Bundessozialgericht B 1 KR 29/22 R

Kernpunkte:

  • Einer medizinisch möglichen Weiterbehandlung im eigenen Haus kommt grundsätzlich ein Vorrang gegenüber einer grundlosen Verlegung zu. (RdNr 22 und 25)
  • Eine Abwärtsverlegung ist erlaubt, wenn die Mittel der höheren Versorgungsstufe nicht mehr gebraucht werden und die Versorgungskapazitäten aktuell für andere Patienten benötigt werden oder für eventuelle neue Patienten eine Behandlungsreserve bereitgehalten werden müssen. (RdNr 23)
  • Mehrkosten, die durch eine grundlose Verlegung entstehen sind von den Kassen zunächst zu bezahlen, sofern sie korrekt in Rechnung gestellt wurden. Nachfolgend kann der Kostenträger aber eine Schadensersatzforderung geltend machen. (RdNr 29 ff)
  • Ein Krankenhaus muss eine Verlegung für die Durchführung einer Behandlung, die im eigenen Haus auch möglich wäre, die Begründung gründlich Prüfen. Die Prüfung muss später ggf. vor Gericht dargelegt werden können. (RdNr 26)
  • Siehe auch B 1 KR 4/22 R vom 07.03.2023 zum gleichen Thema.
  • Siehe auch den Kommentar von RA Mohr.

Bundessozialgericht

Verkündet am
16.05.2024

Im Namen des Volkes

Urteil

in dem Rechtsstreit

 

BSG Az.:  B 1 KR 29/22 R
Sächsisches LSG 18.05.2022 – L 1 KR 246/19
SG Leipzig 25.06.2019 – S 8 KR 241/17

………………………………………

Kläger und Revisionsbeklagter,

Prozessbevollmächtigte:

………………………………….

gegen

Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See
als Trägerin der Kranken- und Pflegeversicherung,
Pieperstraße 14 – 28, 44789 Bochum,

Beklagte und Revisionsklägerin.

 

Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 16. Mai 2024 durch den Vorsitzenden Richter Dr. E s t e l m a n n , die Richterinnen Prof. Dr. W a ß e r
und Dr. M a t t h ä u s sowie die ehrenamtlichen Richter L e i t e und M e l z e r für Recht erkannt:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 18. Mai 2022 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das
Landessozialgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 11 087,88 Euro festgesetzt.

 

Gründe:

I

 

