Landessozialgericht Baden-Württemberg L 5 KR 3874/17

Kernpunkte:

  • Die Verwendung von Z-Kodes ist nicht besonders eingeschränkt durch eine Art „Vorrang“ von anderen Kodes.
  • Der Kodeblock-Überschrift “Personen mit potentiellen Gesundheitsrisiken hinsichtlich übertragbarer Krankheiten (Z20 – Z29)” schränkt die Verwendung der Kodes nicht auf eine Patientengruppe mit gewissen Merkmalen ein.
  • Wenn es Hinweise auf eine (drohende) Neugeboreneninfektion gibt, aber keine echten Nachweise, darf eine Antibiotikaprophylaxe mit Z29.21 kodiert werden (Erlöswirksamkeit seit 2014 nur bedingt vorhanden)

 

 

 

Landessozialgericht Baden-Württemberg

Urteil vom 22.01.2020
(nicht rechtskräftig)

 

Sozialgericht Karlsruhe S 3 KR 1394/17
Landessozialgericht Baden-Württemberg L 5 KR 3874/17

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 11.09.2017 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 4.061,83 EUR endgültig festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Vergütung der Krankenhausbehandlung eines Mitglieds der Beklagten.

Die Klägerin ist Trägerin eines zur Behandlung gesetzlich Versicherter zugelassenen Krankenhauses (§ 108 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch, SGB V). Vom 18.04.2012 bis 12.05.2012 wurde die am 18.04.2012 geborene, bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte S. K. (im Folgenden: Versicherte) im Krankenhaus der Klägerin stationär behandelt. Die Versicherte war infolge (Drillings-)Frühgeburtlichkeit und Entbindung durch Kaiserschnitt in der 33. Schwangerschaftswoche in die Frühgeborenenstation des Krankenhauses aufgenommen worden. Wegen des am vierten Lebenstag aufgekommenen Verdachts einer Neugeboreneninfektion wurde bei der Versicherten eine fünftägige intravenöse Antibiotikabehandlung durchgeführt (Bericht des Prof. Dr. K., Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Klinikum K., vom 03.07.2012).

Mit Rechnung vom 29.05.2012 stellte die Klägerin der Beklagten für die Krankenhausbehandlung der Versicherten eine Vergütung i.H.v. 14.604,10 EUR in Rechnung. Abgerechnet wurde die DRG (Diagnosis Related Group) P65B (Neugeborenes, Aufnahmegewicht 1500 bis 1999 g ohne signifikante OR-Prozedur, ohne Beatmung ) 95 Stunden, mit schwerem Problem) unter Kodierung der Hauptdiagnosen nach ICD-10-GM (Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, German Modification, Version 2010, im Folgenden nur: ICD) Z38.6 (anderer Mehrling, Geburt im Krankenhaus) und P07.12 (Neugeborenes mit sonstigem niedrigem Geburtsgewicht 1500 bis unter 2500 g) sowie der Nebendiagnosen P28.4 (sonstige Apnoe beim Neugeborenen), P61.2 (Anämie bei Prämaturität), P80.8 (sonstige Hypothermie beim Neugeborenen), P07.3 (sonstige vor dem Termin Geborene), Z29.21 (systemische prophylaktische Chemotherapie), P92.2 (Trinkunlust beim Neugeborenen) und I95.8 (sonstige Hypotonie). Als Prozeduren kodierte die Klägerin unter anderem den Operationen- und Prozeduren-Schlüssel (OPS) 8-010.3 (Applikation von Medikamenten und Elektrolytlösungen über das Gefäßsystem bei Neugeborenen, Intravenös, kontinuierlich).

Die Beklagte zahlte den Rechnungsbetrag zunächst vollständig, beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) aber mit einer Abrechnungsprüfung.

Im MDK-Gutachten vom 19.09.2012 führte Dr. D. aus, die Diagnose ICD Z29.21 könne nicht zusätzlich kodiert werden. Ein Z-Kode (des ICD) könne nur verwendet werden, wenn Diagnosen/Symptome bestünden, die nicht als Krankheit, Verletzung oder äußere Ursache unter den Kategorien A00 bis Y89 (ICD) klassifizierbar seien. Abzurechnen sei nicht die DRG P65B, sondern die (niedriger bewertete) DRG P65C (Neugeborenes, Aufnahmegewicht 1500 bis 1999 g ohne signifikante OR-Prozedur, ohne Beatmung ) 95 Stunden, mit anderem Problem).

Am 28.09.2012 verrechnete die Beklagte einen Betrag von 4.061,83 EUR gegen unstreitige Forderungen der Klägerin.

