Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 71/01

Bayerisches Landessozialgericht

Urteil vom 15.11.2001 (nicht rechtskräftig)

  • Sozialgericht Augsburg S 10 KR 49/00
  • Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 71/01

 

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 2. April 2001 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist eine Kostenerstattung für ambulante und stationäre Behandlungen.

Die am 1981 geborene Klägerin, die über ihre Mutter bei der Beklagten familienversichert ist, hatte an ihren Kniegelenken nach dem Attest des Allgemeinmediziners Dr.P. vom 26.09.1998 den Befund einer habituellen Patellaluxation beidseits. Die beiden Kniegelenke wurden am 24.11.1995 und am 28.08.1996 im Kreiskrankenhaus Günzburg operiert.

Die Klägerin setzte am 18.02.1997 die orthopädische Behandlung durch den nicht zugelassenen Arzt Dr.T. (München) fort, der aufgrund einer Kernspintomographie zu weiteren operativen Eingriffen riet und am 01.04.1997 mit ihr eine Honorarvereinbarung traf. Dr.T. wies die Klägerin in der Vereinbarung darauf hin, dass eine Erstattung seitens der Versicherungsträger nicht oder nicht in vollem Umfange gewährleistet sei. Am gleichen Tage schloss die Klägerin auch einen Behandlungsvertrag mit der Anästhesistin Dr.W …

Am 27.03.1997 hatte die Klägerin bei der Beklagten wegen Übernahme der Kosten der Behandlung durch Dr.T. angefragt und mitgeteilt, die Behandlung werde auf jeden Falle durchgeführt; sie hänge nicht von einer Kostenzusage der Krankenkasse ab. Nach der Auskunft von Dr.T. vom 27.07.2000, der zugleich leitender Arzt der A.-Klinik München ist, wurde die Klägerin am 01.04.1997, 02.09.1997 und 28.01.1998 am linken Knie und am 08.07.1998 am rechten Knie operiert. Die streitige Behandlung wurde am 10.03.1999 beendet.

Die Klägerin legte am 02.09.1999 zahlreiche Rechnungen des Orthopäden Dr.T. , der Anästhesisten Dres.B. und W. , der orthopädischen Werkstätten S. & R. , des Physiotherapeuten B. über die genannten Operationen sowie die prä- und postoperativen ambulanten Leistungen des Orthopäden und außerdem eine Rechnung der A.-Klinik (sowie die Rechnung eines Back-Shops über den Kauf eines Therabandes) zur Kostenerstattung vor.

Mit Bescheid vom 06.08.1998, der eine Rechtsbehelfsbelehrung nicht enthielt, lehnte die Beklagte wegen der fehlenden Kassenzulassung des Dr.T. eine Kostenerstattung ab. Auf den Widerspruch des Klägerbevollmächtigten vom 16.06.1999, mit dem er geltend machte, es handele sich hier um einen Notfall, die Behandlung sei mit der Beklagten abgestimmt und die Operationen seien erfolgreich gewesen, erließ die Beklagte am 16.06.1999 einen weiteren Bescheid, mit dem sie noch einmal die Kostenübernahme wegen der fehlenden Zulassung des Arztes und der Klinik ablehnte.

Dagegen erhob der Klägerbevollmächtigte erneut Widerspruch. Die Beklagte holte eine gutachtliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen in Bayern (MDK) ein, in der die Gutachterin Dr.B. am 04.10.1999 zu dem Ergebnis gelangte, die durchgeführten operativen Eingriffe einschließlich Diagnostik und Nachbehandlung zur Beseitigung der chronischen Instabilität der Patella wären auch im Rahmen der vertragsärztlichen Behandlung möglich gewesen.

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 14.02.2000 den Widerspruch mit der Begründung zurück, Dr.T. und die A.-Klinik seien nicht berechtigt, Behandlungen zu Lasten der Krankenkassen durchzuführen, ein Notfall habe nicht vorgelegen und sei oder die Beklagte die Kosten einer anderen Behandlung erspart habe. Bezüglich der physiotherapeutischen Behandlung gelte das Gleiche wie für die Hauptleistung. Die Beklagte habe die Übernahme der Kosten auch nicht zugesagt.

Die Klägerin hat hiergegen am 15.03.2000 beim Sozialgericht Augsburg (SG) Klage erhoben und geltend gemacht, die bisherigen Krankenhausbehandlungen seien ohne Erfolg gewesen. Die Beklagte habe zwar eine Kostenübernahme nicht zugesagt, aber nach Einholung eines Gutachtens eine Beteiligung an den Kosten in noch zu bestimmender Höhe angekündigt. Es habe sich um Notfallbehandlungen gehandelt und die Beklagte habe sich durch die Operationen Kosten für die Behandlungen durch Vertragsärzte und Vertragskliniken erspart. Das SG hat einen Befundbericht von Dr.T. eingeholt und mit Urteil vom 02.04.2001 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es unter Bezugnahme auf den Widerspruchsbescheid ausgeführt, eine Erstattung der Kosten der Behandlung durch Dr.T. und die A.-Klinik scheide wegen der fehlenden Teilnahmeberechtigung aus. Ein Notfall habe nicht vorgelegen, auf eine etwaige Kostenersparnis der Beklagten komme es nicht an und diese habe auch keine schriftliche Zusage über die Übernahme der Kosten erteilt.

Die Klägerin hat mit der Berufung vom 16.05.2001 geltend gemacht, die Beklagte sei aufgrund ihrer Zusage schadensersatzpflichtig und habe Aufwendungen, die sie bei Einschaltung eines Vertragsarztes und einer Vertragsklinik zu tragen gehabt hätte, erspart. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, dass die Krankenkassen die Kosten einer Auslandsbehandlung übernehmen müssen, sei auch im vorliegenden Falle anzuwenden.

Im Erörterungstermin vom 16.08.2001 hat die Beklagte die Übernahme der Behandlungskosten im Wege der Kulanz abgelehnt; die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Der Klägerbevollmächtigte hat mit Schriftsatz vom 19.09.2001 die streitigen Gesamtkosten mit 49.032,46 DM angegeben und diese in ambulante Kosten (30.482,20 DM), stationäre Kosten (13.050,00 DM), Kosten der Anästhesien (3.615,98 DM), der Physiotherapie (1.493,00 DM) und der orthopädischen Hilfsmittel (391,28 DM) aufgeschlüsselt.

Der Klägerbevollmächtigte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 02.04.2001 sowie die Bescheide der Beklagten vom 06.08.1998 und 16.06.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.02.2000 werden aufgehoben und die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die Kosten der ambulanten und stationären ärztlichen Behandlungen, der Physiotherapie und der orthopädischen Hilfsmittel in Höhe von insgesamt 49.032,46 DM zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Akten der Beklagten und des SG. Auf den Inhalt dieser Akten und die Sitzungsniederschrift wird im Übrigen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§ 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG -); der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 1.000,00 Deutsche Mark (§ 144 Abs.1 Satz 1 Nr.1 SGG). Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs.2 SGG).

Die Berufung ist unbegründet.

Das angefochtene Urteil ist nicht zu beanstanden. Das SG hat zu Recht einen Anspruch auf Kostenerstattung verneint.

§ 13 Abs.3 Sozialgesetzbuch V (SGB V), der hier als Anspruchsgrundlage in Frage kommt, setzt voraus, dass die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind. Ferner muss die Leistung notwendig gewesen sein.

Der Auskunft von Dr.T. an das SG vom 27.07.2000 ist zu entnehmen, dass die Klägerin viermal am Knie operiert worden ist, u.a. auch am 28.01.1998. Unter der Annahme, dass diese Auskunft zutrifft, steht der Klägerin für diese Behandlung eine Kostenerstattung schon deswegen nicht zu, weil sie trotz des Hinweises des Gerichts im Erörterungstermin vom 16.08.2001 die entsprechenden Rechnungen nicht vorgelegt, also einen Kostennachweis nicht erbracht hat. Damit trifft sie die Feststellungslast, d.h. sie trägt die Beweislast für die Tatsachen, die den von ihr geltend gemachten Anspruch begründen (Meyer-Ladewig, SGG, 6. Auflage, § 103, Rn.19 a mit weiteren Nachweisen).

Selbst wenn die Klägerin die entsprechenden Rechnungen der Leistungserbringer für die o.g. Operation vorgelegt hätte, wäre nicht anders zu entscheiden gewesen. Denn ein Anspruch auf Erstattung der durchgeführten Eingriffe besteht für die gesamte Behandlung dem Grunde nach nicht. Es hat sich im vorliegenden Fall nicht um eine unaufschiebbare Leistung gehandelt. Hierzu gehören krankenversicherungsrechtliche Notfälle im Sinne des § 76 Abs.1 Satz 2 SGB V, die dann vorliegen, wenn die Behandlung durch einen Vertragsarzt nicht möglich oder nicht zumutbar und der Versicherte daher auf die Hilfe eines Nicht-Vertragsarztes angewiesen war (Kasseler Kommentar-Höfler, § 13 SGB V, Rdnr.8 mit weiteren Hinweisen auf die höchstrichterliche Rechtsprechung). Ein derartiger Notfall war nicht gegeben, da es an einer sofortigen Behandlungsbedürftigkeit gefehlt hatte. Die Klägerin wurde am 18.02.1997 von Dr.T. untersucht und hinsichtlich der durchzuführenden Behandlung beraten. Die erste Operation hat erst mehrere Wochen später stattgefunden. Bezüglich der weiteren Eingriffe fehlt es erst recht an dem geforderten zeitlichen Zusammenhang.

Ebensowenig liegt eine Systemstörung oder Versorgungslücke vor. Denn Kniegelenksoperationen können in zugelassenen Krankenhäusern (§ 108 SGB V) in München und in der näheren Umgebung des Wohnortes der Klägerin, also z.B. in Augsburg oder Ulm, durchgeführt werden. Dem sozialmedizinischen Gutachten von Dr.B. (MDK) vom 05.10.1999 ist zu entnehmen, dass die bei der Klägerin durchgeführten operativen Eingriffe, einschließlich Diagnostik und Nachbehandlung, zur Beseitigung der chronischen Instabilität der Patella den allgemein üblichen orthopädischen Therapieprinzipien entsprechen. Damit wäre eine ausreichende und zweckmäßige Krankenbehandlung durch einen zugelassenen Leistungserbringer im Wege der Sachleistung möglich gewesen (§§ 2 Abs.1, 2, 12 Abs.1, 27 Abs.1 Satz 2 Nr.1, 5 in Verbindung mit § 39 SGB V). Es kann hier dahinstehen, ob derartige Eingriffe zweckmäßigerweise ambulant oder stationär bzw. nach welcher Behandlungsmethode durchgeführt worden wären. Denn die Modalitäten der Leistungserbringung werden vom zugelassenen Arzt bzw. dem Arzt des zugelassenen Krankenhauses, nicht aber vom Versicherten konkretisiert.

Einem Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs.3 2. Alternative SGB V steht entgegen, dass die dort geforderte Kausalität zwischen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung der Leistung fehlt. Es wird hier vorausgesetzt, dass die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht ablehnt und dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind. Mit dem Wortlaut und Sinn und Zweck dieser Regelung ist es nicht zu vereinbaren, dass Versicherte sich, ohne vorher Kontakt mit der Krankenkasse aufzunehmen und deren Entscheidung abzuwarten, eine Leistung selbst beschaffen und anschließend Kostenerstattung bzw. -freistellung von der Krankenkasse verlangen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG vom 10.02.1993 SozR 3-2200 § 182 RVO Nr.15; BSG vom 16.12.1993 SozR 3-2500 § 12 SGB V Nr.4; BSG vom 24.09.1996 BSGE 79, 125; BSG vom 04.03.1999 B 1 KR 44/98 B -(unveröffentlicht)) sind die Kosten für eine selbstbeschaffte Leistung im Regelfall nicht zu erstatten, wenn der Versicherte sich die Leistung außerhalb des in SGB V geregelten Versorgungssystems selbst beschafft, ohne zuvor die Krankenkasse zu informieren und deren Entscheidung abzuwarten.

Die Klägerin hat zwar, wie sich einer Aktennotiz der Beklagten vom 27.03.1997 entnehmen lässt, der Beklagten mitgeteilt, dass sie sich durch Dr.T. behandeln lassen werde. Sie hat dabei aber auch zu erkennen gegeben, dass sie diese Behandlung auf jeden Fall durchführen lassen werde, unabhängig von einer Kostenzusage der Beklagten. Sie hat damit nicht eine Entscheidung der Beklagten abgewartet, abgesehen davon, dass sie sich erst nach Beginn der Behandlung durch Dr.T. mit der Beklagten in Verbindung gesetzt hat. Die Rechnungen der streitigen Behandlungen sind am 02.09.1999, also zweieinhalb Jahre nach Behandlungsbeginn und nahezu ein halbes Jahr nach Abschluss der Behandlung (10.03.1999) bei der Beklagten eingegangen. Es war auch für die Beklagte nicht von vornherein zu erkennen, dass die von der Klägerin gewünschte Behandlung drei bzw. vier Eingriffe umfassen würde. Dass die Klägerin, unabhängig von einer Entscheidung der Beklagten zur Durchführung der Operationen durch Dr.T. entschlossen war, ergibt sich im Übrigen auch aus der Krankengeschichte des Kreiskrankenhauses Günzburg, worin unter dem 20.03.1997 vermerkt ist, dass sie sich bei Dr.T. hat beraten lassen und dort die Nachoperationen durchführen lassen werde. Schließlich hat auch Dr.T. die Klägerin in den Honorarvereinbarungen schriftlich darauf hingewiesen, dass die von ihm zu erbringenden Leistungen vom Versicherungsträger nicht oder nicht in vollem Umfange bezahlt werden.

Die oben genannten Gesichtspunkte gelten auch für die von Dr.T. verordneten Leistungen, nämlich die Physiotherapie (§ 32 Abs.1 SGB V) und die orthopädischen Hilfsmittel (§ 33 Abs.1 SGB V). Die zugrunde liegenden privatärztlichen Verordnungen von Dr.T. führen nicht zu einer Kostenerstattung; für die Beschaffung des Thera-Bandes fehlt eine ärztliche Verordnung.

Die Klägerin kann sich auch nicht mit Recht auf eine Zusage der Beklagten berufen. Abgesehen davon, dass sie in der Klage vom 15.03.2000 schon mitgeteilt hat, die zuständige Sachbearbeiterin habe erklärt, sie könne keine endgültige Zusage erteilen, lässt sich aus diesem Gespräch eine bindende Zusage nicht ableiten, da es an der Schriftform fehlt. Denn gemäß § 34 Abs.1 Satz 1 Sozialgesetzbuch X bedarf eine von der zuständigen Behörde erteilte Zusage, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen, zu ihrer Wirksamkeit der schriftlichen Form. Zu Unrecht beruft die Klägerin sich auf eine Kostenersparnis der Beklagten. Zum einen ist zu berücksichtigen, dass die gesetzlichen Krankenkassen schon für die Bereitstellung einer bedarfsgerechten und gleichmäßigen, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechenden Versorgung in der fachlich gebotenen Qualität zahlen. Zum anderen findet nach der Rechtsprechung des BSG ein allgemeiner Ausgleich von Lasten und Vermögen zwischen Versicherten und Krankenkassen nicht statt (BSG vom 10.11.1977 BSGE 45, 130; BSG vom 13.05.1982 BSGE 53, 273).

Auch aus Europäischem Gemeinschaftsrecht lässt sich für den vorliegenden Fall ein Kostenerstattungsanspruch nicht ableiten; denn es fehlt hier am Auslands- oder Gemeinschaftsbezug (BSG vom 12.07.2001 B 1 KR 52/00 B, nicht veröffentlicht).

Für einen Herstellungsanspruch bietet der Sachverhalt keinen Anhalt. Der Herstellungsanspruch ist ein Korrektiv für Folgen von Verwaltungsfehlern mit der Besonderheit, dass Folgen beseitigt werden, die dadurch entstehen, dass der Bürger in seinen Entscheidungen und Handlungen durch Verwaltungsfehler fehlgeleitet worden ist (Gagel, SGb 2000, 517). Ob die Klägerin von der Beklagten unzutreffend beraten worden ist, ob also ein Beratungsfehler vorgelegen hat, kann hier dahinstehen. Auf jeden Fall fehlt es an der Kausalität zwischen einem (hier unterstellten) Verwaltungsfehler und ihrem Handeln. Denn sie war, wie bereits ausgeführt worden ist, auf jeden Fall entschlossen, die Behandlung als außervertragliche Leistung durchführen zu lassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 Nrn.1, 2 SGG).