Landessozialgericht Baden-Württemberg L 11 KR 1437/19

Kernpunkte:

  • Wenn der MD dem Krankenhaus anheim stellt, selbst zu bestimmen, welche Unterlagen für die Fallprüfung relevant sind, ist das Krankenhaus nicht zur Lieferung solcher Unterlagen verpflichtet.
  • dürfen solche Unterlagen aber nachträglich zur Verfügung gestellt werden. Die Übermittlungsfirst der PrüfvV greift dann nicht.
  • Die Übermittlungsfrist der PrüfvV kann nur wirksam sein für Dokumente, die der MDK oder die Kasse explizit genannt haben.
  • Inwiefern diese Frist tatsächlich als materieller Ausschlussfirst wirksam ist wird zudem kritisch gesehen.

 

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Landessozialgericht Baden-Württemberg

 

Urteil vom 21.01.2020
(nicht rechtskräftig)

Sozialgericht Karlsruhe S 7 KR 542/17
Landessozialgericht Baden-Württemberg L 11 KR 1437/19

 

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 21.03.2019 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 22.867,36 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer Krankenhausabrechnung.

Die Klägerin betreibt ein zugelassenes Krankenhaus im Sinne des § 108 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Dort wurde im Zeitraum vom 16.02. bis 25.05.2016 der bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte J. B., geb 28.05.1962, (im Folgenden: Versicherter) wegen paranoider Schizophrenie (F20.0), rezidivierender depressiver Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode (F33.1) und Zwangsgedanken und –handlungen gemischt (F42.2) stationär behandelt. Anfang April 2016 wurde als Nebenbefund zur Abklärung von Laborwerten eine chronisch lymphatische Leukämie (CLL) diagnostiziert. Die Klägerin rechnete für die Behandlung mit Zwischenrechnungen vom 10.03, 24.03. und 22.04.2016 sowie Schlussrechnung vom 06.06.2016 insgesamt 22.867,36 EUR ab auf der Grundlage pauschalierter Entgelte für Psychiatrie und Psychosomatik. Die Beklagte zahlte diesen Betrag zunächst vollständig.

Mit Schreiben vom 10.06.2016 teilte die Beklagte der Klägerin die Einleitung des Prüfverfahrens mit. Angekündigt wurde eine Fehlbelegungsprüfung, wobei von den anzukreuzenden Möglichkeiten (UGV, OGV, primäre Fehlbelegung, Sonstiges) die letzte Möglichkeit gewählt war. Anschließend beauftragte sie den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) mit der Prüfung der Notwendigkeit der stationären Krankenhausbehandlung für die gesamte Dauer. Der MDK forderte bei der Klägerin mit Schreiben vom 14.06.2016 verschiedene medizinische Unterlagen an (ausführlicher Krankenhausentlassbericht; körperlicher/psychischer Untersuchungsbefund bei Aufnahme; Anamnese, Aufnahmebefund, Assessments; Tageskurve(n); Pflegedokumentation(en); ärztliche Verlaufsdokumentation(en); psychotherapeutische Verlaufsdokumentation(en); Verlaufsdokumentation(en) Sozialdienst; Laborbefunde, Antibiogramm und Mikrobiologie). Ergänzend wurde ausgeführt: “Sollten Sie bei der Durchsicht Ihrer Unterlagen feststellen, dass die angeforderten Unterlagen die für die Begutachtung notwendigen Informationen nicht oder nicht vollständig enthalten, so fügen Sie bitte alle Dokumente bei, die zur Klärung der Frage beitragen können.”. Die Klägerin übersandte daraufhin alle konkret vom MDK aufgelisteten Dokumente fristgerecht. Nach deren Prüfung gelangte der MDK (Gutachten Dr. R. vom 12.08.2016) zu dem Ergebnis, dass eine ambulante Weiterbehandlung indiziert gewesen wäre. Mit Schreiben vom 18.08.2016 und 06.10.2016 forderte die Beklagte vergeblich die Rückzahlung des gesamten Rechnungsbetrags.

Mit Schreiben vom 21.12.2016 erklärte sie hinsichtlich eines Teilbetrages von 21.717,87 EUR die Verrechnung gegen eine andere unstreitige Forderung (Patientin S. G., Re-Nr 11126519) und mit Schreiben vom 13.02.2017 auch hinsichtlich des Restbetrages in Höhe von 1.149,49 EUR (Patient D. C., Re-Nr 11129172).

