Landessozialgericht Baden-Württemberg L 11 KR 1308/20

Kernpunkte:

  • Das Hypoglossus-Stimulationssystem ImThera Aura6000 der Firma LivaNova durfte im Jahr 2017 nur im Rahmen von Studien implantiert werden.
  • Die Studienlage für das Gerät war damals nicht aussagekräftig
  • Die Implantation von atmungsunabhängigen Systemen ist nicht indiziert, weil atmungssynchrone Stimulation das überlegene Verfahren ist

Verkündet am:
22.02.2022

LSG Baden-Württemberg 22.02.2022 – L 11 KR 1308/20 (rechtskräftig)
SG Mannheim (BWB) 26.10.2016 – S 4 KR 2026/19 – 11.03.2020

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung.

Die Klägerin ist Trägerin eines nach § 108 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zugelassenen Krankenhauses. Der am 03.02.1962 geborene B (Versicherter) war in der streitigen Zeit bei der beklagten Krankenkasse krankenversichert. Bei ihm bestanden ein schwergradiges obstruktives Schlafapnoe-Syndrom (Erstdiagnose 2009), eine Adipositas Grad I und ein Nikotinabusus.

Im März 2017 stellte sich der Versicherte in der U-Klinik der Klägerin vor, berichtete über eine CPAP-Intoleranz und äußerte den Wunsch nach einer operativen Alternative. Ihm wurde eine Radiofrequenztherapie (RFT) der Nasenmuschel, ein abschwellendes Nasenspray, eine diagnostische Schlafvideoendoskopie und eine diagnostische Polysomnographie empfohlen. Während des stationären Aufenthalts vom 05.10.2017 bis 06.10.2017 in der U-Klinik der Klägerin wurden eine diagnostische Schlafvideoendoskopie sowie eine diagnostische Polysomnographie durchgeführt und dem Kläger als Therapiealternative ein I-System oder eine Expansionsphinkteroplastik empfohlen. Nach Aufklärung über den und Zustimmung zu dem Eingriff erfolgte während des weiteren stationären Aufenthalts vom 23.10.2017 bis 26.10.2017 eine Implantation eines Hypoglossusstimulators (aura6000® der Firma I). Im Entlassbericht vom 26.10.2017 wurde Folgendes ausgeführt: „Aufgrund von rezidivierenden Bindehautentzündungen, wunden Stellen im Bereich der Nase und des Nasenrückens sowie Erstickungsanfällen trotz wiederholter Maskenoptimierung und Luftbefeuchter war eine Weiterführung der CPAP-Therapie nicht möglich. Der Patient unterzog sich daraufhin in der folgenden zeitlichen Abfolge den folgenden Therapieversuchen: Rückenlageveränderungsweste, Körpergewichtsreduktion. Dies alles führte zu keiner adäquaten Therapie der obstruktiven Schlafapnoe. Eine weitere CPAP-Versorgung erscheint weder dem Patienten noch uns möglich. Nach langem Abwägen und Durchführung einer Schlafvideoendoskopie am 05.10.2017 planten wir daraufhin die Durchführung einer I-Implantation als letztmögliche Therapiealternative.“

Die Klägerin stellte der Beklagten für die Behandlung des Versicherten während des stationären Aufenthalts vom 23.10.2017 bis 26.10.2017 unter dem 19.12.2017 einen Betrag iHv 24.775,08 € unter Zugrundelegung der Fallpauschale DRG (Diagnosis Related Group) 17NUB182 (Hypoglossusstimulator) und 17802A sowie unter Berücksichtigung der Prozeduren 5-059.C7 (System zur Hypoglossusnervstimulation) und 8-925.00 (intraoperatives neurophysiologisches Monitoring) sowie der Hauptdiagnose G 47.31 (obstruktives Schlafapnoe-Syndrom) sowie den Nebendiagnosen E 66.00 (Adipositas durch übermäßige Kalorienzufuhr) und F 17.1 (psychische und Verhaltensstörungen durch Tabak) in Rechnung.