Mit Schreiben vom 04.10.2012 erhob die Klägerin (Abteilung Medizin-Controlling des Krankenhauses) Widerspruch gegen das Gutachten des MDK. Die Nebendiagnose ICD Z29.21 sei zu Recht kodiert worden. Nach ICD (Kapitel XXI) könne bei Fällen, in denen Sachverhalte als Diagnosen oder Probleme angegeben seien, die nicht als Krankheit, Verletzung oder äußere Ursache unter den Kategorien A00 bis Y89 klassifizierbar seien, ein Z-Kode gewählt werden. Der Verdacht auf Infektion am vierten Lebenstag nach Sectio stelle einen Sachverhalt dar, der für das Neugeborene das Risiko einer Neugeborenen-Sepsis erhöhe. Dieses spezielle Problem werde nach der Leitlinie der Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin (im Folgenden nur: Leitlinie) “Bakterielle Infektionen bei Neugeborenen” (Prophylaxe der Neugeborenen-Sepsis Nr. 024/020) durch Antibiotika-Gabe behandelt, die am ehesten mit der Diagnose ICD Z29.21 kodiert werden könne.

Die Beklagte befragte erneut den MDK. Im MDK-Gutachten vom 27.08.2015 führte Dr. L. aus, für die Kodierung von Diagnosen seien die Deutschen Kodierrichtlinien (Version 2012, im Folgenden nur: DKR) und nicht die (Behandlungs-)Leitlinien der jeweiligen Fachgesellschaften maßgeblich. Dass die Diagnose Z29.21 im ICD aufgeführt werde, heiße nicht, dass sie bei einer prophylaktischen Antibiotikatherapie zu kodieren sei. Nach der Definition des Begriffs “Nebendiagnose” in den DKR sei dafür u.a. eine therapeutische Maßnahme notwendig, woran es bei einer (nur) prophylaktischen Gabe (eines Arzneimittels) fehle. Die einschlägige Kapitelüberschrift (in Kapitel XXI ICD) laute “Personen mit potentiellen Gesundheitsrisiken hinsichtlich übertragbarer Krankheiten (Z20 – Z29)”. Ein Sachverhalt dieser Art liege nicht vor. Es bleibe bei der Einschätzung im MDK-Gutachten vom 19.09.2012.

Am 24.04.2017 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Sie hat vorgetragen, am vierten Lebenstag der Versicherten sei ein Interleukin-6-Wert von 9,63 festgestellt worden. Bei diesem Wert sei das Risiko einer Neugeborenen-Sepsis für die frühgeborene Versicherte erhöht gewesen, weshalb man leitliniengerecht für fünf Tage eine intravenöse Antibiotika-Behandlung durchgeführt habe; hierfür sei am ehesten die Diagnose ICD Z29.21 zu kodieren. Das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) weise in seinen Definitionshandbüchern darauf hin, dass der (jetzt) mit 5 Stellen darstellbare Diagnoseschlüssel ICD Z29.2 im Rahmen der Funktionen “schweres Problem beim Neugeborenen” und “mehrere schwere Probleme beim Neugeborenen” gruppierungsrelevant sei; die Diagnose ICD Z29.21 werde in den genannten Handbüchern als “Funktion” geführt. Die DKR verwiesen zudem auf viele weitere Z-Diagnosen und darauf, wann diese zu kodieren seien. Die Kodierung der Diagnose ICD Z29.21 führe zu einer höher bewerteten DRG, weil ein erhöhter Ressourcenverbrauch stattfinde und deswegen auch höhere Entgelte anzusetzen seien. Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg und das Sozialgericht Würzburg (Urteil vom 14.10.2016, – L 4 KR 4876/15 – bzw. Urteil vom 10.03.2016, – S 11 KR 66/15 -, beide in juris) hätten ihre Rechtsauffassung bestätigt.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat vorgetragen, nach der Definition in D003i DKR sei Nebendiagnose eine Krankheit oder Beschwerde, die entweder gleichzeitig mit der Hauptdiagnose bestehe oder sich während des Krankenhausaufenthalts entwickle. Die Kodierung einer Nebendiagnose erfordere daher das Vorliegen einer Krankheit oder Beschwerde, bei der für Vergütungsregelungen (wie die DKR) maßgeblichen streng wortlautbezogenen Auslegung also eine Störung der Körperfunktionen. Hier sei die Antibiotika-Gabe aber vorbeugend wegen des Verdachts auf eine Neugeboreneninfektion vorgenommen worden. Eine Infektion und damit eine Störung der Körperfunktionen habe nicht vorgelegen. Die vom LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 14.10.2016, a.a.O.) vertretene (abweichende) Auffassung zur Auslegung der Begriffe “Krankheit” und “Beschwerde” in den DKR überzeuge nicht. Für die Wortlautauslegung sei nicht auf den besonderen Sprachgebrauch des ICD-Katalogs, sondern auf den allgemeinen Sprachgebrauch abzustellen. Sollte die Diagnose ICD Z29.21 eine Krankheit oder Beschwerde nicht voraussetzen, bestünde ein Widerspruch zwischen ICD und DKR. In diesem Fall gingen die DKR, wie in deren Einleitung festgelegt, vor. Damit bleibe es bei der Regelung in D003i DKR, wonach eine Nebendiagnose nur kodiert werden dürfe, wenn sie eine Krankheit oder Beschwerde abbilden solle.