1 Die Beteiligten streiten über die Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung im Zusammenhang mit einer Verlegung.
2 Das klagende Universitätsklinikum behandelte den bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherten Patienten seit dem 9.2.2016 vollstationär wegen einer Wirbelkörperfraktur als Folge einer malignen Tumorerkrankung mit multiplen Metastasen (ICD-10-GM C79.5: sekundäre bösartige Neubildung des Knochens und des Knochenmarks) und verlegte ihn am 1.3.2016 in das Klinikum G zur Weiterbehandlung mit einer erforderlichen Radiotherapie, die dort bis zum 23.3.2016 durchgeführt wurde.
3 Der Kläger stellte der Beklagten auf der Grundlage der Fallpauschale DRG I09A (bestimmte Eingriffe an der Wirbelsäule, mit sehr komplexer Osteosynthese und äußerst schweren CC oder mehrzeitiger komplexer Eingriff oder komplexer Eingriff mit Wirbelkörperersatz oder verschiedene komplexe Eingriffe an mehreren Segmenten) 23 003,45 Euro in Rechnung (30.3.2016), welche die Beklagte zunächst beglich. Nach einer Stellungnahme des Sozialmedizinischen Dienstes (SMD) verrechnete sie 11 087,88 Euro mit einer unstreitigen Forderung des Klägers. Die Verlegung sei unwirtschaftlich gewesen. Wäre die Bestrahlung im Haus des Klägers durchgeführt worden – was möglich gewesen wäre -, dann hätte die Behandlung des Versicherten um den verrechneten Betrag geringere Kosten verursacht.
4 Das SG hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung nebst Zinsen verurteilt. Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen: Dem Kläger habe der gesamte Rechnungsbetrag zugestanden. Die Voraussetzungen für einen Verlegungsabschlag seien nicht erfüllt. Die eng am Wortlaut auszulegenden Abrechnungsbestimmungen erforderten nicht, dass die Verlegung medizinisch notwendig sei. Das Wirtschaftlichkeitsgebot werde allein durch die Vertragsparteien nach § 17b Abs 2 Satz 1 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG) konkretisiert. Unrichtigkeiten oder Fehlsteuerungen der Abrechnungsbestimmungen seien durch die Vertragsparteien, nicht durch eine an Zweckmäßigkeitserwägungen orientierte einschränkende Auslegung zu beseitigen. Die Grundsätze des fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens ständen dem nicht entgegen, weil erst nachträglich bei Kenntnis des weiteren Verlaufs der Krankenhausbehandlung und deren Abrechnung durch das aufnehmende Krankenhaus erkennbar sei, ob die Verlegung höhere Kosten verursache. Der Beklagten stehe auch kein Schadensersatzanspruch zu. Die Verlegung von einem Krankenhaus der Maximalversorgung in ein Krankenhaus der Regel- oder Schwerpunktversorgung sei nicht durch ökonomische Interessen veranlasst, sondern sachgerecht und zweckmäßig, wenn die vom Maximalversorger vorgehaltene besondere personelle und apparative Ausstattung nicht mehr benötigt werde.
5 Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 12 Abs 1 SGB V und § 109 Abs 4 Satz 2 SGB V. Die Verlegung sei unter Verstoß gegen den Grundsatz des fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens sowie gegen die Behandlungspflicht aus dem Versorgungsvertrag erfolgt. Eine Strahlentherapie sei bereits zum Zeitpunkt der Verlegung geplant gewesen. Deshalb hätte der Kläger prüfen müssen, ob diese im eigenen Haus ohne Verlegung kostengünstiger durchführbar gewesen wäre. Der Kläger habe neben dem Wunsch des Patienten keinen Grund für eine Verlegung, insbesondere keinen Kapazitätsengpass vorgetragen. Die durch eine Verlegung auf Wunsch des Patienten verursachten Mehrkosten dürften nicht der Versichertengemeinschaft zur Last fallen.
6 Die Beklagte beantragt:
die Urteile des Sächsischen Landessozialgerichts vom 18. Mai 2022 und des Sozialgerichts Leipzig vom 25. Juni 2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
7 Der Kläger beantragt:
die Revision zurückzuweisen.
8 Er schließt sich der Argumentation der Vorinstanzen an und ergänzt sie im Hinblick auf die zwischenzeitlich ergangene Senatsentscheidung vom 7.3.2023 (B 1 KR 4/22 R – BSGE 135, 292 = SozR 4-2500 § 69 Nr 12)

 

II

 

 

 

 

9 Die zulässige Revision der Beklagten ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
10 1. Streitgegenstand ist der nach Grund und Höhe nicht bestrittene Vergütungsanspruch des Klägers für die Behandlung anderer Versicherter der Beklagten. Gestritten wird insoweit nur um die Frage, ob die Beklagte diesen Anspruch im Wege eines Erfüllungssurrogats erfüllt hat. Nicht hingegen ist Streitgegenstand der Vergütungsanspruch des Klägers wegen des später verlegten Versicherten. Insoweit hat die Beklagte die geforderte Vergütung gezahlt und der Kläger begehrt nicht die Feststellung, dass die Zahlung zu Recht erfolgt sei (stRspr des Senats in gleichgelagerten Vergütungsrechtsstreiten mit von der KK erklärter, aber vom Krankenhaus bestrittener Wirksamkeit der Aufrechnung: BSG vom 17.12.2013 – B 1 KR 71/12 R – SozR 4-7610 § 204 Nr 2 RdNr 7, 9; BSG vom 17.12.2019 – B 1 KR 19/19 R – SozR 4-5562 § 9 Nr 15 RdNr 8; BSG vom 29.8.2023 – B 1 KR 15/22 R – juris RdNr 10; aA LSG Niedersachsen-Bremen vom 26.11.2019 – L 4 KR 25/16 – juris, Klagerücknahme des Krankenhausträgers nach Terminierung im Revisionsverfahren B 1 KR 23/20 R). Der Vergütungsanspruch des Klägers wegen des später verlegten Versicherten ist hingegen hier sogar dem Grunde und der Höhe nach unstreitig und nur Teil der Prüfung einer Einwendung der Beklagten, die meint, sie habe bei Zusammenschau mit der auch an das aufnehmende Krankenhaus geleisteten Vergütung insgesamt eine Überzahlung bewirkt
11 2. Die von dem klagenden Universitätsklinikum erhobene (echte) Leistungsklage ist in dem bestehenden Gleichordnungsverhältnis zulässig (stRspr vgl zB BSG vom 16.12.2008 – B 1 KN 1/07 KR R – BSGE 102, 172 = SozR 4-2500 § 109 Nr 13, RdNr 9 mwN).
12 Über die Begründetheit der Klage kann der Senat allerdings nicht abschließend entscheiden. Zwar steht der Beklagten kein Erstattungsanspruch aus der für die Behandlung des verlegten Versicherten gezahlten Vergütung zu. Dieser in Rechnung gestellte Vergütungsanspruch bestand zu Recht. Die Zahlung der Beklagten erfolgte mit Rechtsgrund und erfüllte diesen Anspruch (dazu 3.). Der Senat kann gleichwohl nicht auf der Grundlage der Feststellungen des LSG entscheiden, ob dem Kläger mangels Erfüllung weiterhin der Anspruch auf Vergütung der nach Grund und Umfang unstreitigen, hier den Gegenstand der Klageforderung bildenden Vergütung aus der Behandlung anderer Versicherter der Beklagten zusteht (vgl zur Zugrundelegung von unstreitigen Vergütungsansprüchen BSG vom 26.5.2020 – B 1 KR 26/18 R – juris RdNr 11 mwN, stRspr). Das LSG wird zu prüfen haben, ob die Beklagte wirksam mit einem Schadensersatzanspruch in Höhe von 11 087,88 Euro aufrechnete (dazu 4.).
13 3. Eine Aufrechnung mit einem Erstattungsanspruch aufgrund der für die Behandlung des später verlegten Versicherten gezahlten Vergütung geht ins Leere. Die Voraussetzungen des Vergütungsanspruchs des Klägers lagen vor (hierzu a). Die Höhe des Vergütungsanspruchs ist zutreffend berechnet (hierzu b). Die Fallpauschalenvereinbarung macht den Vergütungsanspruch des Krankenhauses im Falle der Verlegung nicht von deren Notwendigkeit abhängig (hierzu c). Eine Vergütungskürzung kommt auch nicht aus Gründen unwirtschaftlicher Behandlung in Betracht (hierzu d).
14 a) Rechtsgrundlage des vom Kläger wegen der vollstationären Behandlung des Versicherten geltend gemachten Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs 4 Satz 3 SGB V iVm § 7 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und § 17b KHG. Danach entsteht die Zahlungsverpflichtung der KK unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und wenn sie iS von § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist (vgl BSG vom 8.11.2011 – B 1 KR 8/11 R – BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 13, 15; BSG vom 19.11.2019 – B 1 KR 33/18 R – SozR 4-2500 § 109 Nr 77 RdNr 10 mwN; BSG vom 19.3.2020 – B 1 KR 20/19 R – BSGE 130, 73 = SozR 4-2500 § 12 Nr 18, RdNr 11).
15 Nach den bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG war die stationäre Behandlung des Versicherten durch den nach § 108 Nr 1 SGB V zugelassenen Kläger medizinisch erforderlich. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.
16 b) Zu Recht streiten die Beteiligten auch nicht darüber, dass der Kläger die Höhe der Vergütung auf Grundlage des tatsächlichen Geschehensablaufs sachlich-rechnerisch zutreffend berechnete (vgl zur Zugrundelegung von Vergütungsansprüchen bei unstrittiger Berechnungsweise BSG vom 26.5.2020 – B 1 KR 26/18 R – juris RdNr 11 mwN, stRspr). Die Krankenhausvergütung bemisst sich nach Fallpauschalen auf gesetzlicher Grundlage (vgl dazu BSG vom 8.11.2011 – B 1 KR 8/11 R – BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 14 ff).
17 Der Kläger rechnete den Behandlungsfall nach Maßgabe der Fallpauschale I09A ab (German Diagnosis Related Group Version 2016 <G-DRG>, bestimmte Eingriffe an der Wirbelsäule mit sehr komplexer Osteosynthese und äußerst schweren CC oder mehrzeitiger komplexer Eingriff oder komplexer Eingriff mit Wirbelkörperersatz oder verschiedene komplexe Eingriffe an mehreren Segmenten). Im Fall einer Verlegung in ein anderes Krankenhaus rechnet jedes beteiligte Krankenhaus eine Fallpauschale ab (§ 1 Abs 1 Satz 2 Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2016 <FPV 2016>). Eine Verlegung in diesem Sinne liegt vor, wenn zwischen der Entlassung aus einem Krankenhaus und der Aufnahme in einem anderen Krankenhaus nicht mehr als 24 Stunden vergangen sind (§ 1 Abs 1 Satz 4 FPV 2016). Der Versicherte wurde am 1.3.2016 aus der klägerischen Klinik entlassen und im Klinikum G aufgenommen, sodass eine Verlegung in diesem Sinne vorliegt. § 3 FPV 2016 regelt Abschläge bei Verlegung. Der Kläger hatte allerdings keinen Verlegungsabschlag wegen Unterschreitens der mittleren Verweildauer nach § 3 Abs 1 Satz 1 FPV 2016 vorzunehmen. Auch dies steht zwischen den Beteiligten nicht im Streit. Der Sächsische Landesvertrag zu den allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung gemäß § 112 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB V zwischen der Krankenhausgesellschaft Sachsen eV und den Landesverbänden der KKn sowie den Ersatzkassen enthält im Zusammenhang mit Verlegungen nur Regelungen zu den Kosten von Krankentransporten (vgl § 10 Abs 2, 4 des Vertrags in der ab dem 1.1.2015 geltenden Fassung, abrufbar unter https://www.aok.de/gp/vertraege/krankenhausbereich/regional, im Folgenden: Sächsischer LV 2015).
18 c) Der Senat hat inzwischen bereits entschieden, dass es für den Vergütungsanspruch des verlegenden Krankenhauses grundsätzlich nicht darauf ankommt, ob die Verlegung medizinisch notwendig war, soweit die Abrechnungsbestimmungen dies nicht ausdrücklich regeln (BSG vom 7.3.2023 – B 1 KR 4/22 R – BSGE 135, 292 = SozR 4-2500 § 69 Nr 12, RdNr 14 ff). Dies beruht darauf, dass – wie das LSG bereits zutreffend ausgeführt hat – Abrechnungsbestimmungen eng am Wortlaut orientiert und allenfalls unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen sind. Weder dem Wortlaut der Regelungen der FPV 2016 zur Verlegung noch systematischen Erwägungen lässt sich das Erfordernis medizinischer Notwendigkeit entnehmen.
19 d) Eine Vergütungskürzung kommt auch nicht aus unwirtschaftlicher Behandlung in Betracht. In dem vom Kläger durchgeführten und abgerechneten Umfang war die Krankenhausbehandlung dort in jedem Fall erforderlich und wirtschaftlich. Etwas anderes macht auch die Beklagte nicht geltend. Sie beruft sich lediglich darauf, dass der Kläger den Versicherten nicht hätte verlegen dürfen, sondern weiter behandeln müssen. In diesem Fall wäre zwar der Vergütungsanspruch des Klinikums G für die Behandlung des Versicherten in der Zeit vom 1.3.2016 bis zum 23.3.2016 entfallen; der Vergütungsanspruch des Klägers wäre aber dadurch zumindest nicht geringer ausgefallen (vgl BSG vom 7.3.2023 – B 1 KR 4/22 R – BSGE 135, 292 = SozR 4-2500 § 69 Nr 12, RdNr 21 mwN; vgl auch BSG vom 26.4.2022 – B 1 KR 5/21 R – SozR 4-2500 § 39 Nr 34 RdNr 15 ff mwN). Allerdings kann eine Behandlung im verlegenden Krankenhaus ausnahmsweise auch dann unwirtschaftlich sein, wenn der bislang erreichte Behandlungserfolg gefährdet wird, weil das aufnehmende Krankenhaus nicht zu einer adäquaten (Weiter)Behandlung des Versicherten in der Lage ist. Hierfür gibt es im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte.
20 4. Auf Grundlage der Feststellungen des LSG kann der Senat jedoch nicht abschließend entscheiden, ob der Beklagten gegen den Kläger ein Schadensersatzanspruch nach § 69 Abs 1 Satz 3 SGB V iVm § 280 Abs 1 BGB zustand, mit dem sie gegenüber unstreitigen Vergütungsansprüchen des Klägers aus anderen Behandlungsfällen aufrechnete.
21 a) Der Senat hat sich in der Entscheidung vom 7.3.2023 (B 1 KR 4/22 R – BSGE 135, 292 = SozR 4-2500 § 69 Nr 12, RdNr 24 ff) ausführlich mit den Grundlagen und Voraussetzungen eines solchen Schadensersatzanspruchs der KK im Zusammenhang mit einer Verlegung befasst und hält hieran fest. Auf das zwischen einem zugelassenen Krankenhaus und der KK des Versicherten durch dessen stationäre Behandlung begründete öffentlich-rechtliche Schuldverhältnis ist § 280 Abs 1 BGB anzuwenden (§ 69 Abs 1 Satz 3 SGB V; zuvor bereits BSG vom 12.11.2013 – B 1 KR 22/12 R – BSGE 115, 11 = SozR 4-2500 § 69 Nr 9, RdNr 9 ff; BSG vom 9.4.2019 – B 1 KR 5/19 R – BSGE 128, 65 = SozR 4-2500 § 129a Nr 2, RdNr 30; vgl ferner BSG vom 16.2.2012 – B 9 VG 1/10 R – BSGE 110, 104 = SozR 4-1300 § 112 Nr 1, RdNr 36). Danach kann der Gläubiger, wenn der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt, Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.
22 (1) Das öffentliche-rechtliche Schuldverhältnis zwischen dem behandelnden Krankenhaus und der KK des Versicherten ist für beide Seiten mit Pflichten verbunden. Für das Krankenhaus ergibt sich aus § 109 Abs 4 Satz 2 SGB V eine Behandlungspflicht und aus § 17c Abs 1 Satz 1 Nr 2 KHG ein Verbot, Patienten aus wirtschaftlichen Gründen vorzeitig zu verlegen oder zu entlassen (zur ausführlichen Begründung siehe BSG vom 7.3.2023 – B 1 KR 4/22 R – BSGE 135, 292 = SozR 4-2500 § 69 Nr 12, RdNr 20, 29 ff). Daraus lässt sich ableiten, dass Krankenhäuser grundsätzlich weder die Aufnahme von Patienten ohne sachlichen Grund ablehnen noch deren Verlegung in ein anderes Krankenhaus ohne sachlichen Grund vornehmen dürfen. Nach den gesetzlichen Rahmenbedingungen zur Behandlungspflicht nach Maßgabe des Versorgungsauftrags kommt der medizinisch möglichen Weiterbehandlung im eigenen Haus grundsätzlich ein Vorrang gegenüber einer grundlosen Verlegung zu. Dieses Vorrangverhältnis konkretisiert das allgemeine Wirtschaftlichkeitsgebot nach § 12 Abs 1 SGB V. In der Missachtung des Vorrangverhältnisses durch eine sachgrundlose Verlegung liegt regelmäßig eine Pflichtverletzung des Krankenhauses.
23 (2) Als sachliche Gründe für eine Verlegung in Betracht kommen zwingende medizinische Gründe, zwingende Gründe in der Person der oder des Versicherten (zB bei einer Störung des Vertrauensverhältnisses zum Krankenhaus oder wenn für Krankenbesuche bei Kindern eine kürzere Entfernung zum Wohnort geboten ist) sowie ferner übergeordnete Gründe der Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen, patienten- und bedarfsgerechten Versorgung der Bevölkerung mit Krankenhäusern. In einem mehrstufigen Krankenhausversorgungssystem kann die Verlegung aus einem Krankenhaus einer höheren Stufe in ein Krankenhaus einer niedrigeren Stufe gerechtfertigt sein, wenn und soweit es zur Behandlung des Versicherten der besonderen Mittel des Krankenhauses der höheren Stufe nicht (mehr) bedarf und die dortigen Versorgungskapazitäten aktuell für andere Patienten benötigt werden oder für eventuelle neue Patienten eine Behandlungsreserve bereitgehalten werden muss (ausführlich zu den sachlichen Gründen BSG vom 7.3.2023 – B 1 KR 4/22 R – BSGE 135, 292 = SozR 4-2500 § 69 Nr 12, RdNr 41 ff).
24 Mit einer Verlegung, die durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist, verletzt das Krankenhaus keine Pflicht. Es muss dazu keine Wirtschaftlichkeitsüberlegungen anstellen. Die genannten sachlichen Gründe rechtfertigen eine Verlegung auch dann, wenn sie mit höheren Kosten für die KK verbunden ist.
25 Das verlegende Krankenhaus hat allerdings den rechtfertigenden sachlichen Grund im Streitfall für Ermittlungsansätze des Gerichts darzulegen und trägt bei Nichterweislichkeit der den sachlichen Grund ergebenden Tatsachen die Beweislast (vgl BSG vom 7.3.2023 – B 1 KR 4/22 R – BSGE 135, 292 = SozR 4-2500 § 69 Nr 12, RdNr 47). Dies ist Folge des aus der Behandlungspflicht folgenden grundsätzlichen Vorrangs der Weiterbehandlung im eigenen Haus.
26 (3) Gibt es für eine Verlegung jedoch keinen sachlichen Grund, verletzt das verlegende Krankenhaus regelmäßig schuldhaft seine Behandlungspflicht und – falls es dadurch zu Mehrkosten für die KK kommt – auch das Wirtschaftlichkeitsgebot. Eine schuldhafte Pflichtverletzung des Krankenhauses scheidet nicht deswegen aus, weil es die Kosten der Weiterbehandlung nicht im Voraus abschätzen kann. Aufgrund des beschriebenen Vorrangs der Weiterbehandlung im eigenen Haus trägt das Krankenhaus in der Regel das Risiko, dass die sachgrundlose Verlegung Mehrkosten zu Lasten der KK verursacht. Es hat daher im eigenen Interesse die Wirtschaftlichkeit einer solchen Verlegung vorab sorgfältig zu prüfen. Nur wenn das grundlos verlegende Krankenhaus aufgrund sorgfältiger Abschätzung ausnahmsweise davon ausgehen durfte, die Verlegung werde keine Mehrkosten verursachen, scheidet eine schuldhafte Pflichtverletzung dann aus, wenn diese Mehrkosten trotzdem entstanden sind. Dies erfordert regelmäßig einen atypischen Verlauf, der außerhalb der in Betracht kommenden Behandlungsverläufe liegt. Die sorgfältig durchgeführte Wirtschaftlichkeitsprüfung hat das Krankenhaus ebenfalls darzulegen und zu belegen. Dies entspricht der Beweislastregel des § 280 Abs 1 Satz 2 BGB, nach der das Vertretenmüssen desjenigen, der eine Pflichtverletzung begeht, widerleglich vermutet wird.
27 (4) Die Pflicht zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit einer sachgrundlosen Verlegung stellt aufgrund des beschriebenen Vorrangverhältnisses keine übertriebenen Anforderungen an die Sorgfaltspflichten des verlegenden Krankenhauses. Denn es kann – soweit kein sachlicher Grund für die Verlegung gegeben ist – den Versicherten im eigenen Haus weiter behandeln, ohne Überlegungen zur Wirtschaftlichkeit anstellen zu müssen. Die Pflicht zur Prüfung eines wirtschaftlichen Alternativverhaltens trifft das Krankenhaus aufgrund des beschriebenen Vorrangverhältnisses nur einseitig für den Fall der Verlegung, dh die Weiterbehandlung im eigenen Haus erfordert umgekehrt grundsätzlich nicht die Prüfung, ob eine Verlegung insgesamt wirtschaftlicher sein könnte.
28 (5) Schließlich scheidet ein Schadensersatzanspruch der KK selbst bei sachgrundloser Verlegung in den Fällen aus, in denen durch die Verlegung keine Mehrkosten verursacht wurden. Dann fehlt es schon an einem Schaden der KK.
29 (6) Zudem muss das verlegende Krankenhaus nur den Schaden sich zurechnen lassen, der sich dann ergibt, wenn das aufnehmende Krankenhaus den Versicherten wirtschaftlich behandelt und sachlich-rechnerisch richtig abgerechnet hat. In der Rechtsprechung des BGH ist anerkannt, dass die Schadensersatzpflicht durch den Schutzzweck der Norm begrenzt wird. Eine Schadensersatzpflicht besteht nur für diejenigen äquivalenten und adäquaten Schadensfolgen, die aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen worden ist. Der geltend gemachte Schaden muss in einem inneren Zusammenhang mit der durch den Schädiger geschaffenen Gefahrenlage stehen; ein „äußerlicher“, gleichsam „zufälliger“ Zusammenhang genügt nicht (BGH vom 24.5.2022 – VI ZR 206/21 – juris RdNr 29 mwN, dort zum Arzthaftungsrecht). Der Schutzzweck der Normen, die einer sachgrundlosen Verlegung entgegenstehen, ist nicht darauf gerichtet, die KK vor unwirtschaftlicher Behandlung und sachlich-rechnerisch fehlerhafter Abrechnung des aufnehmenden Krankenhauses zu bewahren.
30  Die Beklagte hat den Schaden anhand einer diesen Anforderungen genügenden Abrechnung des aufnehmenden Krankenhauses darzulegen.
31 b) Auf der Grundlage der vom LSG getroffenen Feststellungen kann der erkennende Senat nicht abschließend entscheiden, ob nach den dargelegten Grundsätzen ein Schadensersatzanspruch der Beklagten gegen den Kläger besteht. Das LSG hat – von seinem rechtlichen Standpunkt aus folgerichtig – keine Feststellungen zu den Gründen der Verlegung und zu den hierdurch entstandenen Mehrkosten für die Beklagte getroffen. Nach den bisherigen Feststellungen des LSG dürfte es sich jedenfalls nicht um eine Rückverlegung des Versicherten gehandelt haben, da dieser bis zum Tag der Aufnahme bei dem Kläger in einem dritten Krankenhaus stationär behandelt worden war.
32 (1) Das LSG wird festzustellen haben, ob und ggf in welcher Höhe die Verlegung Mehrkosten verursacht hat, die dem Kläger zuzurechnen sind. Hierfür trägt die Beklagte die Beweislast. Der Senat sieht derzeit von weiteren Ausführungen zur Frage ab, ob und in welchem Umfang über § 301 SGB V hinausgehende Mitwirkungspflichten des aufnehmenden Krankenhauses bei der Klärung des Sachverhalts im Streit zwischen dem Kläger und der Beklagten bestehen, insbesondere wenn der Kläger geltend machen sollte, dass das aufnehmende Krankenhaus unwirtschaftlich behandelt oder sachlich-rechnerisch falsch abgerechnet habe. Dafür bietet der Sachverhalt bislang keine Anhaltspunkte.
33 (2) Dem Kläger obliegt es, sich darauf zu stützen, dass einer der genannten sachlichen Gründe für die Verlegung vorgelegen hat. Dafür trägt er die Beweislast.
34 Der Kläger trägt im Revisionsverfahren nunmehr vor, die Entscheidung für eine Verlegung in das heimatnahe Krankenhaus sei aus organisatorischen und humanitären Gründen getroffen worden. Das aufnehmende Krankenhaus habe bereits fast alle Vorbehandlungen des Versicherten durchgeführt. Dieses Vorbringen erfüllt bislang jedenfalls nicht die an einen zwingenden medizinischen Grund oder einen zwingenden Grund in der Person des Versicherten zu stellenden Anforderungen.
35 Soweit der Kläger sich im Revisionsverfahren nunmehr auch auf übergeordnete Gründe der Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Versorgung der Bevölkerung in einem mehrstufigen Krankenhausversorgungsystem beruft, hat das LSG Feststellungen dazu zu treffen, dass das von dem Kläger betriebene Klinikum – bezogen auf die maßgebliche bettenführende Fachabteilung – einer höheren Versorgungsstufe zuzuordnen ist als das aufnehmende Klinikum G. Das LSG hat dann ferner festzustellen, dass zur Zeit der vorgenommenen Verlegung die in der Klinik noch vorhandenen Kapazitäten nach der einem Beurteilungsspielraum unterliegenden Einschätzung des Klägers als Reserve vorgehalten werden durften. An diese Einschätzung dürfen keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Es reicht aus, dass sie aus der Sicht eines sachkundigen Dritten vertretbar ist. Der sachliche Grund muss aber für die konkrete Verlegung handlungsleitend gewesen sein. Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Krankenhaus über ein von seinem Beurteilungsspielraum gedecktes Konzept verfügt, in welchem Umfang eine Behandlungsreserve vorzuhalten ist. Ist hiernach in einem konkreten Fall eine Verlegung zulässig, ist es unerheblich, dass die subjektiven Motive des die Verlegung anordnenden Arztes andere waren.
