Sozialgericht Reutlingen S 1 KR 3632/16

Sozialgericht Reutlingen

Urteil vom 14.03.2018 (nicht rechtskräftig)

Sozialgericht Reutlingen S 1 KR 3632/16

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Die Sprungrevision wird zugelassen.

Tatbestand:

Vorliegend begehrt die Klägerin vom Beklagten die Erstattung der von ihr in sechs Behandlungsfällen nach § 275 Abs. 1c Satz 3 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) gezahlten Aufwandspauschale in Höhe von insgesamt 1.800,00 EUR.

Sechs bei der Klägerin krankenversicherte Patientinnen und Patienten wurden beim Beklagten, einer Hochschulklinik in der Rechtsform einer rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts, stationär behandelt. Nach Begleichung der ihr hierfür gestellten Rechnungen veranlasste die Klägerin beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) eine Überprüfung der Krankenhausabrechnungen durch Überprüfung der Kodierung. Die Überprüfung durch den MDK anhand der vom Beklagten vorgelegten Unterlagen ergab, dass die vom Beklagten vorgenommene Kodierung in den hier streitgegenständlichen sechs Behandlungsfällen korrekt war, sodass es zu keiner Minderung der Abrechnungsbeträge kam.

Der Beklagte stellte der Klägerin daraufhin im Jahr 2012 in den streitgegenständlichen sechs Behandlungsfällen jeweils eine Aufwandspauschale i.H.v. 300,00 EUR in Rechnung, die von der Klägerin auch bezahlt wurde.

Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 25.10.2016, wonach bei Kodierungsprüfungen als sachlich-rechnerische Tatbestände keine Aufwandspauschale zu zahlen sei, forderte die Klägerin den Beklagten mit Schreiben vom 30.11.2016 zur Rückzahlung der Aufwandspauschalen in Höhe von insgesamt 1.800,00 EUR auf.

