Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 305/08
Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 22.04.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 19 KR 1493/06
Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 305/08
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 23. September 2008 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung von Kosten für die am 30.01.2006 in der Schweiz durchgeführte Tender-Point-Operation bei Fibromyalgie in Höhe von 2.051,16 EUR und für die am 25.05.2006 durchgeführte Kontrolluntersuchung in Höhe von 150,00 EUR (= insgesamt 2.201,16 EUR) streitig.
Die 1943 geborene Klägerin, bei der Beklagten gegen Krankheit versichert, litt nach einem Attest des Allgemeinarztes Dr. G. vom 16.01.2006 an einem fortgeschrittenen Fibromyalgie-Syndrom mit Ganzkörperschmerzen.
Am 19.01.2006 beantragte Dr. G. bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine Tender-Point-Operation bei Prof. Dr. J. B. in B. in der Schweiz.
Nach Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme des MDK vom 24.01.2006 lehnte die Beklagte mit streitigem Bescheid vom 24.01.2006 – ohne Rechtsbehelfsbelehrung – den Antrag auf Kostenübernahme ab. Hier handle es sich um eine unkonventionelle Behandlungsmethode, wobei die therapeutische Wirksamkeit bisher durch keine wissenschaftlichen Studien belegt sei. Alternativ könne bei der vorliegenden Diagnose u.a. eine fachrheumatologische Behandlung mit einer entsprechenden Medikation einschließlich Intensivierung durch sekundärpräventive Vorsorgemaßnahmen durchgeführt werden.
Am 30.01.2006 wurde die Operation durch Prof. Dr. B. in der Schweiz ambulant durchgeführt. Am 31.01.2006 stellte Prof. Dr. B. hierfür einen Betrag von 2.051,16 EUR der Klägerin in Rechnung, durch Rechnung vom 25.05.2006 darüber hinaus einen weiteren Betrag von 150,00 EUR für eine Kontrolluntersuchung nach der Operation am 25.05.2006.
Nach Einholung eines weiteren ausführlichen Gutachtens des MDK vom 26.06.2006 lehnte die Beklagte mit weiterem streitgegenständlichen Bescheid vom 10.07.2006 erneut den Antrag der Klägerin ab.
Zur Begründung des dagegen erhobenen Widerspruchs wurde im Wesentlichen ausgeführt, nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 06.12.2005 sei bei einer schweren Krankheit, für die es keine gängige Heilmethode gebe, nicht erforderlich, dass die Wirksamkeit durch wissenschaftliche Studien belegt sei. Es genüge schon eine entfernt liegende Aussicht auf Heilung.
Mit Widerspruchsbescheid vom 07.12.2006 bestätigte die Beklagte ihren Ausgangsbescheid. Erneut wies sie darauf hin, dass es nach entsprechender Diagnostik sehr wohl rationale, wissenschaftsbezogene Behandlungsmöglichkeiten gebe. Die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Beschlusses des BVerfG vom 06.12.2005 lägen nicht vor.
Gegen den Widerspruchsbescheid vom 07.12.2006 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht München (SG) erhoben, mit der sie ihr Begehren weiter verfolgte. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die von Prof. Dr. B. praktizierte Behandlungsmethode führe in 66 % der Fälle zu einem langfristigen vollständigen Heilerfolg und darüber hinaus in einem bedeutenden Anteil der Fälle zu wesentlichen Verbesserungen der Schmerzen. Des Weiteren hat die Klägerin auf ein in einem zivilrechtlichen Verfahren vom Gericht eingeholtes Gutachten von Prof. Dr. med. J. Z. vom 24.03.2006 verweisen lassen, wonach es sich bei der Fibromyalgie um eine unheilbare Krankheit handle und dass die operative Methode auf einer wissenschaftlichen Theorie vergleichbar der Akupunktur geeignet sei, bei einer Vielzahl von Patienten die Symptome einer Fibromyalgie zu bessern.