Die Klägerin hat abschließend eingewandt, unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung der Beklagten dürften Diagnosen des Kapitels XXI ICD (Z00 bis Z99 – Z-Diagnosen) nicht kodiert werden, da keine dieser Diagnosen eine Krankheit oder Beschwerde im eigentlichen Sinne bzw. nach allgemeinem Sprachgebrauch darstelle. Z-Diagnosen seien u.a. in den Fällen von Bedeutung, in denen zusätzliche Informationen zum Krankheitsgeschehen des Patienten bereitzustellen seien und im gleichen Zug der Ressourcenaufwand dargestellt werden müsse. Nach den DKR sei eine Nebendiagnose zu kodieren, wenn sie einen entsprechenden Aufwand verursacht habe und für die aktuelle Krankenhausbehandlung von Bedeutung sei. Die hier vorgenommene intravenöse Antibiotika-Gabe habe einen erhöhten Ressourcenaufwand verursacht. Das InEK habe die streitige Nebendiagnose daher auch im Rahmen der Funktion als “schweres Problem beim Neugeborenen” mit einer entsprechenden Groupierungsrelevanz implementiert. In den DKR fänden sich zur Kodierung von Z-Diagnosen zahlreiche Beispiele; das LSG Baden-Württemberg (a.a.O.) habe zur Verdeutlichung nur ein Beispiel (Diagnose Z53) angeführt. Die DKR führten auf S. 163, 164 unterschiedliche Z-Diagnosen auf, zu denen es explizite Hinweise und Regelungen gebe.

Mit Urteil vom 11.09.2017 hat das SG die Beklagte verurteilt, der Klägerin 4.061,83 EUR zzgl. Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.09.2012 zu zahlen.

Zur Begründung hat das SG ausgeführt, der Klägerin stehe für die (gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V unstreitig erforderliche) Krankenhausbehandlung der Versicherten (nach Maßgabe der Regelungen in § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) und der Regelungen des Landesvertrags (§ 112 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V) sowie der einschlägigen Fallpauschalenvereinbarung) die mit Rechnung vom 29.05.2012 geltend gemachte Vergütung zu. Die Klägerin habe die Nebendiagnose ICD Z29.21 zu Recht kodiert und demzufolge auch die DRG P65B zu Recht abgerechnet. Die bei der Versicherten durchgeführte prophylaktische Antibiotikabehandlung erfülle die Voraussetzungen der Diagnose ICD Z29.21. Sie habe nach dem ICD-System eine “sonstige prophylaktische Chemotherapie” dargestellt, was sich unmittelbar aus der Zuordnung zum Unterkapitel ICD Z29.2 ergebe. Die Definition des Nebendiagnosenbegriffs in den DKR stehe der vorgenommenen Kodierung nicht entgegen. Gemäß D003i DKR seien Nebendiagnosen Krankheiten oder Beschwerden, die entweder gleichzeitig mit der Hauptdiagnose bestünden oder sich während des Krankenhausaufenthalts entwickelt hätten. Weiter sei festgelegt, dass Nebendiagnosen für Kodierungszwecke als Krankheit interpretiert werden müssten, die das Patientenmanagement in der Weise beeinflussten, dass irgendeiner der folgenden Faktoren erforderlich sei: therapeutische Maßnahmen, diagnostische Maßnahmen, erhöhter Betreuungs-, Pflege- und/oder Überwachungsaufwand. Bei der Antibiotikabehandlung bzw. Chemotherapie, die zu der Nebendiagnose ICD Z29.21 führe, handele es sich nach allgemeinem Sprachverständnis zwar nicht um eine Krankheit oder Beschwerde, sondern um eine therapeutische Maßnahme. Der Krankheits- bzw. Beschwerdebegriff der DKR sei aber nicht auf den allgemeinen Sprachgebrauch, sondern auf den besonderen Sprachgebrauch des Krankenhausvergütungs- bzw. -abrechnungssystems, zu dem auch der ICD-Katalog gehöre, ausgerichtet. Die Begriffe “Krankheit” und “Beschwerde” i.S.d. DKR erfassten alle im ICD-Katalog aufgeführten Diagnosen; sie beschränkten sich nicht auf (Diagnosen mit) Beschwerden im eigentlichen Sinne. Das folge auch aus dem übrigen Regelwerk der DKR; so werde auf S. 16 unter D007f als Beispiel für die zu kodierende Nebendiagnose ICD Z53 benannt (vgl. dazu auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 14.10.2016 – L 4 KR 4876/15 -, in juris Rn. 30). Bei anderer Auslegung der DKR wäre die Kodierung von Z-Diagnosen gänzlich ausgeschlossen, da allen Z-Diagnosen Krankheiten oder Beschwerden nach allgemeinem Sprachgebrauch nicht zugrunde lägen. Die bei der Versicherten vorgenommene Antibiotika-Gabe habe außerdem eine das Patientenmanagement beeinflussende therapeutische Maßnahme dargestellt, die durch die “Gefahr des Bestehens einer Infektion” ausgelöst worden sei. Mit der, wenngleich noch während des Krankenhausaufenthalts ausgeschlossenen, Infektionsgefahr habe ein “Problem” vorgelegen, das nicht als Krankheit, Verletzung oder äußere Ursache unter den Kategorien A00 bis Y89 ICD klassifizierbar gewesen sei, sondern als Nebendiagnose ICD Z29.21 habe erfasst werden müssen. Nach den DKR könnten auch bei Verdachtsfällen ICD-Diagnosen kodiert werden, wie das Beispiel 5 auf S. 6 DKR verdeutliche (vgl. LSG Baden-Württemberg, a.a.O. Rn. 32). Der vorliegende Sachverhalt sei mit der Diagnose ICD P39.9 (Infektion, die für die Perinatalperiode spezifisch ist) nicht abgebildet. Die Klägerin habe eine gesicherte Diagnose nicht kodieren dürfen, weil eine Infektion tatsächlich nicht vorgelegen habe. Die Diagnose ICD P39.9 sei auch als Verdachtsdiagnose nicht zu kodieren gewesen. Gemäß D007f DKR seien Verdachtsdiagnosen nämlich nur solche Diagnosen, die am Ende des stationären Aufenthalts weder sicher bestätigt noch sicher ausgeschlossen seien. Bei der Versicherten habe die Diagnose ICD P39.9 am Ende des stationären Aufenthalts aber sicher ausgeschlossen werden können. Der Zinsanspruch folge aus § 112 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V i.V.m. dem Landesvertrag.