Die Beklagte leitete ein Prüfverfahren mit dem Anlass „Neue und/oder nicht zugelassene Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im stationären Bereich“ ein und informierte die Klägerin darüber. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) gelangte durch S in seinem Gutachten vom 12.03.2018 zu dem Ergebnis, dass die medizinischen Voraussetzungen für die Leistung nicht erfüllt seien. Beim Hypoglossusnervstimulationssystem zur Behandlung des obstruktiven Schlafapnoe-Syndroms handle es sich um ein implantierbares Neurostimulationsgerät (Schrittmacher). Hierbei werde ein Impulsgenerator mit integrierter Energieversorgung implantiert. Ein Kabel verbinde den Impulsgenerator mit einer Elektrode, die manschettenartig um die Fasern des Nervus hypoglossus (Unterzungennerv), die den Nervus genioglossus (Kinn-Zungen-Muskel) innervierten, angebracht werde. Durch elektronische Stimulation der Fasern des Unterzungennervs solle der Kinn-Zungen-Muskel aktiviert werden, um ein Zurückfallen der Zunge während des Schlafs mit hieraus resultierenden Atemaussetzern zu vermeiden. Auf dem Markt seien mehrere Medizinprodukte (ua I). Die Nervenstimulation könne atemabhängig intermittierend (zeitlich aussetzend) oder atemunabhängig kontinuierlich erfolgen. Das Produkt der atemunabhängigen kontinuierlichen Nervenstimulation werde auf der Webseite des Herstellers I ab einem Apnoe-Hypopnoe-Index (AHI) > 20 im Rahmen von Studien zur Versorgung empfohlen, wenn die CPAP-Therapie nicht toleriert werde. Der einzige bisher publizierte Teil einer Studie im kontrollierten Setting zeige für einen höchstgradig eingeschränkten Probandenkreis eine Wirkung der Hypoglossusnervstimulation. Für dieses Kollektiv werde eine statistisch signifikante Reduktion des AHI und eine Verbesserung der krankheitsbezogenen Lebensqualität berichtet. Die Aussagekraft werde durch eine starke Vorselektion durch sehr enge Ein- und Ausschlusskriterien, eine medizinisch nicht nachvollziehbare Definition des Responderkriteriums, eine weitere Einschränkung der Selektion im Verlauf der Studie durch sehr kleine Interventions- und Kontrollgruppen bei der Durchführung des kontrollierten Teils der Studie, der anschließenden Auswahl von Respondern für den kontrollierten Teil der Studie, keinen Bericht über harte Endpunkte wie Morbidität (kardiovaskulär) und Mortalität sowie methodische Limitationen eingeschränkt. Das systematische Review des L-Instituts 2016 führe zu der Schlussfolgerung, dass die gegenwärtige Studienlage keine Rückschlüsse zulasse, ob eine Behandlung der mittel- bis schwergradigen obstruktiven Schlafapnoe mittels Stimulator des Unterzungennervs wirksamer oder gleich sicher sei wie die Vergleichsintervention keine Behandlung. In der aktuell gültigen S2e-Leitlinie „HNO-spezifische Therapie der obstruktiven Schlafapnoe bei Erwachsenen“ (September 2015) werde für die Hypoglossusnervstimulation ein Empfehlungsgrad B bei Level of Evidence 2b angegeben (individuelle Kohortenstudie von niederer Qualität). In der aktuellen S3-Leitlinie „Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen“ (2017) der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin werde ausgeführt: „Neurostimulationsverfahren des N. Hypoglossus können bei fehlenden anatomischen Auffälligkeiten und mittel- bis schwergradiger OSA eingesetzt werden, wenn die positive Drucktherapie unter oben genannten Bedingungen nicht angewendet werden kann. Sie sollte nur bei Patienten mit CPAP-Unverträglichkeit bzw. -Ineffektivität mit einem AHI 15 bis 50/h und einer Adipositas Schweregrad > 1 zum Einsatz kommen, wenn keine konzentrische Obstruktion in der Schlafendoskopie dokumentiert wurde (B).“. Hierzu sei von gutachterlicher Seite zu ergänzen, dass der Ausschluss eines konzentrischen Kollapses des Velums (Gaumensegel) in der Studie gefordert werde, da es im Vorfeld Untersuchungen gegeben habe, wer von dem Hypoglossusstimulationssystem profitieren könne. Im vorliegenden Fall habe eine Adipositas Grad I vorgelegen. Die Ergebnisse der durchgeführten Schlafvideoendoskopie hätten nicht vorgelegen. Goldstandard der Therapie des obstruktiven Schlafapnoe-Syndroms sei weiterhin die apparative Versorgung mit einem kontinuierlichen positiven Atemwegsdruck durch die CPAP-Therapie. Im vorliegenden Fall sei eine CPAP-Intoleranz angegeben worden. Eine lebensbedrohliche bzw damit gleichgestellte oder regelmäßig tödliche Erkrankung liege nicht vor. Das Verfahren sei nicht im Rahmen einer Studie angewandt worden. Die Hypoglossusstimulationstherapie sei ein experimentelles Verfahren und entspreche derzeit nicht dem Stand der Wissenschaft bzw dem Qualitätsgebot des § 2 SGB V. Die Hypoglossusstimulation könne bislang nicht als ein nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin hinreichend evaluiertes Verfahren bewertet werden. Derzeit sei sie als neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode (NUB) weiterhin dem Stadium der klinischen Erprobung zuzuordnen. Insbesondere fehlten valide Vergleichs- und Langzeitdaten zu Sicherheit und Wirksamkeit. Unkontrollierte Beobachtungsstudien seien kein Ersatz für adäquat konzipierte, ausreichend lange, kontrollierte und randomisierte Studien mit harten Endpunkten.

Der MDK gelangte durch B1 in seinem Gutachten zu stationären Leistungen vom 23.04.2018 zu dem Ergebnis, dass von einer primären Fehlbelegung auszugehen sei. Der stationäre Aufenthalt sei gezielt und ausschließlich zur Durchführung der Ventilimplantation erfolgt. Gemäß dem Gutachten zur Methodenbewertung habe keine Indikation für diese Intervention vorgelegen. Die Kodierung sei im Übrigen nicht zu beanstanden.

Die Beklagte hatte die Rechnung zunächst beglichen, verrechnete am 08.05.2019 aber den Rechnungsbetrag mit unstreitigen Forderungen der Klägerin wegen der Behandlung anderer Versicherter.

Die Klägerin hat am 11.07.2019 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben und einen Vergütungsanspruch iHv 24.775,08 € geltend gemacht. Zur Begründung hat sie vorgetragen, die streitgegenständliche Behandlung habe dem allgemein anerkannten Stand im Oktober 2017 in der Weise entsprochen, dass über die Methode zuverlässige, wissenschaftlich nachgewiesene Aussagen hätten gemacht werden können und sich aus wissenschaftlich korrekt durchgeführten Studien der Erfolg der Methode habe ablesen lassen. Die Therapie sei in einer großen Anzahl von Behandlungsfällen bei der Klägerin erfolgreich gewesen. Auf die seit dem 13.07.2015 gültige Bestimmung des § 137c Abs 3 SGB V und dessen Auslegung durch die Rechtsprechung des 1. Senats des Bundessozialgerichts (BSG 19.12.2007, B 1 KR 17/17 R; BSG 24.04.2018, B 1 KR 10/17 R) komme es nicht an. Bei dem Versicherten habe die Indikation zur Implantation eines Hypoglossusstimulators bestanden. Die S3-Leitlinie „Schlafbezogene Atmungsstörung bei Erwachsenen“ mit Stand August 2017 habe Neurostimulationsverfahren bei mittel- bis schwergradiger Schlafapnoe als Standardverfahren aufgeführt und mehrere hierzu ergangene Studien im Einzelnen aufgelistet (ua mit dem Evidenzgrad 1). Das Qualitätsgebot beziehe sich nach der Rechtsprechung des BSG auf allgemein anerkannte Methoden auf evidenzgesicherter Basis. Verlangt werde, dass die große Mehrheit der einschlägigen Fachleute die Behandlungsmethode befürworte und von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Stimmen abgesehen über die Wirksamkeit und Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens bestehe. Diesen Voraussetzungen sei Genüge getan.

