Bundessozialgericht B 1 KR 5/99 R

Bundessozialgericht

Urteil vom 25.09.2000

  • Sozialgericht Köln
  • Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen
  • Bundessozialgericht B 1 KR 5/99 R

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 12. Februar 1998 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Gründe:

I

Die Klägerin, die bis 1996 freiwilliges Mitglied der beklagten Ersatzkasse war, ließ sich in den Jahren 1992 bis 1994 von verschiedenen Ärzten auf Privatrechnung wegen eines chronischen Erschöpfungssyndroms (Chronic Fatigue Syndrome) behandeln. Ihren Antrag, die Behandlungskosten einschließlich der Aufwendungen für Medikamente zu erstatten, lehnte die Beklagte ab, weil das mit dem Begriff Chronic Fatigue Syndrome gekennzeichnete Krankheitsbild nicht so schwerwiegend sei, daß ausnahmsweise eine Anwendung neuer, wissenschaftlich bisher nicht erprobter Behandlungsmethoden zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung in Betracht kommen könne. Außerdem seien die bei der Klägerin durchgeführten Behandlungsmaßnahmen als unwirtschaftlich zu bewerten. Leistungen, die auf Krankenschein nicht abrechenbar seien, könnten auch nicht im Wege der Kostenerstattung in Anspruch genommen werden (Bescheid vom 8. Juni 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 1995).

Die Klage war in den Vorinstanzen erfolglos. Nach Auffassung des Landessozialgerichts (LSG) scheitert ein Kostenerstattungsanspruch für Behandlungen in der Zeit vor dem 8. Juni 1993 (Zeitpunkt des ablehnenden Bescheides der Beklagten) schon an der fehlenden Kausalität zwischen Kostenentstehung und Ablehnung. Für die Zeit danach könne offenbleiben, ob es sich bei den angewandten Maßnahmen um etablierte Verfahren der Schulmedizin oder um neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Sinne des § 135 Abs 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) gehandelt habe. Im zuletzt genannten Fall seien die gesetzlichen Voraussetzungen bzw die von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien für eine Einstandspflicht der Beklagten nicht erfüllt. Eine Empfehlung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen liege nicht vor, und die Wirksamkeit der Behandlung sei nicht nachgewiesen. Nach den vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ausgewerteten Unterlagen (Stellungnahmen von Ärzten der Medizinischen und der Neurologischen Kliniken der Universität Bonn) handele es sich beim Chronic Fatigue Syndrome um ein Krankheitsgeschehen, dessen Ursachen ungeklärt seien und für das es bis heute keine gesicherte Therapie gebe. Aber auch wenn § 135 Abs 1 SGB V nicht eingreifen sollte, bestehe kein Anspruch, weil die Krankenkasse für privatärztliche Behandlungen nicht aufzukommen habe. Freiwillig Versicherten werde durch § 13 Abs 2 Satz 1 SGB V zwar die Möglichkeit eingeräumt, anstelle von Sachleistungen Kostenerstattung zu wählen, doch schließe dies die Inanspruchnahme nicht zugelassener Leistungserbringer nicht ein.

Mit der vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen Revision macht die Klägerin geltend, § 13 Abs 2 SGB V habe entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts in seiner bis 26. Juni 1997 geltenden Fassung eine Kostenerstattung auch bei Inanspruchnahme von Nichtvertragsärzten zugelassen. Aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift und den Gesetzesmaterialien sowie dem systematischen Zusammenhang mit dem gleichzeitig eingeführten § 13 Abs 4 SGB V sei zu ersehen, daß der Gesetzgeber den durch die langjährige Erstattungspraxis der Ersatzkassen und die dazu ergangene Rechtsprechung des BSG geschaffenen Zustand habe beibehalten wollen. Was Behandlungsmaßnahmen aus der Zeit vor dem 8. Juni 1993 angehe, könne ein Erstattungsanspruch nicht mit der Begründung verneint werden, der Beklagten sei vor Inanspruchnahme der Behandlungen keine Gelegenheit zur Entscheidung über das Leistungsbegehren gegeben worden. Die vom LSG geforderte Kausalität zwischen Ablehnung und Beschaffung der Leistung sei Voraussetzung für eine Kostenerstattung in Fällen des “Systemversagens” nach § 13 Abs 3 SGB V; für den Anspruch nach § 13 Abs 2 SGB V sei dagegen kein vorheriger Antrag erforderlich.

Die Klägerin beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 12. Februar 1998 und des Sozialgerichts Köln vom 29. April 1996 sowie den Bescheid der Beklagten vom 8. Juni 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Oktober 1995 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten der streitigen privatärztlichen Behandlungen zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

II

Die Revision der Klägerin ist im Sinne der Zurückverweisung begründet. Die vom LSG getroffenen Feststellungen reichen für eine Entscheidung über das Klagebegehren nicht aus.

Eine abschließende rechtliche Bewertung dieses Begehrens ist schon deshalb nicht möglich, weil das Berufungsgericht den Streitgegenstand im unklaren gelassen hat. Dem angefochtenen Urteil ist nur zu entnehmen, daß es um die Erstattung von Aufwendungen für verschiedene privatärztliche Behandlungen einschließlich verordneter Arzneimittel geht, die die Klägerin zwischen 1992 und 1994 wegen eines bei ihr diagnostizierten Chronic Fatigue Syndromes in Anspruch genommen hat. Welche Ärzte im einzelnen konsultiert wurden, welche Leistungen diese Ärzte erbracht und welche Medikamente sie verordnet haben, welche Kosten dafür in Rechnung gestellt wurden und welche Aufwendungen die Klägerin letztlich mit der Klage geltend macht, lassen die Ausführungen des Berufungsgerichts nicht erkennen. Der Senat hat seinerseits davon abgesehen, auf eine Präzisierung der erhobenen Ansprüche hinzuwirken, da die Sache wegen unzureichender Tatsachenfeststellungen in jedem Fall an die Vorinstanz zurückverwiesen werden muß.

Als Rechtsgrundlage der geltend gemachten Erstattungsforderung kommen sowohl § 13 Abs 2 als auch § 13 Abs 3 SGB V – jeweils in der hier maßgebenden Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes (GSG) vom 21. Dezember 1992 (BGBl I 2266) – in Betracht. Beide Vorschriften statuieren Ausnahmen von dem die gesetzliche Krankenversicherung prägenden Sachleistungsgrundsatz (§ 2 Abs 2 Satz 1, § 13 Abs 1 SGB V); sie unterscheiden sich jedoch in Voraussetzungen und Rechtsfolgen grundlegend und sind deshalb streng auseinanderzuhalten, was in dem angefochtenen Urteil nicht durchweg geschieht. Während § 13 Abs 2 SGB V einer bestimmten Versichertengruppe generell die Möglichkeit einräumt, anstelle von Dienst- oder Sachleistungen Kostenerstattung zu wählen, sich also auf eigene Rechnung behandeln und die entstandenen Kosten später in der durch Gesetz und Satzung festgelegten Höhe erstatten zu lassen, gibt § 13 Abs 3 SGB V einen Kostenerstattungsanspruch für den Ausnahmefall, daß eine von der Krankenkasse geschuldete notwendige Behandlung infolge eines Mangels im Leistungssystem der Krankenversicherung als Dienst- oder Sachleistung nicht oder nicht in der gebotenen Zeit zur Verfügung gestellt werden kann. Gemeinsam ist beiden Ansprüchen nur, daß sie an die Stelle eines an sich bestehenden Sachleistungsanspruchs treten und deshalb nicht weiter gehen können als dieser. Ob bereits dieser Gesichtspunkt im Fall der Klägerin einer Kostenerstattung ganz oder teilweise entgegensteht, wie die Beklagte meint, kann ohne genaue Kenntnis der in Rede stehenden Behandlungsmaßnahmen nicht entschieden werden.

Eine Erstattung wäre nach beiden Vorschriften ausgeschlossen, wenn die erbrachten Leistungen nicht dem in § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V festgelegten medizinischen Standard entsprochen haben bzw ihre Wirksamkeit und Zweckmäßigkeit nicht in dem für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in § 135 Abs 1 SGB V vorgesehenen Verfahren festgestellt worden sein sollten. Die Annahme, es habe sich um wissenschaftlich nicht anerkannte Außenseitermethoden gehandelt, kann freilich nicht allein damit begründet werden, daß das mit dem Begriff Chronic Fatigue Syndrome umschriebene Krankheitsbild wissenschaftlich umstritten ist und kontrollierte medizinische Studien zu seiner Behandlung noch nicht vorliegen; denn fehlende oder unzureichende Kenntnisse über Ursache und Verlauf einer Krankheit schließen eine wirksame Behandlung nicht von vornherein aus. Der Erlaubnisvorbehalt in § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V bezieht sich auf neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, nicht dagegen auf neuartige Krankheiten und somit auch nicht ohne weiteres auf sämtliche Maßnahmen, die zur Erkennung oder Bekämpfung einer neuartigen Krankheit eingesetzt werden. Andererseits läßt sich bei neuen oder umstrittenen Krankheitsbildern die Zweckmäßigkeit der Therapieentscheidung oftmals nur dann beurteilen, wenn die Krankheit hinreichend erforscht und eine zuverlässige Diagnosestellung möglich ist. Das Krankheitsbild muß bei Zugrundelegung der allgemein anerkannten Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft die begründete Annahme rechtfertigen, daß die vom Arzt diagnostizierte Erkrankung vorliegt und mit der vorgeschlagenen Therapie wirksam behandelt werden kann (Senatsurteil vom 6. Oktober 1999 – BSGE 85, 56, 62 f = SozR 3-2500 § 28 Nr 4 S 20 f – Amalgam). Über die Zuverlässigkeit der im konkreten Fall gestellten Diagnose und der dabei zugrunde gelegten Annahmen ebenso wie über Art und Umfang der erbrachten oder veranlaßten Leistungen, insbesondere auch der diagnostischen Maßnahmen, die nach dem vom Berufungsgericht zitierten Gutachten des MDK beim Chronic Fatigue Syndrome einen Schwerpunkt der ärztlichen Bemühungen bilden, ist nichts bekannt, weil das LSG dazu keine Feststellungen getroffen hat. Ohne solche Feststellungen kann auch nicht beurteilt werden, ob bei den verschiedenen Behandlungen das Wirtschaftlichkeitsgebot beachtet wurde. Aufwendungen für unnötige oder unwirtschaftliche Leistungen hätte die Krankenkasse weder nach § 13 Abs 2 noch nach § 13 Abs 3 SGB V zu erstatten; denn sie schuldet ihren Versicherten nur die zur Erkennung, Heilung, Eindämmung oder Linderung der Krankheit notwendigen und ausreichenden Leistungen, während auf nicht notwendige oder unwirtschaftliche Maßnahmen weder in Form von Dienst- oder Sachleistungen noch im Wege der Kostenerstattung ein Anspruch besteht (§ 12 Abs 1, § 27 Abs 1 SGB V). Nachdem die Beklagte sich im Widerspruchsbescheid vom 23. Oktober 1995 ausdrücklich auf die Unwirtschaftlichkeit der in Rechnung gestellten Leistungen berufen hat, muß dem gegebenenfalls nachgegangen werden.

Sollten die Ermittlungen ergeben, daß es sich um Leistungen handelt, für die die gesetzliche Krankenversicherung dem Grunde nach einzustehen hat, so ist ein Erstattungsanspruch aus § 13 Abs 2 SGB V im Fall der Klägerin nicht von vornherein ausgeschlossen. Die genannte Bestimmung, die durch das GSG mit Wirkung vom 1. Januar 1993 eingeführt und später mehrfach geändert worden ist, erlaubt es freiwillig Versicherten und ihren mitversicherten Familienangehörigen, für die Dauer der freiwilligen Versicherung anstelle der Sach- oder Dienstleistung Kostenerstattung zu wählen. Wie diese Wahl zu erfolgen hat, war aus der ursprünglichen, bis 30. Juni 1997 geltenden Fassung der Vorschrift nicht zu ersehen, da eine dem späteren § 13 Abs 2 Satz 5 bzw dem jetzigen § 13 Abs 2 Satz 6 SGB V entsprechende Bestimmung fehlte. Der erkennende Senat hat es in zwei Urteilen vom 10. Mai 1995 (BSGE 76, 101 = SozR 3-2500 § 13 Nr 7) und vom 23. November 1995 (SozR 3-2500 § 13 Nr 9) nicht beanstandet, daß die dortigen Versicherten die Kostenerstattung jeweils nur für eine bestimmte Behandlung und in einem der Fälle erst nachträglich durch Einreichung der entsprechenden privatärztlichen Liquidation bei der Krankenkasse beantragt hatten. Ob das durch Besonderheiten der damaligen Verfahren veranlaßt oder Ausdruck der Rechtsauffassung war, daß es einer generellen, für alle zukünftigen Behandlungsfälle geltenden Festlegung auf das Kostenerstattungsverfahren nicht bedurft hat, kann auf sich beruhen. Denn in Anlehnung an die zitierte Rechtsprechung ist jedenfalls für die hier streitige Zeit davon auszugehen, daß die Klägerin ihr Wahlrecht von Fall zu Fall und auch noch nach Abschluß der jeweiligen Behandlung ausüben konnte, wie dies im übrigen auch in der Satzung der Beklagten vorgesehen war. Zwar ist die erwähnte Rechtsansicht im Schrifttum überwiegend auf Ablehnung gestoßen (vgl etwa: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung, 21. Lfg 1993, § 13 SGB V RdNr 10; Hauck, SGB V, 15. Lfg 1994, K § 13 RdNr 13; befürwortend nur: Zipperer, BKK 1993, 3, 16); auch kann sie angesichts der zwischenzeitlichen Rechtsänderungen für das geltende Recht nicht aufrecht erhalten werden (zur aktuellen Rechtslage vgl Noftz in: Hauck, SGB V, 43. Lfg 1999, K § 13 RdNrn 31 ff). Da es sich um außer Kraft getretenes Recht handelt, ist jedoch für die Vergangenheit aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes an dem durch die bisherigen Entscheidungen des Senats vermittelten Gesetzesverständnis festzuhalten. Danach scheitert ein auf § 13 Abs 2 SGB V gestützter Anspruch hier nicht daran, daß die Klägerin die Beklagte erst im Juni 1993 von den bereits seit Monaten laufenden Behandlungen in Kenntnis gesetzt und Kostenerstattung beantragt hat.

Ob diesem Anspruch andere Gründe entgegenstehen, kann wiederum wegen unzureichender Tatsachenfeststellungen nicht entschieden werden. Das Berufungsgericht geht zu Recht davon aus, daß eine Kostenerstattung nach § 13 Abs 2 Satz 1 SGB V ausgeschlossen ist, soweit die Klägerin Ärzte oder ärztlich geleitete Einrichtungen in Anspruch genommen hat, die nicht zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung zugelassen oder ermächtigt waren. Seit der Novellierung durch das 2. GKV-NOG vom 23. Juni 1997 (BGBl I 1520) ist dies im Text der Vorschrift selbst ausdrücklich klargestellt. Der Senat hat aber auch für die Zeit davor mehrfach entschieden, daß die Wahl der Kostenerstattung den Versicherten nicht von der in § 76 Abs 1, § 108, § 124 Abs 1 und § 126 Abs 1 SGB V angeordneten Beschränkung auf zugelassene Leistungserbringer entbindet (vgl nochmals BSGE 76, 101 = SozR 3-2500 § 13 Nr 7; BSG SozR 3-2500 § 13 Nr 9; Urteil vom 12. März 1996 – 1 RK 13/95 – VersR 1997, 1030 = USK 96167; neuerdings auch Urteil vom 11. Juli 2000 – B 1 KR 14/99 R, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Er hat sich dabei bereits mit den von der Revision jetzt vorgetragenen Einwänden auseinandergesetzt, so daß hierauf nicht erneut einzugehen ist. Da auch diese Rechtsprechung nur noch Bedeutung für in der Vergangenheit liegende, abgeschlossene Sachverhalte hat, wäre ihre nachträgliche Änderung ohnedies nur zu rechtfertigen, wenn sie in den verbliebenen Fällen zu grob unbilligen und schlechthin unvertretbaren Ergebnissen führen würde, wofür nichts ersichtlich ist. Ob die von der Klägerin konsultierten Ärzte als Vertragsärzte zugelassen waren oder nicht, ist dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen. Das LSG spricht zwar wiederholt von einer “privatärztlichen” Therapie, hat aber zum Status der beteiligten Ärzte keine Feststellungen getroffen. Nur die Ärzte Dr. H. und Prof. Dr. I. werden im Urteil überhaupt namentlich erwähnt; deren Gemeinschaftspraxis in D. wird von der Beklagten als Kassenpraxis bezeichnet, so daß anzunehmen ist, daß zumindest einer der beiden Praxisinhaber eine Kassenzulassung besessen hat. Über die anderen behandelnden Ärzte ist nichts bekannt.

Wenn § 13 Abs 2 SGB V als Anspruchsgrundlage ausscheiden sollte, weil die Behandlung von Nichtvertragsärzten durchgeführt wurde, kann gleichwohl noch ein Anspruch aus § 13 Abs 3 SGB V in Betracht kommen. Diese Möglichkeit besteht, wenn die betreffenden Ärzte aufgesucht werden mußten, weil eine von der Beklagten geschuldete Behandlung im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung nicht zur Verfügung gestellt werden konnte. Das Vorbringen der Klägerin geht in diese Richtung, denn sie beruft sich darauf, daß das Chronic Fatigue Syndrome in der Ärzteschaft noch weitgehend unbekannt und sie deshalb gezwungen gewesen sei, sich die benötigte Behandlung gerade bei den von ihr konsultierten Ärzten zu beschaffen. Auch zu diesem Punkt kann wegen der unzulänglichen Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts nicht abschließend Stellung genommen werden.

Nach § 13 Abs 3 SGB V sind dem Versicherten die Kosten einer selbstbeschafften Leistung in der entstandenen Höhe zu erstatten, wenn die Leistung unaufschiebbar war und die Krankenkasse sie nicht rechtzeitig erbringen konnte (erste Fallgruppe) oder wenn die Krankenkasse die Leistung zu Unrecht abgelehnt hatte (zweite Fallgruppe). Die Voraussetzungen der ersten Fallgruppe haben entgegen der Ansicht der Klägerin nicht vorgelegen, denn sie hätte sich vor Inanspruchnahme der privatärztlichen Leistungen mit der Beklagten in Verbindung setzen und über die Möglichkeiten einer Behandlung auf Krankenschein bzw Krankenversichertenkarte informieren können. Insofern kann dahingestellt bleiben, ob die umstrittenen Behandlungen unaufschiebbar im Sinne der gesetzlichen Regelung gewesen sind, ob sie also im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Durchführung so dringlich waren, daß aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten zeitlichen Aufschubs mehr bestand (siehe dazu Noftz in: Hauck, SGB V, 43. Lfg 1999, § 13 RdNr 49). Das ist nicht von vornherein ausgeschlossen, denn die erste Fallgruppe erfaßt nicht nur Notfälle im Sinne des § 76 Abs 1 Satz 2 SGB V, bei denen ein unvermittelt aufgetretener Behandlungsbedarf sofort befriedigt werden muß. Unaufschiebbar kann auch eine zunächst nicht eilbedürftige Behandlung werden, wenn mit der Ausführung so lange gewartet wird, bis die Leistung zwingend erbracht werden muß, damit der mit ihr angestrebte Erfolg noch erreicht werden kann (BSGE 73, 271, 287 = SozR 3-2500 § 13 Nr 4 S 26). Die medizinische Dringlichkeit ist indessen nicht allein ausschlaggebend. Denn für die erste Fallgruppe wird neben der Unaufschiebbarkeit vorausgesetzt, daß die Krankenkasse die in Rede stehenden Leistungen nicht rechtzeitig erbringen konnte. Davon kann im Regelfall nur ausgegangen werden, wenn sie mit dem Leistungsbegehren konfrontiert war und sich dabei ihr Unvermögen herausgestellt hat. Nur da, wo eine vorherige Einschaltung der Krankenkasse vom Versicherten nach den Umständen des Falles nicht verlangt werden konnte, darf die Unfähigkeit zur rechtzeitigen Leistungserbringung unterstellt werden. § 13 Abs 3 SGB V will lückenlos alle Sachverhalte der berechtigten Selbstbeschaffung von Leistungen in Fällen des Systemversagens erfassen. Bei seiner Auslegung müssen deshalb die Merkmale der beiden Fallgruppen so aufeinander abgestimmt werden, daß dieser Zweck erreicht wird. Daraus folgt, daß der Kostenerstattungsanspruch mit dem Unvermögen der Krankenkasse zur rechtzeitigen Erbringung einer unaufschiebbaren Leistung nur begründet werden kann, wenn es dem Versicherten – aus medizinischen oder anderen Gründen – nicht möglich oder nicht zuzumuten war, vor der Beschaffung die Krankenkasse einzuschalten. Ohne daß es in den damaligen Fällen auf nähere Einzelheiten ankam, hat der Senat den Anspruch aus § 13 Abs 3 SGB V bereits in früheren Urteilen in diesem Sinne geprüft (vgl BSGE 83, 285, 286 = SozR 3-2500 § 60 Nr 3 S 13; BSGE 81, 54, 56 f = SozR 3-2500 § 135 Nr 4 S 11). Die Verknüpfung zwischen den beiden Fallgruppen der Vorschrift ist auch vom 4. Senat des BSG im Urteil vom 16. Dezember 1993 in ähnlicher Weise gesehen worden (vgl nochmals BSGE 73, 271, 285 ff = SozR 3-2500 § 13 Nr 4 S 25 ff).

Im Fall der Klägerin waren die genannten Voraussetzungen nicht erfüllt. Vor der Selbstbeschaffung hätte der Beklagten die Prüfung ermöglicht werden können, ob die Behandlung im Rahmen des vertragsärztlichen Versorgungssystems bereitgestellt werden konnte und, sofern dies nicht möglich war, wie Abhilfe zu schaffen sei. Die von der Klägerin behaupteten Schwierigkeiten bei der Leistungsbeschaffung, die sich daraus ergeben haben sollen, daß große Teile der Ärzteschaft mit dem Krankheitsbild des Chronic Fatigue Syndrome nicht vertraut sind, rechtfertigen insoweit keine Ausnahme. Sie wären vielmehr ein zusätzlicher Anlaß gewesen, sich an die Beklagte zu wenden, um tatsächlich alle erreichbaren Behandlungsmöglichkeiten auszuschöpfen. Andere Gründe, die eine Selbstbeschaffung ohne Einschaltung der Krankenkasse rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich.

Denkbar ist jedoch, daß die Beklagte die Gewährung von Leistungen zu Unrecht abgelehnt hat und der Klägerin aus diesem Grunde Kosten zu erstatten sind (zweite Fallgruppe des § 13 Abs 3 SGB V). Das kommt allerdings, wie das LSG zutreffend dargelegt hat, von vornherein nur für Behandlungen ab 8. Juni 1993 (Zeitpunkt des ablehnenden Bescheides) in Betracht, da es für die Zeit davor an der Kausalität zwischen Ablehnung und Kostenentstehung fehlt. Ob in bezug auf die Diagnostik und die Therapie des Chronic Fatigue Syndromes ein Versorgungsnotstand bestanden hat, der die Klägerin berechtigte, sich durch die von ihr aufgesuchten Ärzte auf Privatrechnung zu Lasten der Beklagten behandeln zu lassen, wird das Berufungsgericht erforderlichenfalls klären müssen.

In dem den Rechtsstreit abschließenden Urteil wird sodann auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden sein.