Gegen das ihr am 19.09.2017 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 04.10.2017 Berufung eingelegt. Sie bekräftigt ihr bisheriges Vorbringen. Nach der Definition des Begriffs “Nebendiagnose” in D003i DKR müsse eine Krankheit oder Beschwerde vorliegen. Krankheit sei bei der gebotenen streng wortlautbezogenen Auslegung vergütungsrechtlicher Vorschriften (auch der DKR) ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der entweder Behandlungsbedürftigkeit oder Arbeitsunfähigkeit oder beides zur Folge habe (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 28.02.2008, – B 1 KR 19/07 R -, in juris). Der Begriff “Beschwerde” beschreibe ebenfalls einen regelwidrigen körperlichen oder geistigen Zustand. Hier sei die Antibiotika-Gabe prophylaktisch wegen eines Infektionsverdachts erfolgt, ohne dass eine Infektion (als Störung der Körperfunktion) tatsächlich vorgelegen habe. Entgegen der Auffassung des SG sei für die Auslegung der DKR nicht auf den besonderen Sprachgebrauch des Krankenhausvergütungsrechts, sondern auf den allgemeinen Sprachgebrauch abzustellen. Dass der ICD-Katalog mit den Z-Diagnosen Diagnoseschlüssel enthalte, die eine Krankheit oder Beschwerde nach dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht voraussetzten, ändere daran nichts. Der ICD-Katalog sei nicht nur für das DRG-System, sondern auch für die Diagnostik im ambulanten Bereich entwickelt worden. Deswegen könne nicht jede Diagnose des ICD-Katalogs unbesehen kodiert werden. Hierfür gälten allein die Regelungen der DKR. Komme es zu einem Widerspruch zwischen dem ICD-Katalog und den DKR, hätten die DKR, wie in deren Einleitung vorgesehen, Vorrang. Dass in den Beispielen zu D007f DKR auch die Diagnose ICD Z53 als zu kodierende Nebendiagnose aufgeführt sei, ändere nichts. Das widerspreche der Nebendiagnosendefinition in D003i DKR und stelle deswegen eine Ausnahme dar, die auf andere Fallgestaltungen nicht übertragen werden könne. Unter Vorlage eines Gutachtens des Dr. L. vom MDK vom 11.04.2019 hat sie weiter vorgetragen, anstatt des Z-Kodes sei die Verdachtsdiagnose P39.9 (Infektion, die für die Perinatalperiode spezifisch ist, nicht näher bezeichnet) als Nebendiagnose zu kodieren. Mit dieser Verdachtsdiagnose werde die DRG P65.C angesteuert. Das Vorliegen einer Infektion habe weder nachgewiesen noch ausgeschlossen werden können. Die Antibiotikagabe habe deshalb eine therapeutische Maßnahme dargestellt. Eine prophylaktische Antibiotikagabe, die zum Beispiel durchgeführt werde, um eine Ansteckung des Neugeborenen unter der Geburt bei Vorliegen einer Infektion der Mutter zu verhindern, habe nicht vorgelegen. Der von der Klägerin zum Ansatz gebrachte Prozeduren-Kode OPS 8-010.3 sei zutreffend. Er bilde hinreichend die Antibiotikagabe ab. Die zusätzliche Kodierung des ICD-Kodes Z29.21 führe zu einer unzulässigen Doppelkodierung.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 11.09.2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und bekräftigt ebenfalls ihr bisheriges Vorbringen. Das InEK gehe in seinen Definitionshandbüchern von der Kodierfähigkeit der Diagnose ICD Z29.21 aus; deren Kodierung führe wegen des anfallenden Ressourcenverbrauchs zu Recht zu einer höher bewerteten DRG.