Am 21.02.2017 hat die Klägerin zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage erhoben. Die Beklagte sei nicht zur Aufrechnung berechtigt gewesen, weil ihr kein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch zustehe. Der Versicherte habe im gesamten Behandlungszeitraum der Krankenhausbehandlung bedurft.

Das SG hat die Patientenakte über die strittige Behandlung beigezogen und ein Gutachten nach Aktenlage bei Prof. Dr. S. eingeholt. Dieser führt im Gutachten vom 20.01.2018 aus, dass eine stationäre Krankenhausbehandlung aufgrund der im Vorfeld stattgefundenen Verschlechterung des klinischen Bildes trotz intensiver Behandlung und des hochkomplexen Krankheitsbildes mit mindestens drei gravierenden Störungen — Psychose, Zwangsstörung und Depression – erforderlich gewesen sei. Die Erforderlichkeit habe über den gesamten Zeitraum der Krankenhausbehandlung vorgelegen, zumal sich die Behandlung durch die in diesem Zeitraum getroffene Zusatzdiagnose einer CLL, die zu einer emotionalen Massivbelastung geführt habe, erschwert habe.

Die Beklagte hat ein weiteres Gutachten des MDK vom 11.06.2018 vorgelegt. Dr. A. führt darin aus, dass dem Vorgutachter des MDK das ausführliche Schreiben des psychiatrischen Vorbehandlers Dr. B. nicht vorgelegen habe. Unter Berücksichtigung der Ausführungen in diesem Schreiben sei die Notwendigkeit des stationären Aufenthaltes des Patienten nunmehr in vollem Umfang plausibel. Die Beklagte hält die Klage dennoch für unbegründet, denn die Klägerin sei mit der Vorlage des besagten Schreibens des Dr. B. aufgrund der Ausschlussfristen der §§ 7, 9 Prüfverfahrensvereinbarung (PrüfvV) präkludiert, da sie es dem MDK trotz Aufforderung nicht übersandt habe. Aufgrund der Aufforderung im Anforderungsschreiben des MDK, alle Dokumente beizufügen, die zur Klärung der Fragestellungen im Gutachten beitragen könnten, sei die Klägerin verpflichtet gewesen, auch das nicht explizit angeforderte Schreiben des Dr. B. vorzulegen. Ohne dieses Schreiben habe sich die Notwendigkeit der stationären Krankenhausbehandlung nicht erschlossen. Hierzu hat die Beklagte ein weiteres MDK Gutachten (Dr. A. vom 10.01.2019) vorgelegt.

