Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 437/07
Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 13.11.2008 (rechtskräftig)
- Sozialgericht Nürnberg S 7 KR 280/06
- Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 437/07
- Bundessozialgericht B 1 KR 96/08 B
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 9. Oktober 2007 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Übernahme von Kosten für eine Liposuktion in Höhe von 16.017,54 EUR streitig.
Die 1977 geborene Klägerin leidet bzw. hat seit ihrer Jugend an einem schmerzhaften Lipödem an den Armen und Beinen gelitten. Unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung des Facharztes für Hautkrankheiten Dr. med. C. in D. vom 23.03.2006 beantragte sie die Kosten für eine Liposuktion, weil bislang durch eine komplexe Entstauungstherapie eine Schmerzlosigkeit nie erreicht worden sei. Auch sei die angestrebte Reduktion des subkutanen Fettgewebes zur Vermeidung der Entstehung des Lipolymphödems mit einer Kompression nicht möglich.
Mit Bescheid vom 05.04.2006 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Bei der Liposuktion handle es sich um einen Eingriff, welcher nicht zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zähle. Alternativ würde weiterhin die Verordnung von manueller Lymphdrainage laut Heilmittelkatalog empfohlen. Diese Maßnahme könne auch konzentrierter in einer Reha-Einrichtung durchgeführt werden. In Deutschland gebe es spezielle lymphologische Kliniken.
Zur Begründung ihres dagegen erhobenen Widerspruchs führte die Klägerin im Wesentlichen aus, richtig sei, dass es sich bei der Liposuktion nicht um eine Leistung handle, welche durch den Leistungskatalog des SGB V erfasst werde. In einem besonderen Ausnahmefall – wie bei ihr vorliegend – sei dennoch eine Einzelfallentscheidung zu erlassen, da bei ihr nachgewiesenermaßen bislang eine Lymphdrainage keine Schmerzfreiheit bewirkt habe.
Der von der Beklagten beauftragte MDK stellte in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 02.05.2006 fest, dass dem Antrag auf Kostenübernahme für eine Liposuktion nicht zugestimmt werden könne. Es gebe noch keine fundierten und aussagekräftigen Studien, die auf längere Sicht die Wirksamkeit der Methode nach den wissenschaftlichen Kriterien belegen würden. Retrospektiv hätten durch die bisherigen Behandlungsmaßnahmen (Kompressionsstrümpfe, manuelle Lymphdrainage) das Lipödem und das Lymphödem bisher suffizient behandelt werden können. Über eine Dekompensation sei nichts berichtet worden.
Das Widerspruchsverfahren blieb mit Widerspruchsbescheid vom 14.07.2006 erfolglos.
Zur Begründung der dagegen zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin im Wesentlichen ausgeführt, sie leide unter dauerhaften Schmerzen. Auf Grund ihres körperlichen Zustandes hätten sich erhebliche psychische Beschwerden eingestellt, welche über kurz oder lang zu Einschränkung der Erwerbsfähigkeit führen könnten. Auf Grund dessen, dass ihr durch die Operation mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit geholfen werden könne und andere Behandlungsmethoden nicht zum Ziel geführt hätten und auf Grund dessen, dass auch die somatischen Beschwerden durch die Operation beseitigt würden, sei ihr die Operation als Sachleistung zu gewähren.
Am 24.01.2007 vereinbarte die Klägerin dann mit Dr. C. die dann am 20.03.2007 durchgeführte ambulante Operation als Privatbehandlung.
Nach Vorlage zahlreicher Befundberichte und Beiziehung eines Befundberichts von Dr. C. hat das SG mit Urteil vom 09.10.2007 die Klage abgewiesen. Bei der Liposuktion handle es sich um eine neue Behandlungsmethode. Bei den neuen Behandlungsmethoden habe der Gesetzgeber quasi eine Vorwegkonkretisierung dem Gemeinsamen Bundesausschuss überlassen. Denn diese würden einem Erlaubnisvorbehalt nach § 135 Abs.1 SGB V unterliegen. Danach dürfe eine neue Behandlungsmethode erst dann in der vertragsärztlichen Versorgung im ambulanten Bereich eingesetzt werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 Abs.1 Satz 2 Nr.5 SGB V entsprechende Empfehlungen abgegeben habe. Das sei für die streitige Methode nicht der Fall. Bisher sei ein Verfahren vor dem Gemeinsamen Bundesausschuss nicht eingeleitet worden. Der Erlaubnisvorbehalt des § 135 SGB V stehe einem Anspruch auf Kostenübernahme nur dann nicht entgegen, wenn ein sog. Systemmangel angenommen werden müsse. Voraussetzung dafür wäre eine Versorgungslücke. Dies könne schon deswegen nicht angenommen werden, weil in den Fällen der Erkrankung der Klägerin eine konservative Therapie mit regelmäßig durchzuführenden Lymphdrainagen und einer Kompressionstherapie zur Verfügung stehe. Es sei auch darauf hinzuweisen, dass mit der Fettabsaugung das Lipödem nicht vollständig beseitigt werde. Selbst unter Befürwortern der Liposuktion werde festgehalten, dass die Basistherapie meist – allerdings in deutlich verringerter Frequenz und Stärke – weiter geführt werden müsse. Ein Sachleistungsanspruch lasse sich auch nicht daraus herleiten, dass die Klägerin durch das Lipödem nach ihren eigenen Angaben in hohem Maße psychisch beeinträchtigt gewesen sei. Gesetzt den Fall, die durchgeführte Verhaltenstherapie und die anderen Maßnahmen hätten ihren Grund in dieser körperlichen Beeinträchtigung des Lipödems, so würde dies doch keinen Anspruch begründen. Die durchgeführte Liposuktion würde dann eine Maßnahme zur mittelbaren Behandlung einer psychischen Erkrankung darstellen. Unabhängig davon, ob eine solche mittelbare Behandlung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung möglich sei, gelte auch weiterhin der Erlaubnisvorbehalt des § 135 SGB V, der nicht nach der Ursache der Notwendigkeit der Behandlung differenziere. Vor dem Hintergrund des Erlaubnisvorbehaltes sei es auch unerheblich, ob und in welchem Umfang die durchgeführte Behandlung erfolgreich war. Von daher wäre auch die angeregte Beweiserhebung nicht sachdienlich.
Zur Begründung ihrer dagegen am 14.11.2007 eingelegten Berufung trägt die Klägerin ergänzend zu ihrem bisherigen Vorbringen vor, die Beklagte sei verpflichtet, ausnahmsweise eine Sachleistung dann zu gewähren, wenn es sich um das einzig mögliche Mittel handle, welches eine Linderung bzw. Beseitigung der Beschwerden erbringen könne. Es sei ihr nicht zuzumuten gewesen, noch länger auf eine Behandlung zu warten. Bislang habe die Beklagte auch nicht berücksichtigt, dass die ohne die Liposuktion zur Verfügung stehenden konservativen Therapien lebenslang durchzuführen seien.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 09.10.2007 und den zu Grunde liegenden Bescheid der Beklagten vom 05.04.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.07.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie 16.117,54 EUR nebst Zinsen zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Akten der Beklagten sowie die Verfahrensakten beider Rechtszüge und die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).
In der Sache ist sie unbegründet. Das Urteil des SG Nürnberg vom 09.10.2007 gibt die Rechtslage zutreffend wieder. Eine andere rechtliche Würdigung ist nicht möglich.
Mit dem Sozialgericht und den Beteiligten ist davon auszugehen, dass für die Erstattung der geforderten Geldsumme als Anspruchsgrundlage nur § 13 Abs.3 Satz 1 2. Alternative SGB V in Betracht kommt. Die dort genannten Voraussetzungen fehlen hier, denn die Liposuktion ist keine von der Beklagten geschuldete Leistung, so dass die Ablehnung nicht zu Unrecht erfolgte und damit auch ein Kostenerstattungsanspruch nicht entstehen kann.
Nach § 2 Abs.1 und 2 SGB V stellen die Krankenkassen den Versicherten die im 3. Kapitel genannten Leistungen als Sach- und Dienstleistung unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 SGB V) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen. Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein. Das Maß des Notwendigen dürfen sie nicht überschreiten.
Nach § 27 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst unter anderem die ärztliche Behandlung. Hierunter fällt die Tätigkeit des Arztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist. Gemäß § 92 Abs.1 SGB V beschließt der Gemeinsame Bundesausschuss die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung. Er soll insbesondere Richtlinien beschließen über die ärztliche Behandlung, genauso über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden. Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürfen nach § 135 Abs.1 SGB V in der vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss auf Antrag einer Kassenärztlichen Bundeseinigung, einer Kassenärztlichen Vereinigung oder eines Spitzenverbandes der Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs.1 Satz 2 Nr.5 SGB V Empfehlungen abgegeben hat über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinischen Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit – auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der Krankenkassen erbrachter Methoden – nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapieeinrichtung, die notwendige Qualifikation der Ärzte, die apparativen Anforderungen sowie Anforderungen und Maßnahmen der Qualitätssicherung die erforderlichen Aufzeichnungen über die ärztliche Behandlung.
Unstreitig steht zwischen den Beteiligten fest, dass es sich bei der Liposuktion um eine neue Behandlungsmethode handelt, für die durch den Gemeinsamen Bundesausschuss bisher noch keine Empfehlung ausgesprochen wurde. Daraus folgt, dass die Liposuktion nicht als Kassenleistung erbracht werden kann. Die Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürfen gemäß aktueller Rechtsprechung des BSG nur dann unabhängig von der Bewertung des Gemeinsamen Bundesausschusses durch die Krankenkasse finanziert werden, wenn ohne die Behandlung eine lebensbedrohliche Verschlimmerung der Krankheit oder eine irreparable Pflegebedürftigkeit als Folge eintreten würde, soweit keine anderweitig geeignete kassenärztliche Versorgungsmöglichkeit zur Verfügung steht. Dies ist hier aber gerade nicht der Fall, da die bestehenden Therapiemöglichkeiten von manueller Therapie nach der Heilmittelverordnung bis hin zu Vorsorge- und Rehabilitationsmaßnahmen, im Rahmen derer eine erhöhte Konzentration der Heilmittelanwendung möglich ist, reichen.
Aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005 (Az.: 1 BvR 347/98 BVerfGE 115, 25) folgt ebenfalls kein anderes Ergebnis. Darin hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass es mit den Grundrechten aus Art.2 Abs.1 Grundgesetz in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Art.2 Abs.2 Satz 1 Grundgesetz nicht vereinbar sei, einem gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung eine allgemein anerkanntem medizinischen Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, generell von der Gewährung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestehe. Damit hat das Bundesverfassungsgericht nur die Behandlung der lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheit gemeint.
Das bei der Klägerin vorhandene Lipödem, das symmetrisch an den Armen und Beinen ausgeprägt war, kann, auch wenn es der Klägerin Schmerzen bereitete, nicht als lebensbedrohliche Erkrankung angesehen werden.
Somit war die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 09.10.2007 zurückzuweisen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten, weil die Klägerin unterlegen ist (§ 193 SGG).
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.