Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 67/96

Bayerisches Landessozialgericht

Urteil vom 12.02.1998 (nicht rechtskräftig)

  • Sozialgericht Augsburg S 6 Kr 1/95
  • Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 67/96

 

I. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 18. April 1996 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig sind Kostenerstattungen für die bei den Klägern 1992 und 1993 durchgeführten Behandlungen mittels Bio-Resonanztherapie.

Der am …1954 geborene Kläger zu 1, der bei der Beklagten Mitglied ist, leidet nach Angaben des Allgemeinarztes Dr … an einem ausgeprägten polyallergischen Krankheitsbild, vasomotorischen Cephalgien und Infektanfälligkeit. Bei der am …1954 geborenen Ehefrau des Klägers, die über ihn familienversichert ist (Klägerin zu 2), bestehen unter anderem multiple Allergien, eine intestinale Candidamykose, eine atopische Dermatitis, chronische Konjunktivitis sowie Infektanfälligkeit und bei dem am 12.05.1976 geborenen Sohn der Kläger zu 1 und 2, der gleichfalls familienversichert ist (Kläger zu 3), neben anderen Leiden multiple Allergien.

Der Kläger zu 1 beantragte bei der Beklagten die Kostenübernahme für die Bio-Resonanztherapie mit Hilfe des Bicom-Gerätes; die Beklagte lehnte den Antrag nach Einholung einer Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) von Dr … vom 28.01.1992 mit dem ohne Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Bescheid vom 31.01.1992 wegen mangelnder Wirksamkeit der Therapie ab.

Die Kläger zu 1, 2 und 3 beantragten am 27.12.1993 die Erstattung der Kosten der Bio-Resonanztherapie, die der damals noch zugelassene Arzt Dr … gegen Rechnung in der Zeit vom 01.01.1992 bis 03.12.1993 durchgeführt hatte. Die Kosten betrugen für den Kläger zu 1 3.392,00 DM, für die Klägerin zu 2 2.396,00 DM und für den Kläger zu 3 1.476,00 DM. Nach den Berichten von Dr … wurde der Kläger zu 1 wegen eines rezidivierenden Quincke-Ödems bei Nahrungsmittelallergien und Polinose, die Klägerin zu 2 wegen Heuschnupfen, rezidivierenden Sinusitiden, Migräne und Pruritus und der Kläger zu 3 wegen allergischer Rhinitis, allergischer spastischer Bronchitis behandelt; die Behandlungen seien erfolgreich gewesen. Die Beklagte holte eine Stellungnahme des Internisten Dr … (MDK) vom 21.02.1994 ein, der die Bio-Resonanztherapie für wirkungslos hielt und lehnte mit den Bescheiden vom 28.02.1994 daraufhin Kostenerstattung ab. Die Beklagte zog ferner ein Gutachten der Internistin Dr … (MDK) vom 05.04.1993 bei und holte auf den Widerspruch der Kläger eine Stellungnahme des Internisten Dr … (MDK) vom 27.06.1994 ein, der ebenso wie Dr … die Bio-Resonanztherapie als irrational und rein spekulativ bezeichnete. Die Widersprüche wurden mit den Bescheiden vom 14.12.1994 mit der Begründung zurückgewiesen, es handele sich nicht um eine naturheilkundliche Methode, sondern um eine sogenannte unkonventionelle Heilmethode, die auf falschen Denkmodellen und referenzloser, technischer Umsetzung beruhe.

Die Kläger haben mit den Klagen vom 09.01.1995 (verbunden durch Beschluss vom 18.04.1996) unter Vorlage ihrer Krankengeschichten unter anderem geltend gemacht, die Bio-Resonanztherapie sei ein anerkanntes Naturheilverfahren, das der bioenergetischen Medizin zuzuordnen sei. Die Wirksamkeit der Methode sei wissenschaftlich erwiesen; hierbei sei eine therapieimmanente Betrachtungsweise erforderlich. Die fehlende Anerkennung durch den Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen sei insoweit bedenklich, als damit der verfassungsrechtlich gesicherte Anspruch des Versicherten auf umfassenden Krankenversicherungsschutz ohne gesetzliche Ermächtigung verkürzt werde. Im übrigen seien die Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen für Versicherte nicht verbindlich, da sie nicht der Satzungsgewalt der Kassenärztlichen Vereinigungen unterworfen seien. Das SG hat Befundberichte der behandelnden Ärzte Dr …, Dr …, Dr … und Dr … beigezogen und mit Urteil vom 18.04.1996 die Klagen abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, die angefochtenen Bescheide seien rechtmäßig, weshalb eine Kostenerstattung nicht möglich sei. Die Bio-Resonanztherapie genüge nicht dem Wirtschaftlichkeitsgebot; sie sei vom Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen mit Beschluss vom 08.05.1995 nicht anerkannt worden. Die Richtlinien dieses Bundesausschusses seien für die Beurteilung der Wirksamkeit maßgeblich. Zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen über die Wirksamkeit der Bio-Resonanztherapie seien nicht vorhanden. Auch erlaube die Art der Erkrankung nicht, die Anforderungen des wissenschaftlichen Nachweises an die Wirksamkeit der Therapie “herunterzuschrauben”.