Eine Therapie mit Beatmungsmaske sei von dem Versicherten von 2009 bis 2016 versucht worden. Die CPAP-Geräteauslesung habe ergeben, dass dieses damals 1.479 Betriebsstunden aufgewiesen habe, was einer Nutzung von 250 Stunden pro Jahr und damit weniger als 1 Stunde pro Tag entspreche. Die Nutzungszeiten belegten, dass der Versicherte die Maskenanwendung regelmäßig versucht habe, eine sinnvolle Stundenzahl jedoch nicht habe erreicht werden können. Bei einer Nutzung von weniger als fünf bzw weniger als vier Stunden pro Nacht werde von einer ineffektiven CPAP-Therapie ausgegangen. Bei der Erstvorstellung des Versicherten in der M1er HNO-Klinik der Klägerin im März 2017 seien sämtliche anderweitige Möglichkeiten ausgeschöpft gewesen. Die obstruktive Schlafapnoe sei bei dem Versicherten 2009 polysomnographisch gesichert (Apnoe-Hypopnoe-Index <AHI> 74,5/h) und 2017 polysomnographisch bestätigt worden (AHI 83,4/h). Bei dem Versicherten sei ein System des Herstellers I zum Einsatz gekommen. Für dieses werde eine diagnostische Schlafendoskopie nicht benötigt. Das I-Gerät sei ausweislich des damals gültigen CE-Zeichens zugelassen bei obstruktiver Schlafapnoe und Unverträglichkeit oder Unwirksamkeit der CPAP-Therapie.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.

M hat für die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 11.03.2020 ua angegeben, dass die Schlafapnoe bei dem Versicherten nicht lageabhängig gewesen sei. Die Aussetzer seien vielmehr in Seitenlage und Rücklage gleich gewesen. Eine Rücklagenverhinderungsweste sei nicht indiziert gewesen. Die Zahl der Atemaussetzer sei im Entlassbericht der Nacht im Schlaflabor vom 06.10.2017 ablesbar. Auch eine Unterkieferprotrusionsschiene sei nicht einsetzbar gewesen, da der Patient pro Kiefer nur noch acht Zähne habe. Zudem sei die Schlafapnoe bei ihm zu ausgeprägt. Möglich sei noch eine Kieferoperation gewesen, diese habe der Versicherte aber abgelehnt. Dabei handele es sich auch um ein sehr aufwendiges und langwieriges Verfahren. Auch eine Expansionsphinkerioplastik sei theoretisch noch in Betracht gekommen, jedoch sei eine solche Therapie bei dem Versicherten nicht ausreichend gewesen, sondern hätte allenfalls zu einer gewissen Erleichterung der Symptomatik führen können.

Das SG hat die Beklagte mit Urteil vom 11.03.2020 verurteilt, der Klägerin 24.775,08 € nebst Zinsen iHv 5% über dem Basiszinssatz seit 24.05.2019 zu zahlen. Die Voraussetzungen des Qualitätsgebots seien für die im vorliegenden Fall beim Versicherten durchgeführte Behandlung erfüllt. Dies ergebe sich schon daraus, dass die streitige Behandlung in die maßgebliche S3-Leitlinie „Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörung“ in dem Kapitel „Schlafbezogene Atmungsstörung“ der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin mit dem Stand August 2017 und mithin vor der Behandlung des Versicherten als unter gewissen Voraussetzungen mögliche Behandlungsmethode beschrieben worden sei. Die S3-Leitlinien seien für die Behandlung der jeweiligen Erkrankungen bzw für Diagnostik maßgebend, sie ordneten neue Behandlungsmethoden ein und berücksichtigten, was insofern an Studien vorliege. Methoden, die nicht gesichert seien, würden, wenn überhaupt, dann mit diesem Zusatz genannt. Dass die Methode unsicher oder unerwiesen gewesen sei, sei in der zitierten Leitlinie jedoch nicht vermerkt. Da die entsprechende Leitlinie, die die streitige Methode als unter gewissen Voraussetzungen einsetzbar bezeichne und auf Studien Bezug nehme, ergebe sich schon daraus die Eingeführtheit der Methode. Darüber hinaus habe auch die Klägerin im Verlauf des Verfahrens eine Übersicht der auch schon vor der Behandlung des Versicherten vorliegenden zahlreichen Studien zur Behandlung der obstruktiven Schlafapnoe durch Hypoglossusstimulation vorgelegt. Demgegenüber beziehe sich der MDK in seiner Stellungnahme im Wesentlichen nur auf eine Studie aus dem Jahr 2010 und Ausführungen von 2014 zu dieser. Hiervon erwähne der MDK jedoch nur ein Review von 2016, die aktuelle S3-Leitlinie werde ebenfalls nur erwähnt. Eine inhaltliche Auseinandersetzung damit erfolge nicht. Das MDK-Gutachten sei nicht geeignet, substantiierte und nachvollziehbare Zweifel daran zu begründen, dass das begehrte Verfahren Ende 2017 als eingeführtes und von Experten überwiegend anerkanntes Verfahren anzusehen gewesen sei. Die Durchführung der Hypoglossusstimulation beim Versicherten sei auch im konkreten Einzelfall indiziert, also medizinisch erforderlich gewesen. Goldstandard der Therapie der obstruktiven Schlafapnoe sei die Versorgung mit einer CPAP-Maske. Diese sei bei dem Versicherten auch lange Jahre ausprobiert worden. Dies sei jedoch trotz mehrerer Versuche der Anpassung der Maskenversorgung nicht gelungen. Auch die weiteren für die Behandlung einer Schlafapnoe möglichen Verfahren seien nicht erfolgreich gewesen. Aus der Patientenakte ergebe sich, dass der Versicherte angegeben habe, zwar durchaus schon Gewicht reduziert zu haben, hiermit aber nicht auf Dauer erfolgreich gewesen zu sein. Da bei dem Versicherten eine lageunabhängige Schlafapnoe bestehe, sei seine Versorgung mit einer Rücklagen-Verhinderungsweste kontraindiziert. Dies gelte auch für die Unterkieferprotrusionsschiene. Folglich habe keine klassische Behandlungsoption der bestehenden obstruktiven Schlafapnoe beim Versicherten bestanden. Zugleich seien die aus der S3-Leitlinie ergebenden Voraussetzungen für den Einsatz einer Hypoglossusstimulation gegeben. Bei dem Versicherten sei eine CPAP-Therapie nicht mit Aussicht auf Erfolg durchführbar. Zugleich habe eine zumindest mittel- bis schwergradige obstruktive Schlafapnoe bestanden. Die erforderliche Anzahl an Atemaussetzern habe vorgelegen. Der Versicherte habe mit ca 96 bis 100 kg und einer Körpergröße von 1,77 cm einen Grad der Adipositas I. Auch eine Schlafvideoendoskopie sei bei dem Kläger vor der Operation durchgeführt worden, wobei dies bei dem konkret eingesetzten Gerät überhaupt nicht erforderlich gewesen sei.