Mit Urteil vom 21.03.2019 hat das SG die Beklagte zur Zahlung von 22.867,36 EUR nebst Zinsen verurteilt. Die Beklagte habe keinen Erstattungsanspruch gehabt, denn der Vergütungsanspruch für die Behandlung des Versicherten bestehe in voller Höhe. Die vollstationäre Behandlung sei im gesamten Zeitraum vom 16.02. bis 25.05.2016 medizinisch notwendig und damit erforderlich gewesen. Dabei stützt sich das SG auf die Patientenakte, das Gutachten von Prof. Dr. S. und das Schreiben des Dr. B. vom 12.01.2016. Die Beklagte halte dieses Schreiben zu Unrecht im Gerichtsverfahren für unverwertbar. Zwar handele es sich bei der in § 7 Abs 2 Satz 4 PrüfvV geregelten Frist um eine materielle Ausschlussfrist. Ob diese von der Ermächtigungsgrundlage des § 17c Abs 2 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) gedeckt sei, sei zweifelhaft, bedürfe jedoch vorliegend keiner Klärung. Die Tatbestandsvoraussetzung von § 7 Abs 2 PrüfvV sei nicht erfüllt, denn die Klägerin habe die Frist zur Vorlage der vom MDK angeforderten Unterlagen nicht versäumt. Sie sei nicht verpflichtet gewesen, das Schreiben des Dr. B. vom 12.01.2016 innerhalb der gesetzten Frist vorzulegen. Angesichts der weitreichenden Rechtsfolge des Verlustes des streitigen materiellen Vergütungsanspruchs durch das Krankenhaus im Fall der Fristversäumnis sei eine enge Auslegung der Vorschrift streng am Wortlaut geboten. § 7 Abs 2 Satz 2 PrüfvV sehe vor, dass der MDK bei einer Prüfung im schriftlichen Verfahren die Übersendung einer Kopie der Unterlagen verlangen könne, die er zur Prüfung der Abrechnung benötige. Es werde gerade nicht geregelt, dass das Krankenhaus sämtliche prüfrelevante Unterlagen zur Verfügung stellen müsse, sondern nur die vom MDK hierfür benötigten. Welche dies seien, könne nur der Gutachter des MDK entscheiden. Eine entsprechende Festlegung habe der MDK im Anschreiben an die Klägerin zur Vorbereitung der Prüfung getroffen. Mit seiner weiteren Anforderung, alle Dokumente beizufügen, die zur Klärung beitragen könnten, bürde der Gutachter des MDK dem Krankenhaus die Entscheidung darüber auf, welche Unterlagen für das Prüfverfahren relevant seien. Dies sehe § 7 Abs 2 Satz 2 PrüfvV nicht vor. Auch der Zweck der Beschleunigung des Prüfverfahrens durch den Anspruchsverlust nach § 7 Abs 2 Satz 4 PrüfvV würde nicht erfüllt, erachtete man die pauschale Anforderung von Unterlagen für zulässig. Der Gutachter des MDK könne dann gar nicht entscheiden, ob sämtliche, von ihm nicht angeforderte, aber prüfungsrelevante Unterlagen vorgelegt worden seien. Die Einhaltung der Frist könne nur bei der konkreten Benennung der vorzulegenden Unterlagen überprüft werden. Insoweit sei die Klägerin ihrer Pflicht vollumfänglich nachgekommen. Das Schreiben des Dr. B., welches von der Vorlagepflicht nicht umfasst gewesen sei, sei daher verwertbar. Die Notwendigkeit der stationären Behandlung sei im Übrigen zwischen den Beteiligten nicht mehr streitig.

Gegen das ihr am 11.04.2019 zugestellte Urteil richtet sich die am 26.04.2019 eingelegte Berufung der Beklagten. Nach ihrer Auffassung ist die PrüfvV einschlägig und es liegt ein Verstoß hiergegen vor. Die Klägerin sei explizit auf Folgendes hingewiesen worden: “Sollten Sie bei der Durchsicht Ihrer Unterlagen feststellen, dass die angeforderten Unterlagen die für die Begutachtung notwendigen Informationen nicht oder nicht vollständig enthalten, so fügen Sie bitte alle Dokumente bei, die zur Klärung der Frage beitragen können …Vorsorglich weisen wir Sie darauf hin, dass bei Nichteinhaltung der oben genannten Frist nach § 7 Abs 2 PrüfvV die Prüfung durch den MDK beendet ist. Danach eingehende Unterlagen finden keine Berücksichtigung und werden systembedingt vernichtet (Ausschlussfrist). [ …]” Dieser Formulierung sei eindeutig zu entnehmen, dass die genannten Unterlagen keine abschließende Aufzählung darstellten. Die Klägerin habe allein den Einblick in ihre Unterlagen, um zu wissen, welche vorliegen und welche sie zur Darlegung der Abrechenbarkeit der stationären Behandlung, insbesondere hinsichtlich der mitgeteilten Prüfgründe, vorzulegen habe, insoweit bestehe ein Wissensvorsprung. Bei der Frage der “gesamten Dauer der Behandlung” sei auch für die Klägerin erkennbar, dass es nicht nur um eine sekundäre Fehlbelegung gegangen sei. Der außergewöhnlich ausführliche Bericht des Dr. B., dessen Existenz dem MDK nicht bekannt gewesen sei, dürfte für die Klägerin auch Grundlage der Entscheidung zur Aufnahme des Versicherten gewesen sein. Der Bericht hätte daher sogar bereits im Rahmen der erbetenen Unterlagen zu “Körperlicher/psychischer Untersuchungsbefund bei Aufnahme” und “Anamnese, Aufnahmebefund, Assessments” vorgelegt werden müssen, spätestens hinsichtlich der Aufforderung des MDK, alle Dokumente beizufügen, die zur Klärung der Frage beitragen können. So habe die Klägerin auch selbst einige Angaben des Dr. B. in ihren Bericht übernommen, allerdings stark gekürzt. Der Bericht des Dr. B. sei zur Klärung der Frage der stationären Behandlungsbedürftigkeit erforderlich gewesen, wie auch der MDK bestätige. Aus den zunächst vorgelegten Unterlagen sei die Komplexität der Vorgeschichte nicht zu erkennen gewesen. Die CLL sei erst im Verlauf aufgetreten und daher für die Aufnahmeentscheidung nicht relevant. Mit den erst im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Unterlagen sei die Klägerin daher präkludiert. Bei der Regelung in § 7 Abs 2 Satz 3, 4 PrüfvV handele es sich um eine materielle Ausschlussfrist. Auch dem Sachverständigen hätten daher nur die Unterlagen vorgelegt werden dürfen, die dem MDK im Rahmen der Frist übermittelt wurden. Das Gutachten sei daher schon aus diesem Grunde unverwertbar. Der MDK sei nochmals um Stellungnahme gebeten worden, die jedoch erst zum 15.03.2020 vorgelegt werden könne. Es werde daher um Terminverlegung gebeten.

