Bundessozialgericht B 3 KR 40/04 R

Kernpunkte:

  • Wenn die Kasse keine adäquate ambulante Versorgungsmöglichkeit benennt, bleibt sie für die stationäre Behandlung zahlungspflichtig.
  • Dieses Urteil war Anlass für den gegenteiligen Beschluss des Großen Senats (GS 1/06)

 

 

 

Bundessozialgericht

Urteil vom 07.07.2005

Sozialgericht Lübeck
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht
Bundessozialgericht B 3 KR 40/04 R

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 21. September 2004 geändert. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 25. September 2003 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte verurteilt wird, an die Klägerin 50.397,50 ¤ zu zahlen. Die Klage auf Zinsen wird als unzulässig abgewiesen. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits. Der Streitwert wird auf 50.397,50 ¤ festgesetzt.

 

Gründe:
I

 

Der klagende Krankenhausträger begehrt von der beklagten Krankenkasse die Bezahlung der stationären Behandlung ihres Versicherten Andy H (im Folgenden H.) in der Zeit vom 16. November 1997 bis zu dessen Selbsttötung am 7. September 1998. Der 1966 geborene H. litt seit 1987 unter einer schweren paranoid-halluzinatorischen Psychose des schizophrenen Formenkreises, deretwegen er mehrfach über lange Zeiträume stationär behandelt wurde. Am 7. September 1994 wurde er erneut in der von der Klägerin betriebenen psychiatrischen Fachklinik H aufgenommen. Die Beklagte übernahm dafür die Kosten der Behandlung bis zum 15. November 1997. Für den weiteren hier streitigen Zeitraum lehnte sie mit Schreiben vom 23. Oktober 1997 an die Klägerin eine Verlängerung ab, nachdem die Gutachterin des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) nach Aktenlage und Klinikbesuch zu dem Ergebnis gekommen war, dass von einem chronischen Verlauf der Psychose auszugehen sei, die in ihrer Symptomatik nur medikamentös abgemildert werden könne, ohne dass eine entscheidende Besserung zu erwarten sei. Es müsse deshalb von einem Pflegefall ausgegangen werden. In diesem Sinne erteilte die Beklagte auch dem Versicherten einen ablehnenden Bescheid über die Weitergewährung stationärer Krankenpflege, die von diesem angefochten wurde. Das Verfahren hat sich durch den Tod des Versicherten erledigt.

Wegen der noch offenen Kosten für die weitere, als notwendig angesehene stationäre Behandlung des Versicherten hat die Klägerin ohne vorherige Rechnungserteilung Klage zum Sozialgericht (SG) erhoben und beantragt, die Beklagte zu verurteilen, die Kosten der Behandlung des Versicherten H. für die Zeit vom 16. November 1997 bis zum 7. September 1998 Zug um Zug gegen Hergabe einer Rechnung über die Krankenhausbehandlungskosten iS des § 301 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) zu erstatten. Das SG hat die Beklagte nach Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens von Frau Dr. P antragsgemäß verurteilt. Es hat sich der Auffassung der Sachverständigen angeschlossen, dass weiterhin Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit vorgelegen habe, weil der Versicherte zu keinem Zeitpunkt ausreichend psychisch stabil gewesen sei, um in eine Nachsorgeeinrichtung für psychisch Kranke verlegt zu werden. Er sei zu keiner Übersiedlung in eine Langzeiteinrichtung für psychisch Kranke bereit gewesen, sondern habe auf einer Rückkehr in die eigene Wohnung zu seiner Mutter bestanden, die gänzlich ungeeignet gewesen wäre. Eine Verlegung gegen seinen Willen hätte absehbar wie nach den vorangegangenen Krankenhausentlassungen zu einer massiven psychischen Dekompensation mit einer vitalen Gefährdung geführt (Urteil vom 25. September 2003).