Gegen das ihr am 23.03.2020 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer am 23.04.2020 beim Landessozialgericht (LSG) BadenWürttemberg eingelegten Berufung, mit der sie die Abweisung der Klage begehrt. Die hier zur Diskussion stehende kontinuierliche Stimulation des Nervus hypoglossus entspreche nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse respektive dem Qualitätsgebot des SGB V. Aus der Erwähnung in den Leitlinien mit einer „Kann-Empfehlung“ sei ein allgemein verbindliches Vorgehen nicht abzuleiten. Eine „Kann-Empfehlung“ auf der Basis unzureichender Evidenz mit nicht gesichertem Nutzen erweitere nicht die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung. Würde eine Mehrheit der einschlägigen Fachleute die Methode befürworten, würde daraus eine „SollEmpfehlung“ resultieren, dies sei hier nicht der Fall. Für das hier implantierte I-System hätten 2017 und 2020 lediglich zwei Machbarkeitsstudien an einer kleinen Patientenzahl vorgelegen. In der 2016 publizierten Studie hätten lediglich 35% der Teilnehmer als sogenannte „Responder“ auf die Behandlung angesprochen. Die Auswertung zeige, dass Patienten mit einem AHI > 65 profitieren könnten. Es wäre geboten gewesen, den Versicherten auch aus Gründen des Patientenschutzes im Rahmen einer geeigneten Studie zu behandeln. Aus den Unterlagen gehe nicht hervor, dass dem Versicherten eine Teilnahme an einer Studie, an der die Klägerin beteiligt sei, angeboten worden sei.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 11.03.2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das angegriffene Urteil. Ergänzend trägt sie vor, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) in seinem Beschluss vom 05.03.2020 zur Stimulation des Nervus hypoglossus durch ein teilimplantierbares Stimulationssystem bei obstruktiver Schlafapnoe darauf hingewiesen habe, dass es sich um eine jedenfalls seit 2015 in die stationäre Versorgung eingeführte systematische Herangehensweise handele. Die Beklagte hat das MDK-Gutachten des B2 vom 10.08.2020 vorgelegt, wonach die medizinischen Voraussetzungen für die Leistung nicht erfüllt seien. Der GBA habe im Jahr 2020 als bereits in die stationäre Versorgung eingeführte systematische Herangehensweise in die Behandlung von Patienten eines obstruktiven Schlafapnoesyndroms die Elektrostimulation des Nervus hypoglossus durch vollimplantierbare Neurostimulationssysteme aufgeführt, bei denen neben den Stimulationselektroden auch der Impulsgenerator implantiert und mit den Elektroden direkt verkoppelt werde. Begründet werde die Einschätzung mit der Erwähnung der Behandlungsmethode im Kapitel Schlafbezogene Atemstörung der Erwachsenen der S3-Leitlinie „Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen“ aus dem Jahr 2017. Danach würden für die Behandlung von mittelschweren bis schweren obstruktiven Schlafapnoesyndromen grundsätzlich folgende Therapieoptionen empfohlen: Gewichtsreduktion, Unterkieferprotrusionsschiene, Lagetherapie bei lageabhängiger obstruktiver Schlafapnoe, resektive und nicht resektive chirurgische Verfahren, Tracheotomie, Entfernung/Verkleinerung der Tonsillen, Verkleinerung/Straffung des Gaumens, Behandlung des Zungengrunds und Hypopharynx, Radiofrequenztherapie, Zungensuspension, Teilresektion des Zungengrundes, Stimulation des Nervus hypoglossus während des Schlafes. Die grundsätzliche Einschätzung, dass es sich bei der Stimulation des Nervus Hypoglossus um eine eingeführte systematische Herangehensweise handele, könne nach der Einschätzung des GBA auch daran ermessen werden, dass der OPS in der Version 2005 folgende Codes enthalte, die die Stimulation des Nervus Hypoglossus spezifisch beschreibe: 5-059.C Implantation oder Wechsel eines Neurostimulators zur Stimulation des peripheren Nervensystems mit Implantation oder Wechsel einer Neurostimulationselektrode, C.7-System zur Hypoglossusnervstimulation. Bei dem Versicherten sei ein Medizinprodukt der Firma I, nämlich der Neurostimulator Aura 6.000 und das zugehörige Stimulationskabel eingesetzt worden. Auf der Internetseite des Herstellers/Vertreibers des Medizinprodukts finde sich der Hinweis, dass es sich um ein in der Erprobung befindliches Medizinprodukt handle und laut Gesetzen der U1 nur zur Anwendung im Rahmen von Erprobungsstudien zugelassen sei. Im Abschlussbericht zum Beschlussentwurf des GBA gemäß Zweites Kapitel § 38 Abs 2 Satz 1 der Verfahrensordnung Stimulation des Nervus hypoglossus durch ein teilimplantierbares Stimulationssystem bei obstruktiver Schlafapnoe fänden sich Angaben der Firma L1 GmbH zu dem im vorliegenden Fall verwendeten Stimulationssystem. Danach habe das von der Firma I (U1) entwickelte atmungsunabhängige Hypoglossusnervstimulationssystem Aura 6.000 seit 2012 eine europäische CE-Zulassung und werde seit 2016 am deutschen Markt vertrieben sowie im Rahmen einer stationären Patientenversorgung eingesetzt bzw implantiert. Das Aura 6000-System könne bei Patienten mit einem Body-Maß-Index bis 35 und einem AHI-Index bis 65 implantiert werden. Somit sei das Medizinprodukt I Aura 6.000 bei dem Versicherten, der an einer schweren obstruktiven Schlafapnoe mit einem AHI von über 80/h gelitten habe, nicht den aktuellen Empfehlungen des Produktherstellers gemäß eingesetzt worden. Auch eine Teilnahme an einer Studie sei nicht dokumentiert. Die S2-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde „HNO-spezifische Therapie der obstruktiven Schlafapnoe bei Erwachsenen“ (Stand September 2015) enthalte die Empfehlung, dass die atmungssynchrone Stimulation des Nervus hypoglossus bei mittel- bis schwergradiger obstruktiver Schlafapnoe und Ineffektivität oder Unverträglichkeit der CPAP-Therapie empfohlen werde (Empfehlungsgrad B). Die kontinuierliche Stimulation könne bei fehlenden Therapiealternativen erwogen werden (Empfehlungsgrad C). Laut der gültigen S3-Leitlinie „Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen – Kapitel Schlafbezogene Atemstörung“ der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (August 2017) könnten Neurostimulationsverfahren des Nervus hypoglossus bei fehlenden anatomischen Auffälligkeiten und mittel- bis schwergradiger obstruktiver Schlafapnoe eingesetzt