Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 121/97

Bayerisches Landessozialgericht

Urteil vom 16.07.1998 (nicht rechtskräftig)

  • Sozialgericht Regensburg S 2 Kr 88/97
  • Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 121/97

 

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 29. Oktober 1997 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist u.a. die Kostenerstattung privatärztlicher Therapien.

Der 1961 geborene und bei der Beklagten pflichtversicherte Kläger reichte Ende November 1996 bei der Beklagten mehrere Rechnungen und Rezepte über privatärztliche Behandlungen bzw. Verordnungen, Quittungen von Apotheken sowie eine Rechnung eines Heilpraktikers im Gesamtbetrag von 4.603,74 DM ein. Mit Bescheid vom 27.11.1996 lehnte sie eine Kostenerstattung im Hinblick auf den Sachleistungsanspruch auf ärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arzneimitteln ab und verneinte auch eine Rückvergütung des Eigenanteils für die Krankenhausbehandlung. Sie wies den Widerspruch nach zweimaliger Anhörung des Klägers mit Bescheid vom 25.07.1997 mit dieser Begründung und wegen der fehlenden Antragstellung vor Beginn der Privatbehandlung zurück.

Der Kläger hat mit der dagegen am 20.08.1997 beim Sozialgericht Regensburg (SG) erhobenen Klage wie im Widerspruchsverfahren geltend gemacht, seine Leiden seien durch die Privatbehandlung gebessert worden. Das SG hat mit Urteil vom 29.10.1997 die Klage u.a. mit der Begründung zurückgewiesen, Rechnungen nicht zugelassener Ärzte und Heilpraktiker sowie Rechnungen zugelassener Ärzte über private Behandlungen seien nicht erstattungsfähig. Es habe auch kein Notfall vorgelegen. Zu einer Rückerstactung der Zuzahlung für die Krankenhausbehandlung sei die Beklagte nicht verpflichtet.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 02.12.1997, mit der er unter Vorlage mehrerer Arztbriefe sowie Befunde der Psychosomatischen Klinik Buching und des Bezirkskrankenhauses Regensburg geltend macht, die Behandlungen seien wegen der durch Dr … und Dr … nachgewiesenen Amalgamvergiftung und anderer Erkrankungen notwendig gewesen. Es seien auch die laufenden Kosten künftig zu erstatten.

Er hat u.a. auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und anderer Landessozialgerichte hingewiesen, die die Krankenkassen zur Kostenübernahme unüblicher Therapien verpflichtet hätten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 29.10.1997 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27.11.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.07.1997 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten der privaten ärztlichen und zahnärztlichen Behandlung, Heilpraktiker- kosten einschließlich verordneter Medikamente, die Kosten selbstbeschaffter Arzneimittel aus Apotheken und die Zuzahlung für den Krankenhausaufenthalt in Neukirchen zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Akten der Beklagten und des SG, auf deren Inhalt im übrigen Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung (§ 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG -) ist zulässig; der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 1.000,- DM (§ 144 Abs.1 Satz 1 Nr.1 SGG).

Die Berufung ist zurückzuweisen; das angefochtene Urteil ist nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten der geltend gemachten Leistungen und Arzneimittel sowie auf Rückerstattung der Zuzahlung zur Krankenhausbehandlung. Gemäß § 13 Abs.3 Sozialgesetzbuch V (SGB V) setzt ein Kostenerstattungsanspruch entweder voraus, daß die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden sind. An beiden Voraussetzungen fehlt es hier.