Am 20.03.2019 hat ein Termin zur mündlichen Verhandlung stattgefunden.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des SG und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die Berufung der Beklagten, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheidet, ist gemäß §§ 143, 144 SGG statthaft. Die Beklagte wendet sich mit der Berufung gegen die Verurteilung zur Zahlung eines Vergütungsbetrags i.H.v. 4.061,83 EUR. Der Beschwerdewert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG (750 EUR) ist damit überschritten. Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden und daher auch im Übrigen gemäß § 151 SGG zulässig.

2. Die Berufung der Beklagten ist jedoch nicht begründet. Das SG hat sie zu Recht zur Zahlung der von der Klägerin geforderten Vergütung verurteilt.

a) Die Klage ist zulässig. Die Klägerin hat mit der erhobenen echten Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs. 5 SGG die richtige Klage gewählt; denn es handelt sich bei der auf Zahlung der Behandlungskosten eines Versicherten gerichteten Klage eines Krankenhausträgers gegen eine Krankenkasse um einen sogenannten Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt. Ein Vorverfahren war mithin nicht durchzuführen, die Einhaltung einer Klagefrist nicht geboten (BSG, Urteil vom 28.11.2013 – B 3 KR 33/12 R – juris, Rn. 9). Die Klägerin hat den Zahlungsanspruch auch konkret beziffert. Dies gilt gleichermaßen für den geltend gemachten Zinsanspruch. Insoweit reicht die Bezugnahme auf den Basiszinssatz (vgl. Becker-Eberhard in: Münchner Kommentar zur ZPO, 5. Auflage 2016, § 253 Rn. 132).

b) Die Klage ist auch begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Zahlung der Vergütung in Höhe von 4.061,83 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.09.2012.

Der mit der erhobenen Leistungsklage verfolgte Vergütungsanspruch der Klägerin aus einer späteren Krankenhausbehandlung eines anderen Versicherten der Beklagten ist unstreitig. Darauf, welchen Vergütungsanspruch die Klägerin auf Grund welcher konkreten Krankenhausbehandlung geltend macht, kommt es nicht an (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 28.11.2013 – B 3 KR 33/12 R -, in juris, Rn. 10), sodass insoweit keine nähere Prüfung durch den Senat erforderlich ist (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 14.10.2014 – B 1 KR 34/13 R -, in juris, Rn. 8; BSG, Urteil vom 25.10.2016 – B 1 KR 9/16 R -, in juris, Rn. 8; BSG, Urteil vom 25.10.2016 – B 1 KR 7/16 R -, in juris, Rn. 9, BSG, Urteil vom 30.07.2019 – B 1 KR 31/18 R -, in juris Rn. 8; BSG, Urteil vom 17.12.2019 – B 1 KR 19/19 R -, in juris Rn. 9).

Der anderweitige Vergütungsanspruch für Krankenhausbehandlung erlosch jedoch nicht dadurch, dass die Beklagte mit einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch wegen Überzahlung der Vergütung für die Krankenhausbehandlung der Versicherten analog § 387 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) wirksam die Aufrechnung erklärte (vgl. BSG, Urteil vom 23.06.2015 – B 1 KR 26/14 R –, in juris, Rn. 33 m.w.N.). Der Beklagten steht insoweit als Grundlage für ihre Gegenforderung kein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch in Höhe von 4.061,83 EUR zu (zum öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch bei Überzahlung von Krankenhausentgelten: BSG, Urteil vom 01.07.2014 – B 1 KR 24/13 R -, in juris, Rn. 10), denn die ursprüngliche Zahlung der Beklagten erfolgte insoweit mit Rechtsgrund. Die Klägerin hatte auch insoweit einen Vergütungsanspruch gegen die Beklagte für die stationäre Behandlung der Versicherten vom 18.04.2012 bis 12.05.2012.

aa) Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs der Klägerin gegen die Beklagte ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KHEntgG und § 9 Abs. 1 Satz 1 KHEntgG (jeweils i.d.F. des Krankenhausfinanzierungsreformgesetzes (KHRG) vom 17.03.2009, BGBl. I S. 534) i.V.m. der Anlage 1 Teil a der Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2012 vom 25.11.2011 (FPV 2012) i.V.m. § 17b KHG (i.d.F. des KHRG vom 17.03.2009, BGBl. I S. 534) i.V.m. dem Krankenhausbehandlungsvertrag nach § 112 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V für das Land Baden-Württemberg, festgesetzt durch die Entscheidung der Landesschiedsstelle vom 21.09.2005, gültig ab 01.01.2006.