werden, wenn die positive Drucktherapie unter den in der Leitlinie genannten Bedingungen nicht angewendet werden könne. Sie sollten nur bei Patienten mit einer Positivdrucktherapie-Unverträglichkeit bzw -Ineffektivität mit einem AHI von 15 bis 50/h und einer Adipositas vom Schweregrad Maximalgrad I zum Einsatz kommen, wenn eine konzentrische Obstruktion in der Schlafendoskopie ausgeschlossen worden sei. In der wissenschaftlichen Literatur unterschieden sich die Ergebnisse zwischen den atemfrequenzgesteuerten Systemen und den nichtatemfrequenzgesteuerten Systemen deutlich. Es zeichne sich eine Überlegenheit der atemfrequenzgesteuerten Systeme ab. Die aktuell auf dem Markt befindlichen Systeme unterschieden sich wesentlich in der ImplantatTechnologie, Handhabung und relevanten Patientensubgruppen (Einschlusskriterien) und Kostenelementen. Zum kontinuierlichen Stimulationsverfahren mit I Aura 6.000 hätten 2017 lediglich zwei klinische Studien vorgelegen. Hierbei handle es sich um Machbarkeitsstudien an 13 bzw 46 Patienten. In diesen Studien werde bereits von einem Therapieerfolg ausgegangen, wenn der AHI unter Therapie sich mindestens um 50% mindere und unter 20% aufweise. Da in diesen Fällen noch behandlungsbedürftige Apnoen verblieben, sei die mögliche Aussagekraft der Publikationen eingeschränkt. Aufgrund des Studiendesigns und der niedrigen Response-Rate könne der Nutzen und Schaden der I-Schlaftherapie nicht beurteilt werden. Im Update des systematischen Reviews des L-Instituts 2019 werde konstatiert: „Die derzeitige Studienlage lasse weiterhin keine Rückschlüsse zu, ob die Behandlung der mittelschweren bis schweren obstruktiven Schlafapnoe mittels Stimulation des Nervus hypoglossus wirksamer und gleich sicher sei wie die Vergleichsintervention keine Behandlung“. Die Firma L1 finanziere eine Studie zu ihrem Produkt I Aura 6.000 mit geplant 138 Teilnehmern von mindestens 18 Jahren, die an einer mittel- bis schwergradigen obstruktiven Schlafapnoe litten und bei denen eine positive Atemwegsdrucktherapie versagt habe bzw nicht toleriert werde. Einschlusskriterien seien Alter über 18 Jahre, Versagen oder Intoleranz gegenüber einer CPAP-Therapie, Versagen oder Verweigern alternativer Behandlungsverfahren (zB chirurgisch, oral eingebrachte Vorrichtungen, Verhaltenstherapie), AHI > 20 (mäßiggradiges bis schweres obstruktives Schlafapnoesyndrom). Ausschlusskriterien seien für die Studienteilnahme Implantation eines anderen Geräts, Body-Maß-Index > 35 kg/m². Diese Studie habe ua an der U2klinik M1 rekrutiert. Zusammenfassend entspreche die NervusHypoglossus-Stimulationstherapie aus Sicht des MDK derzeit noch nicht dem aktuellen Qualitätsgebot des § 2 SGB V. Zum aktuellen Zeitpunkt fehle eine Erhärtung der Wirksamkeit durch valide Vergleichs- und Langzeitdaten. Unkontrollierte Beobachtungsstudien seien kein Ersatz für kontrollierte und randomisierte Studien mit hoher Fallzahl. In den zitierten Leitlinien werde lediglich eine „Kann-Empfehlung“ für das Stimulationsverfahren ausgesprochen. Ein allgemeinverbindliches Vorgehen könne daraus nicht abgeleitet werden. Ein „Kann-Empfehlung“ auf der Basis unzureichender Evidenz mit nicht gesichertem Nutzen erweitere nicht die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung. Hinzuweisen sei darauf, dass es im Hinblick auf die verfügbare Evidenz große Unterschiede zwischen der kontinuierlichen Hypoglossusstimulation (I/Aura 6000) und den atemgesteuerten Systemen gebe. Für das hier zur Diskussion stehende ISystem lägen bisher lediglich zwei Machbarkeitsstudien vor. Bei der obstruktiven Schlafapnoe handele es sich nicht um eine singuläre, nicht erforschbare Erkrankung. Die streitige Implantation sei nicht innerhalb einer kontrollierten klinischen Studie erfolgt. Die Vorgaben des § 2 Abs 1a SGB V seien nicht erfüllt. Im hier zu begutachtenden Einzelfall sei zu konstatieren, dass weder die für das Marketing des I/Aura 2000- Systems zentrale STAR-Studie noch die in der Folgezeit bis aktuell erschienenen Publikationen von ausreichender Güte seien, um eine indikationsspezifische Wirksamkeit und damit einen patientenrelevanten Nutzen im Sinne der evidenzbasierten Medizin zu belegen. In den U1 habe dies dazu geführt, dass das I/Aura 6000-System auch im Jahr 2020 nur für die Nutzung im Rahmen von Erprobungsstudien zugelassen sei. Dementsprechend führe die Herstellerfirma aktuell auch eine klinische Studie zum Wirksamkeitsnachweis durch. Bei dem Versicherten sei ein schweres obstruktives Schlafapnoe-Syndrom dokumentiert. Das Medizinprodukt I/Aura 6000 sei bei dem Versicherten nicht den Empfehlungen des Produktherstellers gemäß eingesetzt worden (AHI < 65/h). Auch die Empfehlung der S3-Leitlinie „Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen“ aus dem Jahr 2017 sei nicht beachtet worden (AHI zwischen 15 und 50/h). Bei dem Versicherten habe bei einem BMI von 31,9 kg/m² eine Adipositas Grad I vorgelegen. Maßnahmen zur Gewichtsreduktion seien berichtet worden, jedoch nicht bezüglich ihrer Auswirkungen auf die Symptomatik des obstruktiven Schlafapnoe-Syndroms evaluiert worden. Es liege keinerlei nachvollziehbare Dokumentation einer wiederholten APAP, CPAP oder BiPAP-Anpassung auch mit Luftbefeuchter für mindestens sechs Monate vor. Relevante Messwerte und klinische Befunde, auch in Form eines Patiententagebuchs, seien nicht mitgeteilt worden, es sei auch nicht dokumentiert, dass dabei unterschiedliche Applikationssysteme getestet worden seien. Es seien keine Modifikationen, zB der Druckeinstellung, Beatmungsmodalitäten oder des ausgewählten Applikationssystems, durchgeführt und deren Auswirkung auf die Schwere der obstruktiven Schlafapnoe mittels wiederholter Polysomnographie oder im Rahmen einer häuslichen Überwachung überprüft worden. Ein sicherer Nachweis einer Unwirksamkeit der Vorbehandlung mittels positiven Atemwegsdruck bzw einer PRP-Intoleranz sei bei nicht ausreichender Dokumentation bzw fehlenden Vorbefunden der schlafmedizinischen Verlaufsuntersuchungen während der Therapieversuche mit PRP nicht möglich. Die von der Klägerin vorgebrachten Sachverhalte beruhten offenbar ausschließlich auf anamnestischen Angaben des Versicherten.

