Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 227/05

Bayerisches Landessozialgericht

Urteil (rechtskräftig)

Sozialgericht München S 3 KR 139/03
Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 227/05
Bundessozialgericht B 3 KR 27/08 B

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 08. Juni 2005 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Erstattung von 16.011,05 EUR an Kosten für eine durch Nichtvertragsarzt Dr.M. durchgeführte stationäre Wirbelsäulenoperation. Wegen eines Wirbelsäulenschadens aus den neunziger Jahren wurde die Klägerin am 08.03.2001 durch Prof.Dr.L. im Krankenhaus M. operiert. Nach einer Dekompression der Wurzel L 4 und L 5 auf beiden Seiten sowie S 1 und S 2 auf der rechten Seite erfolgte die Anbringung einer Aufspreiz- und Abstützvorrichtung der LWK 3 auf SWK 1. Aufgrund neuerlicher Schmerzen in den Beinen sowie an der Lendenwirbelsäule erfolgte am 30.05. und 01.06.2001 erneute Abklärung durch eine lumbale Myelographie und einem Postmyelo-CT. Dabei wurde eine geringe Einengung von 11 mm in Höhe von LWK 2/3 festgestellt, was von Dr.L. nicht als operationswürdiger Befund gewertet wurde. Danach hat sich die Klägerin im Krankenhaus B. nicht mehr vorgestellt. Einige Tage später, am 08.06.2001 wurde die Klägerin in der S.klinik in Bad E. , Fachkrankenhaus für Orthopädie, aufgenommen und wurde dort unter der Leitung von Dr.H. bis 28.07.2001 behandelt.

Zuvor hatte sie am 06.06.2001 sich erstmals von Dr.M. in U. untersuchen lassen, der eine Entfernung der bestehenden Titanmetalle anregte sowie eine Korrektur der Geometrie bei L 3 und L 4 sowie L 2 und S 1 zu fixieren. Der Klägerin wurde ein Kostenvoranschlag über die notwendigen Aufwändungen in Aussicht gestellt, der dann am 02.08.2001 erstellt und sich in vier Teile gliederte, nämlich stationäre Versorung, Neurochirurgie, Anästhesie und perioperatives Management sowie postoperative hyperbare Sauerstofftherapie. Von der E. Klinik wurde die Klägerin am 04.07. zur neurologischen Untersuchung bei Dr.B. vorgestellt, aus dessen Befundbericht sich kein Operationsvorschlag ergibt.

Die Aufnahme in die Tagesklinik S. im HBO-Zentrum U. erfolgte am 06.08.2001. Tags darauf operierte Dr.M. in der vorgeschlagenen Weise. Die Klägerin wurde stationär bis 28.08.2001 behandelt. Am 07.08.2001 erreichte die Beklagte der Antrag der Klägerin, die Klinikkosten in dem HBO-Zentrum U. zu übernehmen, zusammen mit den Befunden des Dr.M. von der Operation.

Dr.W. vom MDK, der von der bereits ausgeführten Operation nichts wusste, schlug am 21.08.2000 vor, dass die Klägerin in der Klinik V. weiter zu behandeln sei. Daher lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 21.08.2001 (ohne Rechtsmittelbelehrung) es ab, die Kosten der Behandlung in U. zu übernehmen und verwies die Klägerin auf die Behandlungsmöglichkeiten in V. , B. und der Universitätsklinik R …

Die von der Klägerin im Mai 2002 hereingereichten Unterlagen über die Operation von Dr.M. am 07.08.2001 sowie Befunde aus der Klinik Bad E. und weiterer Ärzte ließ die Beklagte durch Dr.S. vom MDK auswerten. Dieser kam am 21.06.2002 zu dem Ergebnis, dass keine Indikation für eine schnelle Reoperation der Lendenwirbelsäule aus den vorhandenen Unterlagen zu entnehmen sei, vielmehr sei noch eine weiterführende Diagnostik und Abklärung vor einem erneuten Eingriff zumutbar gewesen, die gegebenenfalls auch in einer Vertragsklinik hätte durchgeführt werden können. Demgemäß lehnte die Beklagte es am 08.07.2002 erneut ab, Kosten zu übernehmen. Auch Dr.E. vom MDK sah bei einer neuerlichen Auswertung am 05.11.2002 auf den Widerspruch der Klägerin hin keine Bedarfslage, welche die Inanspruchnahme des Dr.M. gerechtfertigt hätte. Darauf gestützt, wies die Beklagte den klägerischen Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 21.01.2003).

