Landessozialgericht Baden-Württemberg L 11 KR 55/16

Kernpunkte:

  • Eine stationäre multimodale Schmerbehandlung darf nur durchgeführt werden, wenn die ambulante Behandlungsmöglichkeiten alle ausgeschöpft wurden.
  • Zu den ambulanten Behandlungsmöglichkeiten gehören die ambulante multimodale Schmerztherapie, Behandlung durch einen Schmerztherapeuten und Behandlung durch einen Psychologen / Psychiater

 

Landessozialgericht

Baden-Württemberg

28.03.2017

Urteil

 

Tatbestand

 

 

1 Die Beteiligten streiten über die Vergütung für eine stationäre Krankenhausbehandlung iHv 3.872,86 EUR.
2 Die Klägerin betreibt ein nach § 108 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) für die Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen zugelassenes Krankenhaus für Innere Medizin in N.-Ö.. Sie arbeitet im Rahmen eines integrativen Therapiekonzepts mit ganzheitlicher und anthroposophischer Medizin. Die bei der beklagten Krankenkasse versicherte G. H. (geb. … 1946, im Folgenden: Versicherte) wurde in der Klinik der Klägerin vom 21. bis 31.10.2011 stationär behandelt. Die Aufnahme erfolgte aufgrund der Verordnung des Hausarztes Dr. F. vom 20.10.2011 wegen Exazerbation einer Schmerzerkrankung. Bei der Versicherten liegen folgende Diagnosen vor: Fibromyalgie-Syndrom (ED 1989), chronifizierte Depression, chronische Schlafstörung, Restless-Legs-Syndrom, kardiovaskuläre Risikofaktoren (arterielle Hypertonie, Hypercholesterinämie, Adipositas), Zn Colonkarzinom 1986 und Leberteilresektion bei Lebermetastasen 1987, Cholezystektomie (Zn 6-maliger Chemoembolisation), trockene Maculadegeneration, Zn Augenoperation ua wegen Katarakt links 5/11, Osteoporose, Dyspnoe unklarer Genese seit ca 10 Jahren, Zn Asthma bronchiale. Vorausgegangen waren stationäre Behandlungen der Versicherten in der Klinik der Klägerin vom 13. bis 24.11.2009, 27.12.2009 bis 09.01.2010, 10. bis 21.03.2010, 06. bis 16.05.2010, 07. bis 20.07.2010, 15. bis 28.09.2010, 17. bis 27.11.2010, 31.01. bis 11.02.2011, 11. bis 21.04.2011, 17.06. bis 01.07.2011, 19. bis 30.08.2011 sowie in der F.-H.-Klinik vom 10.12.2011 bis 25.01.2011 (dort wegen einer schweren depressiven Episode).
3 Mit Schlussrechnung vom 15.11.2011 forderte die Klägerin zunächst Behandlungskosten iHv 4.987,29 EUR, welche die Beklagte vollständig beglich. Mit Schreiben vom 01.12.2011 beauftragte die Beklagte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Prüfung der Rechnung. Der MDK forderte Unterlagen bei der Klägerin an und führte sodann mit Gutachten vom 07.05.2012 (Dr. S.) aus, es liege eine primäre Fehlbelegung vor. Darüber hinaus seien die Voraussetzungen der OPS 8-918-00 (multimodale Schmerztherapie) nicht ausreichend dokumentiert. Die Beklagte forderte von der Klägerin den vollen Rechnungsbetrag zurück.
4 Die Klägerin akzeptierte die Streichung des OPS 8-918-00, korrigierte mit Rechnung vom 23.07.2012 den Rechnungsbetrag auf 3.872,86 EUR und widersprach im Übrigen der Rückforderung. Die Versicherte sei von ihrem Hausarzt bei erneuter Exazerbation der Schmerzen ausdrücklich stationär zur multimodalen Schmerztherapie eingewiesen worden, weil sich die Schmerzen bei ambulanter Therapie jeweils nach kurzer Zeit wieder verstärkt hätten. Die stattgefundene Therapiedichte und Multiprofessionalität könne durch ambulante fachärztliche Behandlung nicht erreicht werden. Die Beklagte befasste erneut den MDK, der bei seiner Auffassung blieb (Gutachten Dr. S. vom 31.08.2012). Mit Schreiben vom 09.12.2013 verrechnete die Beklagte den Gesamtbetrag iHv 4.987,29 EUR sodann mit anderen unstreitigen Forderungen.
5 Am 27.02.2014 hat die Klägerin zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage erhoben wegen Zahlung der Behandlungskosten iHv 3.872,86 EUR. Die Komplexität der Erkrankung der multimorbiden Versicherten habe die Notwendigkeit der stationären Behandlung begründet. Der MDK sei hierauf nicht ausreichend eingegangen, er habe auch das spezifische Therapiekonzept des Krankenhauses unberücksichtigt gelassen. Konkrete ambulante Alternativen seien nicht ersichtlich.
6 Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat eine weitere Stellungnahme des MDK vom 15.07.2015 vorgelegt. Dr. M. führt darin aus, die ambulante Einbindung bei einem Schmerztherapeuten und eine psychiatrische Behandlung einschließlich verhaltenstherapeutischer Psychotherapie seien möglich und vorrangig gewesen.
7 Das SG hat ein gerichtliches Sachverständigengutachten bei Dr. T. eingeholt und sodann mit Urteil vom 17.12.2015 die Beklagte zur Zahlung von 3.872,86 EUR nebst Zinsen iHv 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.12.2013 verurteilt. Die vollstationäre Krankenhausbehandlung der Versicherten sei erforderlich gewesen, insoweit schließe sich das SG den Ausführungen des Sachverständigen Dr. T. an. Die Aufnahme sei im Rahmen eines akuten Rezidivs einer Schmerzerkrankung erfolgt. Bei Aufnahme habe die Versicherte eine sehr ausgeprägte Schmerzintensität von 8,5 auf einer visuellen Analogskala (VAS; 0=kein Schmerz, 10=maximal vorstellbare Schmerzen) angegeben. Die Medikamentenliste habe 10 Arzneimittel der komplementären und konventionellen Medizin enthalten, darunter Opioide wie Tilidin und Flupritin sowie weitere antidepressive Medikamente. Wegen der starken, durch ambulante Schmerztherapie über längeren Zeitraum nicht beherrschbaren Schmerzen sei eine Krankenhausbehandlung erforderlich gewesen. Zwar wäre eine Intensivierung der fachärztlichen Betreuung und ambulante Psychotherapie angezeigt gewesen. Allerdings wäre dies, so Dr. T., nur eine Ergänzung im Rahmen der multimodalen Schmerztherapie gewesen, kein Ersatz für die stationäre Behandlung. Der MDK habe die erheblichen Schmerzen unter der bislang durchgeführten Medikation nicht erörtert, ebenso wenig habe er konkrete Alternativen zur stationären Behandlung aufgezeigt.
8 Gegen das ihr am 22.12.2015 zugestellte Urteil richtet sich die am 07.01.2016 eingelegte Berufung der Beklagten. Das SG habe die Grenzen der freien Beweiswürdigung überschritten. Die von dem Sachverständigen Dr. T. gegebene Begründung für die stationäre Behandlungsbedürftigkeit verweise letztlich nur auf die von der Versicherten geklagte Schmerzintensität sowie auf die erfolglose medikamentöse Behandlung verbunden mit der Schlussfolgerung, dass angesichts der Komplexität nun eine stationäre anthroposophische Schmerzbehandlung habe erbracht werden müssen. Mit der entscheidenden Frage, ob stattdessen noch ambulante Behandlungsmöglichkeiten in Betracht gekommen wären, befasse er sich nicht. Eine Behandlung bei einem Schmerztherapeuten oder Psychiater habe offenbar nicht stattgefunden, so dass nicht alle Möglichkeiten der ambulanten Behandlung ausgeschöpft gewesen seien. Schmerztherapeutische Behandlung finde erst seit 2015 statt. Aus der Übersicht über die ambulanten Behandlungen ergebe sich, dass die Versicherte vor Oktober 2011 ambulant nur durch ihren Hausarzt und Ärzte der Gruppen 05 und 21 behandelt worden sei. Das bereits 1989 diagnostizierte Ganzkörperschmerzsyndrom sei sehr häufig stationär abgeklärt und behandelt worden. Dokumentiert sei, dass die Versicherte