn die nach Art. 21 Abs. 1 Arzneimittelgesetz erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt. NovoSeven ist ein zulassungspflichtiges Arzneimittel, das für das hier allein in Betracht kommende Indikationsgebiet des Gardner-Diamond-Syndroms weder in Deutschland noch sonst im Gebiet der Europäischen Union zugelassen ist.

Es liegt hier indes ein Ausnahmefall vor, in dem sich der Sachleistungsanspruch der Klägerin sowohl nach den allgemeinen Grundsätzen als auch aufgrund verfassungsrechtlicher Vorgaben auf NovoSeven als Fertigarzneimittel im Bereich des Off-Label-Use erstreckt.

Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 26.09.2006 -B 1 KR 14/06 R-, SozR 4-2500 § 31 Nr. 6) kommt ein Off-Label-Use in Seltenheitsfällen in Betracht, die sich einer systematischen Erforschung entziehen. Im Übrigen kommt die Verordnung in einem von der Zulassung nicht erfassten Anwendungsgebiet grundsätzlich nur in Betracht, wenn es 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn 2. keine andere Therapie verfügbar ist und wenn 3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann.

Ein Seltenheitsfall liegt vor, wenn der Versicherte an einer sehr seltenen und deshalb einer systematischen Erforschung von darauf bezogenen Therapiemöglichkeiten nicht zugänglichen Erkrankung leidet, für die keine anderen Therapiemöglichkeiten zur Verfügung stehen. Ein solcher singulärer Krankheitsfall unterfällt von vornherein nicht als Behandlungsmethode dem krankenversicherungsrechtlichen Erlaubnisvorbehalt in § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V, denn es kann wissenschaftlich fundierte Aussagen hierzu per se nicht geben. Ist die Krankheit einzigartig, ist allein deshalb hinreichend gewährleistet, dass auch der Einsatz des Medikaments ein Einzelfall bleibt (so das BSG, Urteil vom 19.10.2004 –B 1 KR 27/02 R-, SozR 4-2500, § 27 Nr. 1 = BSGE 93, 236; vgl. auch BSG Urteil vom 28.02.2008 –B 1 KR 15/07 R-, SozR 4-2500 § 13 Nr 16).

Nach dem Ergebnis der Sachaufklärung steht zur Überzeugung des Senats fest, dass es sich bei der Erkrankung der Klägerin um einen Seltenheitsfall handelt. Keiner abschließenden Klärung bedarf es hier, ab welchen Fallzahlen eine Krankheit als Seltenfall einzuordnen ist. Im SGB V findet sich eine entsprechende Begriffsdefinition nicht. Das BSG hat in den von ihm entschiedenen Fällen eine zahlenmäßige Begrenzung nicht vorgenommen. Abgestellt werden könnte insoweit zum Beispiel auf Art. 3 Abs. 1a der Verordnung (EG) Nr. 141/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.1999 über Arzneimittel für seltene Leiden (ABl. L 18 vom 22.01.2000, S. 1ff.), wonach ein seltenes Leiden i.S. der VO vorliegt, wenn nicht mehr als fünf von 10.000 Personen davon betroffen sind.

Gemessen hieran handelt es sich beim Gardner-Diamond-Syndrom, von dem weltweit nur ca. 120 Fälle, deutschlandweit ca. 50 Fälle bekannt bzw. beschrieben sind, um eine äußerst seltene Erkrankung. Erst recht muss ein Singularitätsfall im Sinne der Rechtsprechung des BSG zum Off-Label-Use angenommen werden, wenn es sich -wie beim Gardner-Diamond-Syndrom- um ein heterogenes bzw. “schillerndes” (so der MDK) Krankheitsbild handelt; d.h. wenn die Betroffenen infolge der Grunderkrankung unterschiedliche Krankheitsbilder bzw. Symptome aufweisen. Nach den Angaben der behandelnden Ärztin Dr. N treten weder bei den beiden von ihr im Kompetenzzentrum in F behandelten Fällen noch bei den sonstigen in der Literatur beschriebenen Fällen derart massive Einblutungen wie bei der Klägerin auf, als dass eine therapeutische Beeinflussung mit einem Faktor VII-Präparat angezeigt erscheine.