Auf die Berufung der Beklagten hat das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) die Klage abgewiesen (Urteil vom 21. September 2004). Es ist nach einem weiteren Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Dr. F zu dem Ergebnis gekommen, dass Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit im streitigen Zeitraum nicht vorgelegen habe. Es hat schon aus einem fehlenden Therapiekonzept abgeleitet, dass nicht die besonderen Mittel eines Krankenhauses zum Einsatz gekommen seien, sondern die ärztliche Betreuung auch ambulant hätte durchgeführt werden können. Die Annahme der erstinstanzlich gehörten Sachverständigen, dass eine Verlegung des Versicherten gegen seinen Willen nicht ohne massive Gefährdung habe durchgeführt werden können, sei für die Feststellung der Notwendigkeit der weiteren Krankenhausbehandlung nicht maßgebend. Entscheidend sei insofern allein, ob die besondere apparative Ausstattung des Krankenhauses zur Anwendung komme und Interventionen durch jederzeit abrufbare Ärzte erforderlich seien. Beides sei nicht der Fall gewesen. Entgegen der Auffassung des Bundessozialgerichts (BSG) im Urteil vom 13. Mai 2004 – B 3 KR 18/03 R – (BSGE 92, 300 = SozR 4-2500 § 39 Nr 2 = SGb 2005, 286) komme es nicht auf die konkrete Betrachtungsweise an, ob ambulante Behandlungsalternativen zur Verfügung gestanden hätten. Die Krankenkasse sei auch nicht verpflichtet, den behandelnden Krankenhausärzten und dem Versicherten solche Behandlungsalternativen aufzuzeigen. Eine solche Verpflichtung ergebe sich weder aus dem Gesetz noch aus den auf Landesebene abgeschlossenen Verträgen zwischen den Krankenkassen und den Krankenhausträgern. Das BSG habe bislang in ständiger Rechtsprechung allein auf die medizinische Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung abgestellt und sei mit der Entscheidung vom 13. Mai 2004 davon abgewichen, ohne dafür eine überzeugende Begründung gegeben zu haben.

Dagegen richtet sich die vom LSG zugelassene Revision der Klägerin. Sie rügt die Verletzung materiellen und formellen Rechts. Das LSG sei zu Unrecht von der Entscheidung des BSG vom 13. Mai 2004 abgewichen und habe dadurch § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V verletzt. Schon aus dem Wortlaut des § 39 SGB V ergebe sich, dass sich das Tatbestandsmerkmal der Erforderlichkeit der Krankenhausbehandlung durch eine Abgrenzung zu den anderen Behandlungsalternativen bestimme. Dem vom LSG allein für erheblich gehaltenen Einsatz der besonderen Mittel des Krankenhauses, zB seiner apparativen Ausstattung, eines geschulten Pflegepersonals sowie eines jederzeit rufbereiten Arztes, komme lediglich eine Indizwirkung bei der Abgrenzung zu den Behandlungsalternativen zu. Entgegen der Auffassung des LSG reiche es nicht aus, denkbare Behandlungsalternativen aufzuzeigen, wenn diese im konkreten Fall dem Patienten nicht zugänglich seien. Ließe man mit dem LSG die konkrete Verfügbarkeit der Alternativen unberücksichtigt, müsste im Extremfall in Kauf genommen werden, dass eine behandlungsbedürftige Erkrankung tatsächlich unbehandelt bliebe. Die Krankenkassen dürften deshalb die Kosten einer laufenden Krankenhausbehandlung unter Hinweis auf ambulante Behandlungsalternativen nur dann ablehnen, wenn sie auf konkrete geeignete und zur Verfügung stehende Alternativen hinwiesen. Damit sei keine Verpflichtung zum Entwurf eines umfassenden und ganzheitlichen Behandlungs- und Pflegekonzepts für die Versicherten – wie es das LSG beschreibe – verbunden.

Weiterhin habe das LSG die Grenzen freier Beweiswürdigung überschritten, wenn es ausführe, dass in den beiden Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen in den entscheidenden Punkten keine Abweichungen bestünden, gleichwohl aber zu entgegengesetzten Ergebnissen komme. Dies zeige, dass es sich mit dem Inhalt der beiden Gutachten nicht auseinandergesetzt habe und damit der Pflicht zur umfassenden Beweiswürdigung nicht nachgekommen sei.

Nachdem die Klägerin der Beklagten im Verlaufe des Verfahrens die Rechnung über die Behandlung erteilt hat, beantragt die Klägerin nunmehr,
die angefochtene Entscheidung zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 50.397,50 ¤ nebst der vertraglichen Verzinsung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

II

 

Die Revision der Klägerin ist bis auf den erstmalig im Revisionsverfahren erhobenen Zinsanspruch begründet. Das LSG hat zu Unrecht einen Vergütungsanspruch der Klägerin für den hier streitigen Zeitraum verneint. Nachdem im Laufe des Gerichtsverfahrens die Klägerin der Beklagten eine Rechnung über die Krankenhausbehandlung des Versicherten erteilt hat, ist die vom SG ausgesprochene Zug-um-Zug Verurteilung der Beklagten hinfällig geworden, ohne dass näher auf die Frage einzugehen ist, ob ein solcher Urteilsausspruch der Rechtslage entsprochen hat oder stattdessen mangels Fälligkeit der Klageforderung die Klage hätte abgewiesen werden müssen.