Zu diesem Gutachten hat die Klägerin mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 01.10.2020 ausführlich Stellung genommen und ua ausgeführt, zum Einsatz gekommen sei das System des Herstellers I, nicht das System des Herstellers I1, für das eine (hier gleichwohl erfolgte) diagnostische Schlafendoskopie nicht benötigt werde. Der Korridor des Apnoe-Hypopnoe-Index von 15-65/h existiere anders als bei I1 im CE-Zeichen des I-Systems nicht; das System sei einschränkungslos zugelassen bei obstruktiver Schlafapnoe entsprechend dem damals gültigen CE-Zeichen bei Unverträglichkeit oder Unwirksamkeit der CPAP-Therapie.

Ferner hat die Klägerin vorgetragen, dass zur nämlichen Problematik der im Sinne der Klägerin ergangene Gerichtsbescheid des SG Mannheim vom 13.11.2020 – Az: S 15 KR 3747/18 – nach Berufungsrücknahme durch die beklagte Krankenkasse rechtskräftig geworden sei und in dem gleichfalls die hiesige Problematik betreffenden Verfahren der Klägerin vor dem SG Mannheim – S 16 KR 293/20 – nach einem die Eingeführtheit des Verfahrens bejahenden Sachverständigengutachten seitens der Beklagten ein Anerkenntnis abgegeben worden sei (Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 26.08.2021).

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten, die Patientenakten der Klägerin sowie die Verfahrensakten des SG und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Senat entscheidet über die Berufung gemäß § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung, da sich sowohl die Klägerin als auch die Beklagte mit einer solchen Verfahrensweise einverstanden erklärt haben.

Die nach den §§ 143, 144, 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Das SG hat die Beklagte zu Unrecht zur Zahlung eines Betrages iHv 24.775,08 € nebst Zinsen an die Klägerin verurteilt.

Gegenstand des Verfahrens ist ein Zahlungsanspruch der Klägerin in Höhe von 24.775,08 €, den sie statthaft mit der (echten) Leistungsklage nach § 54 Abs 5 SGG verfolgt (dazu nur Bundessozialgericht <BSG> 14.10.2014, B 1 KR 25/13, juris; BSG 14.10.2014, B 1 KR 26/13 R, SozR 4-2500 § 301 Nr 3). Es handelt sich um einen sog Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt, kein Vorverfahren durchzuführen und eine Klagefrist nicht zu beachten ist (BSG 28.11.2013, B 3 KR 33/12 R, SozR 4-5562 § 9 Nr 5).

Da die Beklagte sich ausschließlich im Wege der Primäraufrechnung mit einer Gegenforderung verteidigt, stehen die Hauptforderungen selbst außer Streit (st Rspr; vgl BSG 28.11.2013, B 3 KR 33/12 R, aaO; BSG 01.07.2014, B 1 KR 24/13 R, SozR 4-2500 § 301 Nr 2). Darauf, welchen Vergütungsanspruch die Klägerin auf Grund welcher konkreten Krankenhausbehandlung geltend macht, kommt es nicht an (vgl zB BSG 28.11.2013, B 3 KR 33/12 R, juris Rn 10), eine Prüfung durch den Senat ist daher nicht erforderlich (vgl zB BSG 14.10.2014, B 1 KR 34/13 R, juris Rn 8; BSG 25.10.2016, B 1 KR 9/16 R, juris Rn 8; BSG 25.10.2016, B 1 KR 7/16 R, juris Rn 9; BSG 30.07.2019, B 1 KR 31/18 R, juris Rn 8; BSG 17.12.2019, B 1 KR 19/19 R, juris Rn 9).

Es bestand eine Gegenforderung der Beklagten, mit der sie gegen die Hauptforderungen der Klägerin wegen Überzahlung der Vergütung für die Krankenhausbehandlung des Versicherten analog § 387 BGB aufrechnen konnte (zur Aufrechnung analog § 387 BGB BSG 01.07.2014, B 1 KR 24/13 R, aaO). Der Beklagten steht als Gegenforderung ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch iHv insgesamt 24.775,08 € zu (zum öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch bei Überzahlung von Krankenhausentgelten BSG 28.11.2013, B 3 KR 33/12 R; BSG 01.07.2014, B 1 KR 24/13 R), denn die ursprüngliche Zahlung der Beklagten erfolgte ohne Rechtsgrund. Die Klägerin hatte keinen Vergütungsanspruch gegen die Beklagte für die Behandlung des Versicherten vom 23.10.2017 bis 26.10.2017, wobei im vorliegenden Rechtsstreit allein die Frage der Erforderlichkeit der Krankenhausbehandlung, nicht die Kodierung der geltend gemachten Forderung streitig ist.

Rechtsgrundlage für den Vergütungsanspruch der Beklagten ist § 109 Abs 4 SGB V. Die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse entsteht unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus erfolgt und iSv § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V erforderlich ist (st Rspr BSG 16.12.2008, B 1 KN 1/07 R, BSGE 102, 172 = SozR 4-2500 § 109 Nr 13; BSG 08.11.2011, B 1 KR 8/11 R, BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2). Die konkrete Höhe des dem Krankenhaus zustehenden Vergütungsanspruches bemisst sich gemäß § 109 Abs 4 Satz 3 SGB V nach Maßgabe des KHG und des KHEntgG. Nach § 7 Satz 1 KHEntgG werden die allgemeinen Krankenhausleistungen gegenüber den Patienten oder ihren Kostenträgern mit verschiedenen, in den Nrn 1 bis 7 abschließend aufgezählten Entgelten abgerechnet. Hier geht es um die Abrechnung von Fallpauschalen (DRG) nach dem auf Bundesebene vereinbarten Entgeltkatalog (§ 7 Satz 1 Nr 1 iVm § 9 KHEntgG). Maßgeblich sind hier der für das Jahr 2017 vereinbarte Fallpauschalen-Katalog und die Fallpauschalenvereinbarung (FPV) 2017.

Die medizinische Notwendigkeit der vollstationären Krankenhausbehandlung des Versicherten war im konkreten Fall nicht gegeben. Die von der Klägerin erbrachte Leistung entsprach nicht dem Qualitätsgebot. Versicherte haben aufgrund des Qualitätsgebots (§ 2 Abs 1 Satz 3 SGB V) und des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 Abs 1 SGB V) keinen Anspruch auf ungeeignete Leistungen, insbesondere auf Krankenbehandlung (§ 27 Abs 1 SGB V) einschließlich Krankenhausbehandlung (BSG 19.03.2020, B 1 KR 20/19 R, BSGE 130, 73; BSG 08.10.2019, B 1 KR 2/19 R, SozR 4-5562 § 6 Nr 3 Rn 13; BSG 19.12.2017, B 1 KR 17/17 R, BSGE 125, 76). Krankenhäuser sind dementsprechend innerhalb ihres Versorgungsauftrags – als der Grenze der Behandlungspflicht außerhalb von Notfällen – weder befugt, ungeeignet zu behandeln, noch berechtigt, eine Vergütung hierfür zu fordern. Das Qualitätsgebot gilt grundsätzlich für alle Leistungsbereiche des SGB V und wird in § 70 Abs 1 Satz 1 SGB V auch als „allgemeiner Grundsatz“ des Leistungserbringungsrechts im Ersten Abschnitt des Vierten Kapitels des SGB V ausdrücklich hervorgehoben (BSG 08.10.2019, B 1 KR 2/19 R, SozR 4-5562 § 6 Nr 3 Rn 13). Dabei fordert das Qualitätsgebot, dass die große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler) die Behandlungsmethode befürwortet und von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens besteht. Dies setzt im Regelfall voraus, dass über Qualität und Wirksamkeit der neuen Methode – die in ihrer Gesamtheit und nicht nur in Bezug auf Teilaspekte zu würdigen ist – zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können. Der Erfolg muss sich aus wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode ablesen lassen. Die Therapie muss in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen erfolgreich gewesen sein (zB BSG 19.03.2020, B 1 KR 20/19 R, BSGE 130, 73; BSG 08.10.2019, B 1 KR 2/19 R, SozR 4-5562 § 6 Nr 3; BSG 19.12.2017, B 1 KR 17/17 R, BSGE 125, 76). Außerdem ist eine Behandlungsmethode, deren technische Anwendung maßgeblich auf dem Einsatz eines Medizinprodukts mit hoher Risikoklasse beruht, ungeeignet, wenn das Medizinprodukt außerhalb der vom Herstellung vorgegebenen Indikation zur Anwendung kommt. Denn die in § 137h SGB V vorgesehene obligatorische Nutzenbewertung von neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden mit Medizinprodukten hoher Risikoklasse bezieht sich nur auf die vom Hersteller vorgegebenen Anwendungsgebiete.