 

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 21.03.2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen, hilfsweise Beweis zu erheben durch einen Sachverständigen, der bisher noch nicht mit dem Fall betraut war und dem auch nur die Unterlagen vorgelegt werden, die der MDK im Rahmen der ersten Begutachtung zur Verfügung hatte.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

 

Unstreitig sei die Krankenhausbehandlung des Versicherten im gesamten Behandlungszeitraum notwendig gewesen. Es treffe nicht zu, dass sich die stationäre Behandlungsnotwendigkeit allein aus dem Schreiben des Dr. B. vom 12.01.2016 ergebe. Die erforderliche ex ante Beurteilung habe der zuständige Krankenhausarzt korrekt vorgenommen. Selbstverständlich sei hierbei auch die Verordnung vom 11.02.2016 und das Schreiben vom 12.01.2016 herangezogen worden. Im Hinblick auf die von der Beklagten als wesentlich gesehenen Argumente zur Behandlungsbedürftigkeit lasse sich keine Stringenz erkennen. Die Beurteilung von Dr. R. bestehe aus vier Sätzen, aus denen sich keine Kriterien für die Ablehnung der stationären Behandlungsbedürftigkeit erkennen ließen. So werde ausgeführt, die Diagnose einer CLL könne zwar den Unterlagen entnommen werden, es ergebe sich hieraus jedoch keine abschließende Klärung. Betrachte man den Verlauf anhand der vorliegenden Verlaufsdokumentation, lasse sich unstreitig erkennen, dass die Diagnose massiven Einfluss auf den Gesundheitszustand gehabt habe und eine “hohe emotionale Belastung” dargestellt habe, wie auch Prof. Dr. S. in seinem Gutachten erläutere. In diesem Zusammenhang sei auf die Schwere der tödlich verlaufenden Erkrankung hinzuweisen. Auch Prof. S. habe kritisiert, dass die Beurteilung durch Dr. R. weder die Komplexität des dokumentierten Krankheitsbildes noch die Intensität der vorangegangenen ambulanten Behandlung und die Eskalation vor Aufnahme berücksichtige. Die Komplexität des Krankheitsbildes ergebe sich bereits aus den Dr. R. vorgelegenen Unterlagen (Entlassbericht und Verlaufsdokumentation). Schon auf Basis dieser Unterlagen hätte der MDK die Erforderlichkeit der stationären Behandlung über den gesamten Zeitraum erkennen müssen. Nach den Aussagen der MDK-Gutachter komme es nicht auf die gesamte Vorgeschichte an, sondern es werde ausschließlich auf eine versuchte Umstellung der Medikation im Jahr 2013 abgestellt. Diese Information sei ausschließlich dem Bericht des Dr. B. zu entnehmen gewesen. Allein hierauf abzustellen für die Frage der Behandlungsbedürftigkeit entbehre jedoch jeglicher Grundlage.