Nach § 109 Abs. 4 SGB V wird mit einem Versorgungsvertrag nach § 109 Abs. 1 SGB V das Krankenhaus für die Dauer des Vertrages zur Krankenhausbehandlung der Versicherten zugelassen. Das zugelassene Krankenhaus ist im Rahmen seines Versorgungsauftrags zur Krankenhausbehandlung (§ 39 SGB V) der Versicherten verpflichtet. Die Krankenkassen sind verpflichtet, unter Beachtung der Vorschriften des SGB V mit dem Krankenhausträger Pflegesatzverhandlungen nach Maßgabe des KHG, des KHEntgG und der Bundespflegesatzverordnung (BPflV) zu führen. Der Vergütungsanspruch für die Krankenhausbehandlung eines gesetzlich Krankenversicherten und damit korrespondierend die Zahlungspflicht einer Krankenkasse entsteht – unabhängig von einer Kostenzusage – unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus erfolgt und im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist (ständige Rechtsprechung, z.B. BSG, Urteil vom 14.10.2014 – B 1 KR 25/13 R – juris, Rn. 8; BSG, Urteil vom 14.10.2014 – B 1 KR 26/13 R – juris, Rn. 8; BSG, Urteil vom 17.12.2019 – B 1 KR 19/19 R -, in juris Rn. 10). Nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V haben Versicherte Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus (§ 108 SGB V), wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann.

bb) Sämtliche Voraussetzungen der genannten Rechtsgrundlagen sind vorliegend erfüllt. Das Krankenhaus der Klägerin ist zur Behandlung gesetzlich Krankenversicherter zugelassen nach §§ 108 Nr. 2, 109 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 SGB V. Bei der Versicherten lagen die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Krankenhausleistungen vor. Die Krankenhausbehandlung war auch dem Umfang und Inhalt nach notwendig. Die Durchführung und die medizinische Notwendigkeit der Antibiotikabehandlung der Versicherten ist zwischen den Beteiligten unstreitig.

cc) Auch die Höhe der geltend gemachten Vergütung für den stationären Aufenthalt der Versicherten vom 18.04.2012 bis 12.05.2012 ist zutreffend. Die Klägerin durfte auch den mit Rechnung vom 29.05.2012 zusätzlich geltend gemachten ICD-Kode Z29.21 für die Antibiotikatherapie der Versicherten ansetzen, die zusammen mit den unstreitigen Diagnosen und Prozeduren die abgerechnete DRG P65B (Neugeborenes, Aufnahmegewicht 1500 bis 1999 g ohne signifikante OR-Prozedur, ohne Beatmung ) 95 Stunden, mit schwerem Problem) nach den damals geltenden Abrechnungsbestimmungen ansteuerten und den streitgegenständlichen Mehrbetrag von 4.061,83 EUR auslösten.

Die Vergütung und ihre Höhe für die Behandlung Versicherter im Jahr 2012 bemisst sich bei DRG-Krankenhäusern wie jenem der Klägerin nach § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. § 7 Satz 1 Nr. 1 KHEntgG und § 17b KHG. Der Anspruch wird auf Bundesebene durch Normsetzungsverträge konkretisiert. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Verband der privaten Krankenversicherung gemeinsam vereinbaren nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KHEntgG mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft mit Wirkung für die Vertragsparteien nach § 11 KHEntgG einen Fallpauschalen-Katalog einschließlich der Bewertungsrelationen sowie Regelungen zur Grenzverweildauer und der in Abhängigkeit von diesen zusätzlich zu zahlenden Entgelten oder vorzunehmenden Abschläge. Ferner vereinbaren sie insoweit Abrechnungsbestimmungen in den FPV auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 KHEntgG.

Unter Anwendung dieser Abrechnungsbestimmungen durfte die Klägerin den ICD-Kode Z29.21 für die Antibiotikatherapie der Versicherten zum Ansatz bringen. Der Senat schließt sich, wie das SG, der Rechtsauffassung des 4. Senats des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 14.10.2016 – L 4 KR 4876/15 -, in juris) an und nimmt auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist anzumerken:

Die für die Auslegung von Abrechnungsbestimmungen des Krankenhausvergütungsrechts einschließlich der Regelungen der DKR geltenden Auslegungsgrundsätze mit der Maßgeblichkeit eng wortlautbezogener Auslegung (dazu näher nur etwa Senatsurteil vom 22.03.2017 – L 5 KR 4740/15 -, in juris, Rn. 34 ff. m.w.N.; BSG, Urteil vom 21.04.2015 – B 1 KR 8/15 R -, in juris, Rn. 18) stehen der Kodierung von Z-Diagnosen des ICD-Katalogs als Nebendiagnosen nach D003i DKR nicht entgegen.

Gemäß D003i DKR sind Nebendiagnosen Krankheiten oder Beschwerden, die entweder gleichzeitig mit der Hauptdiagnose bestehen oder sich während des Krankenhausaufenthalts (des Patienten) entwickelt haben. Hauptdiagnose ist gemäß D002f DKR die Diagnose, die nach Analyse als diejenige festgestellt wurde, die hauptsächlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthalts des Patienten verantwortlich ist. Die Begriffsbestimmung in D003i DKR definiert nicht den Begriff der “Diagnose”, sondern den Begriff der “Nebendiagnose” und statuiert als hierfür maßgebliches Kriterium (Begriffsmerkmal) die zeitliche Koinzidenz von Haupt- und Nebendiagnose (gleichzeitiges Bestehen bei Krankenhausaufnahme bzw. während des Krankenhausaufenthalts). Der Begriff der “Diagnose” (selbst) wird als den genannten Begriffsbestimmungen vorausliegend angesehen und durch die in den DKR hervortretende Anknüpfung an den ICD-Katalog (der Diagnoseschlüsselnummern) verbestimmt. So heißt es etwa in der Einleitung zu den DKR (Version 2002) dass “mit Wirkung zum 01.01.2001 die neue Internationale Klassifikation der Krankheiten, 10. Revision, SGB-V-Ausgabe, Version 2.0 anzuwenden” ist. In der Einleitung zu den DKR (Version 2017) ist von der (jährlich vorgenommenen) Anpassung an den ICD und außerdem davon die Rede, dass bei Redaktionsschluss nicht habe ausgeschlossen werden können, “dass sich im Nachgang noch weitere Änderungen aus der Verabschiedung der ICD-10-GM ergeben” (vgl. auch etwa BSG, Urteil vom 25.11.2010 – B 3 KR 4/10 R -, in juris, Rn. 22: den Gesundheitszustand zutreffend widerspiegelnde “ICD-konforme Kodierung der Nebendiagnose”). Die Anknüpfung des Diagnosebegriffs der DKR an den ICD-Katalog unterstreicht zugleich die vom 4. Senat des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 14.10.2016, a.a.O.) angenommene Maßgeblichkeit des “ICD-Sprachgebrauchs” für die Auslegung des Nebendiagnosebegriffs in D003i DKR (vgl. BSG, Beschluss vom 19.07.2012 – B 1 KR 65/11 B -, in juris, Rn. 18).

Der ICD-Katalog enthält mit den Z-Diagnosen des Kapitels XXI Diagnoseschlüsselnummern nicht nur für Krankheiten und Beschwerden, sondern auch für “Probleme”, die nicht als Krankheit, Verletzung oder äußere Ursache unter den Kategorien ICD A00 – Y89 klassifizierbar sind (so Info zu Kapitel XXI ICD). Die in den DKR hervortretende (allgemeine) Anknüpfung des Diagnosebegriffs an den ICD-Katalog wird durch die Bestimmung des Begriffs “Nebendiagnose” in D003i DKR nicht (teilweise) eingeschränkt, namentlich an das Vorliegen von “Krankheiten” oder “Beschwerden” im alltagssprachlichen oder krankenversicherungsrechtlichen Sinn (vgl. § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V) nicht gebunden. Die Begriffe “Krankheit” und “Beschwerde” in D0031 DKR dienen nur der Verdeutlichung des Nebendiagnosebegriffs; der konstitutive Regelungsgehalt der Begriffsbestimmung erschöpft sich demgegenüber in dem für die Abgrenzung von Haupt- und Nebendiagnose maßgeblichen Kriterium der zeitlichen Koinzidenz beider Diagnosen (i.S.d. ICD-Katalogs). Bestätigt wird das im Zuge unterstützend statthafter systematischer Erwägungen (vgl. BSG, Urteil vom 21.04.2015 – B 1 KR 8/15 R -, in juris, Rn. 18) dadurch, dass D002f DKR für die Bestimmung des Begriffs “Hauptdiagnose” auf das Vorliegen von Krankheiten oder Beschwerden nicht abstellt und dass sich in den DKR auch im Übrigen kein Anhalt für den gänzlichen Ausschluss aller Z-Diagnosen (des Kapitels XXI ICD) aus der Nebendiagnosen-Kodierung findet. Die vom 4. Senat des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 14.10.2016, a.a.O.) angeführten DKR-Beispiele für die Kodierung von Z-Diagnosen weisen vielmehr auf das Gegenteil hin. Dass die DKR (nach Maßgabe ihrer Einleitung) ggf. den Hinweisen zur Benutzung des ICD vorgehen sollen, ändert nichts; die Vorrangklausel bezieht sich nicht auf die ICD-Diagnosen, sondern auf die ICD-Benutzungshinweise (Band 2 der WHO-Ausgabe).

Die abweichende Auffassung des MDK (Gutachten vom 19.09.2012, 27.08.2015 und 11.04.2019) ist nicht maßgeblich. Über die Auslegung des Regelwerks für die Vergütung von Krankenhausleistungen entscheiden im Streitfall die Gerichte im Wege der Rechtsanwendung; die Tatsachenfeststellung durch Sachverständige steht nicht in Rede (vgl. etwa Senatsurteil vom 22.03.2017 – L 5 KR 4740/15 -, in juris, Rn. 25).