Mit Urteil vom 23.09.2008 hat das SG die Klage abgewiesen. Da die Operation ambulant ausgeführt wurde und eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode darstelle, hätte sie zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gemäß § 135 SGB V nur erbracht werden dürfen, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss in seinen Richtlinien für die Anwendung dieser Methode Empfehlungen abgegeben hätte. Solche Empfehlungen des Gemeinsamen Bundesausschusses oder seiner Vorläufereinrichtung hätten jedoch nicht vorgelegen. Ebenso sei ein Systemversagen zu verneinen gewesen, das nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ausnahmsweise zur Anwendbarkeit einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode führen könne, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss oder eine der antragsberechtigten Institutionen untätig bleibt, obwohl die Voraussetzungen für die Anerkennung dieser Methode vorlägen. Die Voraussetzungen für die Anerkennung einer neuen Methode lägen jedoch frühestens dann vor, wenn die Methode dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht. Davon könne bei der Tender-Point-Operation keine Rede sein. Wie der MDK überzeugend dargelegt habe, werde die Methode von niemand anderem als Prof. Dr. B. angewandt. Sämtliche Studien bezüglich der Wirksamkeit der Methode seien von Prof. Dr. B. selbst retrospektiv bezüglich des Erfolges an den von ihm selbst behandelten Patienten vorgenommen worden. Bei einer solchen Vorgehensweise sei in methodischer Hinsicht ein Ausschluss möglicher Placebo- oder Suggestiveffekte nicht zu führen. Auch die von der Klägerin vorgelegten Untersuchungsergebnisse und Veröffentlichungen würden ausschließlich von Prof. Dr. B. selbst stammen. Bestätigt werde die Einschätzung des MDK durch die wissenschaftliche Leitlinie „Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie des Fibromyalgie-Syndroms“ der Deutschen Fibromyalgie-Vereinigung und Deutschen Rheuma-Liga in Zusammenarbeit mit weiteren wissenschaftlichen Fachgesellschaften. Darin werde ausgeführt, die operative Lösung von „Verwachsungen“ an Akupunkturpunkten im Bereich von Tender-Points widerspreche den aktuellen Erkenntnissen über die Ursachen und Krankheitsmechanismen des Fibromyalgie-Syn-droms. Erfolge dieser Behandlung seien bisher nur von einer Arbeitsgruppe beschrieben worden. Daher werde von dieser Behandlungsmethode abgeraten. Dass die Methode von Prof. Dr. B. wissenschaftlich nicht allgemein anerkannt sei, werde auch durch das von der Klägerin selbst vorgelegte Gutachten von Prof. Z. bestätigt, in dem auf Seite 19 ausgeführt werde, das Krankheits- und Therapiekonzept des Prof. Dr. B. habe bislang noch keinen Eingang in die Schulmedizin gefunden; aussagekräftige, insbesondere unabhängige Studien zum Wirksamkeitsnachweis stünden noch aus.
Auch die Voraussetzungen des Beschlusses des BVerfG vom 06.12.2005 lägen nicht vor, da es sich bei der Fibromyalgie zwar möglicherweise um eine schwerwiegende, aber weder um eine lebensbedrohliche noch um eine regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung handle. Auch schwere Schmerzen, die zu einer massiven Beeinträchtigung der Lebensqualität bis hin zur Erwerbsunfähigkeit oder suizidalen Gedanken führen, könnten für sich genommen diese Voraussetzungen nicht erfüllen. Dies habe das BSG in ähnlich belastenden Situationen, wie im vorliegenden Fall, mehrfach entschieden. Die von der Klägerin beschriebenen Schmerzen und ihre Folgen seien mit den vom BSG entschiedenen Fällen vergleichbar. Keine weiteren Erkenntnisse, die für die Entscheidung relevant wären, liefere (auch) das von der Klägerin vorgelegte Gutachten von Prof. Dr. Z. nicht. Die darin bestätigte Unheilbarkeit der Erkrankung sei für sich genommen ohne Belang, da es nach den Kriterien des Beschlusses des BVerfG nicht um allein die Frage der Unheilbarkeit, sondern um die Schwere der Erkrankung gehe.
