Landessozialgericht Baden-Württemberg L 11 KR 236/20

Kernpunkte:

  • Wenn eine Kasse eine Rechnungsprüfung fristgerecht einleitet, trägt das Krankenhaus die Beweislast für die Richtigkeit seiner Abrechnung. Das wird nicht dadurch geändert, dass die Kasse die Rechnungssumme vollständig überwiesen hat.
  • Wenn die Kasse die Prüffrist verstreichen ließ und erst danach eine Erstattung von vermeintlich zu Unrecht hezahlter Vergütung verlangt, trägt die Kasse die entsprechende Beweislast.

 

 

Landessozialgericht Baden-Württemberg

 

Datum: 12.12.2019
Gericht: Landessozialgericht Baden-Württemberg
Spruchkörper: 11. Kammer
Entscheidungsart: Urteil
Aktenzeichen: L 11 KR 236/20

 

Tatbestand:

 

 

1

Zwischen den Beteiligten ist die Vergütung für eine stationäre Krankenhausbehandlung streitig.

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Die 1958 geborene, bei der Klägerin versicherte G (Versicherte) wurde in der Zeit vom 29.01. bis zum 04.02.2014 sowie vom 14.04. bis zum 19.04.2014 in dem für die Behandlung Versicherter zugelassenen Krankenhaus der Beklagten wegen einer chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung mit homogenem Lungenemphysem stationär behandelt, wobei ihr jeweils zehn Nitinolspiralen zur Lungenvolumenreduktion, sogenannte Coils, links bzw rechts implantiert wurden. Die Beklagte stellte der Klägerin am 16.04.2014 für die stationäre Behandlung vom 29.01.2014 bis 04.02.2014 unter Zugrundelegung der Diagnosis-Related-Group (DRG) E05 C (andere große Eingriffe am Thorax ohne äußerst schwere CC, außer bei bösartiger Neubildung) einen Gesamtbetrag in Höhe von 18.961,54 € in Rechnung und brachte dabei die Prozedur OPS 5-339.8 (Lungenvolumenreduktion durch Einlage von Coils, je Nitinolspirale) in Ansatz. Diese Rechnung bezahlte die Klägerin am 14.05.2014 vollständig. Für die stationäre Behandlung vom 14.04.2014 bis zum 19.04.2014 stellte die Beklagte der Klägerin mit Rechnung vom 07.05.2014 – wiederum unter Zugrundelegung der DRG E05 C und der OPS 5-339.8 – einen Gesamtbetrag in Höhe von 19.171,96 € in Rechnung. Diesen Betrag zahlte die Klägerin am 04.06.2014 auch vollständig. Ein Prüfverfahren durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) leitete die Klägerin nicht ein.

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Am 06.11.2018 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben und Erstattung der Rechnungsbeträge in Höhe von insgesamt 38.133,50 € begehrt. Bei den stationären Behandlungen handle es sich um eine experimentelle, dem Qualitätsgebot nicht entsprechende Behandlungsmethode außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung (Hinweis auf Bundessozialgericht <BSG> 19.12.2017, B 1 KR 17/17 R). Das Vorliegen einer NUB (neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden) – Vereinbarung begründe keinen Vergütungsanspruch für den Leistungserbringer. Folglich bestehe für die durch die Beklagte abgerechneten Behandlungsfälle kein Vergütungsanspruch. Eine Verwaltungsakte existiere nicht. Es habe weder Schriftverkehr mit der Beklagten noch ein Prüfverfahren des MDK gegeben. Die Beklagte habe jeweils als Hauptdiagnose nach der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10) J44.82 (sonstige näher bezeichnete chronische obstruktive Lungenkrankheit, FEV 1 > = 50% und < 70% des Sollwertes) kodiert. Die Klägerin habe einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch. Die Leistungen der Klägerin an die Beklagte seien jeweils ohne Rechtsgrund erfolgt. Bei den beiden stationären Behandlungen handele es sich um eine primäre Fehlbelegung. Die allein zum Zweck der Implantation der Lungen-Coils durchgeführten stationären Behandlungen der Versicherten seien nicht iSd § 39 Abs 1 Satz 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) erforderlich gewesen.

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Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Die Versicherte habe an einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) mit homogenem Lungenemphysem gelitten. Im ersten stationären Aufenthalt sei eine endoskopische Lungenvolumenreduktionstherapie mittels Implantation von zehn Coils in den linken Oberlappen erfolgt. Beim zweiten Aufenthalt habe eine endoskopische Lungenvolumenreduktionstherapie mittels Implantation von zehn Coils in den rechten Oberlappen stattgefunden. Es handele sich bei der Maßnahme grundsätzlich um eine zweiseitige Behandlung, die in beiden Lungenflügeln angewendet werden müsse. Zweifel an der stationären Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit und der Einhaltung des Qualitätsgebotes habe die Klägerin nicht angemeldet, schließlich habe die Klägerin das Verfahren ausdrücklich und nach langer kritischer Bewertung des Verfahrens vereinbart. Die Abrechnung der Beklagten sei richtig. Sie habe die Diagnosen medizinisch richtig und leitliniengerecht bestimmt. Unter Anwendung der Deutschen Kodier- Richtlinien (DKR) seien die Diagnosen und Prozeduren richtig verschlüsselt worden. Nach dem sogenannten Grouping durch einen zertifizierten Grouper habe sich die DRG E05 C mit dem Zusatzentgelt ZE 76197519 ergeben. Die Beteiligten stritten allein um die Frage, ob die Beklagte berechtigt gewesen sei, die OPS-Prozedur 5-339.8 (andere Operationen an Lunge und Bronchien: Einlegen von endobronchialen Nitinolspiralen, bronchoskopisch) und damit das Zusatzentgelt ZE 76197519 abzurechnen. Es handele sich dabei um die Implantation der Nitinolspiralen, die bei einer chronischen obstruktiven Lungenerkrankung indiziert sein könnten, wie im vorliegenden Fall. Im Falle eines Lungenemphysems bestehe eine irreversible Überblähung der Alveolen in den Lungenflügeln. Die Coils dienten dazu, das emphysematische Gewebe in den Lungen zurückzudrängen, wodurch rein symptomatisch Erfolge erreicht werden könnten. Die Klägerin unterliege in den vorliegenden Behandlungsfällen einem Einwendungsausschluss. Dies liege darin begründet, dass die Klägerin es unterlassen habe, innerhalb der sechswöchigen Prüfeinleitungsfrist des § 275 Abs 1c Satz 2 SGB V ein MDK-Prüfverfahren einzuleiten (Hinweis auf BSG 16.05.2012, B 3 KR 14/11 R). Vorliegend habe überhaupt keine MDK-Prüfung stattgefunden. Die Klägerin habe es abgelehnt, dieser gesetzlichen Verpflichtung nachzukommen. Daher bestehe ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der Patientendokumentation. Die Klägerin müsste nun anhand der ihr von der Beklagten übermittelten Unterlagen, also im Wesentlichen der Daten nach § 301 SGB V, darlegen und beweisen, dass die vollstationäre Behandlung nicht erforderlich gewesen sei, weil eine ambulante Behandlungsmöglichkeit gegeben gewesen sei. Eine Einleitung eines Prüfverfahrens sei hier auch keinesfalls entbehrlich, denn wenn die Klägerin meine, sie könne mit einem Verweis auf andere streitige Behandlungsfälle eine Klage begründen, so zeuge dies nur von einem völligen Unverständnis der strittigen Leistung. Denn es sei zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 2 Abs 1a SGB V vorlägen. Das Vorliegen der Voraussetzungen sei hier sogar naheliegend, eine Prüfung sei indes fallbezogen nur unter Beiziehung und Begutachtung der Patientenakten möglich, die hier aber nicht erfolgen dürfe. Vorliegend sei der behauptete Anspruch der Klägerin auch verwirkt. Die Klägerin habe die Rechnungen am 14.05.2014 bzw. 04.06.2014 jeweils vollständig und vorbehaltlos bezahlt. Die Klage sei durch die Klägerin erst im November 2018 erhoben worden. Auch das Umstandsmoment für den Verwirkungstatbestand sei gegeben, denn die Klägerin habe vorbehaltlos gezahlt und kein MDK-Prüfverfahren innerhalb der Frist des § 275 Abs 1c SGB V eingeleitet. Auch im Übrigen sei keine Rückmeldung der Klägerin zu diesen Behandlungsfällen erfolgt. Aufgrund dessen sei bei der Beklagten ein Vertrauenstatbestand entstanden, die Vergütung behalten zu dürfen (Hinweis auf BSG 05.07.2016, B 1 KR 40/15 R). Die Kostenträger seien verpflichtet, angebliche fehlerhafte Abrechnungen spätestens innerhalb des auf das Behandlungsjahr folgenden Kalenderjahres streitig zu stellen. Die Klägerin habe die Rechnungen erstmalig im Jahr 2018 streitig gestellt. Die Beklagte habe entsprechend dem von der Klägerin geschaffenen Vertrauenstatbestand keine Rückstellungen gebildet. Der behauptete Rückforderungsanspruch der Klägerin sei auch verjährt. Im Übrigen hätten die streitigen Behandlungen auch dem Qualitätsgebot entsprochen. Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) habe zwischenzeitlich unter dem 20.12.2018 einen Beschluss dahingehend gefasst, dass die hier strittige bronchoskopische Lungenvolumenreduktion mittels Einlage von Spiralen (Coils) bei schweren Lungenemphysemen mit einem pulmonalen Residualvolumen von mindestens 225% vom Soll in die Anlage 1 „Methoden, für die die Versorgung mit Krankenhausbehandlung erforderlich sind“ aufgenommen werde. Die bronchoskopische Lungenvolumenreduktion mittels Einlage von Spiralen (Coils) bei schweren Lungenemphysemen mit einem pulmonalen Residualvolumen von unter 225% vom Soll werde mit diesem Beschluss in die Anlage 2 „Methoden, deren Bewertungsverfahren ausgesetzt sind“ aufgenommen. Für die letzte Alternative werde ausdrücklich das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative in den tragenden Gründen festgestellt. Darin werde insbesondere auf die Renew-Studie abgestellt. Diese Studie habe bereits vor der streitigen Krankenhausbehandlung vorgelegen. Der Beschluss des GBA sei zwischenzeitlich auch umgesetzt und am 19.03.2019 im Bundesanzeiger veröffentlicht worden.

