Hessisches Landessozialgericht L 8 KR 205/78

Hessisches Landessozialgericht

Urteil vom 29.11.1978 (rechtskräftig)

Sozialgericht Kassel
Hessisches Landessozialgericht L 8 Kr 205/78

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 14. Dezember 1977 wird als unzulässig verworfen.

2. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des zweiten Rechtszuges zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger beantragte bei der Beklagten am 6. Mai 1976 Kostenerstattung von insgesamt 1.883,50 DM für sich selbst, seine Ehefrau und sein Kind die er für die privatärztliche Behandlung nach der Elektroneuraltherapie bei Dr. W. ab 3. März bis 8. April 1976 aufwenden mußte.

Die Beklagte lehnte nach den Zwischennachrichten vom 4. und 21. Januar 1977, in denen zum Ausdruck gebracht wurde, daß ein gegebenes Versprechen nicht aufrecht erhalten werden könne, mit Bescheid vom 18. Februar 1977 die Kostenerstattung ab, da die von Dr. W. durchgeführte sogenannte Elektroneuraltherapie nach Dr. C. noch nicht als klinisch und wissenschaftlich ausreichend erprobt anzusehen sei und deshalb nicht der kassenärztlichen Versorgung zugerechnet werden könne. Wenn die Versicherten Leistungen im Rahmen einer privatärztlichen Behandlung in Anspruch nähmen, sei eine Kostenerstattung durch die Krankenkasse grundsätzlich nicht möglich. Der Versicherte habe keinen Anspruch auf die Beibehaltung rechtswidrigen Verwaltungshandelns. Auf ein im Jahre 1973 gegebenes Versprechen, die Behandlungskosten nach den Sätzen der GOÄ-Position zu übernehmen, könne er sich daher nicht berufen.

Der Widerspruchsbescheid vom 17. Mai 1977 führte noch aus, für die sogenannte Elektroneuraltherapie nach Dr. C. sei eine positive Stellungnahme des Ausschusses für Untersuchungs- und Heilmethoden gem. § 14 BMV noch nicht ergangen. Eine Abrechnung von Anwendungen nach dieser Untersuchungs- und Heilmethode sei im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung auf Kranken- oder Überweisungsschein daher nicht zulässig. Auch könne eine Erstattung durch die Krankenkasten nicht erfolgen, da diese bei privatärztlicher Behandlung nur auf Eil- und Notfälle beschränkt seien.

In dem Klageverfahren vor dem Sozialgericht Kassel hat der Kläger vorgetragen, er habe die Behandlung bei Dr. W. im Vertrauen auf die bindend gemachte Zusage der Kostenerstattung aufgrund der Antrage bei der Beklagten, dem Zeugen S., begonnen, da er nicht in der Lage gewesen sei, die Behandlungskosten selbst zu tragen. Nachdem ihm dieser zur Beschleunigung des Erstattungsverfahrens geraten habe, die Rechnungen von Dr. W. zunächst zu bezahlen, habe er sich das Geld dafür geliehen. Wenn die von dem Zeugen S. gegebene Zusicherung der Kostenerstattung falsch gewesen sein sollte, so müsse dafür die Beklagte einstehen, da ein Versicherter auf die Mitteilung eines maßgeblichen Mitarbeiters des zuständigen Versicherungsträgers vertrauen können müsse.

Die Beklagte hat dazu ausgeführt, ein Anspruch auf Kostenerstattung für privatärztliche Behandlung stehe dem Versicherten nicht zu. Eine wahlweise Möglichkeit der Privatbehandlung auf eigene Kosten und nachfolgende Kostenerstattung der Kasse sei dem System der gesetzlichen Krankenversicherung fremd. Die gesetzliche Regelung über Notfallbehandlung beträfe nur das Tätigwerden von Nichtkassenärzten. Dr. W. sei aber Kassenarzt. Die von ihm angewandte Elektroneuraltherapie nach Dr. C. könne jedoch unter Beachtung der Bestimmungen des § 368 e RVO nicht der kassenärztlichen Versorgung zugerechnet werden. Deshalb müsse auch grundsätzlich eine Kostenerstattung durch die Krankenkasse ausscheiden. Daran ändere auch nichts, daß ein Bediensteter unter Verkennung der Rechtslage eine dem geltenden Recht und der ständigen Rechtsprechung entgegenstehende Auskunft gegeben habe.

Das Sozialgericht hat Beweis erhoben und hat in der mündlichen Verhandlung vom 14. Dezember 1977 Amtsrat S. als Zeugen gehört. Auf das Ergebnis der Beweisaufnahme wird Bezug genommen.