Da der Beklagte hierauf keine Zahlungen geleistet hat, hat die Klägerin am 27.12.2016 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG) mit dem Begehren erhoben, den Beklagten zur Zahlung von 1.800,00 EUR zu verurteilen. Zur Begründung hat die Klägerin im Wesentlichen ausgeführt, sie habe einen Anspruch auf Rückzahlung der Aufwandspauschalen, da die Zahlung rechtsgrundlos ergangen sei. Der Beklagte habe keinen Anspruch auf Zahlung der Aufwandspauschale durch sie gehabt. Dies ergebe sich aus der Rechtsprechung des BSG in seinen Urteilen vom 25.10.2016. Darin habe das BSG ausdrücklich klargestellt, dass Kodierprüfungen sachlich-rechnerische Tatbestände darstellen würden, bei denen keine Aufwandspauschale zu zahlen sei, auch wenn sich der Rechnungsbetrag nicht mindere. Dabei komme es nicht darauf an, ob die Krankenkasse im Prüfauftrag an den MDK oder der MDK in der Anforderung von Unterlagen beim Krankenhaus Bezug auf § 275 Abs. 1 oder Abs. 1c SGB V genommen habe. Ferner handle es sich bei § 275 Abs. 1c Satz 4 SGB V um eine ab dem 01.01.2016 geltende gesetzliche Neuregelung, die keinerlei Rückwirkung entfalte. Da vorliegend eine sachlich-rechnerische Abrechnungsprüfung erfolgt sei, habe für den Beklagten kein Anspruch auf Erhalt einer Aufwandspauschale bestanden. Ihre Zahlung sei rechtsgrundlos erfolgt und deshalb zurückzuerstatten. Der Rückzahlungsanspruch sei weder verwirkt noch verjährt.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 1.800,00 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 27.12.2016 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe in keinem der eingeklagten Fälle den Prüfauftrag an den MDK als sachlich-rechnerische Überprüfung tituliert. Der MDK habe die Prüfaufträge auch nicht als sachlich-rechnerische Überprüfung angesehen, sondern sich auf § 275 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 1c SGB V berufen. Auch die Klägerin selbst sei davon ausgegangen, dass es sich um Überprüfungen gemäß § 275 Abs. 1c SGB V handle. Bei den Überprüfungen habe es sich aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Empfängers um Auffälligkeitsprüfungen nach dem übereinstimmenden Willen aller Verfahrensbeteiligten gehandelt. Der Anwendung der Rechtsprechung des BSG auf Fälle vor dem 01.07.2014 stehe das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot entgegen. Der 1. Senat des BSG habe das neue Prüfinstitut der sogenannten sachlich-rechnerischen Überprüfung erstmals in seiner Entscheidung vom 01.07.2014 propagiert, obwohl er wie auch der 3. Senat des BSG zuvor über Jahre hinweg alle MDK-Überprüfungen ausnahmslos von § 275 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 1c SGB V erfasst ansah. Würde man die Rechtsprechung des BSG vom 01.07.2014 auf Sachverhalte vor diesem Zeitpunkt erstrecken, würde man abgeschlossene Sachverhalte aus der Vergangenheit rückwirkend abweichend der Gesetzeslage und zur bis dahin gefestigten Rechtsprechung bewerten. Ein solcher Fall der echten Rückwirkung sei nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes auch bei Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung mit verfassungsrechtlichen Vorgaben bei gefestigter und langjährlicher Rechtsprechung unvereinbar. Schließlich stehe der Rückforderung der Klägerin jedenfalls der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen. Die Parteien hätten über Jahre hinweg sämtliche MDK-Überprüfungen den gesetzlichen Regelungen in §§ 275, 276 SGB V unterworfen. Zwischen den Parteien sei bis zur Entscheidung des BSG vom 01.07.2014 nie streitig gewesen, dass sämtliche Fälle der Abrechnungsprüfung unter das Regime der §§ 275, 276 SGB V fallen würden. Ferner verletze die Rechtsprechung des BSG in eklatanter Weise den Gewaltenteilungsgrundsatz. Es werde daher davon ausgegangen, dass entsprechenden Verfassungsbeschwerden stattgegeben werde. Verwiesen werde zudem auf das Urteil des Sozialgerichtes Aachen vom 18.07.2017 (S 13 KR 159/17), wonach Krankenkassen mit der Rückforderung vorbehaltlos gezahlter Aufwandspauschalen vor der “Erfindung” des BSG vom 01.07.2014 aus Rechtsstaatsgründen ausgeschlossen seien.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Klägerin und der Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die beim sachlich und örtlich zuständigen SG von der Klägerin zu Recht erhobene (echte) Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG – (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. z.B. BSGE 90, 1; 100, 164; 102, 172; 104, 15) auf Erstattung gezahlter Aufwandspauschalen ist zulässig. Vorliegend handelt es sich um einen sogenannten Beteiligtenstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt, kein Vorverfahren durchzuführen und keine Klagefrist zu beachten ist.

Allerdings ist die Klage unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Erstattung der von ihr in sechs Behandlungsfällen auf der Grundlage des § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V gezahlten Aufwandspauschalen in Höhe von insgesamt 1.800,00 EUR.

Das von der Klägerin hier geltend gemachte Rückforderungsbegehren basiert auf einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch. Dieses aus den allgemeinen Grundsätzen des öffentlichen Rechts hergeleitete Rechtsinstitut setzt voraus, dass im Rahmen eines öffentlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne rechtlichen Grund erbracht oder sonstige rechtsgrundlose Vermögensverschiebungen vorgenommen worden sind (BSG, Urteil vom 01.08.1991 – 6 RKa 9/89 – juris –). Ein öffentliches Rechtsverhältnis liegt hier zwischen den Beteiligten vor, da die Abrechnungsbeziehungen zwischen Krankenkasse und Krankenhaus nach den maßgeblichen §§ 107 ff. SGB V öffentlich-rechtlich geprägt sind (BSG SozR 3-2500 § 39 Nr. 4 m.w.N.)

Im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs gelten ähnliche Grundsätze wie im bürgerlichen Recht der ungerechtfertigten Bereicherung (§§ 812 ff. BGB), dem der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch zumindest insoweit vergleichbar ist, als beide Ansprüche als Ausdruck eines althergebrachten Rechtsgrundsatzes dem Ausgleich einer rechtsgrundlosen Vermögensverschiebung dienen. Wenn auch im Zivilrecht nicht ausdrücklich geregelt ist, wann eine Bereicherung ungerechtfertigt ist, ist jedoch allgemein anerkannt, dass Leistungen zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit, die in Wirklichkeit nicht besteht, grundsätzlich zurückgefordert werden können (vgl. zum öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch bei Überzahlung von Krankenhausleistungen BSG, Urteil vom 22.07.2004 – B 3 KR 21/03 R – juris –).