Eine Krankenkasse ist nach § 109 Abs 4 Satz 3 SGB V iVm der Pflegesatzvereinbarung zwischen Krankenkasse und Krankenhausträger verpflichtet, die vereinbarten Entgelte zu zahlen, wenn Krankenhausbehandlung stattgefunden hat und die Versorgung des Versicherten im Krankenhaus iS von § 39 SGB V erforderlich gewesen ist. Die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse entsteht dann unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten (BSGE 86, 166, 168 = SozR 3-2500 § 112 Nr 1; BSGE 90, 1, 2 = SozR 3-2500 § 112 Nr 3).

Das LSG hat anscheinend bereits das Vorliegen einer Krankenhausbehandlung verneinen wollen, indem es ausführt, dass die besonderen Mittel eines Krankenhauses nicht zum Einsatz gekommen seien, weil ein konkretes Behandlungskonzept mit einer Therapieplanung nicht erkennbar sei, Inhalt und Art der durchgeführten therapeutischen Maßnahmen bei der Arbeits- und Ergotherapie mangels Dokumentation unbekannt, und allenfalls in besonderen Situationen ärztliche Kurzintervensionen erforderlich gewesen seien. Daraus, dass die typischen Krankenhausbehandlungsmaßnahmen nicht erkennbar oder nicht durchgeführt worden seien, schließt das LSG sodann, dass eine solche Behandlung auch nicht erforderlich gewesen sei. Diese Argumentation geht fehl. Nach den getroffenen Feststellungen ist sowohl die Durchführung einer Krankenhausbehandlung nach den modernen Standards der Behandlung von psychischen Erkrankungen als auch die Notwendigkeit einer solchen Behandlung zu bejahen, weil ambulante Behandlungsmöglichkeiten nicht ausreichend waren.

Dass eine Krankenhausbehandlung stattgefunden hat, ergibt sich einmal daraus, dass die Einrichtung der Klägerin ein Krankenhaus iS des SGB V darstellt, das zur Versorgung der Versicherten zugelassen ist, und dass der Versicherte in dieser Einrichtung stationär behandelt worden ist. Nach § 107 Abs 1 SGB V sind Krankenhäuser Einrichtungen, die der Krankenhausbehandlung oder Geburtshilfe dienen, fachlich-medizinisch unter ständiger ärztlicher Leitung stehen, über ausreichende, ihrem Versorgungsauftrag entsprechende diagnostische und therapeutische Möglichkeiten verfügen, nach wissenschaftlich anerkannten Methoden arbeiten und mit Hilfe von jederzeit verfügbarem ärztlichem, pflege-, funktions- und medizinisch-technischem Personal darauf eingerichtet sind, vorwiegend durch ärztliche und pflegerische Hilfeleistungen Krankheiten der Patienten zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten, Krankheitsbeschwerden zu lindern oder Geburtshilfe zu leisten, wobei die Patienten dort auch untergebracht und verpflegt werden können. Die frühere Rechtsprechung hat ohne gesetzliche Definition die Merkmale eines Krankenhauses in einer apparativen Mindestausstattung, einem geschulten Pflegepersonal und einem jederzeit präsenten bzw rufbereiten Arzt gesehen (vgl BSGE 59, 116, 117 = SozR 2200 § 84 Nr 27), jedoch im Hinblick auf das Merkmal “Krankenhausbehandlung” weder den Einsatz aller dieser Mittel gefordert noch stets als ausreichend angesehen. Regelmäßig ist eine Gesamtschau unter Berücksichtigung der Verhältnisse des einzelnen Falles als erforderlich angesehen worden (BSGE 81, 189, 193 = SozR 3-2500 § 111 Nr 1 zur Abgrenzung von Rehabilitationseinrichtungen). Bei einer psychiatrischen Erkrankung kann der Einsatz von krankenhausspezifischen Geräten ganz in den Hintergrund treten und allein der Einsatz von Ärzten, therapeutischen Hilfskräften und Pflegepersonal sowie die Art der Medikation die stationäre Behandlung kennzeichnen (BSGE 92, 300, 305 = SozR 4-2500 § 39 Nr 2).

Unter Berücksichtigung der vorstehend genannten Kriterien ist davon auszugehen, dass im Falle H. auch im streitigen Zeitpunkt eine stationäre Krankenhausbehandlung stattgefunden hat. Dem steht nicht entgegen, dass der Sachverständige Dr. F im Rahmen seines Aktengutachtens kein schriftliches Behandlungskonzept mit einer Therapieplanung aus den Krankenhausunterlagen entnehmen konnte. Ebenso wenig schließt eine unzureichende Dokumentation für die Zeit von November 1997 bis April 1998 die Annahme aus, dass Krankenhausbehandlung auch in dieser Zeit stattgefunden hat (BSGE 70, 20, 24 = SozR 3-2500 § 39 Nr 1 S 5). Denn aus dem Verlauf der Behandlung ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit, dass Ziel der Behandlung die Befreiung des H. von seinen krankheitsbedingten Wahnideen und Unruhezuständen sowie die Stabilisierung seiner psychischen Verfassung in einem Maße gewesen ist, dass seine Entlassung in eine Behinderten- oder sonstige Betreuungseinrichtung verantwortet werden konnte. Dies hat die im erstinstanzlichen Verfahren gehörte Sachverständige im Einzelnen dargelegt. Soweit das LSG die Verneinung einer Krankenhausbehandlung auch darauf stützt, dass nicht die fachlich-medizinische Leitung durch einen Arzt im Vordergrund gestanden habe, weil dieses nicht aus den Krankenhausunterlagen erkennbar sei, sondern die Anwendung von Heilmitteln durch medizinisches Hilfspersonal und die medikamentöse Behandlung, ist dem ebenfalls nicht zu folgen. Bei Patienten mit schweren und zum Teil bereits chronisch verlaufenden psychischen oder psychiatrischen Erkrankungen – dazu gehörte H. – entspricht es inzwischen dem allgemein anerkannten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse, dass ein komplexer Behandlungsansatz des Zusammenwirkens eines multiprofessionellen Teams von Ärzten, Dipl-Psychologen, Sozialpädagogen, Ergotherapeuten und Bewegungstherapeuten mit fachlich besonders geschultem und erfahrenem psychiatrischen Krankenpflegepersonal gewählt wird (vgl Weig/Gelhausen, SGb 1996, 576). Im Rahmen einer länger dauernden Krankenhausbehandlung kann es dabei durchaus vorkommen, dass die Behandlung durch Psychologen, Sozialpädagogen, Ergotherapeuten oder Bewegungstherapeuten neben der medikamentösen Behandlung ganz im Vordergrund steht und sich der ärztliche Behandlungsbeitrag auf die begleitende Kontrolle und Überwachung der Behandlung beschränkt, was sich in den Krankenhausbehandlungsunterlagen nicht niederschlägt, weil diese ärztliche Kontrolle im Wesentlichen im Rahmen von Rücksprachen oder Konferenzen mit den behandelnden Therapeuten ausgeübt wird. Aus den nur gelegentlichen Eintragungen über ärztliche Maßnahmen in den Behandlungsunterlagen kann also nicht gefolgert werden, dass die unverzichtbare ärztliche Anleitung und Überwachung der Behandlung unterblieben ist.

Die durchgeführte Krankenhausbehandlung war entgegen der Auffassung des LSG auch notwendig, weil eine Entlassung von H. in eine nachsorgende Einrichtung mit der Möglichkeit einer bloß ambulanten Behandlung nicht ausreichend war. Der Senat bestätigt hinsichtlich der Anforderungen an die Feststellung der Notwendigkeit einer Krankenhausbehandlung sein Urteil vom 13. Mai 2004 – B 3 KR 18/03 R – (aaO), in dem er ausgeführt hat, dass die Frage der Notwendigkeit einer Krankenhausbehandlung nicht abstrakt anhand der eine Krankenhausbehandlung umschreibenden Merkmale zu beantworten ist, sondern stets konkret mit Blick auf die in Betracht kommenden ambulanten Behandlungsalternativen. Dies bedeutet, dass es nicht ausreicht, von theoretisch vorstellbaren, besonders günstigen Sachverhaltskonstellationen auszugehen, die den weiteren Krankenhausaufenthalt entbehrlich erscheinen lassen, sondern dass zu prüfen ist, welche ambulanten Behandlungsalternativen im Einzelfall konkret zur Verfügung stehen, weil nur so die kontinuierliche medizinische Versorgung eines Versicherten gewährleistet werden kann. Entgegen der Auffassung des LSG liegt darin keine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung des BSG, sondern lediglich eine Fortentwicklung, der sich inzwischen auch der 1. Senat des BSG angeschlossen hat (vgl Urteil vom 16. Februar 2005 – B 1 KR 18/03 R – zur Veröffentlichung vorgesehen). Das BSG hat sich in seiner früheren Rechtsprechung vor allem mit der Abgrenzung einer Krankenhausbehandlung von einer bloßen Verwahrung, Pflege oder Unterbringung befasst, um die es bei Psychiatriepatienten häufig ging. In diesem Zusammenhang wurde die Notwendigkeit einer Krankenhausbehandlung bejaht (BSGE 59, 116 = SozR 2200 § 184 Nr 27), wenn eine apparative Mindestausstattung, geschultes Pflegepersonal und jederzeit rufbereite Ärzte erforderlich waren, um die Krankheit zu heilen oder zu bessern. Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit wurde andererseits verneint, wenn ärztliche Behandlung nicht mehr stattfand und der Aufenthalt des Versicherten im Krankenhaus allein der Unterbringung zur Verwahrung diente (BSG SozR 2200 § 184 Nr 28). In keinem Fall ist es aber von der Rechtsprechung des BSG in Kauf genommen worden, dass ein ärztlich behandlungsbedürftiger Versicherter unbehandelt blieb, weil ambulante Behandlungsmöglichkeiten in einer entsprechend ausgestatteten Betreuungseinrichtung abstrakt vorstellbar waren, konkret aber nicht zur Verfügung standen.

Wenn auch der Anspruch auf Vergütung einer Krankenhausbehandlung gegen die Krankenkasse von dem Sachleistungsanspruch des Versicherten auf Behandlung zu trennen ist, so korrespondieren dennoch beide Ansprüche in der Weise, dass sie sich inhaltlich im Kern decken, weil die Leistung des Leistungserbringers (hier Krankenhaus) zur Erfüllung des Sachleistungsanspruchs dient. Der Anspruch des Leistungserbringers auf Vergütung kann zwar im Einzelfall weitergehen als der Anspruch des Versicherten auf Behandlung (etwa bei bewusster Vortäuschung einer Erkrankung – dazu BSG SozR 3-2500 § 39 Nr 4), folgt aber im Wesentlichen dem Sachleistungsanspruch des Versicherten und kann zutreffend nur unter Würdigung der versicherungsrechtlichen Lage umschrieben werden (entgegen Noftz, Anm zum Urteil des BSG vom 13. Mai 2004 – aaO – SGb 2005, 290, 291).

Ausgangspunkt ist deshalb § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V, wonach Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung haben, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten und Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach Abs 1 Satz 3 dieser Vorschrift ist bei der Krankenbehandlung den besonderen Bedürfnissen psychisch Kranker Rechnung zu tragen, insbesondere bei der Versorgung mit Heilmitteln und bei der medizinischen Rehabilitation. Behandlungsbedürftig erkrankte Versicherte haben danach grundsätzlich ohne Rücksicht auf die Kosten Anspruch auf diejenige Behandlung, die notwendig und geeignet ist, ihren gesundheitlichen Zustand zu verbessern oder vor einer Verschlimmerung zu bewahren. Selbst ein langjähriger Krankenhausaufenthalt mit hohen Kosten ist von der Krankenkasse zu bewilligen und weiter zu gewähren, solange eine ärztliche Behandlung der Krankheit nötig ist und gleichgeeignete, aber weniger kostenaufwendige Behandlungsalternativen nicht zur Verfügung stehen (§ 39 Abs 1 Satz 2 SGB V).

Dass die ärztliche Behandlung des H. trotz der langjährigen, im Wesentlichen erfolglosen, ambulanten und stationären Behandlungen weiterhin erforderlich war, wird vom LSG nicht in Zweifel gezogen, obwohl das Gutachten des MDK, das Grundlage der Versagung der weiteren Krankenhausbehandlung war, von einem “Pflegefall” spricht. Ein bloßer Pflegefall liegt nicht schon dann vor, wenn eine weitere ärztliche Behandlung keine Besserung mehr verspricht, sondern erst dann, wenn auch keine Stabilisierung oder Verzögerung des Krankheitsverlaufes mehr zu erreichen ist. Bei H. war aber allein zur Linderung der Wahnvorstellungen und Ängste eine dauerhafte medikamentöse Behandlung erforderlich, sodass der Streit der Beteiligten allein darum geht, ob es damit sein Bewenden hatte und dies auch ambulant hätte geschehen können, oder ob darüber hinaus eine intensive ärztliche und ärztlich überwachte Behandlung in Form von Beschäftigungstherapien erforderlich war, um die Auswirkungen der Erkrankung, insbesondere die Suizidgefahr, wirksam zu bekämpfen, und ob dies nur im Rahmen einer stationären Behandlung geschehen konnte.

Dadurch, dass die behandelnden Krankenhausärzte die Notwendigkeit einer Weiterbehandlung von H. im Krankenhaus angenommen haben, ist von dieser Notwendigkeit auszugehen, weil ihnen insoweit ein Einschätzungsspielraum zuzubilligen ist und weder das LSG noch die Beklagte Gesichtspunkte aufgezeigt haben, die diese Einschätzung als ersichtlich verfehlt oder als Verstoß gegen ärztliche Standards erscheinen lassen. Für die Richtigkeit dieser Einschätzung spricht vielmehr, dass in der einschlägigen Fachliteratur bei einer erkennbaren Suizidgefahr in aller Regel eine stationäre Unterbringung und fachärztliche Beobachtung für erforderlich gehalten wird (Tölle, Psychiatrie, 12. Aufl 1999, S 133; Schmehling-Kludas, Fachliche und rechtliche Aspekte zur Abgrenzung einer Krankenhausbehandlung im Gebiet “Psychotherapeutische Medizin” von der psychosomatischen Rehabilitation, PPmP 1999, 312, 314). Dass auch die stationäre Behandlung von H. letztendlich nicht in der Lage war, seinen Suizid zu verhindern, spricht nicht gegen die Richtigkeit der Einschätzung. Die fehlende Notwendigkeit einer stationären Behandlung wegen der Suizidgefahr kann nicht im Nachhinein daraus abgeleitet werden, dass die Behandlung sich auch in dieser Hinsicht als erfolglos erwiesen hat.

Dass es im Zweifel auf die Prognose der behandelnden Krankenhausärzte ankommt, besagt nicht, dass dies neben der “objektiven” Notwendigkeit der Behandlung eine weitere Alternative darstellen würde, den Leistungsanspruch des Versicherten und den daraus folgenden Vergütungsanspruch des Krankenhauses zu begründen. Diesem Missverständnis ist das LSG anscheinend erlegen, indem es ausführt, der Gesetzeswortlaut des § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V stelle allein auf die sachliche Notwendigkeit der Krankenhauspflege ab. Die sachliche Notwendigkeit der Krankenhauspflege ist vielmehr stets Voraussetzung der genannten Ansprüche; es ist nur die Frage, wie diese Notwendigkeit festzustellen ist. Die Rechtsprechung des Senats, dass es auf die fachlich einwandfreie Einschätzung des behandelnden Krankenhausarztes ankommt, trägt der Situation und Entscheidungsverantwortung des behandelnden Krankenhausarztes Rechnung, die dadurch geprägt ist, dass es eine eindeutig objektiv richtige Maßnahme im Bereich ärztlichen Handelns oft nicht gibt und ärztliches Handeln gerade bei der Behandlung schwerwiegender psychiatrischer Erkrankungen auf unterschiedliche, auch wechselnde therapeutische Ansätze angewiesen ist. Wenn die Krankenkassen im Einzelfall die nicht als fehlerhaft zu widerlegende Behandlung des Krankenhausarztes hinzunehmen und die Leistung entsprechend zu vergüten haben, kann die vom Gesetz vorgesehene Wirtschaftlichkeitsprüfung in Form der Einzelfallprüfung (§ 275 SGB V) oder Stichprobenprüfung (§ 17c Krankenhausfinanzierungsgesetz) allerdings häufig ins Leere gehen und damit uneffektiv werden (so zutreffend Noftz aaO, S 292; vgl auch bereits BSGE 89, 104 = SozR 3-2500 § 112 Nr 2). Diese Erkenntnis hat im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung mit dazu geführt, dass seit Jahrzehnten bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung die statistische Prüfung ganz im Vordergrund steht.