Mit Urteil vom 14. Dezember 1977 hat das Sozialgericht Kassel die Bescheide der Beklagten vom 4. Januar und 18. Februar 1977 sowie den Widerspruchsbescheid vom 17. Mai 1977 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger die Kosten in Höhe von 1.883,50 DM für die von März bis April 1976 durchgeführte Behandlung von Dr. W. in H. nebst 4 % Zinsen gem. § 44 SGB zu erstatten. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, die Beklagte sei nach § 182 RVO nicht zur Kostenerstattung verpflichtet. Ein solcher Anspruch ergebe sich jedoch im vorliegenden Falle nach den allgemeinen Grundsätzen über die Haftung bei Verletzung von Beratungspflichten nach § 14 SGB. Die Bediensteten des Versicherungsträgers hätten eine Amtspflicht zur Erteilung richtiger Auskünfte und Belehrungen gegenüber den Versicherten. Von diesem Recht habe der Kläger vor Beginn seiner Behandlung bei Dr. W. Gebrauch gemacht, indem er telefonisch den Zeugen S. befragt habe, ob die Kosten einer solchen Behandlung von der Beklagten übernommen würden. Nach dem dieser eine Erstattung in Aussicht gestellt habe, mußte bei dem Kläger der Eindruck entstehen, daß an der begehrten Kostenübernahme durch die Beklagte kein Zweifel bestanden habe. Seine Beratung durch den Zeugen S. sei jedoch falsch gewesen, da die Beklagte grundsätzlich zur Kostenerstattung nicht verpflichtet, sondern diese nach dem Gesetz sogar unzulässig sei. Das fahrlässige Verhalten des Zeugen S. sei der Beklagten nach den Grundsätzen des Amtshaftungsrechts anzulasten. Dem Kläger sei durch die falsche Beratung ein Schaden insofern entstanden, als er sich im Vertrauen auf die Richtigkeit der Auskunft bei Dr. W. in privatärztliche Behandlung begeben habe und die dadurch entstandenen Kosten selbst habe übernehmen müssen. Bei derartig schuldhafter Verletzung der sich aus dem Versicherungsverhältnis ergebenden Pflichten habe der Versicherungsträger entsprechend dem Grundsatz des § 249 BGB den Zustand herzustellen, der ohne die unvollständige Auskunft voraussichtlich bestehen würde. Ohne die sichere Inaussichtstellung der Kostenerstattung hätte sich der Kläger voraussichtlich nicht in privatärztliche Behandlung von Dr. W. begeben, da er nicht in der Lage gewesen sei, die dadurch entstehenden Kosten zu tragen. Deswegen halte es das Gericht für gerechtfertigt, daß die Beklagte die Kosten der privatärztlichen Behandlung durch Dr. W. übernehme. Der Zinsanspruch stütze sich auf I § 44 SGB. Die beanspruchte Geldleistung sei ab 1. Januar 1978 zu verzinsen.

Gegen das der Beklagten am 23. Januar 1978 zugestellte Urteil hat sie am 23. Februar 1978 bei dem Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, durch die Zusagen ihres Bediensteten sei kein Vertrauensschutz bei dem Kläger entstanden. Es sei lediglich in Aussicht gestellt worden, eine Erstattung privatärztlicher Behandlungskosten vorzunehmen. Eine bindende Zusage sei nicht erteilt worden. Im übrigen sei die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit gegeben, wenn sich eine Klage auf die Amtshaftung nach Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB stütze.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 14. Dezember 1977 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise,
die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und führt ergänzend aus, die Berufung sei gem. § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG unzulässig. Im vorliegenden Falle handele es sich um den Anspruch auf Erstattung von Behandlungskosten für den Zeitraum von zwei Monaten. Aber auch wenn er nur auf den Schadenersatz wegen Verletzung von Beratungspflichten gem. I § 14 SGB abstellen wollte, handele es sich um eine einmalige Leistung, so daß die Berufung gem. § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG ausgeschlossen sei. Verfahrensmängel habe die Beklagte nicht gerügt. Im übrigen sei es von der Beklagten nicht redlich, wenn sie entgegen der Schreiben vom 21. Januar und 18. Februar 1977 jetzt behaupte, es habe sich nur um die Inaussichtstellung einer Erstattung der entstandenen privatärztlichen Behandlungskosten nach Prüfung gehandelt.