Soweit die Beklagte meine, dass die Klägerin zur Vorlage des Berichts von Dr. B. nach der PrüfvV verpflichtet gewesen sei, sei dies falsch. Angefordert worden seien die “in der Anlage gekennzeichneten Unterlagen”, welche die Klägerin vorgelegt habe. Die Prüffrage ziele auf eine sekundäre Fehlbelegung ab. Hierfür komme es aber gerade nicht auf im Vorfeld der Behandlung erstellte Unterlagen an. Zudem hätte der MDK bereits damals die gesamte Patientenakte anfordern können. Es sei nicht Aufgabe des Krankenhauses zu entscheiden, welche Unterlagen der MDK für seine Prüfung benötige. Die vom MDK verwendete Standardformulierung zur Vorlage weiterer prüfrelevanter Unterlagen eröffnete den Krankenkassen eine Hintertür für das nachträgliche Rügen vermeintlicher Versäumnisse. Es gehe der Beklagten darum, eine unstreitig korrekt erfolgte stationäre Behandlung wegen eines vermeintlich nicht vorgelegten Schreibens nicht vergüten zu müssen. Zudem werde in den Dr. R. zum Zeitpunkt der Erstellung ihres Gutachtens unstreitig vorgelegten Unterlagen auf das Schreiben von Dr. B. verwiesen. Spätestens zum Zeitpunkt der Änderung der ursprünglich angekündigten Prüfung einer sekundären Fehlbelegung in eine primäre Fehlbelegung hätte Dr. R. die aus ihrer Sicht dafür erforderlichen, über die ihr vorliegenden Unterlagen hinausgehenden Unterlagen, anfordern müssen. Dass dies nicht geschehen sei, könne in keiner Hinsicht der Klägerin angelastet werden. Auf die Frage eines Anspruchsverlustes infolge einer Präklusionswirkung nach § 7 Abs 2 PrüfvV komme es daher nicht an.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge, die Verwaltungsakten der Beklagten und die Patientenakte Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe:

 

Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.

Der Senat konnte im Termin am 14.01.2020 im vorliegenden Verfahren entscheiden, denn dem Verlegungsantrag der Beklagten war nicht zu entsprechen. Die Aufhebung eines Termins und Verlegung auf einen anderen Zeitpunkt ist nur aus erheblichen Gründen möglich (§ 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm § 227 Zivilprozessordnung (ZPO)). Derartige Gründe liegen nicht vor. Die Beklagte fordert die Verlegung im Hinblick darauf, dass eine weitere beim MDK angeforderte Stellungnahme nicht vor Mitte März 2020 vorgelegt werden könne. Die hiermit beabsichtigte medizinische Argumentation ist jedoch nicht entscheidungserheblich, da es nicht darauf ankommt, ob auch ohne das Schreiben des Dr. B. vom 12.01.2016 die stationäre Behandlungsbedürftigkeit zu erkennen war. Denn entgegen der Auffassung der Beklagten sind die Voraussetzungen von § 7 Abs 2 PrüfvV im vorliegenden Fall nicht erfüllt (dazu unten). Kommt es nach der Rechtsauffassung des Senats auf den beabsichtigten Vortrag nicht an, besteht auch kein Grund für eine Terminverlegung. Hierauf ist die Beklagte bereits mit Schreiben des Vorsitzenden vom 09.01.2020 hingewiesen worden.

Die nach den §§ 143, 144, 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet. Das SG hat die Beklagte zu Recht zur Zahlung von 22.867,36 EUR nebst Zinsen verurteilt. Der Klägerin stand insoweit ein Vergütungsanspruch für die stationäre Behandlung der Patienten G. und C. zu, der nicht durch Aufrechnung erloschen ist.

Die Klägerin hat mit der erhobenen (echten) Leistungsklage nach § 54 Abs 5 SGG die richtige Klageart gewählt (dazu nur Bundessozialgericht (BSG) 14.10.2014, B 1 KR 25/13; BSG 14.10.2014, B 1 KR 26/13 R, SozR 4-2500 § 301 Nr 3). Es handelt sich um einen sog Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt, kein Vorverfahren durchzuführen und eine Klagefrist nicht zu beachten ist (BSG 28.11.2013, B 3 KR 33/12 R, SozR 4-5562 § 9 Nr 5).

Ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch der Beklagten (zum öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch bei Überzahlung von Krankenhausentgelten vgl eingehend BSG 25.10.2016, B 1 KR 9/16 R, SozR 4-5562 § 11 Nr 2; 01.07.2014, B 1 KR 24/13 R, SozR 4-2500 § 301 Nr 2) wegen der Behandlung des Versicherten besteht nicht, weshalb die Beklagte nicht wirksam aufrechnen konnte. Die Zahlung der Vergütung iHv 22.867,36 EUR für die Behandlung des Versicherten erfolgte nicht ohne Rechtsgrund. Denn die vollstationäre Krankenhausbehandlung im Zeitraum 16.02. bis 25.05.2016 war zur Überzeugung des Senats erforderlich iSv § 39 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Der Senat stützt sich insoweit auf das Gutachten von Prof. Dr. S. und das sich diesem in der Beurteilung anschließende Gutachten des MDK vom 11.06.2018 von Dr. A … Im Übrigen ist dies zwischen den Beteiligten inzwischen auch unstreitig. Auch der Rechnungsbetrag als solcher für die durchgeführte Behandlung ist nicht zu beanstanden und ebenfalls unstreitig. Die Beteiligten streiten allein darüber, ob die Klägerin nach § 7 Abs 2 Satz 4 PrüfvV mit ihrem Anspruch auf Bezahlung der Behandlungskosten ausgeschlossen ist.

Rechtsgrundlage für den Vergütungsanspruch der Klägerin ist § 109 Abs 4 SGB V. Die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse entsteht unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus erfolgt und iSv § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V erforderlich ist (st Rspr BSG 16.12.2008, B 1 KN 1/07 R, BSGE 102, 172 = SozR 4-2500 § 109 Nr 13; BSG 08.11.2011, B 1 KR 8/11 R, BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2). Bei der Klägerin handelt es sich um ein zugelassenes Plankrankenhaus. Die medizinische Notwendigkeit der vollstationären Krankenhausbehandlung des Versicherten war im konkreten Fall gegeben, wie bereits dargelegt.

Ein Ausschluss des Vergütungsanspruchs ergibt sich nicht aus § 7 Abs 2 PrüfvV. Die Vereinbarung zwischen dem GKV-Spitzenverband und der Deutschen Krankenhausgesellschaft über das Nähere zum Prüfverfahren nach § 275 Absatz 1c SGB V (PrüfvV) gemäß § 17c Abs 2 KHG in der hier maßgebenden vom 01.01.2015 bis 31.12.2016 geltenden Fassung (abrufbar unter https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/krankenversicherung 1/kranken- haeuser/abrechnung/abrechnungspruefung/KH 2014 08 04 Prue-fvV.pdf) findet vorliegend ohne Weiteres Anwendung, da es sich bei der Frage einer primären oder sekundären Fehlbelegung um eine Auffälligkeitsprüfung nach § 275 Abs 1 Nr 1 iVm mit Abs 1c SGB V handelt.

Die Prüfung nach § 275 Abs 1 Nr 1 iVm Abs 1c SGB V ist spätestens sechs Wochen nach Eingang der Abrechnung bei der Krankenkasse einzuleiten und durch den MDK dem Krankenhaus anzuzeigen (§ 275 Abs 1c S 2 SGB V). Näheres bestimmt die PrüfvV. Deren Vorgaben sind vorliegend eingehalten.

§ 4 PrüfvV lautet:

“Einleitung des Prüfverfahrens

1Erkennt die Krankenkasse bei der Prüfung nach § 3 Auffälligkeiten, die es erforderlich machen, eine Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Krankenhausleistungen oder der Korrektheit deren Abrechnung nach § 275 Absatz 1c SGB V einzuleiten, hat sie dem Krankenhaus die Auffälligkeiten innerhalb von 6 Wochen nach Eingang der nach § 3 übermittelten Daten und der entsprechenden Krankenhausrechnung so konkret wie möglich mitzuteilen, und hierzu zumindest die Art der Prüfung wie folgt zu bestimmen:

• eine Teilprüfung der Abrechnung (bestimmte Diagnosen, bestimmte Prozeduren etc.), • eine Vollprüfung der Abrechnung (alle abrechnungsrelevanten Diagnosen/Prozeduren etc.), • eine Fehlbelegungsprüfung oder • Fragen zur Voraussetzung bestimmter Maßnahmen (medizinische Indikation, NUB etc.).

2Die Mitteilung muss dem Krankenhaus in dieser Frist zugehen.”

Die Prüfung wurde durch die Prüfmitteilung der Beklagten vom 10.01.2016 und die ihr zuzurechnende Prüfmitteilung des MDK vom 14.06.2016 rechtzeitig eingeleitet (vgl BSG 27.11.2014, B 3 KR 7/13 R, SozR 4-2500 § 275 Nr 24). § 6 Abs 1e PrüfvV bestimmt, dass die Krankenkasse den MDK mit der Durchführung einer Prüfung nach § 275 Absatz 1c SGB V zu beauftragen hat, wenn es aus Sicht der Krankenkasse der direkten Beauftragung des MDK bedarf. In diesem Fall erfolgt die Beauftragung des MDK durch die Krankenkasse innerhalb der Sechs-Wochen-Frist des § 275 Absatz 1c Satz 2 SGB V (§ 6 Abs 2 Satz 2 PrüfvV). Der MDK hat sodann dem Krankenhaus die Einleitung der MDK-Prüfung, einschließlich des Datums seiner Beauftragung, unverzüglich anzuzeigen (§ 6 Abs 3 Satz 1 PrüfvV). In der Prüfanzeige sind die bei der Einleitung des Prüfverfahrens mitgeteilten Auffälligkeiten gegebenenfalls zu konkretisieren und, sofern in dem Vorverfahren weitere Erkenntnisse gewonnen wurden, zu ergänzen (§ 6 Abs 3 Satz 2 PrüfvV). Die an eine Prüfmitteilung bzw Prüfanzeige zu stellenden Voraussetzungen sind erfüllt. Die Anzeige des MDK (Schreiben vom 14.06.2016) genügt den Erfordernissen des § 6 Abs 2 und 3 PrüfvV und enthält die erforderlichen Angaben nach § 4 PrüfvV.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die Klägerin mit ihrem Vergütungsanspruch jedoch nicht nach § 7 Abs 2 Satz 4 PrüfvV ausgeschlossen.

§ 7 Abs 2 PrüfvV lautet:

“1Die Prüfung vor Ort richtet sich nach den Vorgaben des § 276 Absatz 4 SGB V. ²Bei einer Prüfung im schriftlichen Verfahren kann der MDK die Übersendung einer Kopie der Unterlagen verlangen, die er zur Beurteilung von Voraussetzungen, Art und Umfang der Leistung sowie zur Prüfung der ordnungsgemäßen Abrechnung benötigt. 3Das Krankenhaus hat die Unterlagen innerhalb von 4 Wochen nach Zugang der Unterlagenanforderung an den MDK zu übermitteln. 4Erfolgt dies nicht, hat das Krankenhaus einen Anspruch nur auf den unstrittigen Rechnungsbetrag.”

Die Regelungen des § 7 Abs 2 Satz 3 und Satz 4 PrüfvV sind von der Ermächtigungsgrundlage des § 17c Abs 2 KHG gedeckt. Die Wirkung einer Versäumung der Frist des § 7 Abs 2 Satz 3 PrüfvV ist in § 7 Abs 2 Satz 4 PrüfvV ausdrücklich bestimmt. Danach steht dem Krankenhaus bei einer nicht fristgerechten Vorlage der angeforderten Unterlagen nur ein Anspruch auf den unstrittigen Betrag zu. Diese Regelung ist abschließend; in ihrer Wirkung entspricht sie in Bezug auf den strittigen Betrag einer materiell-rechtlichen Ausschlussfrist (ausführlich dazu: Senatsurteil vom 17.04.2018, L 11 KR 936/17). Im vorliegenden Fall kommt es hierauf jedoch nicht an, da die Klägerin die vom MDK angeforderten Unterlagen ihrerseits innerhalb der Frist des § 7 Abs 2 Satz 3 PrüfvV vollständig übermittelt hat.

Die vom MDK im Schreiben vom 14.06.2016 konkret angeforderten Unterlagen (ausführlicher Krankenhausentlassbericht; körperlicher/psychischer Untersuchungsbefund bei Aufnahme; Anamnese, Aufnahmebefund, Assessments; Tageskurve(n); Pflegedokumentation(en); ärztliche Verlaufsdokumentation(en); psychotherapeutische Verlaufsdokumentation(en); Verlaufsdokumentation(en) Sozialdienst; Laborbefunde, Antibiogramm und Mikrobiologie) hat die Klägerin fristgemäß vorgelegt. Der ergänzende Bericht des einweisenden Psychiaters Dr. B. vom 12.01.2016 gehört nicht dazu, insbesondere zählt er nicht zum Untersuchungsbefund bei Aufnahme; Anamnese, oder Assessments. Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, dass mit der ergänzenden Anforderung, alle sonstigen prüfrelevanten Unterlagen vorzulegen, eine Verpflichtung nach der PrüfvV hierzu begründet worden wäre (vgl LSG Baden-Württemberg 23.05.2019, L 11 KR 4179/18). Der Senat teilt die Auffassung des SG, dass es nicht Sache des Krankenhauses ist, über die Erforderlichkeit der zu prüfenden Unterlagen zu entscheiden. Es steht dem MDK frei, die gesamte Patientenakte anzufordern, möchte er eine umfassende Prüfung durchführen. Eine völlig unbestimmte salvatorische Klausel in der Anforderung der Prüfunterlagen zuzulassen, lässt sich mit der gravierenden Rechtsfolge des Anspruchsverlustes nach § 7 Abs 2 Satz 4 PrüfvV nicht vereinbaren. Auch zur eigentlich bezweckten Beschleunigung des Prüfverfahrens stünde eine derartige Vorgehensweise in Widerspruch. Weder lässt sich die Einhaltung der Frist des § 7 Abs 2 Satz 3 PrüfvV sicher prüfen, wenn der MDK gar nicht wissen kann, welche Unterlagen als relevant tatsächlich vorzulegen sind, noch wäre eine aus Sicht der Krankenhäuser dann sicherheitshalber stets erforderliche Vorlage der gesamten Patientenakte sinnvoll zur Verfahrensbeschleunigung, vom Aufwand ganz abgesehen. Zudem zeigt der vorliegende Fall anschaulich, dass sich bei einer angenommenen Präklusionswirkung bezogen auf nicht konkret angeforderte, aber möglicherweise relevante Unterlagen kaum oder nur mit erheblichem Aufwand aufzuklärende Folgefragen stellen, wie etwa hier, ob der MDK in Kenntnis des Schreibens von Dr. B. bei der Erstbeurteilung (oder der Gutachter Prof. Dr. S. ohne Kenntnis dieses Schreibens) zur gleichen Beurteilung gekommen wären. Mit einer sinnvollen Handhabung des Prüfverfahrens hat dies nichts mehr zu tun. Es verbietet sich daher, die in § 7 Abs 2 PrüfvV geregelte Pflicht des Krankenhauses zur Vorlage von Unterlagen auf nur pauschal angeforderte, unbestimmte eventuell relevante Unterlagen zu erstrecken.

Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt; die vorhandenen Gutachten bilden eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Senats. Insbesondere das Gutachten von Prof. Dr. S. hat dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs 1 ZPO). Das Gutachten geht von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen aus, enthält keine unlösbaren inhaltlichen Widersprüche und gibt auch keinen Anlass, an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Gutachters zu zweifeln; weitere Beweiserhebungen waren daher von Amts wegen nicht mehr notwendig. Der Senat hat keine Bedenken, das Gutachten von Prof. Dr. S. zu verwerten. Das von der Beklagten angenommene Beweisverwertungsverbot wegen eines Verstoßes gegen § 7 Abs 2 PrüfvV kommt unabhängig vom Verständnis der Regelung schon deshalb nicht in Betracht, weil eine Verletzung der in dieser Vorschrift geregelten Mitwirkungspflichten des Krankenhauses nicht vorliegt, wie bereits ausgeführt.

Der Senat musste auch dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag der Beklagten nicht nachgehen. Abgesehen davon, dass schon das für einen ordnungsgemäßen Beweisantrag erforderliche Beweisthema nicht angegeben ist (dazu BSG 22.11.2018, B 13 R 297/17 B), ist der Beweisantrag nicht entscheidungserheblich. Ausgehend von der Rechtsauffassung des Senats kommt es nicht darauf an, wie ein Sachverständiger die Erforderlichkeit der stationären Behandlung des Versicherten allein auf der Grundlage der vom MDK ausdrücklich angeforderten Unterlagen und damit ohne Kenntnis des Schreibens des Dr. B. beurteilen würde.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 SGG iVm § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), da weder Klägerin noch Beklagte zu den in § 183 SGG genannten Personen gehören.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 HS 1 SGG iVm § 63, § 52 Abs 1, 3, § 47 Gerichtskostengesetz.