Gegen das Urteil vom 23.09.2008 richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihr Begehren weiter verfolgt. Sie vertritt weiter die Auffassung, dass die Verpflichtung zur verfassungskonformen Auslegung der Leistungsvorschriften des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung gerade nicht lediglich Fälle des Vorliegens einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung betreffe. Das SG und die von ihm zitierte Rechtsprechung verkenne vielmehr, dass das BVerfG eine mögliche Notwendigkeit zur grundrechtsorientierten Auslegung der Leistungsvorschriften des Krankenversicherungsrechts sowohl in den, in denen das Grundrecht auf Leben als auch in den Fällen, in denen das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit betroffen ist und darüber hinaus bei der Verweigerung einer medizinischen Behandlung das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip berührt sieht. Das angefochtene Urteil widerspreche auch dem Gleichheitsgrundsatz.
Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 23.09.2008 sowie die zugrundeliegenden Bescheide der Beklagten vom 24.01. und 10.07.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.12.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin die Kosten der Behandlung durch Prof. Dr. B. in Höhe von insgesamt 2.201,16 EUR zu erstatten.
Die Vertreter der Beklagten beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen weiterer Einzelheiten wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf den Inhalt der beigezogenen Akten sowie der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die ohne Zulassung (§ 144 Abs.1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -) statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 Abs.2 SGG) und zulässig, erweist sich aber in der Sache als unbegründet.
Dies hat das SG München im angefochtenen Urteil vom 23.09.2008 zutreffend dargestellt, weshalb sich der Senat gemäß § 153 Abs.2 SGG diesen Ausführungen anschließt.
Fest steht, dass die von Prof. Dr. B. ambulant praktizierte Quadrantenschmerzinterventionsmethode als neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung durchgeführt werden kann. Sie gehört (noch) nicht zu den medizinischen Maßnahmen, deren Qualität aufgrund der tatsächlichen Anwendung in der vertragsärztlichen Versorgung bereits fest steht und die als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab der Ärzte (EBM-Ä) enthalten ist oder die dort zwar aufgeführt ist, deren Indikation aber eine wesentliche Änderung oder Erweiterung erbracht hat … Diese Behandlungsmethoden dürfen in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur dann erbracht werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss in seinen Richtlinien für die Anwendung dieser Methode Empfehlungen abgegeben hat (§ 135 Abs.1 Ziffer 1 SGB V). Daraus folgt, dass solche Methoden von den Kassen nur dann übernommen werden können, wenn das zuständige Gremium eine positive Entscheidung über die Anerkennung abgegeben hat. Ist dies nicht der Fall, handelt es sich um keine Methode, die eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung auslösen kann.
Entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten der Klägerin ergibt sich auch keine Leistungspflicht der Beklagten aus dem Beschluss des BVerfG vom 06.12.2005 (Az.: 1 BvR 347/98). In dieser Entscheidung hatte es das BVerfG mit Art.2 Abs.1 Grundgesetz in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip nicht für vereinbar erklärt, einem Versicherten die Finanzierung einer Behandlung durch die gesetzliche Krankenversicherung zu verweigern wenn er an einer lebensbedrohlichen oder sogar regelmäßig tödlichen Erkrankung leidet, für die schulmedizinische Behandlungsmethoden nicht vorliegen und eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Zu Recht weist das SG darauf hin, dass das bei der Klägerin diagnostizierte Fibromyalgie-Syndrom trotz starker Schmerzen und weiterer schwerwiegender Beeinträchtigungen nicht mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung vergleichbar ist, die eine Notfallsituation auslösen kann. Eine vergleichsweise Erkrankung wurde vom BSG z.B. angenommen bei Vorliegen von Metastasen bei fortgeschrittenem Tumor und schwere sekundäre pulmonale Hypertonie.
Somit ist die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 23.09.2008 zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Verfahrensausgang.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 SGG liegen nicht vor.