3.04.05 Wiederaufnahme wegen Komplikationen

Wiederaufnahme wegen Komplikationen

m.f.G. Dr. Kurt Steffens, FA für Plast. Chirurgie / Handchirurgie – Essen

[dropcap]F[/dropcap]allzusammenführungen werden in der Regel durch strikt formale Regelungen beschrieben. Diese sind so eindeutig, dass sie nur sehr selten zu Streitigkeiten mit den Kassen führen.

Der einzige Grund für eine Zusammenführung, der ein medizinisches Ermessen abverlangt ist die Wiederaufnahme wegen Komplikationen. Entsprechend streiten wir uns über diese Thematik regelmäßig mit der Kostenträgerseite.

Wir suchen nach einer Abgrenzung von “Komplikationen, die im Verantwortungsbereich des Krankenhauses fallen” und schicksalhaften Verläufen. Eine Suche, die nicht ganz einfach ist.

Kernsätze

  1. Als Komplikation betrachten wir einen unerwünschten Verlauf einer Krankheit oder Behandlung, der unerwartet auftritt. Beispiel: Wundheilungsstörung nach Operation.
  2. Ein unerwünschter Verlauf, der häufig oder regelhaft auftritt ist daher keine Komplikation. Beispiel: Erbrechen nach Chemotherapie (sehr häufige unerwünschte Wirkung), Wundschmerz nach Operation (regelhafter Verlauf). Diese Einschätzung wurde vom BSG 2013 (B 3 KR 6/12 R) anders beurteilt.
  3. Wenn eine Komplikation eine (mittelbare) Folge der Behandlung im Krankenhaus ist, fällt diese in den “Verantwortungsbereich des Krankenhauses”. Beispiel: Ein Hämatom, das sich erst  nach der Entlassung offenbart.
  4. Eine Komplikation, der nicht (mittelbare) Folge der Krankenhausbehandlung ist, fällt daher nicht in den “Verantwortungsbereich des Krankenhauses”. Beispiel: Immer wieder auftretende Hypoglykämien bei einem  schwer einstellbaren Diabetes (schicksalhafter Verlauf).
  5. Eine Komplikation, die nicht mit der durchgeführten Leistung zusammenhängt, führt nicht zu einer Fallzusammenführung. Beispiel: Nach einer Blinddarmoperation tritt eine nosokomiale Noro-Gastroenteritis erst nach Entlassung auf.

Die Abrechnungsregel

Sogar im Krankenhausentgeltgesetz wird schon einen Anfang gemacht mit der Regelung:

[box type=”info” style=”rounded” border=”full”]KHEntgG § 8 Abs. 5

Werden Patientinnen oder Patienten, für die eine Fallpauschale abrechenbar ist, wegen einer Komplikation im Zusammenhang mit der durchgeführten Leistung innerhalb der oberen Grenzverweildauer wieder aufgenommen, hat das Krankenhaus eine Zusammenfassung der Falldaten zu einem Fall und eine Neueinstufung in eine Fallpauschale vorzunehmen. Näheres oder Abweichendes regeln die Vertragsparteien nach § 17b Abs. 2 Satz 1 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes oder eine Rechtsverordnung nach § 17b Abs. 7 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes.[/box]

Die Fallpauschalenverordnung (FPV) regelt Näheres:

[box type=”info” style=”rounded” border=”full”]Fallpauschalenverordnung § 2 Abs. 3

Werden Patienten oder Patientinnen, für die eine Fallpauschale abrechenbar ist, wegen einer [highlight]in den Verantwortungsbereich des Krankenhauses fallenden[/highlight] Komplikation im Zusammenhang mit der durchgeführten Leistung innerhalb der oberen Grenzverweildauer, bemessen nach der Zahl der Kalendertage … , wieder aufgenommen, hat das Krankenhaus eine Zusammenfassung der Falldaten zu einem Fall und eine Neueinstufung in eine Fallpauschale vorzunehmen. [highlight]Eine Zusammenfassung und Neueinstufung wird nicht vorgenommen bei unvermeidbaren Nebenwirkungen von Chemotherapien und Strahlentherapien im Rahmen onkologischer Behandlungen.[/highlight][/box]

Die gelb hinterlegten Passagen wurden 2008 erstmals in der FPV aufgenommen und sollen laut Bundessozialgericht auch nur ab 2008 Gültigkeit haben (siehe den Artikel zu B 3 KR 6/12 R vom 19.07.2013)

Die Komplikationen, die uns im Zusammenhang mit der Frage nach einer Wiederaufnahme wegen Komplikationen interessieren, haben also die folgenden Eigenschaften:

  1. Sie hängen mit der durchgeführten Leistung zusammen.
  2. Sie fallen in den Verantwortungsbereich des Krankenhauses.
  3. Sie sind keine unvermeidbare Nebenwirkung von Chemo- oder Strahlentherapie.