bei Aufnahme mobil gewesen sei, in häuslicher Gemeinschaft mit Angehörigen lebe, kooperativ und ohne kognitive Defekte gewesen sei. Komorbiditäten, die eine Überwachungspflicht bei und nach invasiver Behandlung begründeten, seien nicht erkennbar. Eine erweiterte Überwachung der Vitalparameter, Krisenintervention oder akute Eigen- oder Fremdgefährdung seien nicht dokumentiert. Die Indikation für eine stationäre Krankenhausbehandlung könne nicht auf eine Momentaufnahme der subjektiven Angabe der Schmerzintensität gestützt werden. Dies ergebe sich aus der Leitlinie chronischer Schmerz. Ergänzend hat die Beklagte ein weiteres Gutachten des MDK (Dr. M. vom 18.10.2016) vorgelegt.
9 Die Beklagte beantragt,
10 das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 17.12.2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
11 Die Klägerin beantragt,
12 die Berufung zurückzuweisen.
13 Der Sachverständige Dr. T. habe schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, dass eine stationäre Aufnahme indiziert gewesen sei. Der bloße Verweis des MDK auf angeblich fehlende fachärztliche ambulante Behandlung sei unsubstantiiert, es werde nicht konkretisiert, welche ambulanten Optionen konkret noch offen gestanden hätten. Der Versicherten seien regelmäßig bereits sowohl Nicht-Opiod-Analgetika der 1. Stufe wie auch Opiod-Analgetika der 2. Stufe des WHO-Schemas verordnet worden. Im Übrigen sei die Versicherte sehr wohl in fachärztlicher Behandlung gewesen (Arztbriefe der Gemeinschaftspraxis Dr. B./S., Fachärzte für Innere Medizin/Rheumatologie vom 20.06.2005, des Facharztes für Rheumatologie Dr. G. vom 16.11.2009 und des Facharztes für Neurologie R. vom 12.07.2010; Kurbericht Dr. S., Bad S. vom 08.08.2006). Der Sachverständige habe ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine ambulante begleitenden Psychotherapie sicher kein Ersatz für die akute stationäre Behandlung sei. Der Hinweis auf fehlende ambulante schmerztherapeutische Behandlung gehe hier fehl, da die Versicherte seit 2009 im Rahmen der stationären Aufenthalte jeweils auch durch Schmerztherapeuten fachärztlich behandelt worden und auch die Schmerzmedikation regelmäßig evaluiert und angepasst worden sei. Ergänzend hat die Klägerin die Entlassberichte zu den vorangegangenen vier stationären Behandlungen im Jahr 2011 vorgelegt. Hieraus ergebe sich die immer wiederkehrende deutliche Verschlechterung des Zustands der Versicherten mit hoher Schmerzlast nach Phasen der deutlichen Schmerzlinderung im Anschluss an die stationären Aufenthalte. Auch die Schmerzmedikation habe sich deutlich gesteigert in Dosierung und Anzahl. Eine Indikation zur vollstationären Behandlung angesichts des Schmerzsyndroms werde auch durch die klinische S3-Leitlinie „Nicht-spezifische, funktionelle und somatoforme Körperbeschwerden“ bestätigt. Dort heiße es, die Indikation für eine (teil-)stationäre Behandlung in einer Klinik mit multimodalem Therapiekonzept sei auch bei mangelnden ambulanten Behandlungsoptionen zu prüfen. Die Schmerzen seien derart immobilisierend und die Alltagstätigkeit einschränkend gewesen, dass ein multimodales Therapiekonzept ambulant nicht durchführbar gewesen sei. Im Behandlungszeitraum seien 42 Therapieeinheiten im Rahmen der anthroposophisch-medizinischen Komplexbehandlung erfolgt.
14 Am 17.01.2017 hat die Berichterstatterin den Sachverhalt mit den Beteiligten eingehend erörtert.
15 Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge, die Verwaltungsakten der Beklagten und die Patientenakte Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

 

 

16 Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.
17 Die nach den §§ 143, 144, 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Das SG hat die Beklagte zu Unrecht zur Zahlung von 3.872,86 EUR verurteilt. Zu Recht hat die Beklagte in dieser Höhe gegen andere (unstreitige) Forderungen der Klägerin aufgerechnet.
18 Die Klägerin hat mit der erhobenen (echten) Leistungsklage nach § 54 Abs 5 SGG die richtige Klageart gewählt (dazu nur BSG 14.10.2014, B 1 KR 25/13, juris; BSG 14.10.2014, B 1 KR 26/13 R, SozR 4-2500 § 301 Nr 3). Es handelt sich um einen sog Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt, kein Vorverfahren durchzuführen und eine Klagefrist nicht zu beachten ist (BSG 28.11.2013, B 3 KR 33/12 R, SozR 4-5562 § 9 Nr 5).
19 Der Klägerin steht kein Vergütungsanspruch für die Krankenhausbehandlung der Versicherten iHv 3.872,86 EUR zu. Zwar hatte die Beklagte ursprünglich den gesamten von der Klägerin (zunächst) geltend gemachten Betrag iHv 4.987,29 EUR gezahlt, jedoch nachträglich den Vergütungsanspruch mit zwischen den Beteiligten nicht streitigen Vergütungsansprüchen der Klägerin aus anderen Behandlungsfällen gegen die Beklagte verrechnet. Da die Beklagte sich ausschließlich im Wege der Primäraufrechnung mit einer Gegenforderung verteidigt, steht die Hauptforderung selbst außer Streit (BSG 28.11.2013, B 3 KR 33/12 R, aaO; BSG 01.07.2014, B 1 KR 24/13 R, SozR 4-2500 § 301 Nr 2).
20 Es bestand auch eine zur Aufrechnung erforderliche Gegenforderung der Beklagten, mit der sie gegen die Hauptforderung der Klägerin wegen Überzahlung der Vergütung für die Krankenhausbehandlung des Versicherten analog § 387 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) aufrechnen kann (zur Aufrechnung analog § 387 BGB BSG 01.07.2014, B 1 KR 24/13 R, aaO). Der Beklagten steht insoweit als Grundlage für ihre Gegenforderung ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch iHv 4.987,29 EUR zu (zum öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch bei Überzahlung von Krankenhausentgelten BSG 28.11.2013, B 3 KR 33/12 R; BSG 01.07.2014, B 1 KR 24/13 R), denn die ursprüngliche Zahlung der Beklagten erfolgte ohne Rechtsgrund. Die Klägerin hatte keinen Vergütungsanspruch gegen die Beklagte für die Behandlung der Versicherten vom 21. bis 31.10.2011. Streitig ist allein die Frage der Erforderlichkeit der Krankenhausbehandlung, nicht (mehr) die Kodierung. Die Klägerin hat daher auch ihre Rechnung auf 3.872,86 EUR reduziert.
21 Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs 4 Satz 3 SGB V (idF des GKV-Finanzierungsgesetzes vom 22.10.2010, BGBl I S 2309) in Verbindung mit § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 1 KHEntgG (jeweils idF des Krankenhausfinanzierungsreformgesetzes v 17.03.2009, BGBl I S 534) sowie § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG; idF durch das Krankenhausfinanzierungsreformgesetz vom 17.03.2009, BGBl I S 534) und die Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2011 v 23.09.2010 (Fallpauschalenvereinbarung 2011 – FPV-2011) einschließlich der Anlagen 1 bis 6 sowie dem durch Entscheidung der Landesschiedsstelle vom 21.09.2005 festgesetzten Vertrag nach § 112 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB V über „Allgemeine Bedingungen der Krankenhausbehandlung“ zwischen der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft und den Verbänden der Krankenkassen mit Ausnahme der vom BSG beanstandeten Regelung in § 19 Abs 2 (BSG 13.11.2012, B 1 KR 27/11 R, BSGE 112, 156 = SozR 4-2500 § 114 Nr 1).
22 Der Vergütungsanspruch für die Krankenhausbehandlung eines gesetzlich Krankenversicherten und damit korrespondierend die Zahlungspflicht einer Krankenkasse entsteht – unabhängig von einer Kostenzusage – unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus erfolgt und im Sinne von § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist (BSG 14.10.2014, B 1 KR 25/13 R; BSG, Urt. v. 14.10.2014, B 1 KR 26/13 R). Bei der Klägerin handelt es sich um ein zugelassenes Plankrankenhaus. Die medizinische Notwendigkeit der vollstationären Krankenhausbehandlung der Versicherten war jedoch nicht gegeben. Die Beklagte ist zu Recht davon ausgegangen, dass eine ambulante Behandlung ausreichend gewesen wäre.
23 Ob einem Versicherten vollstationäre Krankenhausbehandlung zu gewähren ist, richtet sich allein nach den medizinischen Erfordernissen des Einzelfalles. Die Berechtigung der Krankenhausbehandlung ist nicht rückschauend aus der späteren Sicht des Gutachters zu beurteilen, sondern es kommt darauf an, ob sich die stationäre Aufnahme oder Weiterbehandlung bei Zugrundelegung der für den Krankenhausarzt nach den Regeln der ärztlichen Kunst im Behandlungszeitpunkt verfügbaren Kenntnisse und Informationen zu Recht als medizinisch notwendig dargestellt hat (BSG 16.12.2008, B 1 KN 3/08 KR R, BSGE 102, 181, SozR 4-2500 § 109 Nr 15). Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit ist ein Krankheitszustand, dessen Behandlung den Einsatz der besonderen Mittel eines Krankenhauses erforderlich macht (BSG 14.10.2014, B 1 KR 27/13 R, BSGE 117, 82 = SozR 4-2500 § 109 Nr 40). Als besondere Mittel des Krankenhauses sind eine apparative Mindestausstattung, geschultes Pflegepersonal und ein jederzeit präsenter oder rufbereiter Arzt anzusehen. Dabei ist eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen, bei der den mit Aussicht auf Erfolg angestrebten Behandlungszielen und den vorhandenen Möglichkeiten einer vorrangigen ambulanten Behandlung entscheidende Bedeutung zukommt. Ermöglicht es der Gesundheitszustand des Patienten, das Behandlungsziel durch andere Maßnahmen, insbesondere durch ambulante Behandlung, einschließlich häuslicher Krankenpflege, zu erreichen, so besteht kein Anspruch auf stationäre Behandlung und damit auch kein Vergütungsanspruch des Krankenhauses (BSG 14.10.2014, B 1 KR 27/13 R, BSGE 117, 82, SozR 4-2500 § 109 Nr 40). Das gleiche gilt, wenn medizinische Rehabilitation ausreichend ist (BSG 20.01.2005, B 3 KR 9/03 R, juris).
24 Vorliegend hat es an der Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit bei der Versicherten gefehlt. Der Senat stützt sich insoweit auf die überzeugenden Darlegungen in den Gutachten des MDK vom 15.07.2015 und 18.10.2016. Aus dem Entlassungsbericht der Klinik vom 31.10.2011 lassen sich zum Aufnahmestatus folgende Angaben entnehmen: „Wirbelsäule etwas klopfschmerzhaft über HWS-/LWS und BWS, Lasegue bds negativ. Gelenke aktiv und passiv frei beweglich, multiple druckdolente Schmerzpunkte im Bereich des ganzen Körpers. Neurologischer Status: keine fokalen Defizite, grob orientierend neurologisch ohne pathologische Befunde. Psyche: Patientin ist wach, allseits orientiert, freundlich zugewandt, jedoch depressive Stimmungslage“. Weiter wird berichtet über eine aktuell erneute Schmerzexazerbation auf VAS 8,5 (in der Aufnahmedokumentation vom 21.10.2011 dagegen 8,0). Aus einem am 26.10.2011 erfolgten psychodiagnostischen Konsil (Dr. K.) ist zu entnehmen, dass die bekannte rezidivierende depressive Störung gegenwärtig unter Agomelatin 50 mg und Venlafaxin 75 mg nur noch als leichtgradig einzuschätzen ist. Ausdrücklich wird ausgeführt, dass die Versicherte schwingungsfähiger als vor einem halben Jahr sei, Ressourcen nutzen und vor allem in den sozialen Beziehungen immer wieder Freude erleben könne. Die noch im Januar 2011 vorliegende schwere depressive Episode, die zur stationären Behandlung in der F.-H.-Klinik geführt hatte, lag damit nicht mehr vor. Immobilisierende Schmerzen, wie von der Klägerin in der Berufungserwiderung geltend gemacht, sind zu keinem Zeitpunkt dokumentiert, weder bei Aufnahme noch im Verlauf der Behandlung.
25 Eine Ausschöpfung der ambulanten Behandlungsmöglichkeiten liegt zur Überzeugung des Senats nicht vor, worauf der MDK zutreffend und nachvollziehbar hinweist. Eine ambulante multimodale Schmerztherapie, fachärztliche psychiatrische oder schmerztherapeutische Behandlung sowie ambulante Psychotherapie ist vor der hier streitigen stationären Therapie überhaupt nicht durchgeführt worden, die allein medikamentöse Behandlung der Schmerzerkrankung erfolgte durch den Hausarzt. Soweit die Klägerin auf die fachärztlichen Behandlungen durch den Rheumatologen Dr. G. und den Neurologen R. bezieht, fanden diese bereits im November 2009 bzw Juli 2010 statt und damit nicht mehr in zeitlicher Nähe zur hier streitigen Behandlung im Oktober 2011. Zudem handelte es sich nach den vorliegenden Arztbriefen wohl nur um konsiliarische Untersuchungen betreffend Fibromyalgie bzw Restless-Legs-Syndrom, nicht um kontinuierliche Behandlungen. Erst recht kann eine ambulante rheumatologische Behandlung im Jahr 2005 für die Beurteilung im Jahr 2011 keine Rolle mehr spielen. Eine kontinuierliche ambulante schmerztherapeutische Behandlung kann auch nicht unter dem Gesichtspunkt als entbehrlich angesehen werden, dass die Versicherte regelmäßig mehrmals im Jahr in der Klinik der Klägerin stationär behandelt wurde. Zwar ist dort regelmäßig insbesondere auch die Schmerzmedikation evaluiert und angepasst worden. Es ist jedoch nicht Aufgabe einer stationären Behandlung, die erforderliche regelmäßige Anpassung eines multimodalen Schmerztherapiekonzepts vorzunehmen (so aber ausdrücklich auch als Grund für die stationäre Einweisung genannt unter „Anamnese“ im Entlassungsbericht), denn damit würde die Erforderlichkeit der stationären Behandlung letztlich damit gerechtfertigt, dass überhaupt keine ambulante Behandlung stattfindet. Insbesondere eine psychiatrische ambulante Behandlung/Psychotherapie wurde auch von den Ärzten der Klägerin für dringend erforderlich gehalten, aber von der Versicherten nicht ernsthaft angegangen. Erst nach der stationären Behandlung im August 2011 hatte diese telefonisch zu drei psychotherapeutischen Behandlern Kontakt aufgenommen, jedoch keine weiteren Bemühungen getätigt, nachdem sich dort nicht sofort eine Behandlungsmöglichkeit ergeben hatte. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass bei der Versicherten die Compliance für die medikamentöse Therapie problematisch war; berichtet wird im Entlassungsbericht vom 31.10.2011 von willkürlichen Abbrüchen der Behandlung. Auch derartigen Schwierigkeiten kann eher im Rahmen einer kontinuierlichen ambulanten fachärztlichen Therapie begegnet werden. Weitere Behandlungsmaßnahmen, wie sie im Rahmen einer leitliniengerechten ambulanten multimodalen Schmerztherapie vorgesehen sind, wurden überhaupt nicht durchgeführt. Es ist auch nicht nachvollziehbar, warum der Versicherten solche Behandlungsmaßnahmen nicht möglich gewesen sein sollten. Immobilisierende Schmerzen lagen nach den vorliegenden Dokumentationen nicht vor.
26 Nichts anderes ergibt sich aus der S3-Leitlinie „Umgang mit Patienten mit nicht-spezifischen, funktionellen und somatoformen Körperbeschwerden (NFS)“. Auch unter Berücksichtigung der dort für eine (teil-)stationäre Therapie genannten Indikationen (vgl dazu die Übersicht DÄ 2012, 803, 811) ergibt sich kein anderes Bild. Die als (einzige) absolute Indikation genannte Selbst- oder Fremdgefährdung einschließlich Suizidalität bei Notwendigkeit ständiger ärztlicher Präsenz lag bei der Versicherten ersichtlich nicht vor. Der ebenfalls als Indikation genannte ausbleibende Erfolg der ambulanten Behandlung nach sechs Monaten setzt voraus, dass eine hinreichende ambulante Behandlung überhaupt erfolgt ist, was hier nicht der Fall war. Soweit weitere Gesichtspunkte genannt werden wie fehlende Behandlungsmotivation für ambulanten Therapieprozess oder Wunsch des Patienten lässt sich damit der gesetzlich vorgesehene Vorrang ambulanter vor stationärer Behandlung nicht umgehen.
27 Insoweit vermag sich der Senat auch dem gerichtlichen Sachverständigengutachten von Dr. T. nicht anschließen, denn dieses ist nicht schlüssig. Dr. T. begründet die Erforderlichkeit einer Krankenhausbehandlung mit folgenden Argumenten: Die Schmerzen seien als sehr stark und intensiv beschrieben worden und indizierten bei Nichtausreichen einer ambulanten Therapie mit 10 Medikamenten verschiedener Wirkstoffklassen eine stationäre Behandlung. Die ambulante medikamentöse Vorbehandlung habe die Beschwerden nicht ausreichend stabil lindern können. Es habe ein komplizierter Verlauf vorgelegen, der ein multidisziplinäres schmerztherapeutisches Vorgehen erfordere, was ambulant nicht in der erforderlichen Dichte zu leisten sei. Eine ambulante Psychotherapie sei indiziert, jedoch kein Ersatz für die akute stationäre Behandlung.
28 Hierzu ist auszuführen, dass allein die Schmerzangabe bei Aufnahme nicht ausreichen kann, eine stationäre Behandlung zu begründen. Bei Aufnahme wurde eine Schmerzintensität angegeben von 8,5 bzw 8 VAS. In der Verlaufsdokumentation in den Tagesprotokollen finden sich nachfolgend Angaben für den 22.10.2011 von morgens 5,9 und abends 4,9 VAS, am 28.10.2011 morgens 3,8 und abends 4,1 VAS (dazu Seite 3 des MDK-Gutachtens vom 18.10.2016, Bl 88 Senatsakte). Soweit der Gutachter sich darauf stützt, dass die durchgeführte ambulante medikamentöse Behandlung nicht erfolgreich war, trifft dies zwar zu. Der Gutachter geht jedoch nicht darauf ein, dass eine leitliniengerechte ambulante Therapie der Schmerzerkrankung zu keinem Zeitpunkt durchgeführt worden ist. Allein der fehlende Erfolg der ambulanten medikamentösen Therapie kann daher eine stationäre Behandlungsbedürftigkeit nicht begründen. Soweit auf den komplizierten Verlauf hingewiesen wurde, ist die Versicherte aufgrund zahlreicher stationärer Vorbehandlungen bei der Klägerin bestens bekannt gewesen, eine weitere Diagnostik hinsichtlich der Schmerzkrankheit, welche die besonderen Mittel des Krankenhauses erfordert hätte, war nicht erforderlich und wurde auch nicht durchgeführt. Schließlich sprechen auch die tatsächlich durchgeführten Behandlungen, wie sie in der Patientenakte dokumentiert sind, nicht für ein therapeutisches Vorgehen, das ambulant in entsprechender Dichte nicht möglich ist und nur im Rahmen stationärer Krankenhausbehandlung erbracht werden kann. So erhielt die Versicherte im Rahmen ihres Aufenthaltes zweimal eine Ganzkörperhyperthermie (am 22. und 27.10.2011), 2-3mal pro Woche Lymphdrainage an den Armen und sie nahm am therapeutischen Plastizieren und der Physiogruppentherapie teil. An pflegerischen Maßnahmen wurde vom 22. bis 25.10.2011 täglich ein Kompressionsverband am rechten Bein angelegt (als Stützverband wegen eines zwei Wochen vor Aufnahme erlittenen häuslichen Sturzes auf rechtes Bein und Hüfte ohne knöcherne Verletzungen), daneben wurden Oxalisbauchwickel am 22., 24., 25., 26., 28. und 29.10.2011, Schafgarben-Leber-Tee-Wickel am 23. und 24.10.2011, Quarkauflagen auf das rechte Knie am 25. bis 30.10.2011 und Solumrückenwickel am 22. bis 25.10. und 28. bis 30.10.2011 verabreicht.
29 Nach alledem ist die Erforderlichkeit einer stationären Behandlung iSv § 39 SGB V nicht belegt.
30 Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 SGG iVm § 154 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), da weder Klägerin noch Beklagte zu den in § 183 SGG genannten Personen gehören.
31 Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
32 Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 HS 1 SGG iVm § 63, § 52 Abs 1, 3, § 47 Gerichtskostengesetz