Dem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch der Klägerin steht zum einen das Rückwirkungsverbot, zum anderen das auf den Grundsatz von Treu und Glauben gestützte Verbot treuwidrigen Verhaltens entgegen.

Nach § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V sind die Krankenkassen in den gesetzlich bestimmten Fällen oder wenn es nach Art, Schwere, Dauer oder Häufigkeit der Erkrankung oder nach dem Krankheitsverlauf erforderlich ist, verpflichtet, bei Erbringung von Leistungen, insbesondere zur Prüfung von Voraussetzungen, Art und Umfang der Leistung, sowie bei Auffälligkeiten zur Prüfung der ordnungsgemäßen Abrechnung eine gutachtliche Stellungnahme des MDK einzuholen.

Nach § 275 Abs. 1c Satz 1 SGB V ist bei Krankenhausbehandlung nach § 39 eine Prüfung nach Abs. 1 Nr. 1 zeitnah durchzuführen. Die Prüfung nach Satz 1 ist spätestens sechs Wochen nach Eingang der Abrechnung bei der Krankenkasse einzuleiten und durch den MDK dem Krankenhaus anzuzeigen (§ 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V). Falls die Prüfung nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages führt, hat die Krankenkasse nach § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V dem Krankenhaus eine Aufwandspauschale i.H.v. 300 EUR zu entrichten.

Mit der zum 01.04.2007 durch das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 26.03.2007 (BGBl. I, Seite 378) eingefügten Regelung des § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V zur Zahlung einer Aufwandspauschale sollte einer ungezielten und übermäßigen Einleitung von Begutachtungen, die die Abläufe in den Krankenhäusern teils erheblich belasten, für zusätzlichen personellen und finanziellen Aufwand sorgen und in der Regel zu hohen und nicht gerechtfertigten Außenständen und Liquiditätsproblemen führen, entgegengewirkt werden (vgl. BT-Drs. 16//3100, Seite 171). Den Gesetzesmaterialien ist dabei an keiner Stelle zu entnehmen, dass die Prüfung der ordnungsgemäßen Krankenhausabrechnung nicht auch die sachlich-rechnerische Richtigkeit einer Abrechnung betreffen soll. Auch in der Rechtsprechung des 3. Senats des BSG (vgl. Urteil vom 18.07.2013 – B 3 KR 22/12 R – juris –) zur Prüfung von Krankenhausabrechnungen wurde nie eine Unterscheidung nach der Art der Prüfung erwogen. Der 1. Senat des BSG schloss sich ausdrücklich diesem Konzept mit unterschiedlichen Auskunfts- und Prüfpflichten auf den vom 3. Senat des BSG entwickelten drei Prüfungsstufen an (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 13.11.2012 – B 1 KR 14/12 R – juris -). Mehrfach hatte der 1. Senat des BSG zur Prüfung nach § 275 SGB V ausgeführt, es bestünden Auffälligkeiten, die die Krankenkasse zur Einleitung einer Abrechnungsprüfung unter Anforderung einer gutachtlichen Stellungnahme des MDK berechtigten und verpflichteten, wenn die Abrechnung und/oder die der Krankenkasse vorliegenden Behandlungsdaten bzw. weiteren Informationen “Fragen nach der – insbesondere sachlich-rechnerischen – Richtigkeit der Abrechnung und/oder nach der Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebot aufwerfen würden” (BSG, Urteile vom 13.12.2012 – B 1 KR 24/11 R – und vom 17.12.2013 – B 1 KR 14/13 R und B 1 KR 52/12 R – alle juris –). Ebenso wie der 3. Senat zählte somit auch der 1. Senat des BSG die sachlich-rechnerische Prüfung zur Auffälligkeitsprüfung der §§ 275 Abs. 1 Nr. 1, 275 Abs.1c SGB V.

Der 1. Senat des BSG vertrat dann jedoch erstmals in seinem Urteil vom 01.07.2014 (B 1 KR 29/13 R – juris –) die Auffassung, die Überprüfung nach § 275 Abs. 1c SGB V setze eine Auffälligkeit der Abrechnung voraus. Auffälligkeiten, die die Krankenkasse zur Einleitung einer Abrechnungsprüfung unter Anforderung einer gutachtlichen Stellungnahme des MDK berechtigten, bestünden dann, wenn die Abrechnung und/oder die vom Krankenhaus zur ordnungsgemäßen Abrechnung vollständig mitgeteilten Behandlungsdaten und/oder weitere zulässig von der Krankenkasse verwertbaren Informationen Fragen nach der Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebot aufwerfen würden, die die Krankenkasse aus sich heraus ohne weitere medizinische Sachverhaltsermittlung und -bewertung durch den MDK nicht beantworten könne. Die Auffälligkeitsprüfung betreffe regelmäßig Fälle, in denen die Krankenkasse Zweifel daran haben könne, dass das Krankenhaus seine Leistung unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots erbracht habe. Sie begründe in den Fällen, in denen es zu keiner Abrechnungsminderung komme, einen Anspruch des Krankenhauses auf Zahlung einer Aufwandspauschale.

Soweit das Krankenhaus dagegen dem MDK lediglich im Rahmen der Abklärung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit der Abrechnung entsprechend seinen bestehenden Mitwirkungsobliegenheiten oder -pflichten die Möglichkeit eröffne, die Behandlungsunterlagen einzusehen und/oder eine Krankenhausbegehung durchzuführen, finde § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V keine Anwendung. Dieses Überprüfungsrecht der Krankenkassen von Krankenhausabrechnungen auf sachlich-rechnerische Richtigkeit unterliege einem eigenen Prüfregime. Um eine solche Prüfung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit handle es sich bei einer Prüfung der zutreffenden Kodierung der Haupt- und/oder Nebendiagnosen (vgl. hierzu auch BSG, Urteil vom 14.10.2014 – B 1 KR 26/13 R – juris -). Das Krankenhaus habe keinen Anspruch auf Zahlung einer Aufwandspauschale, wenn der sachlich-rechnerische Prüfvorgang nicht zu einer Rechnungsminderung führe. Denn es handle sich nicht um eine Auffälligkeitsprüfung, sondern um eine Mitwirkung des MDK zu Gunsten des beweisbelasteten Krankenhauses, um diesem die Möglichkeit zu eröffnen, seinen aus § 301 SGB V abzuleitenden Informationsobliegenheiten bzw. eventuellen Auskunfts- und Mitteilungspflichten zu entsprechen.

Diese Rechtsprechung des BSG, insbesondere die Unterscheidung zwischen Auffälligkeitsprüfung und Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit mit eigenem Prüfregime, hat in der erst- und zweitinstanzlichen Rechtsprechung breite Ablehnung erfahren (vgl. hierzu die Übersicht bei Makoski, jurisPR-MedizinR 3/2017 Anm. 5) Für die Annahme des BSG, es gebe neben der Auffälligkeitsprüfung ein weiteres Prüfregime (“Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit”) für Abrechnungsfragen bei Krankenhausbehandlungen, fehle eine gesetzliche Grundlage. Die Auffassung des BSG sei mit Gesetzeswortlaut und -systematik nicht zu vereinbaren und verstoße daher – unter Berücksichtigung der Grenzfunktion des Gesetzeswortlauts – gegen den Grundsatz der Bindung an das Gesetz. Bestätigt werde die Richtigkeit dieser Auffassung durch den mit dem Gesetz zur Reform der Strukturen der Krankenhausversorgung vom 10.12.2015 (BGBl. I, Seite 2229) zum 01.01.2016 in § 275 Abs. 1c SGB V eingefügten Satz 4. Danach sei als Prüfung nach Satz 1 jede Prüfung der Abrechnung eines Krankenhauses anzusehen, mit der die Krankenkasse den MDK beauftrage und die die Datenerhebung durch den MDK beim Krankenhaus erfordere. Ausweislich der hierzu bestehenden Gesetzesmaterialien (BT-Drs. 18/6586, Seite 110) seien in Folge des Urteiles des BSG (B 1 KR 29/13 R, a.a.O.) zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen Probleme entstanden, weil Krankenkassen sich bei Prüfung der Krankenhausabrechnungen durch den MDK vermehrt auf den Standpunkt stellten, es handle sich um Prüfungen der sachlich-rechnerischen Richtigkeit, bei denen keine Aufwandspauschale zu zahlen und keine Frist zu beachten sei. Hinzu komme, dass im Schrifttum teilweise kritisiert werde, dass es für die Trennung der beiden Prüfarten im Gesetz keine hinreichende Stütze gebe und es an Abgrenzungskriterien fehle. Deshalb werde mit der Neuregelung des § 275 Abs. 1c Satz 4 nunmehr bestimmt, dass sich die Fristen- und Anzeigeregelung des Satzes 2 und die Regelung zur Aufwandspauschale in Satz 3 auf jede Prüfung der Abrechnung einer stationären Behandlung beziehe, mit der eine Krankenkasse den MDK beauftrage und die eine Datenerhebung durch den MDK beim Krankenhaus erfordere. Dies gelte sowohl für die vom 1. Senat des BSG angesprochenen Auffälligkeitsprüfungen als auch für die Prüfungen auf sachlich-rechnerische Richtigkeit. Nach der in erst- und zweitinstanzlicher Rechtsprechung vertretenen Auffassung handle es sich bei dieser Neuregelung nicht um eine Änderung einer früher bestehenden Rechtslage, sondern um eine Klarstellung, die auch auf die Zeit vor dem 01.01.2016 Anwendung finde.

Das BSG ist dieser in der erst- und zweitinstanzlichen Rechtsprechung vertretenen Auffassung in mehreren Urteilen vom 25.10.2016 (B 1 KR 22/16 R, B 1 KR 16/16 R, B 1 KR 18/16 R und B 1 KR 19/16 R – alle juris –) und vom 28.03.2017 (B 1 KR 23/16 R – juris -) entgegengetreten und hält an seiner Auffassung fest. Bei dem Anspruch auf Zahlung einer Aufwandspauschale handele es sich um eine eng auszulegende Ausnahmeregelung, die nur auf die Einschränkung von solchen Prüfungen abziele, die Krankenkassen ohne berechtigten Anlass, gegebenenfalls gar durch “missbräuchliche” Prüfungsbegehren eingeleitet hätten, nicht aber z.B. auf Verfahren, zu denen es durch ein Fehlverhalten des Krankenhauses gekommen sei. Hierbei müsse die Krankenkasse den MDK wegen einer Auffälligkeit gezielt beauftragt haben, eine gutachtliche Stellungnahme abzugeben mit dem Ziel, in Verfolgung des Wirtschaftlichkeitsgebots zu einer Verminderung der Vergütung zu gelangen, d.h. eine Verminderung des (möglicherweise) vom Krankenhaus zu hoch angesetzten Abrechnungsbetrages zu erreichen. Diese Gesetzeskonzeption der Auffälligkeitsprüfungen von Unwirtschaftlichkeit folge aus dem Wortlaut in Einklang mit der Entwicklungsgeschichte der Norm und dem Zweck der Prüfung. Weiter führt das BSG in den genannten Urteilen (a.a.O.) aus, das Gesetz unterscheide nach der Gesamtrechtssystematik die Prüfung der sachlichen-rechnerischen Richtigkeit von den Prüfungen bei Auffälligkeit. Es überantworte den Krankenkassen die Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit der Abrechnung, wenn Krankenhäuser Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtgemäß behandelten. Das Überprüfungsrecht der Krankenkassen auf sachlich-rechnerische Richtigkeit bestehe unabhängig von den engeren Anforderungen einer Auffälligkeitsprüfung. Es unterliege einem eigenen Prüfregime. Es diene dazu, die Einhaltung der Abrechnungs- und Informationspflichten der Krankenhäuser zu überwachen. Es beruhe auf § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V i.V.m. den allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen der Rechnungslegung in Einklang mit der historischen Gesetzesentwicklung. Das Gesetz lasse die erforderliche Übermittlung der Sozialdaten an die Krankenkassen für die Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit zweckgerecht zu. Ferner kommt nach Ansicht des BSG (a.a.O.) der Anfügung eines Satzes 4 an § 275 Abs. 1c SGB V keine Rückwirkung zu. Die in erst- und zweitinstanzlicher Rechtsprechung angenommene Rückwirkung finde in Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Regelungssystem und Regelungszweck keine Stütze.

Das auf die Rechtsprechung des BSG in seinen Urteilen vom 25.10.2016 gestützte Erstattungsbegehren der Klägerin scheitert zwar entgegen der vom Beklagten vertretenen Auffassung nicht daran, dass der MDK sich in seinen Prüfanzeigen an den Beklagten auf § 275 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 1c SGB V berufen hat. Der MDK weist in diesen Prüfanzeigen darauf hin, dass die zuständige Krankenkasse ihn mit einer gutachterlichen Stellungnahme zur Kodierung der Prozeduren bzw. Nebendiagnosen beauftragt habe. Nach den Grundsätzen über die Auslegung von Willenserklärungen war hieraus nach dem relevanten Empfängerhorizont des Beklagten zu ersehen und zu erkennen, dass es der Klägerin beim Prüfauftrag an den MDK um die Frage ging, ob er bestimmte Prozeduren bzw. Nebendiagnosen zutreffend kodiert hatte. Es war daher trotz der Bezugnahme des MDK auf § 275 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 1c SGB V für den Beklagten eindeutig erkennbar, dass vorliegend eine sachlich-rechnerische Prüfung der Krankenhausabrechnungen durchgeführt werden sollte. Dem steht die im Ergebnis nicht zutreffende Rechtsansicht des MDK nicht entgegen, Rechtsgrundlage seien § 275 Abs. 1 Nr.1 und § 275 Abs. 1c SGB V, wenn – wie hier – die konkrete Zielrichtung des Prüfauftrags (sachlich-rechnerische Prüfung) klar war (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 28.03.2017, a.a.O.).

Allerdings steht dem Erstattungsbegehren der Klägerin zum einen das Rückwirkungsverbot entgegen. Zwar entfalten Urteile, somit auch Urteile des BSG, zunächst nur Geltung für die am jeweiligen Rechtsstreit beteiligten Parteien, sie wirken somit nur inter partes. Eine höchstrichterliche Rechtsprechung findet allerdings auch in anderen gleichgelagerten Fällen Berücksichtigung, weshalb ihre Bedeutung über den entschiedenen Einzelfall hinausgeht. Leistungserbringer und Kostenträger werden sich in gleichgelagerten Fällen, die zum Zeitpunkt des Ergehens der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch nicht abgeschlossen waren, sowie in künftigen gleichgelagerten Fällen auf eine neue oder geänderte höchstrichterliche Rechtsprechung berufen (BSG, Urteil vom 12.09.2012 – B 3 KR 10/12 R – juris –).

Vorliegend erfolgte die Zahlung der Aufwandspauschale in Höhe von insgesamt 1.800 EUR im Jahr 2012, also zu einem Zeitpunkt vor der “neuen” Rechtsprechung des 1. Senats des BSG (Urteile vom 01.07.2014, 25.10.2016 und 28.03.2017 – alle a.a.O. –). Ob diese “neue” Rechtsprechung auch rückwirkend Anwendung finden kann, ist vorliegend zwischen den Beteiligten streitig. Während die Klägerin ihren Erstattungsanspruch hierauf mit der Begründung stützt, aufgrund der “neuen” Rechtsprechung des BSG sei die Zahlung ohne Rechtsgrund erfolgt, vertritt der Beklagte die Auffassung, einem Erstattungsbegehren stehe das Rückwirkungsverbot entgegen.

Zur Rückwirkung von Gesetzesänderungen existieren auf dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 des Grundgesetzes fußende eindeutige Regelungen, wobei zwischen einer unzulässigen “echten Rückwirkung” und einer grundsätzlich zulässigen “unechten Rückwirkung” unterschieden wird. Während eine echte Rückwirkung vorliegt, wenn ein Gesetz Rechtsbeziehungen, die vor der Verkündung des Gesetzes bereits abgeschlossen waren, nachträglich veränderten Bedingungen unterwirft, liegt eine unechte Rückwirkung demgegenüber vor, wenn das Gesetz für noch andauernde Tatbestände, insbesondere Rechtsverhältnisse, mit Wirkung für die Zukunft erstmalig oder veränderte Rechtsfolgen vorsieht. Während eine echte Rückwirkung nach dem Rechtsstaatsprinzip im Interesse des Vertrauensschutzes nachteilig Betroffener grundsätzlich verboten ist, ist eine unechte Rückwirkung bei Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht grundsätzlich unzulässig (vgl. hierzu Sachs, Kommentar zum Grundgesetz, 7. Aufl. 2014 Art. 20 Rdnrn. 133, 136 und 137).

Nach zutreffender Ansicht des BSG (Urteil vom 08.11.1980 – 12 RK 59/79 – juris –) können diese für die rückwirkende Anwendbarkeit von Gesetzesänderungen geltenden Grundsätze auch auf Rechtsprechungsänderungen übertragen werden, in denen die Änderung einer höchstrichterlichen Rechtsprechung für die Betroffenen praktisch wie eine Änderung des Rechts wirkt. In diesen Fällen sei es nur folgerichtig, den Betroffenen im Falle einer sie belastenden Änderung einer höchstrichterlichen Rechtsprechung gleichen Vertrauensschutz zuzubilligen wie bei einer entsprechenden Rechtsänderung.

Mit der “neuen” Rechtsprechung des 1. Senats des BSG wurde erstmals eine einem eigenen Prüfregime unterliegende sachlich-rechnerische Prüfung als Teil der Prüfung von Krankenhausabrechnungen mit Auswirkung auf die Verpflichtung zur Zahlung einer Aufwandspauschale eingeführt. Diese “neue” Rechtsprechung führte damit zu einer grundlegenden Änderung bei der Prüfung von Krankenhausabrechnungen. Sie wirkt damit wie eine Rechtsänderung, da durch diese Rechtsprechung eine konkrete Festlegung getroffen wurde, die sich unmittelbar auf das Abrechnungs- und Prüfgeschehen auswirkt. Wäre eine sachlich-rechnerische Prüfung durch den Gesetzgeber festgelegt worden, hätte sich dies in gleicher Form auf das Abrechnungs- und Prüfgeschehen ausgewirkt, wie dies die “neue” Rechtsprechung des 1. Senats des BSG getan hat. Der dargelegten Rechtsprechung des BSG folgend sind daher die für die rückwirkende Anwendbarkeit von Gesetzesänderungen geltenden Grundsätze aus rechtsstaatlichen Gründen auf die hier rückwirkende “neue” Rechtsprechung des 1. Senats des BSG zu übertragen.

Soweit sich die Klägerin bei ihrem Erstattungsbegehren auf die “neue” Rechtsprechung des 1. Senats des BSG stützt, steht damit diesem Begehren das Rückwirkungsverbot entgegen, da eine rückwirkende Anwendung der “neuen” Rechtsprechung des 1. Senats des BSG auf die hier vorliegenden, abgeschlossenen Sachverhalte unzulässig ist (echte Rückwirkung). Die hier streitigen sechs Behandlungsfälle sind abgeschlossen. Sie wurden einvernehmlich abgerechnet, Vorbehalte, laufende MDK-Prüfungen oder gerichtliche Auseinandersetzungen, die die Abrechnungsfälle “offen” halten würden, liegen nicht vor. Auch gingen sowohl Klägerin als auch Beklagter bis zur “neuen” Rechtsprechung des 1. Senats des BSG davon aus, dass mit Abschluss der MDK-Prüfung die Behandlungsfälle abrechnungstechnisch abgeschlossen sind. Anderenfalls hätte einer der Vertragspartner den Abrechnungsfall weiterhin offen gehalten.

Zu Recht durfte der Beklagte somit darauf vertrauen, dass die hier streitgegenständlichen sechs Behandlungsfälle abgeschlossen sind. Die Rückforderung der unter der “alten” Rechtsprechung gezahlten Aufwandspauschale ist damit bereits aus Gründen des Vertrauensschutzes ausgeschlossen, weil die geänderte “neue” Rechtsprechung des 1. Senats des BSG auf bereits abgeschlossene Sachverhalte von der Klägerin angewandt werden soll. Eine solche echte Rückwirkung ist jedoch unzulässig.

Zum anderen steht dem Erstattungsbegehren der Klägerin auch das sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben ergebende Verbot treuwidrigen Verhaltens entgegen. Vor der Änderung der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG bestand zwischen Krankenkassen und Krankenhausträgern Konsens, dass alle von den Kassen veranlassten Abrechnungsprüfungen im Einzelfall durch den MDK (nur) wegen “Auffälligkeiten” ohne Differenzierung zwischen sachlich-rechnerischer Richtigkeit und Unwirtschaftlichkeit erfolgten (vgl. dazu BSG, Urteil vom 13.11.2012 – B 1 KR 24/11 R – juris -). Dieser Konsens ergibt sich auch aus der ab 01.01.2015 geltenden Prüfverfahrensvereinbarung (PrüfvV) vom 01.09.2014. Diese in Erfüllung des Auftrages aus § 17c Abs. 2 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes zur Regelung des Prüfverfahrens nach § 275 Abs. 1c SGB V zwischen dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Deutschen Krankenhausgesellschaft getroffene Vereinbarung sieht in § 4 Abs. 1 PrüfvV zur Mitteilung der Art der Prüfung ausdrücklich Kodierfragen als Gegenstand der Prüfung vor; die Vertragsparteien unterschieden in den in § 4 Abs. 1 PrüfvV aufgeführten Prüfarten nicht zwischen Prüfungen der sachlich-rechnerischen Richtigkeit und “Auffälligkeiten” wie primärer Fehlbelegung oder Verweildauer. Für eine Regelung von Prüfungen der sachlich-rechnerischen Richtigkeit der Abrechnung, die nicht § 275 Abs. 1c SGB V unterfällt, hätte auch keine Regelungskompetenz bestanden. Die Klägerin als gesetzliche Krankenkasse setzt sich also mit der Rückforderung früher gezahlter Aufwandspauschalen in Widerspruch zu ihrer damaligen Überzeugung, dass alle Abrechnungsprüfungen nur nach Maßgabe des § 275 Abs. 1c SGB V möglich waren. Dieser Rückforderung steht damit das Verbot widersprüchlichen Verhaltens entgegen. Hinzu kommt, dass das BSG in ständiger Rechtsprechung betont, dass Beziehungen zwischen den Krankenkassen und Krankenhäusern in partnerschaftlicher Weise zur gegenseitigen Rücksichtnahme nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verpflichten und daher auch wechselseitige Ansprüche begrenzt sein können (vgl. BSG, Urteile vom 08.09.2009 – B 1 KR 11/09 R und B 1 KR 8/09 R – und vom 17.12.2009 – B 3 KR 12/08 R – alle juris –). Die Rückforderung der Aufwandspauschalen bedeutet innerhalb dieser Sonderrechtsbeziehungen eine unzulässige Rechtsausübung, weil die Klägerin hier eine für den Beklagten überraschende und nicht vorhersehbare Änderung der Rechtsprechung einseitig zur Durchsetzung ihrer Interessen nutzen möchte, ohne auf die berechtigten Interessen des Beklagten Rücksicht zu nehmen (so zutreffend Knispel, jurisPR-SozR 24/2017).

Die “neue” Rechtsprechung des 1. Senats des BSG begründet daher keinen in die Vergangenheit zurückweisenden öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch der Klägerin gegen den Beklagten (vgl. hierzu auch Sozialgericht Aachen, Urteile vom 14.03.2017 – S 13 KR 436/16 – und vom 18.07.2017 – S 13 KR 159/17 – beide juris –).

Es besteht somit kein Anspruch der Klägerin auf Erstattung der gezahlten Aufwandspauschalen in Höhe von insgesamt 1.800,00 EUR.

Da die Hauptforderung nicht gegeben ist, besteht auch der hier geltend gemachte von der Hauptforderung abhängige Zinsanspruch nicht.

Die Klage war somit abzuweisen.

Die Kostentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung, da weder Klägerin noch Beklagter zu den in § 183 SGG genannten Personen gehören.

Die Sprungrevision gegen dieses Urteil wird nach § 161 Abs. 2 Satz 1 SGG i.V.m. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Soweit ersichtlich liegt zu der hier streitgegenständlichen Frage, ob ein öffentlich-rechtlicher Anspruch auf Erstattung der unter der “alten” Rechtsprechung des BSG gezahlten Aufwandspauschale besteht, eine höchstrichterliche Rechtsprechung nicht vor.