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Die Klägerin hat erwidert, dass schon das Qualitätsgebot der streitigen Prozedur nicht erfüllt sei. Der Anspruch der Klägerin sei auch nicht verwirkt. Das BSG habe mehrfach betont, dass das Rechtsinstitut der Verwirkung als ergänzende Regelung innerhalb der kurzen vierjährigen Verjährungsfrist grundsätzlich nicht greife (Hinweis auf BSG 01.07.2014, B 1 KA 24/13 R; BSG 14.10.2014, B 1 KR 27/13 R). Hinsichtlich der Einrede der Verjährung sei auf § 325 SGB V zu verweisen. Weiter hat die Klägerin vorgetragen, dass anhand der von der Beklagten übermittelten Daten nach § 301 SGB V ersichtlich sei, dass es sich im vorliegenden Fall nicht um eine notstandsähnliche Situation gehandelt habe. Damit fehle es bereits an der Voraussetzung, um zu einer grundrechtsorientierten Leistungsauslegung zu gelangen.

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Die Beklagte hat erwidert, dass die AOK Baden-Württemberg sowie die Beklagte im Mai 2012 das Zusatzentgelt abrechnungsrechtlich geprüft und die wissenschaftliche Datenlage zur Sicherheit und Wirksamkeit der strittigen Methode diskutiert hätten. Im Nachgang zur Diskussion der wissenschaftlichen Daten seien dann für das Jahr 2012 und fortlaufend eine NUB-Vereinbarung getroffen worden, wonach die streitige Leistung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgerechnet werden könne und ein konkretes Entgelt erhalte. Die NUB- Vereinbarung sei dem Regierungspräsidium Stuttgart zur Genehmigung vorgelegt worden. Dieses habe mit Verwaltungsakt vom 19.06.2012 die NUB-Vereinbarung genehmigt. Die Verjährungsfrist habe am 01.01.2015 begonnen und sei gemäß § 109 Abs 5 Satz 1 SGB V zwei Jahre gelaufen. Ausdrücklich gelte die Verjährungsfrist auch für Behandlungsfälle, deren Aufnahme vor dem 01.01.2019 liege.

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Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 12.12.2019 abgewiesen. Vorliegend greife der Einwand der Klägerin der fehlenden Erforderlichkeit der stationären Behandlung infolge eines Verstoßes gegen das Qualitätsgebot nach § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V nicht durch, da sie nicht innerhalb der Frist des § 275 Abs 1c Satz 2 SGB V ein MDK-Prüfverfahren eingeleitet habe. Nach § 275 Abs 1 Nr 1 SGB V seien die Krankenkassen in den gesetzlich bestimmten Fällen oder wenn es nach Art, Schwere, Dauer oder Häufigkeit der Erkrankung oder nach dem Krankheitsverlauf erforderlich sei, verpflichtet, bei Erbringung von Leistungen, insbesondere zur Prüfung von Voraussetzungen, Art und Umfang der Leistung sowie bei Auffälligkeiten zur Prüfung der ordnungsgemäßen Abrechnung, eine gutachterliche Stellungnahme des MDK einzuholen. Bei Krankenhausbehandlungen nach § 39 SGB V sei eine Prüfung nach § 275 Abs 1 Nr 1 SGB V zeitnah durchzuführen, die Prüfung sei spätestens sechs Wochen nach Eingang der Abrechnung bei der Krankenkasse einzuleiten und durch den MDK dem Krankenhaus anzuzeigen. Unter Berücksichtigung datenschutzrechtlicher Vorschriften und Belange bestehe im Verhältnis zwischen Krankenhäusern, Krankenkassen und dem MDK Auskunfts- und Prüfpflichten auf drei Ebenen. Die Erhebung von Sozialdaten sei bei den Krankenhäusern für die Zwecke der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassen, soweit sie nach Maßgabe der Prüfaufträge von Krankenkassen und MDK ua für die Prüfung der Leistungspflicht und die Erbringung von Leistungen an Versicherte und für die Beteiligung des Medizinischen Dienstes erforderlich seien. Demgemäß bestünden Auskunfts- und Mitwirkungspflichten im Rahmen eines bis zu dreistufigen Prüfverfahrens (Hinweis auf BSG 16.05.2012, B 3 KR 14/11 R). Zwingend seien auf der ersten Stufe der Sachverhaltserhebung zunächst die Angaben nach § 301 Abs 1 SGBV. Nach der zugrundeliegenden Vorstellung des Gesetzgebers seien damit die Mindestangaben bezeichnet, die die Krankenkasse insbesondere zur ordnungsgemäßen Abrechnung und zur Überprüfung der Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung benötige. Erschließe sich die Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung oder weiterer Abrechnungsvoraussetzungen weiterhin der Krankenkasse aufgrund der Angaben nach § 301 SGB V nicht selbst, sei auf der zweiten Stufe der Sachverhaltserhebung ein Prüfverfahren nach § 275 Abs 1 Nr 1 SGB V einzuleiten. Danach sei beim MDK eine gutachterliche Stellungnahme einzuholen, wenn die vom Krankenhaus erteilten und ansonsten zur Verfügung stehenden Informationen zur Prüfung, insbesondere von Voraussetzungen, Art und Umfang der Krankenhausbehandlung nicht ausreichten. Im Rahmen einer nach diesen Voraussetzungen ordnungsgemäß eingeleiteten Prüfung habe das Krankenhaus schließlich auf der dritten Stufe der Sachverhaltserhebung – wenn sich also unter Auswertung der auf der ersten und zweiten Stufe verfügbaren Sozialdaten kein abschließendes Ergebnis finden lasse – dem MDK auch über die Anzeige nach § 301 SGB V und einen etwaigen Kurzbericht hinaus alle weiteren Angaben zu erteilen und Unterlagen vorzulegen, die im Einzelfall zur Beantwortung der Prüfanfrage der Krankenkasse benötigt würden. Rechtsgrundlage hierfür sei § 276 Abs 2 Satz 1 SGB V. Die Ausschlussfrist des § 275 Abs 1c Satz 2 SGB V besitze nur für die dritte Ebene der Sachverhaltsermittlung Bedeutung. Nach Ablauf der Frist des § 275 Abs 1c Satz 2 SGBV könne der medizinische Sachverhalt nicht mehr durch Ermittlungen des MDK gemäß § 276 Abs 2 Satz 1 SGB V überprüft und weiter aufgeklärt werden. Entsprechende Prüfaufträge an den MDK seien unzulässig und die Krankenhäuser nicht mehr zur Übermittlung von Sozialdaten verpflichtet. Diese Begrenzung der Sachverhaltsermittlung wirke auch im Gerichtsverfahren fort. Vorliegend sei die Einleitung eines MDK-Prüfverfahrens nicht entbehrlich. Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden seien nicht ausnahmslos als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen. Entspreche eine Behandlung nicht dem Qualitätsgebot des § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V, seien ergänzend die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Behandlungsanspruchs nach den Maßstäben der grundrechtsorientierten Auslegung bzw nach § 2 Abs 1a SGB V zu prüfen (Hinweis auf BSG 17.12.2013, B 1 KR 70/12 R; BSG 24.04.2018, B 1 KR 10/17 R). Die streitige Behandlungsmethode habe sich nach dem Beschluss des GBA vom 18.07.2013 im Jahr 2014 bereits im Stadium der Bewertung nach § 137c SGB V befunden. Es habe einer Prüfung im Einzelfall bedurft, ob eine Ausnahmekonstellation vorgelegen habe. Nach Ablauf der Ausschlussfrist des § 275 Abs 1c SGBV seien Krankenkasse und MDK bei der einzelfallbezogenen Abrechnungsprüfung auf die nach § 301 Abs 1 SGB V übermittelten Daten beschränkt, diese Begrenzung gelte auch für die Sachverhaltsermittlung durch das Gericht. Aus der von der Klägerin vorgelegten Verwaltungsakte ließen sich Einzelheiten über den Gesundheitszustand der Versicherten, die eine Prüfung eines Behandlungsanspruchs unter dem Gesichtspunkt der grundrechtsorientierten Auslegung ermöglichen würden, jedoch nicht entnehmen, sodass nicht festgestellt werden könne, dass die Leistung der Klägerin zu Unrecht erfolgt wäre und ihr ein Erstattungsanspruch zustünde.

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Gegen den ihr am 20.12.2019 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich die Klägerin mit ihrer am 17.01.2020 zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegten Berufung, mit der sie ihren Erstattungsanspruch weiterverfolgt. Mit ihrer am 24.07.2020 vorgelegten Berufungsbegründung macht die Klägerin geltend, dass das SG ihr nicht die Möglichkeit gegeben habe, ein sozialmedizinisches Gutachten auf Basis der Daten nach § 301 SGBV einzuholen. Auch habe das SG die Einholung eines externen Sachverständigengutachtens unterlassen. Die Klägerin hat das sozialmedizinische Gutachten des MDK vom 25.06.2020 vorgelegt, wonach von einer lebensbedrohlichen Situation zum Zeitpunkt der Intervention nicht auszugehen sei und die Implantation von Lungen-Coils nicht dem Abwenden eines tödlichen Krankheitsverlaufs diene.

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Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 12.12.2019 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 38.133,50 € nebst 8 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

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Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

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Die Beklagte wiederholt und vertieft ihr bisheriges Vorbringen. Maßgeblich sei vorliegend, ob die Klägerin beweisen könne, dass § 2 Abs 1a SGB V und die Maßgaben aus dem „Nikolausbeschluss“ des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) nicht einschlägig seien. Anderenfalls ergehe eine Non-Liquet-Entscheidung zu ihren Lasten. Insoweit reiche es nicht aus, dass die Klägerin schlicht behaupte, dass dies vermutlich nicht der Fall sei und die Wahrscheinlichkeit nicht besonders hoch sei. Aus dem von der Klägerin vorgelegten Gutachten des MDK ergebe sich nichts Anderes. Die Versicherte sei insbesondere an der herausgehobenen Körperfunktion der Atmung erkrankt gewesen. Bei bestehenden Dyspnoen sei die Körperfunktion der Atmung deutlich eingeschränkt. Im Übrigen weise der MDK zu Recht darauf hin, dass die konkreten Umstände des Einzelfalls zu bewerten seien. Dies sei ohne Patientenakte nicht möglich. Zwar möge ein bestehender Lungendefekt eine Kontraindikation für die Volumenreduktion mittels Coils darstellen, allerdings könne nicht allein eine Lungeninfektion die Kriterien des § 2 Abs 1a SGB V erfüllen. Die Patienten, bei denen eine Lungenvolumenreduktion der Lungenflügel erfolge, litten unter massiven Dyspnoen. Eine Dyspnoe beschreibe eine pathologische Atemnot. Bei der Lungenvolumenreduktion mittels Coils handle es sich um eine symptomatische Therapie, um die Atemnot zu lindern.

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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verfahrensakten des SG und des Senats Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe:

 

 

 

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Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

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Die statthafte und zulässige (§§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) sowie form- und fristgerecht erhobene (§ 151 Abs 1 SGG) Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Klägerin steht der streitige Erstattungsanspruch gegen die Beklagte nicht zu, da ihre ursprünglichen Zahlungen an die Beklagte für die stationären Behandlungen der Versicherten vom 29.01.2014 bis 30.01.2014 und vom 14.04.2014 bis 15.04.2015 mit Rechtsgrund erfolgten.

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Die Klage ist zulässig. Die Klägerin hat mit der erhobenen echten Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs 5 SGG die richtige Klageart gewählt, da es sich bei der auf Erstattung der an den Krankenhausträger geleisteter Behandlungskosten eines Versicherten gerichteten Klage einer Krankenkasse gegen einen Krankenhausträger um einen sogenannten Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis handelt, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt. Ein Vorverfahren war mithin nicht durchzuführen, die Einhaltung einer Klagefrist nicht geboten (vgl BSG 14.10.2014, B 1 KR 27/13 R, BSGE 117, 82; BSG 28.11.2013, B 3 KR 33/12 R, juris Rn 9). Die Klägerin hat den geltend gemachten Erstattungsanspruch konkret beziffert. Dies gilt gleichermaßen für den geltend gemachten Zinsanspruch. Insoweit reicht die Bezugnahme auf den Basiszinssatz (vgl BeckOK ZPO/Bacher, 41. Ed 01.07.2021, ZPO § 253 Rn 67).

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Die Klage ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Erstattungsanspruch iHv 38.153,50 € nebst Prozesszinsen.

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Der Klägerin steht gegen die Beklagte im Hinblick auf die beiden stationären Krankenhausaufenthalte der Versicherten in der Zeit vom 29.01.2014 bis zum 30.01.2014 sowie vom 14.04.2014 bis zum 15.04.2014 kein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch iHv 38.153,50 € zu (zum öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch bei Überzahlung von Krankenhausentgelten: BSG 14.10.2014, B 1 KR 27/13 R, BSGE 117, 82; BSG 01.07.2014, B 1 KR 24/13 R, juris Rn 10), denn die ursprünglichen Zahlungen der Klägerin erfolgten insoweit mit Rechtsgrund. Der Beklagten steht insoweit ein Vergütungsanspruch gegen die Klägerin für die beiden stationären Behandlungen der Versicherten zu.

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Rechtsgrundlage für den Vergütungsanspruch der Beklagten ist § 109 Abs 4 SGB V. Die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse entsteht unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus erfolgt und iSv § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V erforderlich ist (st Rspr BSG 16.12.2008, B 1 KN 1/07 R, BSGE 102, 172 = SozR 4-2500 § 109 Nr 13; BSG 08.11.2011, B 1 KR 8/11 R, BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2). Die konkrete Höhe des dem Krankenhaus zustehenden Vergütungsanspruches bemisst sich gemäß § 109 Abs 4 Satz 3 SGB V nach Maßgabe des KHG und des KHEntgG. Nach § 7 Satz 1 KHEntgG werden die allgemeinen Krankenhausleistungen gegenüber den Patienten oder ihren Kostenträgern mit verschiedenen, in den Nrn 1 bis 8 abschließend aufgezählten Entgelten abgerechnet. Hier geht es um die Abrechnung von Fallpauschalen (DRG) nach dem auf Bundesebene vereinbarten Entgeltkatalog (§ 7 Satz 1 Nr 1 iVm § 9 KHEntgG). Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Verband der privaten Krankenversicherung gemeinsam vereinbaren nach § 9 Abs 1 Satz 1 KHEntgG mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft als Vertragsparteien auf Bundesebene mit Wirkung für die Vertragsparteien nach § 11 KHEntgG einen Fallpauschalen-Katalog einschließlich der Bewertungsrelationen sowie Regelungen zur Grenzverweildauer und der in Abhängigkeit hiervon zusätzlich zu zahlenden Entgelte oder vorzunehmenden Abschläge (Nr 1), einen Katalog ergänzender Zusatzentgelte (Nr 2) sowie die Abrechnungsbestimmungen für die Fallpauschalen und die sonstigen Entgelte (Nr 3). Maßgeblich sind hier der für das Jahr 2014 vereinbarte Fallpauschalen-Katalog (G-DRG- Version 2014) und die Fallpauschalenvereinbarung (FPV) 2014. Beachtlich ist ferner nach § 6 Abs 2 KHEntgG iVm § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 6 KHEntgG die zwischen der Beklagten (als Vertragspartei nach § 18 Abs 2 KHG iVm § 6 Abs 2 Satz 1, § 11 Abs 1 Satz 1 KHEntgG) und ua der AOK Baden-Württemberg geschlossene „Vereinbarung über die Vergütung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB) gemäß § 6 Abs. 2 Satz 6 KHEntgG für das Jahr 2014“ (im Folgenden: NUB-Vereinbarung), die auch für die Klägerin verbindlich ist (vgl BSG 25.10.2016, B1 KR 6/16 R , SozR 4-2500 § 109 Nr 59). Das Regierungspräsidium Stuttgart hat diese Vereinbarung genehmigt.

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Bei der Beklagten handelt es sich um ein zugelassenes Krankenhaus (§ 108 SGB V). Ob die beiden stationären Behandlungen der Versicherten unter Berücksichtigung der Maßstäbe des § 2 Abs 1a SGB V erforderlich waren, lässt sich nicht feststellen. Die Nichterweislichkeit geht im vorliegenden Einzelfall zu Lasten der Klägerin.

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Dabei teilt der Senat die Auffassung der Klägerin, dass die im Jahr 2014 durchgeführten stationären Behandlungen mit der Implantation von Nitinolspiralen zur Lungenvolumenreduktion nicht dem Qualitätsgebot des § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V entsprachen (dazu im Einzelnen BSG 08.10.2019, B 1 KR 2/19 R, SozR 4-5562 § 6 Nr 3; BSG 19.12.2017, B 1 KR 17/17 R, BSGE 125, 75; ferner zu der am 23.07.2015 in Kraft getretenen Regelung des § 137c Abs 3 SGB V BSG 25.03.2021, B 1 KR 25/20 R). Dabei fordert das Qualitätsgebot, dass die große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler) die Behandlungsmethode befürwortet und von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens besteht. Dies setzt im Regelfall voraus, dass über Qualität und Wirksamkeit der neuen Methode – die in ihrer Gesamtheit und nicht nur in Bezug auf Teilaspekte zu würdigen ist – zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können. Der Erfolg muss sich aus wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode ablesen lassen. Die Therapie muss in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen erfolgreich gewesen sein (zB BSG 08.10.2019, B 1 KR 2/19 R, SozR 4-5562 § 6 Nr 3). Der Senat ist hinsichtlich einer im März 2013 durchgeführten stationären Lungenvolumenreduktion mittels Implantation von Coils in seinem Urteil vom 11.12.2018 (L 11 KR 206/18, juris Rn 32 bis 38) davon ausgegangen, dass diese Behandlungsmethode seinerzeit (noch) nicht von der Mehrheit der einschlägigen Fachleute befürwortet wurde. Der Senat hatte damals dieser Behandlungsmethode lediglich das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative zuerkannt (was aber vom BSG nicht gebilligt wurde, vgl BSG 08.10.2019, B 1 KR 2/19 R, SozR 4-5562 § 6 Nr 3) und dazu folgende Feststellungen getroffen:

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Mit der endoskopischen Lungenvolumenreduktion soll die Hyperinflation bei ausgeprägtem Lungenemphysem vermindert werden, wodurch die elastische Rückstellkraft der Lunge optimiert und eine gesteigerte Effizienz von Atemmechanik und Atemmuskulatur erreicht werden soll, was die Belastungsdyspnoe vermindern, die Leistungsfähigkeit steigern und die allgemeine Lebensqualität verbessern soll. Bei dem hier verwendeten Verfahren werden dazu Coils (Nitinolspiralen) implantiert, um mechanisch in dem emphysematös veränderten Lungengewebe Kompressionszonen zu generieren und dadurch Gewebespannungen in der Umgebung der Gewebskompressionszonen wiederherzustellen. Coils haben seit 2010 das CE-Zeichen. Im Juli 2013 lagen folgende Studien vor:

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– Herth/Eberhard/Gompelmann/Slebos/Ernst: Bronchoscopic lung volume reduction with a dedicated coil, a clinical pilot study. Ther Adv Resp Dis 2010, 4; 225-31 – epub 10.06.2010 (Herth 2010)

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– Slebos/Klooster/Ernst/Herth/Kerstjens: Bronchoscopic lung volume reduction coil treatment of patients with severe heterogeneous emphysema. Chest 2012; 142; 574-582 – epub 23.11.2011 (Slebos 2011)

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– Shah/Zoumot/Singh/Bicknell/Ross/Qiring/Hopkinson/Kemp: Endobronchial coils for the treatment of severe emphysema with hyperinflation; a randomized controlled trial. The Lancet Respiratory Medicine 2013; 1; 223-240 – epub 23.04.2013 (RESET-Studie).

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Die Studie von Herth 2010 betraf eine nichtvergleichende Fallserie mit 11 Patienten, davon 8 mit homogenem und 3 mit heterogenem Lungenemphysem. Der primäre Endpunkt der Studie war die Sicherheit der Durchführung. Dabei ergaben sich im Nachbetrachtungszeitraum (7 bis 11 Monate) 33 milde oder moderate unerwünschte Ereignisse, von denen die meisten nach Aussage der Autoren nicht mit der Prozedur in Verbindung standen. Die Studie von Slebos 2011 beschreibt die Ergebnisse von 16 Patienten mit heterogenem Lungenemphysem. Innerhalb von 30 Tagen nach der LVRC traten auf: ein Pneumothorax, zwei Pneumonien, sechs COPD- Exazerbationen, vier Fälle mit vorübergehendem Brustschmerz, 21 leichte Hämoptysen, bis zum sechsten Monat zusätzlich drei Pneumonien und 14 COPD-Exazerbationen. Nach sechs Monaten erreichten die Patienten Verbesserungen in Lebensqualität (im SGRQ <St George ́s Respiratory Questionnaire> von 14,9% <±12,1 Punkte>), in der Lungenfunktion (FEV1 +14,0% <±17,0%). Das Residualvolumen (RV) sank um -11,4% (±9,0%), die Gehstrecke im 6-Minuten-Gehtest stieg um +84,4 m (±73,4m). Die Responder-Rate (Anteil der Patienten, welche eine vorher festgelegte Verbesserung der og Parameter um eine sog minimale klinisch relevante Differenz erreichten) lag bei mindestens 64%, im Hinblick auf den 6-Minuten-Gehtest und die Lebensqualität bei 80%. Die randomisierte und kontrollierte RESET-Studie mit 47 Patienten zeigte nach 90 Tagen eine als signifikant beschriebene Verbesserung der Lebensqualität (SGRQ -8,36 Punkte), der Lungenfunktion (FEV1 +10,62%, Abfall RV 0,3l) sowie Anstieg 6-Minuten-Gehtest um 63,5m; die Responderraten lagen bei 65% (SGRQ), 57% (RV), 74% (6- Minuten-Gehtest) bzw 57% (FEV1). An Nebenwirkungen traten in der LVCR-Gruppe zwei COPD Exazerbationen (Standard-Gruppe 1), zwei Atemwegsinfekte (Standardgruppe 0) und zwei Pneumothoraces (Standardgruppe 0) auf. Der Senat stützt sich insoweit auf das MDK- Gutachten von Dr. S. vom 18.12.2014 (Blatt 34 ff SG-Akte) und das Privatgutachten der Klägerin von Prof. Dr. S. vom 04.04.2018 (Blatt 171 ff Senatsakte). Auch zahlreiche weitere wissenschaftliche Veröffentlichungen lagen vor. Insoweit nimmt der Senat Bezug auf die Aufzählung von Prof. Dr. S. (Blatt 180 bis 182 Senatsakte).

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Im Jahr 2013 bestand entgegen der von der Klägerin schriftsätzlich zuletzt vertretenen Auffassung in Fachkreisen jedoch noch kein breiter Konsens hinsichtlich der Anwendung der LVRC bei COPD (vgl auch Gompelmann/Eberhardt/Herth, DÄ 2014; 111: 827-33). Der GBA beauftragte am 18.12.2014 das IQWiG mit der Bewertung der Verfahren zur Lungenvolumenreduktion beim schweren Lungenvolumenemphysem. Am 30.06.2016 legte dieses zunächst einen Vorbericht (vorläufige Nutzenbewertung) vor (Auftrag N14-04, https://www.iqwig.de/download/N14-04_Vorbericht_LVR-beim-schweren-Lungenemphyssem. pdf; abgerufen am 04.12.2018). Die Datenlage hinsichtlich der 5 untersuchten bronchoskopischen Verfahren wird als insgesamt wenig aussagekräftig beschrieben, es lagen ausschließlich kurzfristige Ergebnisse (3 Monate bis 1 Jahr) aus teilweise nur singulären Studien (mit teils nur geringen Patientenzahlen) für die einzelnen Interventionsarten vor. Für keines der Verfahren ergab sich ein Anhaltspunkt für einen Nutzen oder Schaden hinsichtlich der Mortalität, bezüglich der Endpunkte Symptomatik (Atemnot), Exazerbationen, körperliche Belastbarkeit, gesundheitsbezogene Lebensqualität sowie unerwünschte Ereignisse variierten sie. Für die bronchoskopische LVR mit Spiralen ergab sich allein ein Anhaltspunkt für Nutzen hinsichtlich der körperlichen Belastbarkeit; kein weiterer Anhaltspunkt für einen Nutzen oder Schaden in Bezug auf die anderen Endpunkte (Vorbericht aaO, S IV, V). Das Verzerrungspotenzial der Studie von Shah 2013 (RESET) wurde auf Studienebene als niedrig eingeschätzt; auf Endpunktebene wurden die Ergebnisse zu COPD-Symptomen und zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität als potenziell hoch verzerrt bewertet, da die Patienten und behandelnden Personen nicht verblindet waren, was wegen der Subjektivität dieser Endpunkte als problematisch angesehen wurde. Alle anderen Ergebnisse von Shah 2013 wurden als niedrig verzerrt bewertet: zur Mortalität, zu Exazerbationen, zu weiteren unerwünschten Wirkungen und Komplikationen der Therapie sowie zur körperlichen Belastbarkeit (Vorbericht aaO S 16). Bei der RESET-Studie hatte mehr als die Hälfte der Patienten ein homogenes Lungenemphysem (Vorbericht aaO S 11). Zu Studienende zeigte sich hinsichtlich der körperlichen Belastbarkeit (6-Minuten-Gehtest) ein statistisch signifikanter Gruppenunterschied zugunsten der Gruppe, die mit Spiralen behandelt wurde (Vorbericht aaO S 215 f). Soweit Dr. S. in dem MDK-Gutachten vom 18.12.2014 wegen der fehlenden Verblindung der RESET-Studie deren Ergebnisse – bis auf eine Abschätzung zusätzlicher Risiken gegenüber der Standardgruppe – für nicht aussagekräftig hält, misst der Senat der Bewertung durch das IQWiG eine höhere Aussagekraft zu und stützt sich daher auf diese. Insbesondere konnte das IQWiG nicht einmal Anhaltspunkte für Schaden durch die Behandlungsmethode feststellen. Das IQWiG stellt ein Expertengremium dar, das in seiner persönlichen und fachlichen Integrität und Qualität durch Transparenz und Unabhängigkeit gesetzlich und institutionell abgesichert ist (BSG 01.03.2011, B 1 KR 7/10 R, BSGE 107, 261 = SozR 4-2500 § 35 Nr 5; BSG 14.10.2014, B 1 KR 33/13 R, BSGE 117, 94 = SozR 4-2500 § 137 Nr 5). Auch wenn der Vorbericht des IQWiG erst im Jahr 2016 vorlag, kann er herangezogen werden, da er sich ua auf die 2013 (und früher) vorliegenden Daten stützt. Hinzu kommt, dass bei interventionellen Implantationsverfahren eine Verblindung schon aus ethischen Gründen nicht möglich ist, wie Prof. Dr. H. in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar ausgeführt hat. Schon weil der Patient postinterventionell zum Ausschluss von Komplikationen geröntgt werden muss, wird offensichtlich, ob er mit Coils behandelt wurde. Demnach kann hier nur ein geringeres Evidenzlevel erreicht werden. Im Juli 2013 bestand daher aufgrund der Studienlage jedenfalls das Potenzial einer Behandlungsalternative und zwar sowohl für Patienten mit homogenem wie auch heterogenem Lungenemphysem. Weitere Studien liefen zu diesem Zeitpunkt noch bzw folgten später. Im Abschlussbericht des IQWiG Stand 07.02.2017 (IQWiG-Berichte Nr 487; https://www.iqwig.de/download/N14-04_Abschlussbericht_LVR-beim-schweren-Lungenemphysem.pdf) wird für die LVRC ausgeführt, dass sich aus inzwischen drei Studien ein Hinweis auf Nutzen hinsichtlich der Symptomatik (Atemnot), ein Anhaltspunkt für Schaden hinsichtlich der Exazerbationen sowie ein Beleg für Schaden im Hinblick auf vermehrte weitere unerwünschte Wirkungen ergab. Bei zwei Endpunkten wurde für die Subgruppe der Patienten mit einem pulmonalen Restvolumen von mindestens 225% Soll ein Beleg für Nutzen (hinsichtlich der körperlichen Belastbarkeit) bzw ein Hinweis für Nutzen (hinsichtlich der gesundheitsbezogenen Lebensqualität) abgeleitet; für die Subgruppe mit einem RV <225% konnte ein Anhaltspunkt für Nutzen (hinsichtlich der gesundheitsbezogenen Lebensqualität) abgeleitet werden (Abschlussbericht aaO S 37 f). In der am 24.01.2018 von den beteiligten Fachgesellschaften verabschiedeten S2k-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie von Patienten mit chronisch obstruktiver Bronchitis und Lungenemphysem (COPD), AWMF-Register Nr 020/006 wird die LVRC nunmehr empfohlen. Nach dieser Leitlinie kann die endoskopische Lungenvolumenreduktion bei einem ausgeprägten Lungenemphysem mit einem forcierten expiratorischen Volumen (FEV1) von <45% des Solls nach Bronchodilatatorgabe sowie einer Lungenüberblähung mit einem RV von >175-200% des Solls eingesetzt werden nach Ausschöpfung aller konservativer Maßnahmen. Positive Ergebnisse können nach der Leitlinie bei korrekter Patientenselektion sowohl beim homogenen wie beim heterogenen Emphysem erzielt werden. Auch in internationalen Empfehlungen ist die LVRC inzwischen aufgenommen (GOLD-Report 2017, 2018 und 2019).“

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Dieser Überblick zeigt, dass die Lungenvolumenreduktion mittels Implantation von Coils auch im Jahr 2014 (noch) nicht von der Mehrheit der einschlägigen Fachleute befürwortet wurde. Der GBA hat erst mit Beschluss vom 20.12.2018 die bronchoskopische Lungenvolumenreduktion mittels Einlage von Spiralen („Coils“) bei schweren Lungenemphysemen mit einem pulmonalen Residualvolumen von mindestens 225 % vom Soll in die Anlage I der Richtlinie des GBA zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Krankenhaus aufgenommen und als Methode, die für die Krankenhausbehandlung erforderlich ist, anerkannt. Mit Beschluss vom gleichen Tag hat er hinsichtlich der bronchoskopischen Lungenvolumenreduktion mittels Einlage von Spiralen („Coils“) bei schweren Lungenemphysemen mit einem pulmonalen Residualvolumen unter 225 % vom Soll im Hinblick auf laufende und geplante Studien das Methodenbewertungsverfahren ausgesetzt (jeweils in Kraft getreten ab 20.03.2013, BAnzAT 19.03.2019 B6). Weder den tragenden Gründen des GBA zu seinem Beschluss vom 20.12.2018 noch den von der Beklagten vorgelegten Gutachten des S vom 04.04.2018 und des T vom 17.01.2019 lassen sich für den hier maßgeblichen Zeitraum bis April 2014 relevante neue medizinische Erkenntnisse entnehmen, die den Schluss zulassen, dass bereits seinerzeit die Lungenvolumenreduktion mittel Implantation von Coils von der Mehrheit der einschlägigen Fachleute befürwortet wurde.

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Ob die vollstationären Behandlungen der Versicherten unter Berücksichtigung der Maßstäbe des § 2 Abs 1a SGB V aber dennoch erforderlich waren, lässt sich nicht abschließend feststellen. Diese Nichterweislichkeit geht im vorliegenden Einzelfall zu Lasten der Klägerin. Der erkennende Senat folgt den Grundsätzen der Verteilung der objektiven Beweislast, die die Rechtsprechung des BSG entwickelt hat (stRspr, vgl zB BSG 14.10.2014, B 1 KR 27/13 R, BSGE 117, 82 mwN). Allgemein gilt danach, dass die Unerweislichkeit einer Tatsache im Zweifel zulasten des Beteiligten geht, der aus ihr eine ihm günstige Rechtsfolge herleitet (zB Schmidt in Meyer-Ladewig ua, SGG, 13. Auflage 2020, § 103 Rn 19a). Wer ein Recht in Anspruch nimmt, trägt danach im Zweifel die Beweislast für die rechtsbegründende Tatsache, wer ein Recht leugnet, die Beweislast für die rechtshindernden, rechtsvernichtenden oder rechtshemmenden Tatsachen. Zwar trägt auch bei Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs durch eine Krankenkasse grundsätzlich das beklagte Krankenhaus die Beweislast für die Tatsachen, aus denen sich das Bestehen ihres in der Sache streitigen Vergütungsanspruchs ableitet. Denn die Krankenkassen erbringen die Vergütung für stationäre Behandlungen in der Regel nicht vorbehaltlos, sondern ausschließlich zur Erfüllung ihrer (landes‐)vertraglichen Zahlungspflicht zeitnah nach Rechnungseingang. Da der Krankenkasse eine sachgerechte Prüfung eines Krankenhausaufenthaltes und der dafür vom Krankenhaus geforderten Abrechnung in diesem Zahlungszeitraum nicht möglich ist und das Krankenhaus noch mit einer nachträglichen Prüfung ihrer Abrechnung seitens der Krankenkasse rechnen muss, erfolgt eine solche Zahlung der Krankenkasse konkludent unter dem Vorbehalt einer nachträglichen Überprüfung (vgl zu den verschiedenen Begründungsansätze zB BSG 09.04.2019, B 1 KR 3/18 R, juris Rn 31; BSG 30.06.2009, B 1 KR 24/08 R, BSGE 104, 15; Filges, NZS 2021, 584/587; Knittel in Krauskopf, SGB V, Stand August 2021, § 109 Rn 63, 77). Bei einer Zahlung innerhalb der vorgegebenen Zahlungsfristen erklärt die Krankenkasse den Vorbehalt vielmehr konkludent. Das folgt aus der Rechtsbeziehung der Krankenkassen mit den Krankenhäusern. Im Regelfall erfüllt ein Schuldner seine Schuld nämlich nur dann, wenn sie nachgewiesen ist. Infolge des kompensatorischen Beschleunigungsgebots (vgl Wahl in jurisPK-SGB V, 3. Auflage 2016 <Stand 07.01.2019>, § 109 Rn 169 mwN) ist die Krankenkasse zur Zahlung kurze Zeit nach Rechnungseingang verpflichtet, ohne die Abrechnung des Krankenhauses jedoch sachgerecht überprüfen zu können. Die Krankenkasse erbringt mithin die Vergütung, obwohl das Krankenhaus die Voraussetzungen für den geltend gemachten Vergütungsanspruch noch nicht nachgewiesen hat. Daher ist für das Krankenhaus regelmäßig offensichtlich, dass die Krankenkasse die Vergütungsforderung – ggf unter Einschaltung des MDK – trotz der Zahlung noch eingehend prüfen muss (Filges, NZS 2021, 584/587). Daher tritt bei einer Zahlung der Krankenkasse unter dem (konkludenten) Vorbehalt der Prüfung im Regelfall keine Umkehr der Beweislast ein; vielmehr trägt die Krankenkasse nach wie vor die Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen ihres Vergütungsanspruchs.

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Dieser Grundsatz erfährt im vorliegenden Einzelfall eine Durchbrechung, weil die Beklagte der Klägerin die Daten nach § 301 SGB V vollständig und richtig übermittelt hat, die Klägerin die Krankenhausvergütung geleistet hat, die von der Klägerin in der Sache gerügte primäre Fehlbelegung der Auffälligkeitsprüfung des § 275 Abs 1c SGB in der bis zum 31.12.2015 geltenden Fassung (aF), die auf die beiden 2014 abgerechneten Behandlungsfälle (29.01. bis 30.01.2014 und 14.04. bis 15.04.2014) Anwendung findet, unterfällt, die Klägerin eine solche zu keinem Zeitpunkt durchgeführt hat und eine sachlich-rechnerische Richtigstellung, die nach der bis zum 31.12.2015 geltenden Rechtslage nicht der Regelung des § 275 Abs 1a SGB V unterfiel, ausscheidet. Nachdem die Klägerin nunmehr – entgegen den bei ihren Zahlungen konkludent erklärten Vorbehalten (einer zukünftigen Prüfung) – weder eine Auffälligkeitsprüfung gesetzeskonform einleiten noch eine sonstige Prüfung durchführen kann, trägt sie die Beweislast für die Rechtsgrundlosigkeit ihrer Zahlungen.

30

Die Beklagte hat der Klägerin nach Maßgabe des § 301 SGB V die Daten vollständig übermittelt (vgl BSG 23.06.2015, B 1 KR 26/14 R, BSGE 119, 150; BSG 21.04.2015, B 1 KR 10/15 R, NZS 2015, 578; BSG 27.11.2014, B 3 KR 7/13 R, SozR 4-2500 § 275 Nr 24; BSG 14.10.2014, B 1 KR 27/13 R, BSGE 117, 82; BSG 14.10.2014, B 1 KR 26/13 R, SozR 4-2500 § 301 Nr 3; BSG 01.07.2014, B 1 KR 24/13 R, SozR 4-2500 § 301 Nr 2). Das Gesetz zielt darauf ab, bestehende Ungleichgewichte aufgrund des Informationsgefälles zwischen Krankenhaus und Krankenkasse auszugleichen durch Informationsgebote (zB §§ 301, 276 Abs 2 SGB V) und die Ablehnung einer Vermutung für die Richtigkeit der Krankenhausabrechnung (vgl BSG 14.10.2014, B 1 KR 27/13 R, BSGE 117, 82; BSG 01.07.2014, B 1 KR 48/12 R, BSGE 116, 130; BSG 13.11.2012, B 1 KR 24/11 R, BSGE 112, 141; BSG 25.09.2007, GS 1/06, BSGE 99, 111). Das BSG sieht die ordnungsgemäße Information der Krankenkasse über die vom Krankenhaus abgerechnete Versorgung nach Maßgabe der Mitwirkungsobliegenheiten insbesondere aus § 301 SGB V sowie ggf ergänzenden landesvertraglichen Bestimmungen als verfahrensrechtliches Gegenstück zur Verantwortung der Krankenkassen für die beschleunigte Prüfung und Bezahlung der Krankenhausrechnungen an. Eine ordnungsgemäße Information der Krankenkasse ist dabei unverzichtbare Grundlage und Bestandteil einer ordnungsgemäßen Abrechnung (zB BSG 14.10.2014, B 1 KR 27/13 R, BSGE 117, 82; BSG 13.11.2012, B 1 KR 14/12 R, SozR 4-2500 § 301 Nr 1). Vorliegend hat die Beklagte der Klägerin aber alle nach § 301 SGB V maßgeblichen Daten vollständig und jeweils mit der Abrechnung der Vergütung zur Verfügung gestellt. Sie hat die Diagnosen medizinisch richtig und leitliniengerecht bestimmt sowie unter Anwendung der Deutschen Kodierrichtlinien die Diagnosen und Prozeduren richtig verschlüsselt. Sie hat insbesondere auch die OPS-Prozedur 5-339.8 angegeben und die Klägerin damit über die streitige Behandlung (Lungenvolumenreduktion durch Einlage von Coils, je Nitinolspirale) informiert. Sie hat die von ihr tatsächlich erbrachten Leistungen jeweils unter Berücksichtigung der von einem zertifizierten Grouper angesteuerten DRG E05 C gegenüber der Klägerin zutreffend berechnet. Die Beklagte hat damit zutreffende Angaben zum Behandlungsgeschehen gemacht und bei der Klägerin keine Fehlvorstellungen über das konkrete, abrechnungsrelevante Behandlungsgeschehen ausgelöst (vgl BSG 25.10.2016, B 1 KR 22/16 R, BSGE 122, 87). „Kodierfehler“ oder eine Abweichung von der üblichen Kodierpraxis lagen nicht vor (vgl BSG 14.10.2014, B 1 KR 27/13 R, BSGE 117,82). Auch bestand keine der in der Rechtsprechung anerkannten Konstellationen, in der das Krankenhaus spezifische Informationen zum Aufnahmegrund zu übermitteln hat (vgl BSG 23.06.2015, B 1 KR 26/14 R, BSGE 119, 150). Dies stellt die Klägerin alles nicht in Abrede, sondern rügt allein die Erforderlichkeit der Krankenhausbehandlung wegen eines Verstoßes gegen das Qualitätsgebot des § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V und damit in der Sache eine primäre Fehlbelegung. Damit handelt es sich bei der von der Klägerin nachträglich mehr als drei Jahre nach jeweiliger Abrechnung durch die Beklagte und Rechnungsausgleich durch die Klägerin vorgenommenen „Rechnungskorrektur“ nicht um eine sachlich-rechnerische Richtigstellung. Vielmehr unterfallen die streitigen Behandlungsfälle der Auffälligkeitsprüfung des § 275 Abs 1c SGB V aF. Eine solche hat die Klägerin jedoch weder fristgerecht eingeleitet noch ordnungsgemäß durchgeführt mit der Folge, dass die Klägerin und der MDK nach Ablauf der Frist auf die Daten beschränkt sind, die die Beklagte der Klägerin jeweils im Rahmen ihrer Informationsobliegenheit bei der Krankenhausaufnahme und zur Abrechnung zur Verfügung gestellt hat.

31

Nach der Rechtsprechung des BSG war Gegenstand des § 275 Abs 1c SGB V aF lediglich die Auffälligkeitsprüfung (vgl zB BSG 16.07.2020, B 1 KR 15/19 R, SozR 4-2500 § 275 Nr 32; BSG 14.10.2014, B 1 KR 34/13 R, SozR 4-2500 § 301 Nr 5; BSG 25.10.2016, B 1 KR 22/16 R, BSGE 122, 88). Daneben waren die Krankenkassen jederzeit berechtigt, die sachlich-rechnerische Richtigkeit einer Abrechnung von Krankenhausvergütung mit Blick auf Leistungsverweigerungsrechte oder nicht verjährte Erstattungsforderungen zu überprüfen (zB BSG 25.10.2016, B 1 KR 22/16 R, BSGE 122, 87; BSG 14.10.2014, B 1 KR 34/13 R, SozR 4-2500 § 301 Nr 5). Die gesetzliche Regelung der Informationsübermittlung vom Krankenhaus an die Krankenkasse (vgl § 301 SGB V) korrespondiert mit der Prüfberechtigung der Krankenkasse. Das Krankenhaus hat hierzu zutreffend und vollständig alle Angaben zu machen, deren es zur Überprüfung der sachlich- rechnerischen Richtigkeit der Abrechnung bedarf (§ 301 Abs 1 SGB V; ferner BSG 14.10.2014, B 1 KR 34713 R SozR 4-2500 § 301 Nr 5; BSG 22.06.2010, B 1 KR 1/10 R, BSGE 106, 214). Wenn sich aus den Angaben des Krankenhauses Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Abrechnung nicht sachlich-rechnerisch richtig ist, und/oder das Krankenhaus seine primären Informationsobliegenheiten und ggf -pflichten über die Abrechnungsgrundlagen nicht erfüllt, trifft das Krankenhaus jedenfalls auf Anforderung der Krankenkasse die Obliegenheit, an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken, insbesondere auch die Behandlungsunterlagen an den MDK oder das Gericht herauszugeben, soweit sich aus den Landesverträgen nach § 112 SGB V keine weitergehenden Mitteilungspflichten ergeben (zB BSG 14.10.2014, B 1 KR 34/13 R, SozR 4-2500 § 301 Nr 5). Die Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit der Abrechnung betrifft die Erfüllung der gesetzlichen und untergesetzlichen Informations- und Abrechnungsvorgaben für das Krankenhaus durch zutreffende tatsächliche Angaben und rechtmäßige Abrechnung auf dieser Grundlage (dazu BSG 25.10.2016, B 1 KR 22/16 R, BSGE 122, 87). Das Krankenhaus verschafft damit der Krankenkasse Kenntnis vom abrechnungsrelevanten Behandlungsgeschehen und der Anwendung der hierauf bezogenen Abrechnungsregelungen. Dieser Prüfung kommt seit Einführung des Fallpauschalen-(DRG-)Systems durch § 17b KHG eine besondere Bedeutung zu und umfasst die umfassenden und differenzierten Grundlagen und Vorgaben der DRG-Abrechnung (BSG 25.10.2016, B 1 KR 22/16 R, BSGE 122, 87).

32

Wie dargelegt, hat die Beklagte in Erfüllung der gesetzlichen und untergesetzlichen Informations- und Abrechnungsvorgaben zutreffende tatsächliche Angaben und rechtmäßige Abrechnungen zu den beiden streitigen Behandlungsfällen gemacht. Die Klägerin hat auch nicht im Rahmen einer sachlich-rechnerischen Richtigkeitsprüfung die von der Beklagten übermittelten bzw abgerechneten (Haupt- und/oder Neben- )Diagnosen, Prozeduren, DRG und Entgelte moniert, sondern ausschließlich die Erforderlichkeit, dh Wirtschaftlichkeit, der beiden stationären Krankenhausbehandlungen aus medizinischen Gründen in Frage gestellt. Dies unterfällt der Auffälligkeitsprüfung iSd § 275 Abs 1c Satz 1 SGB V aF. Danach ist bei Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V eine Prüfung nach § 275 Abs 1 Nr 1 SGB V zeitnah durchzuführen. Nach § 275 Abs 1c Satz 2 SGB V aF ist diese Prüfung spätestens sechs Wochen nach Eingang der Abrechnung bei der Krankenkasse einzuleiten und dem Krankenhaus durch den MDK anzuzeigen. Der zeitliche Anwendungsbereich des § 275 Abs 1c SGB V ist – bezogen auf die Behandlung der Versicherten im Januar und April 2014 – eröffnet. Dabei ist die Krankenkasse in den gesetzlich bestimmten Fällen oder wenn es nach Art, Schwere, Dauer oder Häufigkeit der Erkrankung oder nach dem Krankheitsverlauf erforderlich ist, verpflichtet, bei Erbringung von Leistungen, insbesondere zur Prüfung von Voraussetzungen, Art und Umfang der Leistung, sowie bei Auffälligkeiten zur Prüfung der ordnungsgemäßen Abrechnung eine gutachterliche Stellungnahme des MDK einzuholen. Der Prüfanlass der Auffälligkeit ist nach der Rechtsprechung des BSG weit zu verstehen und kann nicht im Vorhinein mit Blick auf das Ziel der Auffälligkeitsprüfung iSd § 275 Abs 1 Nr 1 SGB V auf die Prüfung der Wirtschaftlichkeit (vgl zum Begriff der Wirtschaftlichkeit zB BSG 13.11.2011, B 1 KR 27/11 R, BSGE 112, 156: „Dies bedeutet, dass die Krankenhausbehandlung ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein muss und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten darf.“) eines im Tatsächlichen korrekt kodierten Behandlungsgeschehens reduziert werden (BSG 25.10.2016, B 1 KR 22/16 R, BSGE 122, 87; BSG 25.10.2016, B 1 KR 19/16, GuP 2017, 110). Danach bestehen Auffälligkeiten, die die Krankenkasse zur Einleitung einer Abrechnungsprüfung unter Anforderung einer gutachterlichen Stellungnahme des MDK berechtigen, wenn die Abrechnung und/oder die vom Krankenhaus zur ordnungsgemäßen Abrechnung vollständig mitgeteilten Behandlungsdaten und/oder weitere zuverlässig von der Krankenkasse verwertbare Informationen Fragen nach der Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots aufwerfen, die die Krankenkassen aus sich heraus ohne weitere medizinische Sachverhaltsermittlung und -bewertung durch den MDK nicht beantworten kann (BSG 25.10.2016, B 1 KR 22/16 R, BSGE 122, 87; BSG 25.10.2016, B 1 KR 19/16, GuP 2017, 110). Aus dem Prüfauftrag der Krankenkasse muss das konkrete Prüfungsziel und die Beschreibung der Auffälligkeit zu ersehen sein (BSG 25.10.2016, B 1 KR 22/16, BSGE 122, 87).

33

Die von der Klägerin vorgenommene nachträgliche Prüfung der streitigen Abrechnungen der Beklagten sowie die erst im Rahmen des Berufungsverfahrens erfolgte Befassung des MDK (vgl das erstmals am 22.07.2020 vorgelegte Gutachten des MDK vom 25.06.2020), die im Übrigen der Beklagten zu keiner Zeit angezeigt wurde, war allein auf eine Abrechnungsminderung iSd § 275 Abs 1c SGB V aF gerichtet. Der Klägerin ging es, weil sie sich selbst nicht in der Lage sah, den medizinischen Sachverhalt zu beurteilen (vgl BSG 13.11.2012, B 1 KR 14/12 R, SozR 4-2500 § 301 Nr 1), durch Einschaltung des MDK um die Klärung der Fragen, ob die bei der Beklagten durchgeführten stationären Behandlungen dem Qualitätsgebot des § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V entsprachen und im konkreten Einzelfall die medizinischen Voraussetzungen des § 2 Abs 1a SGB V bei der Versicherten vorlagen. Ob die Diagnosen, Prozeduren und DRG in Einklang mit dem tatsächlichen Behandlungsgeschehen durch die Beklagte zutreffend kodiert waren, war nicht Gegenstand der Prüfung. Dies entnimmt der Senat dem von der Klägerin vorgelegten Gutachten des MDK vom 25.06.2020, das als „Anlass“ „Neue und/oder nicht zugelassene Untersuchungs- und Behandlungsmethoden“ benennt sowie die Umstände des vorliegenden Rechtsstreits. Die Klägerin beanstandet damit in der Sache die medizinische Erforderlichkeit der beiden stationären Krankenhausbehandlungen. Die Klägerin hat eine Prüfung durch den MDK indessen nicht vor Ablauf der Sechs-Wochen-Frist des § 275 Abs 1c Satz 2 SGB V aF eingeleitet, sondern erst während des gerichtlichen Verfahrens den MDK befasst. Auch hat der MDK entgegen der Vorgaben des § 275 Abs 1c Satz 2 SGB V aF der Beklagte keine Prüfung angezeigt. Dies hat zur Folge, dass die Klägerin und der MDK auf die Daten beschränkt sind, die die Beklagte im Rahmen ihrer Informationsobliegenheiten bei der Krankenhausaufnahme der Versicherten und zur Abrechnung zur Verfügung gestellt hat. Dieses Beweisverwertungsgebot erstreckt sich auch auf das gerichtliche Verfahren (BSG 19.04.2016, B 1 KR 33/15 R, BSGE 121, 101; BSG 13.11.2012, B 1 KR 27/11 R, BSGE 112, 156; BSG 13.11.2012, B 1 KR 14/12 R, SozR 4-2500 § 301 Nr 1). Die Patientenunterlagen liegen weder der Klägerin noch dem Senat vor. Die Beklagte hat eine Vorlage der Patientenunterlagen ausdrücklich abgelehnt und sich dabei zu Recht auf das Verwertungsverbot wegen der nicht rechtzeitigen Einleitung eines Prüfverfahren nach § 275 Abs 1c SGB V berufen.

34

Ob bei der Versicherten anlässlich der beiden stationären Krankenhausaufenthalte eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung oder eine zumindest wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung iSd § 2 Abs 1a SGB V vorlag, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung stand, lässt sich anhand den seitens der Beklagten nach § 301 SGB V an die Klägerin übermittelten Daten nicht feststellen. Eine Erkrankung ist dann lebensbedrohlich, wenn sie in überschaubarer Zeit das Leben beenden kann, und dies eine notstandsähnliche Situation herbeiführt, in der Versicherte nach allen verfügbaren medizinischen Hilfen greifen müssen (dazu und zum Folgenden zB BSG 20.03.2018, B 1 KR 4/17, SozR 4-2500 § 2 Nr 12 mwN). Es genügt hierfür nicht, dass die Erkrankung unbehandelt zum Tode führt. Die Erkrankung muss trotz des Behandlungsangebots mit vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung regulär umfassten Mitteln lebensbedrohlich sein. Kann einer Lebensgefahr mit diesen Mitteln hinreichend sicher begegnet werden, besteht kein Anspruch aus grundrechtsorientierter Auslegung des Leistungsrechts. Die notstandsähnliche Situation muss sich nach den konkreten Umständen des einzelnen Falles ergeben. Die notstandsähnliche Situation muss im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliegen, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Das bedeutet, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird. Danach muss es sich um eine durch eine nahe Lebensgefahr gekennzeichnete individuelle Notlage handeln. Erforderlich ist die Gefahr, dass die betroffene Krankheit in überschaubarer Zeit mit hoher Wahrscheinlichkeit das Leben beenden kann, sodass die Versicherten nach allen verfügbaren medizinischen Hilfen greifen müssen. Liegen diesen Voraussetzungen vor, ist weiterhin erforderlich, dass eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht als Standardtherapie zur Verfügung steht und wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Das Bestehen einer auf Indizien gestützten, nicht ganz fernliegenden Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf durch die angewandte Methode ist dabei nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu beurteilen (BSG 19.12.2017, B 1 KR 17/17 R, BSGE 125, 76).

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Dem von der Klägerin auf Grundlage der von der Beklagten übermittelten Daten beim MDK eingeholten Gutachten vom 25.06.2020 lassen sich keine konkreten Feststellungen dazu, ob bei der Versicherten anlässlich der beiden stationären Krankenhausaufenthalte eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung oder eine zumindest wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung vorlag, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung stand, entnehmen. Vielmehr betont der MDK, dass „Befundberichte von 2014 mit konkreten Angaben zu Befunden, Verlauf und Therapien (…) leider nicht zur Verfügung“ standen. Er äußert – ohne Kenntnis der konkreten Befunde – die bloße Vermutung, dass von einer lebensbedrohlichen Situation zum Zeitpunkt der Interventionen bzw einer notstandsähnlichen Situation „nicht auszugehen“ sei. Die vom Gutachter benannten alternativen Behandlungsmöglichkeiten erschöpfen sich in der Aufzählung allgemein anerkannter, leitliniengerechter Behandlungsmaßnahmen und gehen nicht auf den Einzelfall der Versicherten ein. Der MDK-Gutachter betont, dass nicht „im Detail“ beurteilt werden könne, ob und welche konservativen Therapiemöglichkeiten (Atemübungen, Rehabilitation, Sauerstoffgabe, medikamentöse Behandlung, Nikotinabstinenz) vor der Intervention ausgeschöpft worden sind und wie hoch das Residualvolumen der Lunge war.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 SGG iVm § 154 Abs 1 Verwaltungsgerichts- ordnung (VwGO), da weder Klägerin noch Beklagte zu den in § 183 SGG genannten Personen gehören.

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Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 HS 1 SGG iVm § 63, § 52 Abs 1, 3, § 47 Gerichtskostengesetz.