Über die Seltenheit der Erkrankung besteht im Übrigen zwischen der Behandlerin, dem MDK und dem medizinischen Sachverständigen im Klageverfahren Prof. Dr. T Übereinstimmung. Hinzu kommt, dass die somatische Verursachung des Gardner-Diamond-Syndroms erst seit wenigen Jahren bekannt ist. Es finden sich hierüber in Fachkreisen nur wenige Veröffentlichungen. Auch dem MDK und selbst der Herstellerfirma sind keine weiteren, als die hier auszuwertenden Veröffentlichungen bekannt. Insoweit ist die Erkrankung der Klägerin auch als praktisch unerforschbar (im Sinne der unter 3. aufgeführten Anforderungen der vorstehend zitierten Rechtssprechung des BSG an die nach Datenlage begründete Aussicht eines Behandlungserfolges) anzusehen.

Der Senat hält es auch für erwiesen, dass keine anderen Therapieformen im Falle der Klägerin möglich sind. Die Einwände der Beklagten im Verwaltungsverfahren, die Klägerin stehe einer psychotherapeutischen Mitbehandlung wenig aufgeschlossen gegenüber, ist im Hinblick darauf, dass die Erkrankung – entgegen früherer Annahmen in Fachkreisen – somatisch verursacht ist, unerheblich. Insoweit ist auch zwischen den Beteiligten nunmehr zutreffend unstreitig, dass die Klägerin als “austherapiert” anzusehen ist und keine alternativen Behandlungen zur Verfügung stehen. Entscheidend kommt es mithin im vorliegenden Fall darauf an, ob eine medizinisch begründete Aussicht besteht, einen Behandlungserfolg mit NovoSeven zu erzielen oder ob – wie die Beklagte meint – derzeit eine Behandlung unmöglich ist.

Bei einem Seltenheitsfall können die vom BSG entwickelten Kriterien für eine hinreichend begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg (vgl. BSG Urteil vom 29.06.2006 -B 1 KR 14/06 R-, SozR 4-2500 § 31 Nr. 6 unter Bezugnahme auf BSGE 89, 184, 192 = SozR 3-2500 § 31 Nr. 8: Es müssen Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, “dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Dies kann angenommen werden, wenn entweder (a) die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt worden ist und Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht worden sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder (b) außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht worden sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht”.) nicht erfüllt werden. Hierfür besteht auch kein Bedarf. Ist die Erkrankung einzigartig, ist hinreichend gewährleistet, dass auch der Einsatz des Medikaments ein Einzelfall bleibt und die Einbeziehung in die krankenversicherungsrechtliche Leistungspflicht nicht zu einer arzneimittelrechtlichen Zulassung “durch die Hintertür” führt (so auch BSG Urteil vom 19.10.2004, B 1 KR 27/02 R). Der Anspruchs auf Versorgung setzt demnach nur voraus, dass die Einhaltung eines Mindestmaßes an Arzneimittel- und Behandlungsqualität gewährleistet ist, in der Weise, dass zuverlässige pharmakologisch-toxische Daten und aussagekräftige Studien die Unbedenklichkeit und Wirksamkeit des Mittels zumindest für andere Krankheiten belegen, sowie dass eine notstandsähnliche Situation vorliegt, in der Weise, dass eine schwer wiegende (lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende) Erkrankung zu behandeln ist.

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. NovoSeven ist in Deutschland für andere Thrombozytenfunktionsstörungen zugelassen und im Rahmen der von der Zulassung erfassten Anwendung auch bei kleinen Kindern relativ nebenwirkungsfrei. Zudem liegen bereits Erfahrungen im Off-Label-Use bei verschiedenen Indikationsgebieten vor.

Im Falle der Klägerin besteht auch eine notstandsähnliche Situation. Zwar ist die Erkrankung der Klägerin nicht unmittelbar und zwingend tödlich verlaufend. Das BSG lässt insoweit aber auch ausreichen, dass eine – nach Schwere und dem Ausmaß der aus ihr folgenden Beeinträchtigungen – vergleichbare Erkrankung vorliegt (Urteil vom 04. 04.2006 -B 1 KR 12/04 R-, SozR 4-2500 § 27 Nr 7 = BSGE 96, 153; zuletzt Urteil vom 30.06.2009 -B 1 KR 5/09 R- Juris).