Soweit der MDK im Gutachten vom 11.04.2019 einwendet, es habe sich vorliegend nicht um eine prophylaktische, sondern um eine therapeutische Maßnahme zur Behandlung einer Verdachtsdiagnose gehandelt, weshalb der ICD-Kode P39.9 anstatt Z29.21 zu kodieren sei, kann dem nicht gefolgt werden. Die Kriterien einer Verdachtsdiagnose im Sinne von D008b der DKR sind nicht erfüllt. Danach sind Verdachtsdiagnosen im Sinne der Kodierrichtlinie Diagnosen, die am Ende eines stationären Aufenthalts weder sicher bestätigt noch sicher ausgeschlossen sind. Der MDK vermochte den Senat nicht zu überzeugen, dass die Verdachtsdiagnose einer Infektion (die für die Perinatalperiode spezifisch ist) in diesem Sinne vorlag. Anlass für die Antibiotikagabe war ein einzelner auffälliger Laborwert (Interleukin 6), der am 4. Lebenstag der Versicherten erhoben wurde. Die Versicherte zeigte keinerlei klinische Symptome im Sinne der Leitlinie der Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin “Bakterielle Infektionen bei Neugeborenen” von Juni 1997 (hier in der Überarbeitung von Februar 2006). Ein klinischer Verdacht im Sinne der Leitlinie besteht bei Vorliegen der unter Ziff. 3 genannten Symptome, wie z.B. Veränderungen des Hautkolorits, Störungen der Atmung oder des Kreislaufs sowie neurologische oder intestinale Symptome (siehe Ziff. 5.1). Liegen keine Symptome vor, sollten gemäß Ziff. 5.1 der Leitlinie “anamnestische Hinweise auf eine Infektion” ggf. eine Labordiagnostik veranlassen, wobei gemäß Ziff. 3 a.E. ein Frühgeborenes solange als infiziert betrachtet werden sollte, bis das Gegenteil bewiesen ist. Ein erhöhter Interleukin 6-Wert kann zu Beginn einer Infektion nachweisbar sein; er kann aber auch auf eine Entzündungsreaktion nicht bakterieller Genese hinweisen (vgl. Ziff. 4.1.1 der Leitlinie). Die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Infektion liegt bei 56 % (vgl. Tabelle unter Ziff. 4.1 der Leitlinie). Insgesamt lag somit kein klinischer Verdacht, sondern lediglich ein auffälliger Laborwert, der mit leicht überwiegender Wahrscheinlichkeit für eine Infektion sprach, vor. Vor dem Hintergrund der – wie auch der MDK einräumt – schwierigen Diagnose einer Infektion bei Neugeborenen und der möglichen raschen Progredienz zum septischen Schock (vgl. Ziff. 1 der Leitlinie) rechtfertigte diese Befundsituation die prophylaktische Gabe von Antibiotika. Darüber hinaus konnte eine Infektion der Versicherten bis zum Ende des Krankenhausaufenthalts sicher ausgeschlossen werden. Die erhobenen mikrobiologischen Befunde, die neben einer Blutkultur auch das Mekonium, den Urin und das Magensekret umfassten, waren allesamt ohne positives Ergebnis geblieben. Die Versicherte zeigte auch weiterhin keine klinischen Symptome. Die Laborwerte waren in der Folgezeit offenbar unauffällig; jedenfalls ergeben sich aus den Akten keine Hinweise auf weitere auffällige Laborwerte. Soweit der MDK ausführt, eine Infektion könne nicht sicher ausgeschlossen werden, ist auf Ziff. 4.1.1 der Leitlinie hinzuweisen, wonach wiederholt negative CRP(C-reaktives Protein)-Werte eine Infektion “mit großer Sicherheit” ausschließt. Die Dauer der antibiotischen Therapie steht der Annahme einer prophylaktischen Antibiotikagabe nicht entgegen. Zwar ist eine Therapiedauer von fünf bis sieben Tagen (hier fünf Tage) nur “bei klinisch blandem Verlauf ohne Erregernachweis (SIRS)” empfohlen (vgl. Ziff. 5.2 der Leitlinie). Die Überschreitung der Therapiedauer hätte aber allein zur Folge, dass die – nicht erlösrelevante – Dauer der Antibiotikagabe ggf. nicht notwendig war. Rückschlüsse auf das Vorliegen der hierfür erforderlichen Voraussetzungen lassen sich daraus nicht ziehen.

Die Beklagte kann auch nicht mit ihrem Argument durchdringen, aufgrund der Kodierung der Prozedur OPS 8-010.3 (Applikation von Medikamenten und Elektrolytlösungen intravenös, kontinuierlich, bei Neugeborenen) würde die Kodierung der Nebendiagnose Z29.21 einer Doppelkodierung gleichkommen, die nach den DKR verboten sei. Den DKR 2012 lässt sich nämlich im Gegenteil entnehmen, dass Diagnosen und Prozeduren parallel zu kodieren sind (vgl. die Beispiele bei D011d auf S. 20 f. der DKR 2012; so schon LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 14.10.2016 – L 4 KR 4876/15 -, in juris; LSG Hamburg, Urteil vom 03.05.2018 – L 1 KR 53/16, in juris).

Schließlich überzeugt auch der Einwand, es habe sich um ein nachgeburtliches Infektionsrisiko gehandelt, nicht. Dem ICD-Kode Z29.21 kann nicht entnommen werden, dass dieser nur für den Fall einer möglichen Übertragung einer Infektion durch die Mutter unter der Geburt zur Anwendung kommt.

dd) Der Zinsanspruch folgt aus § 19 Abs. 1 und 3 des Landesvertrages nach § 112 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V für das Land Baden-Württemberg.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung, da weder die Klägerin noch die Beklagte zu den in § 183 SGG genannten Personen gehören.

4. Gründe, die Revision zuzulassen, bestehen nicht.

5. Die endgültige Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG i.V.m. § 63 Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 2, § 47 Gerichtskostengesetz.