Die streitigen Behandlungen aus dem Jahr 1996 waren keine unaufschiebbaren Leistungen. Hierzu zählen vor allem Notfälle im Sinne des § 76 Abs.1 Satz 2 SGB V. Sie setzen neben dringender Behandlungsbedürftigkeit voraus, daß die Behandlung durch einen zugelassenen Arzt bzw. Zahnarzt nicht möglich war und der Versicherte daher auf die Hilfe eines an der vertragsärztlichen Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen nicht teilnahmeberechtigten Arztes angewiesen war (Kasseler Kommentar-Höfler, § 13 SGB V, Rdnr.8; Kasseler Kommentar-Hess, § 76 SGB V, Rdnr.11, jeweils mit weiteren Nachweisen auf die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts – BSG -). Hieran fehlt es, weil dem Kläger in Regensburg eine große Zahl zugelassener Ärzte und Zahnärzte zur Verfügung steht. Soweit der Kläger Privatbehandlung durch einen zugelassenen Arzt (Dr …) in Anspruch genommen hat, liegt ein Notfall im og Sinn gleichfalls nicht vor. Die Beklagte hat ihn zu Recht auf den Sachleistungsanspruch (§ 2 Abs.1, 2 SGB V) verwiesen. Gründe für andere dringliche Bedarfslagen (Kasseler Kommentar-Höfler aaO), wie z.B. Systemstörungen oder Versorgungslücken, sind nicht ersichtlich.

Die Beklagte hat die geltend gemachten Leistungen auch nicht zu Unrecht abgelehnt. Der Kläger hat als Versicherter einen Sachleistungsanspruch auf Krankenbehandlung, die u.a. die ärztliche Behandlung sowie die Versorgung mit Arzneimitteln umfaßt (§ 27 Abs.1 Satz 2 Nrn.1, 3 in Verbindung mit § 2 Abs.2 SGB V).

Dieser Behandlungsanspruch in Form von Sachleistungen erstreckt sich auch auf Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen (§ 2 Abs.1 Satz 2 SGB V). Die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) hat zum Sachleistungsprinzip der gesetzlichen Krankenversicherung entschieden, daß Kosten für eine selbst beschaffte Leistung im Regelfall nicht zu erstatten sind, wenn der Versicherte sich die Leistung besorgt, ohne zuvor mit der Krankenkasse Kontakt aufzunehmen und deren Entscheidung abzuwarten (BSG vom 10.02.1993 SozR 3-2200 § 182 RVO Nr.15; BSG vom 16.12.1993 SozR 3-2500 § 12 Nr.4; BSG, Beschluss vom 15.04.1997 – 1 BK 31/96, SozSich 1998, 38; BSG vom 24.09.1996, BSGE 79, 125). Damit schließt § 13 Abs.3 SGB V eine Kostenerstattung für die Zeit vor der Leistungsablehnung generell aus (BSG vom 10.05.1995 SozR 3-2500 § 33 Nr.15). Das BSG hat hierzu ausgeführt, daß Kosten für eine selbstbeschaffte Leistung, soweit diese nicht ausnahmsweise unaufschiebbar war, nur zu ersetzen sind, wenn die Krankenkasse die Leistungsgewährung vorher abgelehnt hatte; ein Kausalzusammenhang und damit eine Kostenerstattung scheiden aus, wenn der Versicherte sich die streitige Behandlung außerhalb des vorgeschriebenen Beschaffungsweges selbst besorgt, ohne sich vorher mit seiner Krankenkasse ins Benehmen zu setzen und deren Entscheidung abzuwarten. Denn den Krankenkassen muß zur Vermeidung von Mißbräuchen vorab die Prüfung ermöglicht werden, ob die beanspruchte Behandlung im Rahmen des vertragsärztlichen Versorgungssystems bereitgestellt werden kann und, falls dies nicht möglich ist, ob sie zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung gehört, insbesondere den Anforderungen der Geeignetheit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung genügt (§§ 12, 70 SGB V). Der Versicherte muß daher vor Inanspruchnahme einer Behandlung außerhalb des Systems grundsätzlich sich an seine Krankenkasse wenden und die Gewährung beantragen.

Der Kläger hat im vorliegenden Fall die Behandlung durch nicht zugelassene Ärzte und die Privatbehandlung zugelassener Ärzte in Anspruch genommen sowie sich Arzneimittel auf Privatrezept beschafft und anschließend Kostenerstattung beantragt. Diese Verfahrensweise verpflichtet die Beklagte nicht, die geltend gemachten Kosten zu erstatten.

Unabhängig davon sind die Kosten für die Inanspruchnahme eines Heilpraktikers von vornherein nicht erstattungsfähig. Denn gemäß § 15 Abs.1 SGB V wird ärztliche oder zahnärztliche Behandlung von Ärzten oder Zahnärzten erbracht. Aus diesem sogenannten Arztmonopol ist zu schließen, daß die selbständige Behandlung anderer Heilberufe im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung von den Krankenkassen nicht zu übernehmen ist. Der Arztvorbehalt wird mit dem Bestreben des Gesetzgebers begründet, die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zur Grundlage der medizinischen Versorgung zu machen sowie ausreichende Ausbildung, Kontrolle und Überwachung der Heilpersonen zu gewährleisten (Kasseler Kommentar-Höfler, § 15 SGB V RdNr 5 mit weiteren Nachweisen auf die ständige Rechtsprechung des BSG).

Da der Kläger rechtswidrig vom Sachleistungsgrundsatz der gesetzlichen Krankenversicherung abgewichen ist, kommt es somit auf die von ihm genannte Rechtsprechung zu Außenseitermethoden nicht an.

Schließlich ergibt sich aus der Rechtsprechung des EuGH, auf die der Kläger Bezug genommen hat, nicht eine Leistungsverpflichtung der Beklagten (EuGH vom 28.04.198 – C – 120/95 und C – 198/96, vgl. z.B. KrV 1998, 187). Denn die Entscheidungen befassen sich mit der grenzüberschreitenden Inanspruchnahme von ganz bestimmten im Ausland bezogenen Leistungen, während im vorliegenden Fall eine Behandlung im Inland streitig ist. Daraus kann aber nicht mit Recht der Schluß gezogen werden, daß es für inländische Behandlungen auf die Zulassung der Leistungserbringer nicht mehr ankommt. Der EuGH hat seine Entscheidungen im wesentlichen auf den Grundsatz des freien Verkehrs von Dienstleistungen ohne die Notwendigkeit, vorher eine Genehmigung einholen zu müssen, gestützt und zudem ausgeführt, daß das Gemeinschaftsrecht die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit unberührt läßt.

Der Kläger hat gegen die Beklagte auch keinen Anspruch auf Rückerstattung der Zuzahlung für die Krankenhausbehandlung in der Klinik Neukirchen. Mangels spezialgesetzlicher Regelung im SGB V richtet sich der geltend gemachte Anspruch nach den Grundsätzen des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs (BSG vom 11.10.1994, BSGE 75, 167 mit weiteren Nachweisen). Auf diesen Anspruch kann sich auch ein Versicherter stützen, wenn zu seinen Lasten eine Vermögensverschiebung eingetreten ist und ein Versicherungsträger etwas erhalten hat, was ihm nicht zusteht.

Der Anspruch scheitert zwar nicht daran, daß die Zuzahlung an das Krankenhaus zu leisten ist; denn die Krankenkasse bleibt Inhaberin des Anspruchs auf Zuzahlung, während das Krankenhaus nur einen gesetzlichen Inkassoauftrag hat (§§ 39 Abs.4, 43 b SGB V). Der geltend gemachte Anspruch besteht aber nicht, weil die Zuzahlung mit Rechtsgrund geleistet worden ist. Die Zuzahlung ist als eine Form der Selbstbeteiligung an der Krankenhausbehandlung unter den Voraussetzungen des § 39 Abs.4 SGB V von den Versicherten zu leisten ohne Rücksicht darauf, ob die Behandlung aus der Sicht des Versicherten den gewünschten Erfolg bewirkt hat. § 39 Abs.4 SGB V geht auf die frühere Regelung des § 184 Abs.3 RVO zurück. Der Gesetzgeber hatte die Zuzahlung durch das HaushBG vom 20.12.1982 (BGBl. I S.1857) eingeführt, um die Beitragssätze in der Krankenversicherung zu stabilisieren (Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 184 RVO, Anm.10) und aus diesen Gründen in das geltende Recht übernommen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 Nrn.1, 2 SGG).