Im Hinblick auf die von Prof. Dr. T gutachterlich bestätigten Auswirkungen der Erkrankung im Falle der Klägerin handelt es sich – auch das ist zwischen den Beteiligten zutreffend unstreitig – um eine schwerwiegende, jedenfalls die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung. Ob die Erkrankung in ihrer Ausprägung bei der Klägerin lebensbedrohlich ist, kann nicht sicher ausgeschlossen werden. Nach den Feststellungen Prof. Dr. T ist es nicht auszuschließen, dass eine lebensbedrohliche Situation eintreten könnte, wenn erneut Einblutungen in ein lebenswichtiges Organ bzw. in das Gehirn erfolgen. Die Einblutungen als solche sind nicht vorhersehbar, sie treten häufig auf und können daher jederzeit auch lebenswichtige Organe betreffen. Darüber hinaus sind auch die in den letzten Jahren nahezu durchgängig auftretenden schweren Schmerzzustände der Klägerin sowie die weiteren Gesundheitsstörungen wie Kopfschmerzen und Erbrechen zu berücksichtigen. Dies und die latente Gefährdung auch des Lebens bedingen eine wertungsmäßige Gleichstellung mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung. Anders als in dem vom BSG (Urteil vom 04.06.2006, a.a.O) entschiedenen Fall besteht bei der Klägerin keine Möglichkeit, den Krankheitserscheinungen auf andere Weise wirksam entgegenzuwirken. Diese sind hinsichtlich Schwere- und Gefährdungsgrad im Übrigen auch nicht mit den vom BSG bislang abschlägig beschiedenen Erkrankungen vergleichbar (siehe hierzu den Überblick im Urteil vom 05.05.2009 -B 1 KR 15/08 R-, Juris).

Vorliegend besteht auch eine hinreichende Sicherheit dafür, dass unter Medikation mit NovoSeven ein Behandlungserfolg eintreten kann. Zwar ist der Beklagten darin zuzustimmen, dass es sich vorliegend bei der ambulanten Langzeitgabe um einen Therapieversuch handelt. Dies ist im Rahmen einer singulären Erkrankung aber gerade kein Ausschlussmerkmal. Andernfalls wäre die Behandlung einer derart seltenen Krankheit zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung generell ausgeschlossen. Sind keine anderen Fälle bekannt, bei denen das Gardner-Diamond-Syndrom zu derart schwerwiegenden Einblutungen wie bei der Klägerin führt, können naturgemäß durch andere Ärzte Behandlungserfolge sich nicht wiederholen lassen. Auch eine Bestätigung eines Behandlungserfolges mittels Sachverständigenbeweis ist unmöglich. Es ist hier stattdessen zu untersuchen, welche wissenschaftlichen Erkenntnisse die Annahme rechtfertigen, dass der voraussichtliche Nutzen die Risiken überwiegen werde (hierzu BSG Urteil vom 19.10.2004, a.a.O.).

Letztlich sind unter Abwägung sämtlicher hier bekannter Umstände des Einzelfalles die Erfolgschancen als den Risiken überwiegend einzuschätzen. Der Senat stützt sich dabei auf die vom Sachverständigen im Klageverfahren unter Auswertung der in der Fachliteratur veröffentlichten Materialien und die von ihm auf Schlüssigkeit auch unter medizinisch-ärztlichen Aspekten gewerteten Angaben der Behandlerin.

Dr. N ist Hämostaseologin und Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin. Ihr Therapiekonzept erarbeitete sie in Absprache mit Fachkollegen (der C). An der fachlichen Kompetenz der Behandlerin und an der Schlüssigkeit des Therapieansatzes hat der Senat unter Würdigung der gutachterlichen Feststellungen Prof. Dr. T keine durchgreifenden Zweifel. Zwar ist der Wirkmechanismus von NovoSeven beim Gardner-Diamond-Syndrom nicht bekannt, es ist aber zugelassen zur Therapie hinsichtlich einer der zugrunde liegenden Störungen: Es ersetzt die fehlende Substanz beim Faktor-VII-Mangel. Beim Gardner-Diamond-Syndrom, bei dem nicht nur, aber offenbar auch der Faktor VII gestört ist, soll es diesen Faktor beeinflussen. Der Therapieansatz erscheint insoweit wissenschaftlich begründet. Zudem stützt sich die Behandlerin auf die Wirksamkeit in anderen Fällen mit ähnlichen Störungen und ihre eigenen Beobachtungen. Bei kurzfristiger Einnahme hat sie bei der Klägerin einen Rückgang der Symptome beobachten können: Die Hämatomneubildung wurde gestoppt, die Rückbildung der bestehenden Blutungen beschleunigt und die schweren Schmerzzustände sichtbar gelindert. Die von der Klägerin beschriebene Besserung unter Medikation hat sie gegenüber dem Gericht im Berufungsverfahren bestätigt. Auch Prof. Dr. T hat die Besserung als zwar gutachterlich für nicht objektivierbar, aber glaubwürdig angesehen.