Die Richtigkeit der Entscheidung der Krankenhausärzte, H. weiterhin stationär zu behandeln, wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der zweitinstanzlich gehörte Gutachter ausgeführt hat, ihm seien in Schleswig-Holstein verschiedene Heime und Pflegeeinrichtungen bekannt, in denen vergleichbar kranke Patienten auf geschlossenen oder offenen Stationen mit sämtlichen flankierenden therapeutischen Maßnahmen behandelt werden können. Der Gutachter hat sich entsprechend seinem vom LSG gestellten Auftrag lediglich aus seiner rückblickenden Betrachtung dazu geäußert, ob die personellen und sächlichen Mittel eines Krankenhauses zur Behandlung von H. notwendig waren. Maßgebend ist aber allein, ob die Entscheidung der Krankenhausärzte, H. weiterhin stationär zu behandeln, nach ihrem damaligen Erkenntnisstand vertretbar war. Die erstinstanzlich gehörte Sachverständige hat dazu ausgeführt, dass es Ziel der Klinik gewesen sei, H. in eine psychiatrische Nachsorgeeinrichtung zu verlegen, dem aber vor allem auch die Weigerungshaltung des H. entgegengestanden habe. Es sei lediglich möglich gewesen, H. Anfang 1998 mit seinem ausdrücklichen Einverständnis von der Akutstation auf eine Rehabilitationsstation zu verlegen. Später sei es aber wieder zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes von H. gekommen, die mit einem Wechsel der Beschäftigungstherapie und mit anderen personellen Veränderungen in der Klinik in Zusammenhang gebracht worden sei und auf eine weiterhin extrem geringe psychische Belastbarkeit von H. hindeutete. Diese Sachverständige kommt deshalb zu dem Ergebnis, dass bei H. zu keinem Zeitpunkt eine ausreichende psychische Stabilität vorgelegen habe, die es ermöglicht hätte, ihn in eine Nachsorgeeinrichtung für psychisch Kranke zu verlegen. Weil dies gegen seinen Willen hätte vorgenommen werden müssen, hätte es zu einer absehbar massiven psychischen Dekompensation mit der Gefahr eines Suizids geführt. Diese Gutachterin hält eine frühere Entlassung des H. im Ergebnis sogar für unverantwortbar.

Auch wenn man dieser abweichenden ärztlichen Stellungnahme nicht in vollem Umfange folgt, zeigt sie doch, dass die Entscheidung der Krankenhausärzte jedenfalls nicht unvertretbar war. Wenn dem von Seiten der Beklagten entgegengehalten wird, auf den Willen des Versicherten könne es bei der Beurteilung der Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung nicht ankommen, verkennt sie, dass sich H. nicht wider besseres Wissen gegen eine Entlassung aus dem Krankenhaus gesträubt hat, sondern dass seine Weigerung auf einer fehlenden krankheitsbedingten Einsicht oder krankhaften Angst beruhte, die bei einem ärztlichen Handeln gegen seinen Willen die Gefahr massiver psychischer Reaktionen begründet hätte. Es kann danach keine Rede davon sein, dass H. mutwillig auf der Fortsetzung der Krankenhausbehandlung bestanden hätte und die behandelnden Ärzte darauf keine Rücksicht hätten nehmen dürfen. Insoweit sind gerade die Besonderheiten psychischer Erkrankungen zu beachten, was der Gesetzgeber durch die Einfügung des § 27 Abs 1 Satz 3 SGB V ausdrücklich hervorgehoben hat (Ausschussbericht zum Gesundheitsreformgesetz vom 20. Dezember 1988, BT-Drucks 11/3480 S 51).

Während der Hauptanspruch danach begründet ist, ist die Zinsforderung als unzulässig abzuweisen. Die Erweiterung der Hauptforderung um einen Zinsanspruch ist eine trotz des Klageänderungsverbotes in § 168 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auch im Revisionsverfahren gemäß § 99 Abs 3 Nr 2 SGG ausnahmsweise zulässige Form der Klageänderung (vgl BSG SozR 4-4100 § 119 Nr 1). Dem Antrag fehlt es aber an der hinreichenden Bestimmtheit und einer notwendigen Begründung, wenn er weder der Höhe nach beziffert, dem Zeitraum nach festgelegt noch näher ausgeführt wird, welche vertragliche Vereinbarung den Anspruch rechtfertigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 154 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung.