Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 358/07

Bayerisches Landessozialgericht

Urteil vom 10.04.2008 (rechtskräftig)

Sozialgericht Augsburg S 12 KR 195/06
Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 358/07
Bundessozialgericht B 3 KR 36/08 B

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 26. Juni 2007 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Kläger auch auf der rechten Seite mit einem Cochlear-Implantat zu versorgen ist.

Der 1973 geborene Kläger ist bei der Beklagten versichert. Er ist auf beiden Ohren taub. Am 26.07.2001 wurde er in der Medizinischen Hochschule H. , Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde mit einem Cochlear-Implantat (CI) operativ versorgt und anschließlich in der Zeit vom 24.09. bis 05.10.2001 stationär rehabilitiert. Mit Schreiben vom 28.01.2005 bescheinigte Prof.Dr.L. von der Medizinischen Hochschule H. (M.) dem Kläger, dass eine Indikation zur beidseitigen Cochlear-Implantatversorgung bestehe (bei einseitiger Versorgung erreiche der Patient ein Sprachverstehen in Ruhe von 80,2 %, im Störschall von 14,2 %; ein Richtungshören sei für den Patienten nicht möglich). Die Beklagte holte hierzu eine sozialmedizinische Stellungnahme des MDK Niedersachsen (Dr.R.) ein, der am 19.04.2005 ausführte, die medizinischen Voraussetzungen für die Leistungsgewährung seien nicht erfüllt. Der am 18.08.2005 von der Beklagten angehörte Medizinische Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg stellte fest, durch ein zweites Implantat mit angeschlossener Rehabilitationsphase würde die Möglichkeit eines weitergehenden Behinderungsausgleichs geschaffen. Andere Alternativen, z.B. Hörgeräte auf der Gegenseite, könnten nicht genannt werden, da nur noch eine minimale Resthörfähigkeit vorhanden sei, die durch Hörgeräte nicht ausreichend ausgeglichen werden könne.

Gleichwohl hat die Beklagte mit Bescheid vom 24.08.2005 die medizinische Notwendigkeit für die beantragte Versorgung mit einem Cochlear-Implantat abgelehnt. Im Widerspruchsverfahren legte der Kläger ein Attest des Augenarztes Dr.L. vom 28.11.2005 vor, wonach trotz bestmöglicher Korrektur rechts nur eine Sehschärfe von 70 % und links von 50 % erreicht werde. Am 20.12.2005 kam der MDK in Bayern zu der Auffassung, auch aufgrund der vorliegenden Sehschwäche bestehe keine Indikation für eine zweite CI-Versorgung. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 16.05.2006 zurückgewiesen. Hiergegen erhob der Bevollmächtigte des Klägers am 30.06.2006 Klage zum Sozialgericht Augsburg. Dazu erklärte der Kläger, er habe sich 2001 speziell nach einer Operation für ein Ohr erkundigt, er habe sich gar nicht vorstellen können, wie er mit einem Implantat höre und deshalb sei nur eine einseitige Versorgung durchgeführt worden. Er sei als Verwaltungsangestellter tätig und arbeite als EDV-Koordinator. Er sei inzwischen von der M. H. gewechselt zur HNO-Klinik der Technischen Universität (TU) in M … Der Klägerbevollmächtigte bezog sich auf eine Stellungnahme der Sozialmedizinischen Expertengruppe Hilfsmittel Medizinprodukte des MDK vom November 2005 zur bilateralen CI-Versorgung (im Ergebnis wurde dort festgehalten, dass bei fast allen Erwachsenen mit beidohriger CI-Versorgung im Vergleich zu einer einohrigen Versorgung eine Verbesserung des Richtungshörens experimentell dokumentiert werden konnte) und ein Gutachten für das Sozialgericht München, eingeholt von Prof.Dr.A. vom Klinikum I. in einem anderen Streitfall.

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 19.02.2007 dem Kläger angeboten, die Versorgung des zweiten Ohres mit einem CI im Rahmen der integrierten Versorgung an der Medizinischen Hochschule H. durchzuführen. Dort hat sie einen Vertrag diesbezüglich abgeschlossen. Der Kläger lehnte das Angebot mit der Begründung ab, das Klinikum I. sei näher an seinem Aufenthaltsort. Auch werde er dort besser betreut. Außerdem werde ihm das gleiche, von ihm gewünschte Implantat eingesetzt, das auch in H. verwendet werde.

Das Sozialgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 26.06.2007 verpflichtet, die Kosten einer stationären Krankenhausbehandlung zur Versorgung des Klägers mit einem zweiten Cochlear-Implantat auf der linken Seite zu übernehmen. Rechtsgrundlage sei § 39 SGB V i.V.m. § 33 Abs.1 SGB V. Das CI sei ein Hilfsmittel gemäß § 33 SGB V, es sei mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass mit einem zweiten CI die Hörsituation des Klägers wesentlich gebessert werde. Diese Versorgung sei auf andere Weise nicht zu erreichen. Außerdem gehe die Beklagte davon aus, dass die Versorgung zweckmäßig und wirtschaftlich sei, sie hätte sonst nämlich auch keinen Anspruch auf integrierte Versorgung nach § 140a SGB V annehmen und ein entsprechendes Angebot abgeben dürfen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die am 27.08.2007 beim Landessozialgericht eingegangene Berufung der Beklagten, die sie damit begründet, das Sozialgericht habe den Amtsermittlungsgrundsatz verletzt, indem es die Einholung eines unabhängigen Sachverständigengutachtens abgelehnt habe. Die Aussagen des Klinikums I. betrachte die Beklagte vor dem Hintergrund, dass es sich dabei um die leistungserbringende Klinik handele, als nicht objektiv.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 26.06.2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte habe in der ersten Instanz den Versorgungsanspruch bereits akzeptiert, indem sie die Verpflichtung zur Leistung im Wege des von ihr abgeschlossenen integrierten Versorgungsvertrages erfüllen wollte.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung, die wegen der Höhe des Beschwerdewertes nicht der Zulassung gemäß § 144 SGG bedarf, ist zulässig, erweist sich aber als unbegründet.

Dass es sich bei dem Cochlear-Implantat um ein Hilfsmittel gemäß § 33 SGB V handelt, ist unbestritten. Die Beklagte hat die Versorgung eines Ohres übernommen. Ein Cochlear-Implantat ist kein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Geräte, die für die speziellen Bedürfnisse kranker oder behinderter Menschen entwickelt und hergestellt worden sind oder von diesem Personenkreis ausschließlich oder ganz überwiegend benutzt werden, sind grundsätzlich nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen (s. hierzu bereits BSG, Urteil vom 03.11.1999, SozR 3-2500 § 33 Nr.34 m.w.N.). Das Bundessozialgericht führt in diesem Urteil, das die Versorgung eines schwerhörigen Erwachsenen mit einer Mikroportanlage zusätzlich zu einem Cochlear-Implantat betrifft, weiter aus, dass beim dortigen Kläger die grundlegende Verbesserung des Hörvermögens bereits durch das Cochlear-Implantat erreicht worden ist. Eine zusätzliche Verbesserung für bestimmte Lebensbereiche habe nur dann eine Leistungsverpflichtung der gesetzlichen Krankenversicherung zur Folge, wenn es sich um Lebensbereiche handele, die zu den menschlichen Grundbedürfnissen zählen. Entgegen der Auffassung der Beklagten geht der Senat davon aus, dass nicht nur Hören, sondern beidseitiges Hören zu den Grundbedürfnissen zählt. Dies hat der Senat mit Urteil vom 08.12.2005 (L 4 KR 6/05) entschieden. Er hat bereits damals auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 16.09.2004 (B 3 KR 20/04 R, SozR 4-2500 § 33 Nr.9) hingewiesen, wonach die Versorgung mit einem fortschrittlichen Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden dürfe, der bisher erreichte Versorgungsstand sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung im Sinne eines Gleichziehens mit einem gesunden Menschen nicht vollständig erreicht ist. Dass im Fall des Klägers dieses Gleichziehen durch die Versorgung nur eines Ohres nicht erreicht ist, ist unbestritten.

Nachdem auch die Beklagte sich, indem sie dem Kläger die Versorgung an der M. H. anbot, dieser Rechtsauffassung angeschlossen hat, der Anspruch auf beidseitige Versorgung also dem Grunde nach nicht mehr streitig ist, kann insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen werden.

Der Kläger ist nicht verpflichtet, das Angebot der Beklagten anzunehmen, die Operation an der M. H. , mit der die Beklagte einen Vertrag über integrierte Versorgung gemäß § 140a SGB V geschlossen hat, durchzuführen. Dies ergibt sich aus § 140a Abs.2 Satz 1 SGB V. Danach ist die Teilnahme der Versicherten an den integrierten Versorgungsformen freiwillig.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG und entspricht dem Verfahrensausgang.

Gründe, die Revision gemäß § 160 SGG zuzulassen, sind nicht gegeben. Der Senat bestätigt seine frühere Rechtsprechung.