Letztlich hält auch der MDK Baden-Württemberg einen Off-Label-Use von NovoSeven in Fällen, bei denen bedrohliche Blutungen auftreten, für angezeigt. Da im Falle der Klägerin nicht vorhersehbar ist, wann und in welches Organ bzw. welchen Körperteil die Einblutungen erfolgen, besteht jederzeit die latente Gefahr, dass sich eine Einblutung auch in das Gehirn mit (lebens-) bedrohlichen Folgen wiederholen kann. Andere therapeutische Möglichkeiten, die Blutungen zu beeinflussen, sind nicht bekannt.

Gewichtige Argumente gegen die Verträglichkeit und Wirksamkeit des Medikaments hat auch der Sachverständige nicht aufgezeigt. Die Klägerin hat in der Vergangenheit bereits wiederholt kurzzeitige Anwendungen des Medikaments erfahren, die ihr jedenfalls nicht geschadet haben. Das Medikament kommt bei der Behandlung kleiner Kinder mit angeborenem Faktor VII-Mangel relativ nebenwirkungsfrei zur Anwendung. Die Klägerin ist volljährig und wie sich aus ihrem Vorbringen im Verfahren zeigt, auch mit der Behandlung einverstanden. Zusätzliche Gesundheitsrisiken auch nach gutachterlicher Einschätzung sind nicht unmittelbar zu befürchten. Einem verbleibenden Restrisiko steht entgegen, dass auch bei den (sonst jedenfalls) erforderlichen Behandlungen mit rein symptomatisch wirkenden Medikamenten, Nebenwirkungen auftreten. Besonders schwerwiegende Auswirkungen hat die hier bereits langjährig erforderliche, vermutlich dauerhafte Schmerzbehandlung mit Opiaten.

Auch unter verfassungsrechtlichen Aspekten ist vorliegend der Off-Label-Use von NovoSeven zuzulassen. Das BVerfG hat mit Beschluss vom 06.12.2005 -1 BvR 347/98-, SozR 4-2500 § 27 Nr. 5) aus den in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz verankerten Grundrechten auf Schutz von Leben und körperliche Unversehrtheit gefolgert, dass insbesondere in Fällen der Behandlung einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung die maßgeblichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts grundrechtsorientierend auszulegend sind. Es ist mit Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem grundgesetzlichen Sozialstaatsprinzip nicht vereinbar, den Einzelnen unter den Voraussetzungen des § 5 SGB V einer Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung zu unterwerfen und für seine an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ausgerichteten Beiträge die notwendige Krankheitsbehandlung gesetzlich zuzusagen, ihn andererseits aber, jedenfalls dann, wenn er an einer lebensbedrohlichen oder sogar regelmäßig tödlichen Erkrankung leidet, für die schulmedizinische Behandlungsmethoden nicht vorliegen, von der Leistung einer bestimmten Behandlungsmethode durch die Krankenkasse auszuschließen und ihn auf eine Finanzierung der Behandlung außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung zu verweisen. Dabei muss allerdings die vom Versicherten gewählte andere Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf versprechen.

Daran anschließend hat das BSG im Falle notstandsähnlicher Situationen, d.h. bei Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung, für die keine andere Behandlungsmöglichkeit zur Verfügung steht, einen Off-Label-Use bejaht (BSG Urteil vom 26.09.2006 -B 1 KR 14/06 R-, a.a.O.). Vorliegend sind auch diese Voraussetzungen als erfüllt anzusehen, denn wie bereits ausgeführt, ist die Erkrankung der Klägerin als eine die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung anzusehen.

Da die Klägerin in der Hauptsache mit ihrem Begehren Erfolg hatte, stehen ihr auch die auf der Grundlage der Eilentscheidung des Landessozialgerichts vom 19. November 2007 vorläufig erbrachten Leistungen endgültig zu.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis der Sachentscheidung. Die Revision ist nicht zulassen, weil ein Zulassungsgrund nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegt.