3.04.07 Beatmungsdauer

BeatmungsdauerDie Feststellung der Beatmungsdauer (“Dauer der maschinellen Beatmung”) im G-DRG-System gibt Stoff für kontroverse Diskussionen. Die DKR 1001 „Maschinelle Beatmung“ ist schwer verständlich. Die Richtlinie ist mit den Jahren immer weiter gewachsen, bis sogar Kenner der Materie sich kaum noch in ihr zurechtfinden. In diesem Kapitel werden die Regeln, die für eine Beatmung bei Erwachsenen gelten, übersichtlich und einfach erklärt. Wichtige Sonderregelungen werden zusätzlich beleuchtet. Die Beatmung bei Kindern (insbesondere Neugeborenen) weicht etwas ab und wird in einem anderen Kapitel behandelt.

Beatmungsdauer: Zählen von Beatmungsstunden

Die Dauer der Beatmung in vollen Stunden muss der Kasse bei Entlassung mitgeteilt werden. Dazu steht ein Datenfeld in den „§ 301-Daten“ zur Verfügung. Die anrechenbare Beatmungsdauer wird in Minuten zusammen gezählt. Die gesamte Anzahl Minuten wird dann auch volle Stunden aufgerundet. Eine Beatmung von 61 Minuten ergibt also für die Abrechnung eine Beatmungsdauer von 2 Stunden. Maschinelle Beatmung bedeutet, dass Gase („Luft“) mechanisch in die Lunge bewegt werden. Dazu reicht es auch, wenn eine moderne Beatmungsmaschine Atemanstrengungen des Patienten erkennt und diese aktiv unterstützt. Wenn aber der Patient die ganze Atemarbeit komplett alleine leistet, ist das per Definitionen keine Beatmung. CPAP ist ein Modus, in der die Beatmungsmaschine nur einen gewissen Druck in den Atemwegen aufrecht erhält, die Atembewegungen jedoch nicht aktiv unterstützt. CPAP ist daher grundsätzlich keine maschinelle Beatmung. Allerdings wird CPAP dennoch manchmal zur Beatmungsdauer hinzugezählt (mehr dazu). Falls die Beatmung nicht ununterbrochen stattfand, muss die gesamte Beatmungsdauer durch Zusammenzählen der Beatmungsminuten der verschiedenen Perioden ermittelt werden. Das Aufrunden auf ganze Stunden findet ganz am Ende statt. Es darf also pro Behandlungsfall nur einmal aufgerundet werden.

Anfang einer Beatmungsperiode

Beatmung kann nur angerechnet werden, wenn der Patient „intensivmedizinisch versorgt“ ist. Was das bedeutet, wird bei den Sonderregelungen erläutert. Eine Beatmungsperiode startet, wenn eines dieser Ereignisse eintritt:

  • Der Patient ist bei Aufnahme bereits beatmet und wird sofort intensivmedizinisch Versorgt. Die intensivmedizinische Versorgung kann dabei durchaus in der Notaufnahme anfangen. Es spielt dabei keine Rolle, ob der Patient bei Aufnahme intubiert war oder per Maske beatmet wurde.
  • Eine Beatmung startet, weil der Patient operiert wird (Narkoseeinleitung oder während des Eingriffs). Diese Beatmungsstunden werden nur angerechnet, wenn die maschinelle Beatmung (also nicht nur die Beatmungsperiode!) länger dauerte als 24 Stunden. Wenn diese Beatmungsstunden angerechnet werden, dann werden sie auch komplett angerechnet, ab Anfang der Beatmung.
  • Eine Beatmung beginnt ohne unmittelbaren Zusammenhang mit einer Operation. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Patient intubiert oder per Maske beatmet wird.

Hinweis: Im Zusammenhang mit einer Beatmung muss immer die Art der Sicherung des Atemweges angegeben werden: Endotracheale Intubation (8-701), Trachealkanüle nach Tracheotomie (5-311.-),  Beatmungsmaske (8-706). Sollte das jedoch vergessen worden sein, dürfen die Beatmungsstunden dennoch gezählt werden.

Ende einer Beatmungsperiode

Das Ende einer Beatmungsperiode im Sinne der G-DRG ist nicht immer leicht festzustellen. Es gelten die folgenden Regelungen:

  • Wenn ein Patient während einer maschinellen Beatmung direkt von der Intensivstation aus dem Krankenhaus verlegt wird oder verstirbt, dann ist das Ende der Beatmungsperiode der Zeitpunkt der Verlegung resp. der Todeszeitpunkt.
  • Anderenfalls endet die Beatmungsperiode rückblickend zu dem Zeitpunkt, wo die maschinelle Beatmung endete bevor eine stabile respiratorische Situation auftrat. Anders formuliert: Wenn eine stabile respiratorische Situation festgestellt wird, war die Beatmung rückwirkend beendet, als die Maschine das letzte Mal den Patienten beatmet hat. Nachfolgend wird der Begriff stabile respiratorische Situation erläutert.

Stabile respiratorische Situation und Entwöhnungsphase

Eine stabile respiratorische Situation ist definiert als das Ende der Entwöhnungsphase. Die Entwöhnung, auch „Weaning“ genannt, ist die Periode, in der ein Patient nicht mehr dauerhaft beatmet wird, sondern immer wieder kürzere oder längere Phasen ohne maschinelle Beatmung hat. Das geschieht, indem die Beatmungsmaschine vorübergehend abgekoppelt („diskonektiert“) oder in einem Modus ohne aktive Beatmung (z. B. CPAP) betrieben wird. Wie es der Name schon sagt, soll die Entwöhnung letztendlich zu einer stabilen Eigenatmung ohne maschinelle Unterstützung führen: Zu einer stabilen respiratorischen Situation eben. Die gesamte Zeit zwischen Anfang der Beatmung und rückblickenden Anfang einer stabilen respiratorischen Situation zählt als Beatmungsdauer. Also auch die Zeiten ohne maschinelle Beatmung! Laut Kodierrichtlinie 1001 ist die respiratorische Situation stabil, wenn eine der folgenden Bedingungen erfüllt ist:

  1. Bei einer Beatmungsperiode, die inklusive Entwöhnungsphase höchstens 7 Tage dauerte: Wenn der Patient 24 Stunden ohne maschinelle Beatmung vollständig spontan geatmet hat.
  2. Bei einer Beatmungsperiode, die inklusive Entwöhnungsphase mehr als 7 Tage dauerte: Wenn der Patient 36 Stunden ohne maschinelle Beatmung vollständig spontan geatmet hat.
  3. Bei Patienten, die entwöhnt werden, durch eine abwechselnde Spontanatmung und Unterstützung (aber nicht „Beatmung“!) durch Masken-CPAP, gilt eine besondere Regel, die nachstehend erklärt wird.

In den Fällen unter 1. und 2. war die Beatmungsperiode rückblickend beendet mit der letzten maschinellen Beatmung vor Anfang der 24- resp. 36-stündigen Spontanatmungsphase.

Entwöhnung durch Masken-CPAP

Diese besondere Regelung gilt nur, wenn die (letzte Phase) der Entwöhnung durch abwechselnde Phasen von Spontanatmung und Masken-CPAP erfolgt. Sie gilt also nicht, wenn der Patient über ein Tracheostoma atmet. Beachten Sie: Eine maschinelle Beatmung i. S. der Kodierrichtlinien findet nicht mehr statt, aber dennoch zählt die Zeit als Beatmungsdauer, wenn die nachfolgenden Bedingungen erfüllt sind:

  1. Ein Kalendertag (also von 00:00 – 24:00 Uhr) mit einer gesamten CPAP-Dauer von mindestens 6 Stunden (360 Minuten, hier wird nicht aufgerundet) zählt noch zur Entwöhnungsphase.
  2. Das Ende der Beatmungsperiode ist das Ende der letzten CPAP-Unterstützung am letzten Tag, der noch zur Entwöhnungsphase zählt (s. Ziffer 1.).

Sobald also an einem Tag weniger als 360 Minuten CPAP-Unterstützung dokumentiert sind, ist die Entwöhnung also endgültig abgeschlossen; auch wenn am nachfolgenden Tag wieder mehr als 6 Stunden CPAP gemacht wurde.

Besondere Fragestellungen

Einige Konstellationen geben immer wieder Anlass zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Krankenhäusern und Kostenträgern (MDK) über die korrekte Beatmungsdauer. Diese werden hier speziell beleuchtet.

Entwöhnung bei reiner Maskenbeatmung

Immer weniger Patienten werden, wie in früheren Zeiten üblich, zunächst tief sediert, intubiert und kontrolliert beatmet. Stattdessen wird die Beatmung komplett am wachen Patienten über eine Beatmungsmaske durchgeführt („non-invasive Beatmung“ oder „NIV“). Durch eine differenzierte Beatmungseinstellung kann so eine mehr invasive Behandlung (Intubation, Tracheotomie) vermieden werden. Die Überwachung und Betreuung des wachen, beatmeten Patienten ist aufwendiger als die Betreuung eines tief sedierten Patienten. Dennoch wird diese Behandlungsform seitens der Kostenträger oft als eine Art „unechte“ Beatmung betrachtet. Dadurch wird die Entwöhnung von der Beatmung nicht als Beatmungsdauer akzeptiert. Das Argument, das dazu ins Feld geführt wird: Eine kurze Maskenbeatmungsphase begründe noch keine „Gewöhnung“ an der Beatmung und rechtfertige daher auch keine „Entwöhnung“. In der Folge werden nur die Zeiten der tatsächlichen maschinellen Beatmung, nicht aber die Phasen der Spontanatmung oder CPAP anerkannt. Diese Sichtweise ist durch nichts sachlich begründet: Die Kodierrichtlinien stellen keine Anforderungen an einer Gewöhnung. Das LSG Hessen bestätigte die Position der Krankenhäuser in dieser Frage vollumfänglich (L 1 KR 300/11 vom 05.12.2013). Die Entwöhnung fängt schon mit Anfang der Beatmung an; weitere Einschränkungen oder Bedingungen für den Begriff „Entwöhnung“ gibt es nicht.

„Intensivmedizinisch versorgte“ Patienten und Heimbeatmung

Beatmung zählt ausschließlich, wenn sie am „intensivmedizinisch versorgten“ Patienten erfolgt. Diese Regelung wird bedeutsam, wenn Patienten behandelt werden, die schon zu Hause eine Heimbeatmung („außerklinische Beatmung“) haben. Der Regelgeber will verhindern, dass solche Patienten regelmäßig mit hochpreisigen Beatmungs-DRG vergütet werden, wenn sie wegen einer wenig dramatischen Behandlung (etwa: TUR-Prostata) aufgenommen werden. Diese Einschränkung gibt Anlass zu mehreren kritischen Fragen:

  1. Was genau ist „intensivmedizinisch versorgt“? Kann auch eine Intermediate Care (IMC) oder ein Aufwachraum eine intensivmedizinische Versorgung leisten?
  2. Wer bestimmt, ob ein Patient intensivmedizinisch versorgt werden soll? Der Behandelnde Arzt oder der Kostenträger / der MDK? Gibt es hier auch sowas wie ein „Wirtschaftlichkeitsgebot“?

Zur Frage der Definition der intensivmedizinischen Versorgung hat der FoKA der DGfM eine Stellungnahme abgegeben. Diese ist sehr pragmatisch; etwas Besseres gibt es dazu nicht. Der Text: Der FoKA empfiehlt zur Bewertung des Einzelfalls die Nutzung etablierter Scoringsysteme als Bewertungsmaßstab. Die gebräuchlichsten Scoringsysteme sind der TISS-28 und der Frühreha-Barthel-Index. Beim TISS-28 ist ab 10 Punkten von einer Intensivüberwachung, ab 16 Punkten von einer Intermediate Care Versorgung und ab 23 Punkten von einer intensivmedizinischen Versorgung auszugehen:

  • TISS-28 unter 10 Punkten – keine intensivmedizinische Versorgung
  • TISS-28 10 – 22 Punkte – zusätzliche Einbeziehung des FR-BI
  • TISS-28 mehr als 22 – unstrittige intensivmedizinische Versorgung.

Der Frühreha-Barthel-Index ist in Fällen mit 10-22 TISS-28-Punkten einzubeziehen, da dieser bei weniger als 30 Punkten laut Bundesarbeitsgemeinschaft Rehabilitation eine intensivmedizinische Struktur für die Versorgung der Patienten erforderlich macht. Zu der Frage, wann ein Patient krank genug ist, um intensivmedizinisch Versorgt werden zu “dürfen” und wann er stabil genug ist, um ihn wieder auf die normale Station verlegen zu “müssen”, gibt es noch keine uns bekannte Rechtsprechung. Wir gehen davon aus, dass die Entscheidung im Zweifelsfall dem Krankenhaus und nicht dem Kostenträger oder einem Gericht obliegt. Hier ist eine Grenze der Dokumentations- und Prüffähigkeit erreicht.

Helferlein

Ein Schema für eine systematische Ermittlung der Beatmungsdauer: [button link=”https://www.medcontroller.de/wp-content/uploads/2014/01/2014-Beatmungzeit-Medcontroller.pdf” style=”download” window=”yes”]pdf[/button]
Ein kostenloses Programm, das die Beatmungsdauer für Sie ausrechnet: [button link=”https://www.medcontroller.de/wp-content/uploads/2014/03/2014_Medcontroller_Beatmungsdauer.zip” style=”download” window=”yes”]zip[/button]
Foto: (c) Tyler Olson