Gegen das Urteil richtet sich die Berufung der Kläger vom 07.06.1996, mit denen sie die Überlegenheit und Wirtschaftlichkeit der Bio-Resonanztherapie gegenüber den Verfahren der Schulmedizin geltend machen.

Sie beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 18.04.1996 und die zugrundeliegenden Bescheide der Beklagten vom 28.02.1994 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 14.12.1994 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Kosten der Privatbehandlung bei Dr … mittels Bio-Resonanztherapie im Zeitraum 01.01.1992 bis 03.12.1993 für den Kläger zu 1) in Höhe von DM 3.392,00, für die Klägerin zu 2) in Höhe von DM 2.396,00 und für den Kläger zu 3) in Höhe von DM 1.476,00 zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 26.09.1995 (L 1 Kr 33/95), das eine Kostenerstattung für die Bio-Resonanztherapie wegen fehlender Wirksamkeit abgelehnt hatte.

Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Akten der Beklagten und des SG. Auf den Inhalt der beigezogenen Akten und die Sitzungsniederschrift wird im übrigen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung (§§ 151, 64 Abs.3 Sozialgerichtsgesetz – SGG -) ist zulässig; der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 1.000,00 DM (§ 144 Abs.1 Satz 1 Nr.1 SGG).

Die Berufung ist unbegründet. Das Urteil des SG ist nicht zu beanstanden. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die durch Dr … privatärztlich durchgeführte Behandlung mittels der Bio-Resonanztherapie.

Ein Anspruch auf Kostenerstattung nach § 13 Abs.3 Sozialgesetzbuch V (SGB V), der nach Lage des Falles allein in Betracht kommt, setzt voraus, daß die Krankenkasse eine notwendige unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch den Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind. Beide Alternativen liegen hier nicht vor.

Eine unaufschiebbare Leistung läßt sich nicht annehmen, da hierunter Notfälle und andere dringliche Bedarfslagen im krankenversicherungsrechtlichen Sinne fallen, die hier nicht gegeben sind. Sie setzen voraus, daß eine unaufschiebbare Behandlung durch einen Vertragsarzt nicht möglich oder nicht zumutbar gewesen und der Versicherte daher auf die Hilfe eines Nicht-Vertragsarztes angewiesen gewesen ist (Kasseler Kommentar-Höfler, § 13 SGB V, Rdnr.8 mit weiteren Nachweisen auf die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG)). Ein Notfall im rechtlichen Sinne ist schon zu verneinen, weil Dr … zur Zeit der Leistungserbringung noch Vertragsarzt gewesen ist. Ebenfalls liegen Systemstörungen oder andere dringliche Bedarfslagen nicht vor, da den Klägern zur Behandlung der genannten Krankheiten zahlreiche niedergelassene Ärzte bzw. zugelassene ärztlich geleitete Einrichtungen zur Verfügung stehen. Sie sind von ihnen vor Beginn und nach Beendigung der streitigen Therapie, die sich über einen längeren Zeitraum erstreckt hat, in Anspruch genommen worden. Es ist nicht ersichtlich, weshalb die Kläger während der Zeit der streitigen Behandlungen nicht von ihrem gesetzlich zugesicherten Behandlungsanspruch (§§ 2 Abs.2, 11 Abs.1 Nr.4, 27 Abs.1 Satz 2 Nr.1 SGB V) Gebrauch machen konnten.

Die Beklagte hat im übrigen die Übernahme der Kosten (Bescheid vom 31.01.1992) zu Recht abgelehnt, da ein Nachweis der Wirksamkeit der Bio-Resonanztherapie nicht erbracht ist. Die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung müssen gemäß § 2 Abs.1 Satz 3 SGB V hinsichtlich Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen und den medizinischen Fortschritt berücksichtigen. Sie müssen ferner nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot (§§ 12, 70 SGB V) ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen. Die Einhaltung dieser Vorgaben für die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung ist Aufgabe der Qualitätssicherung (§ 135 f. SGB V), in die unter anderem der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen und der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) sowie weitere Institutionen eingebunden sind (§§ 92, 135, 275 SGB V).

Gemäß § 135 Abs.1 SGB V dürfen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur abgerechnet werden, wenn die Bundesausschüsse der Ärzte und Krankenkassen auf Antrag einer Kassenärztlichen Bundesvereinigung, einer Kassenärztlichen Vereinigung oder eines Spitzenverbandes der Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs.1 Satz 2 Nr.5 SGB V Empfehlungen abgegeben haben über die Anerkennungen des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode (s. hierzu auch die neue Rechtsprechung des BSG: Urteil vom 16.09.1997 – 1 RK 28/95; Urteil vom 19.09.1997 – 1 RK 14/96). Die herausragende Bedeutung dieser Regelung ergibt sich auch daraus, daß der Gesetzgeber mit dem 2. GKV-Neuordnungsgesetz vom 23.06.1997 (BGBl.I, 1520) mit der Umgestaltung der §§ 135 f. SGB V die Bemühungen um eine Qualitätssicherung verstärkt hat, indem er die Kompetenzen des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen erweitert hat.

Wie das SG zutreffend herausgestellt hat, besteht ein enger Zusammenhang des Wirtschaftlichkeitsgebots (§§ 12, 70 SGB V) mit der “Wissenschaftlichkeitsklausel” des § 2 Abs.1 Satz 3 SGB V. Nach dieser gesetzlichen Bestimmung müssen Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen und den medizinischen Fortschritt berücksichtigen. Mit dieser Regelung will der Gesetzgeber Leistungen ausschließen, die mit wissenschaftlich nicht anerkannten Methoden erbracht werden. Neue Verfahren, die nicht ausreichend erprobt sind, oder Außenseitermethoden, die zwar bekannt sind, aber sich nicht bewährt haben, lösen keine Leistungspflicht der Krankenkassen aus. Dies gilt auch dann, wenn neue Methoden im Einzelfall zu einer Heilung der Krankheit oder Linderung der Krankheitsbeschwerden führen (Kasseler Kommentar-Peters, § 2 SGB V, Rdnr.3, 4 mit weiteren Nachweisen auf die Gesetzesmaterialien des Gesundheitsreformgesetzes). Aus dem Zusammenhang beider Vorschriften ergibt sich nach der Überzeugung des Senats, daß eine nicht nach medizinisch-wissenschaftlichen Grundsätzen durchgeführte Therapie im Sinne des Wirtschaftlichkeitsgebotes nicht geeignet oder nicht zweckmäßig ist. Eine überflüssige, d.h. ungeeignete oder unzweckmäßige Behandlung entspricht umgekehrt nicht den Regeln der ärztlichen Kunst (§ 28 SGB V) und damit dem übergreifenden Gebot, die Therapie im Einklang mit den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft zu betreiben.

Zweck des Richtlinienauftrags an den Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen ist die Präzisierung des Wirtschaftlichkeitsgebots im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung. Der Richtlinienauftrag zielt darauf ab, unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse Grundlagen für eine wirtschaftliche ärztliche Behandlungs- und Verordnungsweise festzulegen. Der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen ist vom Gesetzgeber durch § 92 Abs.1 Satz 2 Nr.5 SGB V ermächtigt worden, Richtlinien über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu beschließen (sog. NUB-Richtlinien). Er hat mit Beschluss vom 08.05.1995 die Bio-Resonanzdiagnostik, Bio-Resonanztherapie, Mora-Therapie und vergleichbare Verfahren wegen fehlenden diagnostischen und/oder therapeutischen Nutzens nicht als neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung anerkannt (vgl. Anlage 2 zu den NUB-Richtlinien Nr.17). Aus § 135 Abs.1 Nr.1 SGB V ist zu schließen, daß ärztliche Leistungen, die gegen die NUB-Richtlinien verstoßen, nicht zu Lasten der Krankenkassen abgerechnet werden können. Dies gilt nach der Überzeugung des Senats erst recht für die geltend gemachte Kostenerstattung.