Dagegen ist am 20.02.2003 Klage erhoben worden, denn die Operation bei Dr.M. sei dringlich und unaufschiebbar wegen einer akuten Einklemmung der Nervenwurzel L 5, S 1 beiderseits gewesen, wie das der Orthopäde Dr.L. im beigefügten Attest vom 04.02.2003 bestätigte. Auch der Neurologe Dr.M. , der die Klägerin am 04.07.2003 untersuchte, kam rückschauend zu dem Ergebnis, dass die Operation bei Dr.M. sinnvoll und notwendig gewesen sei. Dies bestätigte Dr.H. , Bad E. , in weiteren Stellungnahmen vom November 2003 gegenüber der Klägerin bzw. dem Sozialgericht. Nach mündlicher Verhandlung am 08.06.2005 hat das Sozialgericht München die Klage mit Urteil vom gleichen Tage abgewiesen und einen Erstattungsanspruch verneint, weil das Verhalten der Beklagten nicht kausal für die Entstehung der Behandlungskosten gewesen sei. Es habe auch keine Notlage im Sinne der Erstattungsvorschrift des § 13 SGB V vorgelegen. Eine Sofortmaßnahme wäre damals nicht geboten gewesen. Im Übrigen wäre bei einem echten Notfall die Klinik verpflichtet gewesen, mit der Beklagten abzurechnen und hätte sich nicht an die Klägerin wenden dürfen.

Mit der Berufung von 05.08.2005 betont die Klägerin noch einmal ihre Notsituation zur damaligen Zeit. Die Operation in B. sei „Pfusch“ gewesen und danach habe sie in keinem Vertragskrankenhaus jemanden gefunden, der sie habe operieren wollen. Dazu hat Dr.L. erneut Stellung genommen und die Wichtigkeit einer Nachoperation betont. „Wenn die Patientin dann, wie im vorliegenden Falle, bei weiteren Vertragsärzten im M. Raum vorstellig wurde und diese ebenfalls aus Kompetenzproblemen ablehnten und an Herrn Dr.M. verwiesen, so musste Frau D. zwangsläufig diese für sie letzte Möglichkeit ergreifen.“ Dr.E. vom MDK hat nach erneuter Prüfung der Unterlagen weiterhin das Vorliegen der Notsituation verneint.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 08.06.2005 und die zugrundeliegenden Bescheide der Beklagten vom 21.08.2001 und 08.07.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.01.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr 16.011,05 EUR zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Im Übrigen wird zur weiteren Darstellung des Tatbestandes auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und der beigezogenen Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§ 144, 151 SGG). In der Sache selbst ist sie nicht begründet, weil das Sozialgerichtsurteil nicht zu beanstanden ist.

Für die begehrte Kostenerstattung kommt als Anspruchsgrundlage allein § 13 Abs.3 SGB V in seiner ersten oder zweiten Alternative in Betracht, wie das zutreffend vom Sozialgericht dargestellt wurde. Dabei bereitet eine Verurteilung der Beklagten schon deswegen Schwierigkeiten, weil die geforderte Geldsumme unzureichend spezifiziert ist. Allerdings kann nach der vorgelegten Kopie der Überweisungsträger davon ausgegangen werden, dass die Klägerin die geforderte Summe tatsächlich nach U. überwiesen hat.

§ 13 Abs.3 SGB V sieht in seiner ersten Alternative eine Kostenerstattungspflicht der Krankenkasse vor, wenn sie eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte und dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind. Hier hat die Beklagte die Unaufschiebbarkeit der am 07.08.2001 durchgeführten Operation bezweifelt, obwohl Dr.H. , Bad E. , den Leidensdruck der Klägerin immer wieder geschildert hat. Aus dem zeitlichen Ablauf ergibt sich allerdings, dass ein so dringender Behandlungsbedarf, der der Klägerin keine andere Wahl gelassen hätte als unverzüglich Dr.M. aufzusuchen, ohne vorher wegen der Inanspruchnahme einer Privatklinik Kontakt mit ihrer Krankenkasse aufzunehmen, nicht vorgelegen hat (vgl. BSG vom 14.12.2006 – SozR 4-2500 § 13 Nr.12 Rdnr.23). Es lag zwar nach Auffassung nicht aller, aber der behandelnden Ärzte in der S.klinik, die sich dazu wohl nicht imstande sahen, eine dringliche Indikation zur Operation vor, weil angeblich sogar die Gefahr von Lähmung bestand (was Dr.B. als Neurologe am 04.07.2001 so jedoch nicht geschildert hatte), doch war nicht eine solche Eilbedürftigkeit gegeben, dass die Klägerin keine andere Alternative hatte, als am 06.08.2001 nach U. zu fahren und sich dort in Behandlung zu begeben. Vielmehr hatte sie bereits zwei Monate zuvor am 06.06.2001, also noch bevor sie sich in Bad E. hatte aufnehmen lassen, Dr.M. bereits konsultiert. Allein aus diesem Ablauf ergibt sich, dass die Schilderungen von Dr.L. in seiner rückwirkenden Betrachtungsweise, den Ablauf nicht zutreffend wiedergeben. Die Entfernung zwischen dem Heimatort der Klägerin und der Klinik in U. spricht auch gegen das Vorliegen einer Situation, die unverzügliches Handeln allein dort gefordert hätte. Der Klägerin ist dann auch ein Kostenvoranschlag für die Privatbehandlung unterbreitet worden, den sie jedoch erst am Tage der Operation der Beklagten zugeleitet hat. Die Klägerin litt unstreitig in den Monaten Juni und Juli 2001 unter erheblichen Schmerzen und körperlichen Beeinträchtigungen. Es fanden sich anscheinend neben Dr.M. zum damaligen Zeitpunkt auch ärztliche Stimmen, die eine Reoperation befürworteten, während andere Fachärzte, so die Klinik in V. und das Klinikum R. noch eingehendere Untersuchungen vorschlugen, nachdem ein Kernspin in der Klinik in S. keine gesicherten Ergebnisse gebracht hatte. Eine Notlage im Sinne des § 13 Abs.3 SGB V erste Alternative ist daher zu verneinen und kann den gewünschten Erstattungsanspruch nicht tragen.

Aber auch die zweite Alternative des § 13 Abs.3 SGB V scheidet aus, weil die Beklagte nicht zu Unrecht notwendige Leistungen abgelehnt hat und dadurch der Klägerin Kosten entstanden sind. Obwohl die Klägerin bereits am 06.06.2001 sich von Dr.M. hat untersuchen und beraten lassen und diese Leistungen ihr auch in Rechnung gestellt worden waren, hatte sie nicht versucht, sich mit der Beklagten in Verbindung zu setzen, um dort zu erreichen, dass diese sie mit einer solchen Behandlung, sei es in einer Vertragsklinik oder eben im Behandlungszentrum U., versorge. Von Dr.H. wird dies mit der durchaus nachvollziehbaren Sorge um das gesundheitliche Wohl begründet, welches die Kostenfrage zunächst hätte in den Hintergrund treten lassen. Dieses Versäumnis ist aber der Beklagten nicht zuzurechnen, sondern bleibt im Risikobereich der Klägerin. Erheblich für die Kostenfrage ist aber stets – von den oben erörterten Notfällen abgesehen – die vorherige Einbeziehung der Krankenkasse, die ja die Kosten tragen soll. Eine vorherige Prüfung und eventuelle Beratung durch die Krankenkasse ist sachgerecht und erforderlich. Die Gelegenheit zur vorherigen Prüfung ist zwingende Voraussetzung, um eine eventuelle Leistungspflicht feststellen zu können (vgl. BSG vom 14.12.2006 a.a.O. Rdnr.12). Das war der Beklagten nach dem oben geschilderten Ablauf nicht mehr möglich, so dass ihr Verhalten nicht ursächlich für die entstandenen Kosten ist. Sie hat dafür nicht aufzukommen.

Daher sind auch die rückschauenden Schlußfolgerungen der Ärzte Dres.L. und M. ohne rechtliche Auswirkung.

Angesichts des Verfahrensausgangs besteht kein Anlass, der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten zu erstatten (§ 193 SGG). Gründe, die Revision nach § 160 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.