Die Verwaltungsakte hat vorgelegen. Auf ihren Inhalt und den der Gerichtsakte beider Rechtszüge, der auszugsweise in der mündlichen Verhandlung vorgetragen worden ist, wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung, über die trotz Ausbleibens der Beklagten des Senat entscheiden konnte, da die Ladung einen entsprechenden Hinweis enthielt (§ 110 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG –), ist nach § 151 Abs. 1 SGG frist- und formgerecht eingelegt worden. Sie ist jedoch im übrigen nicht zulässig (§ 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Vorliegend steht die Erstattung der von Dr. W. verlangten Behandlungskosten für die durchgeführte Elektroneuraltherapie nach Dr. C. für die Monate April und Mai 1976 im Streit. Hierbei handelt es sich ohne Zweifel um wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum bis zu 13 Wochen im Sinne der vorgenannten Vorschrift. Daß diese Leistungen als Sachleistungen oder – nachdem sie sich der Kläger selbst beschafft hat – im Wege der Kostenerstattung zu erbringen sind, ist für die Frage der Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung (BSG, Urteil vom 26. Juli 1978, Az.: 3 RK 24/78). Unbeschadet des § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG könnte die Berufung daher nur zulässig sein, wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird und auch vorliegt (§ 150 Nr. 2 SGG). Letzteres ist jedoch nicht der Fall. Das Sozialgericht hat weder gegen § 128 Abs. 1 SGG noch gegen §§ 103, 106 SGG verstoßen. Seine Entscheidung gründet sich klar und ersichtlich auf seine freie Überzeugung, die es erkennbar aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen hat. Selbst wenn der Senat unterstellen würde, die Entscheidung des Sozialgerichts sei nicht mit der Rechtslage zu vereinbaren, würde das zu keinem anderen Ergebnis führen, da dann ein “error in iudicando” – d.h. ein Fehler im sachlichen Gehalt des Urteils – vorliegt, der keinen wesentlichen Verfahrensmangel darstellt. Nur ein “error in procedendo” könnte das herbeiführen, der ebenfalls nicht gegeben ist.

Die Rüge, daß nicht die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit, sondern die der ordentlichen Gerichtsbarkeit für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch ausfindig seien, geht fehl. Dem Sozialgericht ist insofern zu folgen, daß es sich zwar um einen Schadensersatzanspruch handelt, der jedoch vorliegend aus dem Versicherungsverhältnis erwachsen ist. Denn das Begehren des Klägers aufgrund des Schadensersatzanspruchs aus dem Versicherungsverhältnis ist auf den sozialversicherungsrechtlichen Ausgleich durch Vornahme einer Amtshandlung gerichtet, für den nach § 51 SGG allein die Zulässigkeit des Sozialgerichtsweges gegeben ist. Der Verweis des Sozialgerichts auf die Vorschriften des Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB ist daher verfehlt. Denn bei dem geltend gemachten Anspruch handelt es sich um einen Herstellungsanspruch auf Vornahme einer Amtshandlung, nämlich zur Herstellung des Zustandes, der bestehen würde, wenn der Versicherungsträger pflichtgemäß verfahren wäre. Dieser Anspruch folgt aus einer vertragsähnlichen Nebenpflicht nach dem auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben aus dem öffentlich-rechtlichen Versicherungsverhältnis. Denn nach Ansicht des Sozialgerichts ist die Verletzung der Beratungspflicht durch die Beklagte für den geltend gemachten Schaden des Klägers ursächlich, so daß ein Anspruch auf Schadensersatz durch einen Bescheid über die Gewährung von Krankengeld besteht. Daß mit der Klage kein neuer Verwaltungsakt, sondern unmittelbar eine Leistung begehrt wird, steht dem nicht entgegen. Das Urteil des Gerichts tritt insoweit nur an die Stelle des außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens erforderlichen Bescheides des Versicherungsträgers. Es handelt sich deshalb auch bei der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 SGG nicht schlechthin um eine Klage auf Geldleistungen in bestimmter Höhe, sondern um die Gewährung einer durch Gesetz festgelegten, grundsätzlich durch Verwaltungsakte festzusetzenden Leistung. Diese mit dem Bescheid der Beklagten abgelehnten Leistungen sind im vorliegenden Fall allein die Behandlungskosten der Elektroneuraltherapie nach Dr. C. durch Dr. W. für den Kläger, seine Ehefrau und die Tochter I. (BSG, Urteil vom 26. Oktober 1976, Az.: 12/7 RAr 78/74).

Für die Zulässigkeit des Rechtsweges vor dem Sozialgericht spricht im übrigen, daß die Beklagte durch Bescheid entschieden hat Bescheide unterliegen jedoch der Nachprüfung durch die Sozialgerichtsbarkeit, nicht durch die Zivilgerichte.

Bei dieser Sach- und Rechtslage war es dem Senat verwehrt, auf das Begehrten der Beklagten einzugehen, zumal Verfahrensfehler, die von Amts wegen hätten beachtet werden müssen, sonst nicht ersichtlich sind.

Die Berufung war daher als unzulässig zu verwerfen (§ 158 Abs. 1 SGG).

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Die Zulassung der Revision gem. § 160 Abs. 2 SGG kam nach Lage des Falles nicht in Betracht.