Problematisch ist aber, in welcher Art und Weise und in welchem Umfang die Richtlinien für den Versicherten verbindlich sind. Das BSG hat zunächst mit Urteil vom 08.09.1993 im Zusammenhang mit einer kassenzahnärztlichen Disziplinarmaßnahme festgestellt, daß die Richtlinien nur in dem Umfang verbindlich sein können, in dem sie mit höherrangigem Recht übereinstimmen und insoweit auf § 2 SGB V Bezug genommen. In Anlehnung nicht nur an den Funktionserhalt der gesetzlichen Krankenversicherung als verfassungsmäßiger Gemeinwohlaufgabe, sondern auch an die gleichermaßen mit Verfassungsrang ausgestattete Selbstbestimmung durch den Versicherten (Art.1, 2 GG) und die Therapiefreiheit durch den Arzt (Art.5, 12 GG) hat das BSG den Maßstab des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse in § 2 Abs.1 Satz 3 SGB V vom Ansatz her nicht auf die Schulmedizin beschränkt, sondern auf eine therapie-immanente Vertretbarkeit abgestellt, um auf diese Weise die Gewährleistung der besonderen Therapierichtungen in § 2 Abs.1 Satz 2 SGB V sicherzustellen (BSG SozR 3-2500 § 2 Nr.2; von Wulffen, Die Sozialgerichtsbarkeit 1996, 250 f.). Das BSG hat mit der weiteren Entscheidung vom 16.12.1993 (BSGE 73, 271 f.) für Recht erkannt, daß die Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen zur Sicherung der ärztlichen Versorgung im Streit um die Leistungen zur Krankenbehandlung für die Gerichte maßgeblich sind, es sei denn, daß sie auf einer unrichtigen Auslegung höherrangigen Rechts beruhen oder ihr Inhalt sachlich unvertretbar ist. Es hat hierzu in den Gründen weiter ausgeführt, daß die Richtlinien Verwaltungsbinnenrecht des Bundes sind, das die im Range des Parlamentsgesetzes garantierten subjektiv-öffentlichen Rechte der Versicherten aus dem SGB V weder einschränken noch über deren gesetzliche Grenzen hinaus (§§ 12 Abs.1, 27 Satz 1 SGB V) erweitern kann. Die Richtlinien sind als Ausspruch der vom parlamentarischen Gesetzgeber zur näheren Bestimmung des Inhalts und der Formen kassen- bzw. vertrags- ärztlicher Versorgung bestellten, außerdem mit besonderer Sachkunde versehenen Bundesausschusses im Streit um die Leistungen zur Krankenbehandlung vor den Sozialgerichten für die Sachentscheidung grundsätzlich maßgeblich. Die Gerichte, die an derartiges Verwaltungsbinnenrecht rechtlich nicht gebunden sind, müssen nicht nur überprüfen, ob die Richtlinien auf einer falschen Auslegung höherrangigen Rechts beruhen, sondern auch, ob der Inhalt der Richtlinien, soweit dieser Verbindlichkeit beansprucht, sachlich vertretbar ist. Aufgabe der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit ist sowohl eine Kontrolle der Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht vorzunehmen, als auch bei hinreichendem Anlaß den Inhalt der Richtlinien darauf zu überprüfen, ob er, soweit er Geltung beansprucht, nach dem allgemein (d.h. zumindest auch von den Richtungen der empirisch-wissenschaftlichen Medizin) anerkannten (d.h. im wesentlichen in der medizinischen Wissenschaft nicht mehr streitigen) Stand der medizinischen Erkenntnisse unter Beachtung des medizinischen Fortschritts schlechthin sachlich unvertretbar ist. Ergibt die Prüfung, daß die Richtlinie rechtlich gültig und ihr Inhalt, wenn auch medizinisch-wissenschaftlich nicht unumstritten, so doch sachlich vertretbar ist, ist dieses Regelwerk für die Sachentscheidung maßgeblich (BSG vom 16.12.1993, a.a.O.).

Das BSG hat mit dem weiteren Urteil vom 20.03.1996 (E 78, 70 ff.) keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Übertragung der Befugnis zum Erlaß der (Methadon)-Richtlinien auf den Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen geäußert. Die Richtlinien regeln als Bestandteile der Bundesmantelverträge und somit der Gesamtverträge (§§ 92 Abs.1, 7, 82 Abs.1 Satz 2, 83 Abs.1 Satz 1, 95 Abs.3 Satz 2, 210 Abs.2 SGB V) danach die Rechte und Pflichten der Vertragsärzte und die Leistungsansprüche der Versicherten mit bindender Wirkung.

Diese Vorgaben hat das BSG durch die neuere Rechtsprechung bekräftigt (Urteil vom 16.09.1997 – 1 RK 28/95). Denn es geht auch hier von einer bindenden Wirkung der Richtlinien sowohl für die behandelnden Vertragsärzte als auch für die Versicherten aus. Negative Empfehlungen über die Anerkennung der neuen Behandlungsmethoden sind von der Verwaltung und von den Gerichten zu beachten. Darüber hinaus hat es für Recht erkannt, daß § 135 Abs.1 SGB V die Leistungspflicht der Krankenkassen für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden solange ausschließt, bis diese vom zuständigen Bundesausschuß der Ärzte- und Krankenkassen als zweckmäßig anerkannt sind. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Konstruktion des Gesetzgebers hat das BSG verneint.

Gegen die Verbindlichkeit des Inhalts der Richtlinien wird allerdings angeführt, daß eine Ausnahmeentscheidung dem Richtliniencharakter immanent ist. Die Richtlinien enthalten Erfahrungssätze, die unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse generalisierende Aussagen über die Effektivität und Effizienz einzelner Untersuchungs- und Behandlungsmethoden treffen (BSG vom 05.05.1988 – BSGE 63, 163 f.; Kasseler Kommentar-Hess, § 92 SGB V, Rdnr.4). Aus dem Richtliniencharakter ergibt sich die Rechtsnatur der Richtlinie als Wiedergabe wissenschaftlich anerkannter Erfahrungssätze über eine ausreichende, zweckmäßig und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse. Außerdem bezeichnet § 135 Abs.1 Satz 1 SGB V (auch in der Neufassung) den Inhalt der Richtlinien nur als “Empfehlungen”. Damit wird unter Bezugnahme auf die genannte Rechtsprechung des BSG der Rechtsnormcharakter der Richtlinien in Zweifel gezogen.

Auch wenn durch die Aufnahme der Richtlinien in die Bundesmantelverträge (§ 92 Abs.7 SGB V) die Normqualität der Richtlinien kraft der Entscheidung des Gesetzgebers festgestellt worden ist (vgl. Plantholz, Die Sozialgerichtsbarkeit 1997, 549), bestehen doch Bedenken, ob die Richtlinien überhaupt wirksamer Bestandteil des Regelwerks der vertragsärztlichen Versorgung geworden sind. Während das BSG in der Entscheidung vom 16.12.1993 (a.a.O.) zwar eine Überprüfung der Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht vorschreibt, gleichzeitig ohne nähere Begründung bejaht, und das BSG mit den Urteilen vom 16.09.1997 (1 RK 28/95 und 1 RK 14/96) gegen die Übertragung von Rechtssetzungsbefugnissen auf den Bundesausschuß unter dem Gesichtspunkt des Rechtstaatsprinzips (Art.20 Abs.3 GG) keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken hat, ist in der verfassungsrechtlichen Literatur die Vereinbarkeit der Richtlinien mit höherrangigem Recht umstritten. Gegen ihre Gültigkeit wird insoweit eingewendet, daß sie gegen den Parlamentsvorbehalt, das Demokratiegebot und die ärztliche Berufsfreiheit verstoßen und eine unzulässige dynamische Verweisung enthalten (Clemens, MedR 1996, 432 f., 438; Hill, NJW 1982, 2104; Wimmer, NJW 1995, 1577; Wimmer, MedR 1996, 425; Papier, VSSR 1990, 123; Krause, VSSR 1990, 107; Jung, Schriftenreihe des Deutschen Sozialrechtsverbandes Bd.40 S.83 von Zeschwitz, Freundesgabe für Alfred Söllner zum 60. Geburtstag, 1990, S.645 ff.). In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, daß das Bundessozialgericht mit dem Vorlagebeschluß vom 14.06.1995 (NZS 1995, 502) die Ermächtigung des Bundesausschusses zur Festbetragsfestsetzung in Richtlinien nach § 92 Abs.1 Satz 2 Nr.6 SGB V wegen Verstoßes gegen die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und Demokratie (Art.20 GG) sowie gegen Art.80 GG bzw. Art.12 GG als verfassungswidrig angesehen hat.

Aus diesen Überlegungen sind daher die vom Klägerbevollmächtigten in der 1. Instanz erhobenen Bedenken nicht von der Hand zu weisen. Gleichwohl ergibt sich für die Kläger bezüglich der geltend gemachten Kostenausstattung nichts anderes. Denn aus ihrer Sicht stünden sie nicht besser, wenn der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen eine negative Empfehlung zu der streitigen Therapie nicht beschlossen hätte. In diesem Falle ist die Rechtsprechung des BSG zu der Fallkonstellation zu beachten, bei der der Bundesausschuß eine Empfehlung zu der fraglichen Methode noch nicht abgegeben hat. Es geht hier insbesondere um die Frage, welcher Nachweis an die Wirksamkeit der streitigen Außenseitermethode zu stellen ist. Das BSG hat mit Urteil vom 05.07.1995 (SozR 3-2500 § 27 Nr.5) für Recht erkannt, daß eine Leistungspflicht der Krankenkassen nur in Betracht kommt, wenn sich die Wirksamkeit der neuen Behandlungsmethode aufgrund wissenschaftlich geführter Statistiken in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen nachweisen läßt und gegen die Qualität der Methode – auch unter Berücksichtigung eventueller Nebenwirkungen – keine durchgreifenden Bedenken bestehen. Das BSG hat an dieser Rechtsprechung auch mit den o.g. Urteilen vom 16.09.1997 festgehalten. Es hat allerdings bei Erkrankungen, deren Entstehung und Verlauf weitgehend unerforscht sind und die auch mit herkömmlichen Mitteln nicht nachhaltig wirksam zu beeinflussen sind, die Rechtsprechung dahin fortentwickelt, daß es in diesen Fällen für die Anerkennung der therapeutischen Zweckmäßigkeit einer neuen Methode notwendig, aber auch ausreichend ist, daß sich die Behandlungsweise in der medizinischen Praxis durchgesetzt hat. Davon ist auszugehen, wenn sie in der medizinischen Fachdiskussion eine breite Resonanz gefunden hat und von einer erheblichen Zahl von Ärzten angewandt wird.

Die von der Beklagten eingeholten Stellungnahmen und Gutachten des MDK lassen zum einen jedoch nicht erkennen, daß die Erkrankungen der Kläger in ihrer Entstehung und in ihrem Verlauf unerforscht sind und daß die Wirksamkeit der Bio-Resonanztherapie wissenschaftlich anerkannt ist. Mit der Bio-Resonanztherapie sollen körpereigene Schwingungen aufgenommen werden, im Gerät gesunde von krankhaften Schwingungen abgetrennt, krankhafte Schwingungen umgekehrt und zurückgegeben werden, so daß diese die körpereigenen krankhaften Schwingungen abschwächen (s. Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 26.09.1995, L 1 Kr 33/95). Nach den Stellungnahmen des MDK durch Dr …, Dr …, Dr … und Dr … ist die streitige Therapie irrational und rein spekulativ und kann nicht als Ausgangssituation für eine seriöse Diagnostik oder konsekutive Therapie benutzt werden. Sie ist nach der gutachtlichen Stellungnahme von Dr … (MDK) auch nicht innerhalb der Naturheilverfahren anerkannt und etabliert.

Dr … hat gegen den theoretischen Ansatz der Bio-Resonanztherapie eingewendet, daß die meßbaren elektrischen und magnetischen Signale im Organismus reine Begleiterscheinungen von physiologischen Prozessen sind und daher keinerlei Funktionalität, geschweige denn “Steuerungs- und Regelungseigenschaften” besitzen.

Selbst wenn die genannten Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen in ihrer negativen Empfehlung bezüglich der Bio-Resonanztherapie aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken nicht bindend wären, ist der Senat aber nicht gehindert, den Inhalt der Richtlinien als Wiedergabe wissenschaftlich anerkannter Erfahrungssätze (Kasseler Kommentar-Peters, § 92 SGB V, Rdnr.5) zu würdigen und zwar auch für die hier streitige Behandlung, die zeitlich vor der ablehnenden Stellungnahme des Bundesausschusses liegt.

Auch die vom Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen eingeholten ärztlichen Gutachten sprechen der genannten Methode einen rationalen Ansatz ab und halten die postulierten Wirkprinzipien nicht für nachvollziehbar und im Widerspruch stehend zu den Erkenntnissen der Anatomie bzw. Physiologie. Damit stellt sich nach der Ansicht des Senats hier nicht die Frage, ob die Richtlinien rückwirkend gelten können und ob eine rückwirkende Geltung untergesetzlichen Rechts den gesetzlich geregelten Behandlungsanspruch (§ 27 SGB V) modifizieren kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 Nr.1, 2 SGG).