36 (3) Der Kläger könnte schließlich im wiedereröffneten Berufungsverfahren auch weiterhin geltend machen, dass er nach pflichtgerechter Prüfung mit Mehrkosten der Verlegung nicht rechnen musste. Vorliegend hat er jedoch bereits ausführlich begründet, dass und warum er die Kosten der weiteren Behandlung des Versicherten im Vorfeld auch nicht annähernd habe abschätzen können.
37 (4) Die Beklagte hat im Schreiben vom 23.8.2016 den sich aus der – von ihr angenommenen unwirtschaftlichen – Verlegung ergebenden Differenzbetrag bei unterbliebener Verlegung mit 10 877,88 Euro beziffert. Das LSG hat keine Feststellungen zu den weiteren 210 Euro getroffen. Nach dem Akteninhalt liegt die Annahme nahe, dass dieser Betrag die vom Versicherten im Verlegungsfall zu erbringende Zuzahlung nach § 39 Abs 4 Satz 1 SGB V ist. Insoweit erschließt sich nicht unmittelbar, warum die vom Versicherten eventuell an den Kläger erfolgte Zahlung der 210 Euro die Beklagte zur Aufrechnung berechtigen könnte. Ausweislich der Rechnung des Klä- gers vom 30.3.2016 erfolgte bereits vom Rechnungsbetrag über 23 213,45 Euro ein Abzug von einbehaltenen 210 Euro „geleistete Zuzahlung“. Gleichwohl hat die Beklagte einen Betrag von 11 087,88 Euro (statt 10 877,88 Euro) mit einer anderen Vergütungsforderung des Klägers aufgerechnet. Damit sind dem Kläger nur 11 915,57 Euro statt 12 125,57 Euro als Vergütung für die Behandlung des Versicherten verblieben. Mangels revisionsrechtlich verwertbarer Feststellungen kann der Senat insoweit nicht abschließend darüber entscheiden. Das LSG wird auch bei fehlendem sachlichen Grund für die Verlegung näher zu prüfen haben, ob die Beklagte in Höhe von 210 Euro einen Erstattungs- oder Schadenersatzanspruch im Wege der Aufrechnung zu Recht geltend gemacht hat.
38 5. Im Falle eines sich erweisenden Schadensersatzanspruchs war die Beklagte nicht gehindert, diesen als Gegenanspruch gegen unstreitige Vergütungsforderungen des Klägers aufzurechnen (vgl zur Aufrechnung BSG vom 25.10.2016 – B 1 KR 9/16 R – SozR 4-5562 § 11 Nr 2 und BSG vom 25.10.2016 – B 1 KR 7/16 R – SozR 4-7610 § 366 Nr 1). Ein gesetzliches Aufrechnungsverbot existierte zum Zeitpunkt der Aufrechnung im Jahr 2016 nicht (vgl nunmehr in Bezug auf Rückforderungsansprüche § 109 Abs 6 SGB V idF des MDK-Reformgesetzes vom 14.12.2019, BGBl I 2789). Auch ergibt sich ein Aufrechnungsverbot weder aus der nach § 17c Abs 2 KHG geschlossenen, für Behandlungsfälle ab 1.1.2015 geltenden Prüfverfahrensvereinbarung (PrüfvV 2014), noch aus dem Sächsischen LV 2015.
39 Es ist nach den bisherigen Feststellungen nichts dafür ersichtlich, dass die Beklagte hier die Voraussetzungen der §§ 8 f PrüfvV 2014 hinsichtlich eines Betrags von 10 877,88 Euro nicht erfüllt hat. Die KK hat nach § 8 Satz 1 PrüfvV dem Krankenhaus ihre abschließende Entscheidung zur Wirtschaftlichkeit der Leistung oder zur Korrektur der Abrechnung und den daraus folgenden Erstattungsanspruch mitzuteilen. Unerheblich ist insoweit, dass die Beklagte den Anspruch, mit dem sie gegenüber dem Vergütungsanspruch des Klägers aufrechnete, nicht als Schadensersatzanspruch bezeichnete. Es genügte hierfür allemal, dass – wie geschehen – die Beklagte den Sachverhalt unter Angabe der Verlegung als Fehlverhalten des Klägers und der Höhe des sich daraus ergebenden Anspruchs (10 877,88 Euro) darlegte. Es bedarf deshalb hier insoweit keiner Entscheidung dazu, ob auch die Geltendmachung eines unbezifferten Anspruchs nach § 8 Satz 1 PrüfvV ausgereicht hätte. Hinsichtlich der verbleibenden 210 Euro sieht der Senat angesichts der eher fernliegenden Annahme eines Erstattungs- oder Schadensersatzanspruchs von weiteren Ausführungen ab.
40 6. Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 3, § 47 Abs 1 GKG.