Der Regelgeber möchte hier anscheinend verhindern, dass insbesondere bei Patienten, die nach kurzer Verweildauer entlassen wurden, zusätzliche Erlöse wegen Komplikationen abgerechnet werden, wenn die bereits “mit der Fallpauschale bezahlte” Verweildauer noch nicht abgelaufen ist. Das Krankenhaus soll das Risiko von auftretenden Komplikationen tragen.

Was ist eine Komplikation?

Im Internet findet sich die folgende knappe Beschreibung (woxicon.de): Komplikation ist eine Schwierigkeit, die unvorhergesehen eintritt oder auch eine Verwicklung.

Pschyrembel: Eine Komplikation wird als ein Ereignis oder Umstand definiert, durch den der gewohnte Ablauf einer Erkrankung, eines ärztlichen Eingriffs oder natürlichen Vorgangs ungünstig beeinflusst werden kann.

In einem Urteil des SG Hannover (S 44 KR 694/08) wird diese Definition weiter entwickelt mit der Betonung auf das Überraschungselement: “Eine Komplikation ist nach Auffassung der Kammer dann gegeben, wenn es sich um eine unvorhersehbare Verschlimmerung handelt, die von dem gewöhnlichen Procedere abweicht.

Die Ausnahme von “unvermeidbaren” Nebenwirlungen von Chemo- oder Strahlentherapie zeigt, dass der Regelgeber nicht jede Art von Komplikation zu Lasten des Krankenhauses gehen lassen möchte. Die Übelkeit nach Chemotherapie ist eine sehr häufige Nebenwirkung. Damit scheint die Betonung des Überraschungselementes als Abgrenzung von einem (fast) regelhaften Verlauf sachgerecht zu sein. Allerdings bleibt offen, inwiefern diese Logik auch für andere Konstellationen (etwa das Auftreten von starken Schmerzen nach Hämorrhoidenoperation) anwendbar ist.

Was ist der “Verantwortungsbereich des Krankenhauses”?

Die Ergänzung in 2008 sollte eigentlich klarstellen, dass das Krankenhaus nicht haften soll für Komplikationen, für die es keine verantwortung übernehmen muss. ein viel gehörtes Argument war, dass der Patient sich möglicherweise nicht an den Empfehlungen / Anordnungen der Ärzte hält und dadurch “selber Schuld” hat an einer Komplikation (Tuba spielen mit frisch operierter Leistenhernie). Damit wird der Verantwortungsbereich verknüpft mit “Schuld”.

So argumentiert das SG Landshut in einem Urteil zu einer Nachblutung nach Nasenoperation (S 1 KR 223/09), wenn es die Nachblutung nicht sicher dem Verantwortungsbereich des Krankenhauses zurechnet. Das Gericht sieht dafür eine Beweispflicht bei der Kasse (da soll die Kasse sinngemäß nachweisen, dass der Patient nicht in der Nase “gepopelt” hat).

Schuld und Verantwortung

Der dritte Senat des BSG sieht die Frage in seinem Urteil zu einem Hämatom an der Vaginaspitze nach Hysterektomie  (B 3 KR 15/11 R vom 12.07.1012) etwas anders. Die Gleichsetzung von Verantwortung und Schuld werde dem Sinn der Regelung nicht gerecht. Zweck der Regelung sei es, finanzielle Anreize für eine verfrühte Entlassung zu vermeiden, so das Gericht. Das bedeutet, dass der Passus in der FPV über den Verantwortungsbereich sich im Grunde wieder erübrigt. Der Verantwortungsbereich ist in der Dogmatik des Bundessozialgerichtes gleichgesetzt mit “Zusammenhang mit der durchgeführte Leistung”.

Die Selbstverwaltung hat sich bei der Formulierung der FPV sicherlich von einem anderen Gedanken leiten lassen: Wenn “unvermeidbare” Nebenwirkungen von der Regelung ausgeschlossen werden, muss es im Umkehrschluss auch “vermeidbare” Nebenwirkungen geben, die eine Fallzusammenführung auslösen. Da ist das “vorwerfbare Verhalten” nicht mehr weit. Allerdings muss man dabei durchaus feststellen, dass die in der FPV getroffene Regelung alles andere als eindeutig ist. Zu viel Raum für gegenläufige Interpretationen ist nicht gut im Krankenhausvergütungsrecht. Das erleben alle Beteiligte bei der täglichen Arbeit nur allzu deutlich.

Das BSG ändert durch seine Interpretation mal wieder den Sinn der Regelwerke. Dadurch haben die Krankenhäuser in Zukunft wahrscheinlich weniger Argumentationsmöglichkeiten. Andererseits wird die Regelung dadurch einfacher in der Handhabung und das war bitter nötig!