Ob die im Oktober 2017 durchgeführte stationäre Implantation eines kontinuierlichen, dh nicht atmungssynchronen Hypoglossusstimulators (System I) – unabhängig von der erforderlichen Indikation im Einzelfall – dem allgemeinen Qualitätsgebot des § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V entsprach, lässt der Senat offen. Dagegen spricht, dass diese Methode nicht von der Mehrheit der einschlägigen Fachleute befürwortet wurde und wird. Bei den atmungssynchronen Systemen wird der Nervus hypoglossus in Einklang mit der Atmung (Ein- und Ausatmung) stimuliert, während bei dem hier streitigen System I die Stimulation kontinuierlich erfolgt und abwechselnd unterschiedliche Faserbündel des Nervus hypoglossus stimuliert werden mit der Folge einer sich ständig verändernden Tonisierung der Zunge (vgl Leitlinie Therapie der obstruktiven Schlafapnoe, S 40 f; ferner Aktualisiertes Positionspapier der Arbeitsgemeinschaft Schlafmedizin der DGHNO-KHC, Stand 14.12.2020). Im Hinblick auf die unterschiedliche Wirkungsweise und die verschiedenen Anwendungsbereiche wurde bereits in der Leitlinie „Therapie der obstruktiven Schlafapnoe“ eine Unterscheidung zwischen atemsynchroner und kontinuierlicher Stimulation für erforderlich gehalten. Auch in der mit Stand Juni 2020 vorgenommenen Teilaktualisierung der Leitlinie „Schlafbezogene Atmungsstörungen bei Erwachsenen“ (S 20) wird wegen der unterschiedlichen klinischen Ergebnisse eine unterschiedliche Bewertung der atmungsgesteuerten und der kontinuierlichen Stimulation des Nervus hypoglossus für notwendig angesehen. In der Leitlinie „Therapie der obstruktiven Schlafapnoe“ (S 42) wurde 2014 nach Auswertung der seinerzeit verfügbaren Studien bei Beachtung definierter Kriterien (ua BMI < 32 und AHI < 50) die isolierte atmungssynchrone Stimulationstherapie als wirksam erachtet. Hinsichtlich der kontinuierlichen Stimulation mittels des hier streitigen Medizinprodukts I wurde darauf hingewiesen, dass insoweit lediglich zwei Publikationen mit geringer Fallzahl vorlagen und diese Therapie deshalb aus Sicht der Fachgesellschaft nicht ausreichend beurteilt werden konnte (Leitlinie „Therapie der obstruktiven Schlafapnoe“, S 43). Allerdings spricht die Aufnahme der Prozeduren 5-059.c7 (Implantation oder Wechsel eines Neurostimulators zur Stimulation des peripheren Nervensystems mit Implantation oder Wechsel einer Neurostimulationselektrode; System zur HypoglossusnervStimulation) in den OPS dafür, dass das Verfahren in einem gewissen Umfang in die klinische Praxis eingeführt war. Auch hat der GBA auf der Grundlage von § 137h Abs 6 SGB V mit Beschluss 05.03.2020 (BAnz AT 26.03.2020 B 6) entschieden, dass die Methode “Stimulation des Nervus hypoglossus durch ein teilimplantierbares Stimulationssystem bei obstruktiver Schlafapnoe“ nicht dem Verfahren nach § 137h Absatz 1 SGB V unterfällt, da sie kein neues theoretisch-wissenschaftliches Konzept aufweist. Der GBA wird daher den Nutzen dieser Behandlungsmethode unabhängig davon, ob eine atmungsgesteuerte oder kontinuierliche Stimulation des Nervus hypoglossus erfolgt, nicht mehr bewerten.

Die Implantation des kontinuierlichen (atmungsunabhängigen) Hypoglossusstimulators (System I) im Oktober 2017 entsprach deshalb nicht dem Qualitätsgebot, weil die Klägerin nicht die vom Hersteller (und den Fachgesellschaften in Leitlinien) formulierte Indikation beachtet hat. Der Hersteller, die L1 GmbH, die die Firma I im Jahr 2018 übernommen hat, hat sich in ihrer „Stellungnahme zum Beschlussentwurf über die Einschlägigkeit des Verfahrens gemäß 2. Kapitel § 33 Absatz 1 der Verfahrensordnung des Gemeinsamen Bundesausschusses“ wie folgt geäußert: „Die auf den M. Genioglossus ausgerichtete N. Hypoglossus-Stimulationssysteme (G® und I1®) können nur bei Patienten mit einem Body-Mass Index bis 32 und einem AHI-Index bis maximal 50 implantiert werden. Das aura6000® System kann hingegen bei Patienten mit einem Body Mass Index bis 35 und einem AHI Index bis 65, also Patienten mit einem höheren Schweregrad der OSA, implantiert werden.“ Auch die teilaktualisierte Leitlinie „Schlafbezogene Atmungsstörungen bei Erwachsenen“ empfiehlt das hier implantierte aura6000® System bei einem AHI von 20 bis 65/h. Der Versicherte wies jedoch nach Angaben der Klägerin 2017 einen AHI von 83,4/h auf, lag also außerhalb des vorgegebenen Anwendungsbereichs. Für die Implantation beim Versicherten war das Medizinprodukt also gar nicht zugelassen. Demnach war die durchgeführte stationäre Behandlung, die ausschließlich der Implantation des kontinuierlichen (atmungsunabhängigen) Hypoglossusstimulators aura6000® diente, im konkreten Einzelfall nicht medizinisch indiziert.

Die Voraussetzungen des zum 01.01.2012 in Kraft getretenen § 2 Abs 1a SGB V, bei deren Vorliegen die Einhaltung des Qualitätsgebots nach § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V nicht notwendig ist, liegen nicht vor. Nach § 2 Abs 1a SGB V können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine vom Qualitätsgebot abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Eine Erkrankung ist lebensbedrohlich, wenn sie in überschaubarer Zeit das Leben beenden kann, und dies eine notstandsähnliche Situation herbeiführt, in der Versicherte nach allen verfügbaren medizinischen Hilfen greifen müssen (BSG 20.03.2018, B 1 KR 4/17 R, SozR 4-2500 § 2 Nr 12). Ein solcher Sachverhalt lag hier nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 SGG iVm § 154 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), da weder Klägerin noch Beklagte zu den in § 183 SGG genannten Personen gehören.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 HS 1 SGG iVm § 63, § 52 Abs 1, 3, § 47 Gerichtskostengesetz.