Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 1 KR 5/09

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg

Urteil vom 04.12.2009 (nicht rechtskräftig)

  • Sozialgericht Cottbus S 10 KR 27/06
  • Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 1 KR 5/09

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Cottbus vom 15. November 2008 sowie des Bescheides der Beklagten vom 25. November 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2009 verurteilt, an die Klägerin 2.041,66 EUR zu zahlen. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit zwischen den Beteiligten ist noch, ob ein ursprünglicher Sachleistungsanspruch, der im Laufe des sozialgerichtlichen Verfahrens in einen Kostenerstattungsanspruch umgewandelt wurde, gemäß § 44 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) zu verzinsen ist. Begehrt werden 2.155,07 EUR aus Zinsen für den Betrag von 21.843,25 EUR gemäß § 44 SGB I vom 1. Mai 2006 bis zum 30. November 2008.

Die 1965 geborene Klägerin erlitt im April 1997 ein Polytrauma mit Oberschenkelamputation links. Die endgültige prothetische Versorgung des linken Beines erfolgte im Mai 1998. Bereits in den Jahren 2001 und 2004 hatte sie gegenüber dem Sozialmedizinischen Dienst der Beklagten die Auffassung geäußert, sie habe mit ihrer damaligen Prothese keine ausreichende Standsicherheit mehr. Am 8. Juni 2005 verordnete ihr der Dipl.-Med. R eine Oberschenkelprothese mit einem C-Leg-Kompakt-System links. Beigefügt war ein Kostenvoranschlag des Orthopädie- und Reha-Teams Z GmbH S vom 1. Juli 2005, das Gesamtkosten von 21.853,26 EUR auswies.

Die Beklagte zog eine Stellungnahme ihres Sozialmedizinischen Dienstes bei und lehnte die Versorgung ab (Bescheid vom 2. November 2005). Den Widerspruch der Klägerin hiergegen wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 6. Februar 2006 zurück.

Dagegen hat sich die am 20. Februar 2006 vor dem Sozialgericht Cottbus erhobene Klage gerichtet. Das Sozialgericht hat zunächst gemäß § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten des Sachverständigen Dr. B eingeholt, der die Notwendigkeit der begehrten Versorgung verneint hat. In dem daraufhin auf Antrag der Klägerin erstatteten Gutachten nach § 109 SGG hingegen ist der Facharzt für Orthopädie Prof. Dr. N am 27. August 2007 zu der Auffassung gelangt, die Versorgung der Klägerin mit dem begehrten Prothesensystem sei notwendig.

Die Klägerin hatte sich das streitige Prothesensystem bereits am 3. März 2006 verschafft und dafür den Betrag von 21.843,25 EUR bezahlt.

Am 21. November 2008 hat die Z GmbH der Beklagten eine Rechnung für das begehrte System in Höhe von 19.758,35 EUR übersandt.

In dieser Höhe hat die Beklagte ein Anerkenntnis abgegeben, das die Klägerin angenommen hat. Die Differenz zwischen 19.758,35 EUR und 21.873,26 EUR erhalte die Klägerin von der Firma Z erstattet. Die Beklagte hat die Zahlung von Zinsen in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 25. November 2008 abgelehnt.

Die Klägerin hat danach noch beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin Zinsen gemäß § 44 SGB I auf den Betrag von 21.843,25 EUR zu zahlen.

Die Beklagte ist dem mit der Auffassung entgegengetreten, ein Zinsanspruch bestehe nicht, da um einen Sachleistungsanspruch und nicht um eine Geldleistung gestritten worden sei.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 25. November 2008 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Sachleistungsanspruch der Klägerin habe sich erst durch die Selbstbeschaffung des Hilfsmittels in einen Kostenerstattungsanspruch umgewandelt. Der Kostenerstattungsanspruch folge aus § 13 Abs. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), der keine Regelung über eine Verzinsung enthalte. Daher beziehe sich die Regelung des § 44 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – SGB I – nur auf einmalige oder laufende Geldleistungen. Die entgegenstehenden Rechtsauffassungen vermöchten nicht zu überzeugen, zumal eine höchstrichterliche Rechtsprechung hierzu nicht bestünde.

Gegen dieses dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 4. Dezember 2008 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung vom 5. Januar 2009, einem Montag, mit der die Auffassung vertreten wird, auch ein Sachleistungsanspruch, der in einen Kostenerstattungsanspruch umgewandelt sei, sei von der Verzinsungsregelung des § 44 SGB I umfasst.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 25. November 2008 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2009 zu verurteilen, an die Klägerin 2.041,66 EUR (4 % Zinsen aus 19.758,35 EUR) zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Beide Beteiligten beantragen, die Revision zuzulassen.

Während des Berufungsverfahrens hat die Beklagte das Vorverfahren über den Verzinsungsanspruch durchgeführt und mit Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 2009 den Widerspruch gegen die Entscheidung vom 25. November 2008 zurückgewiesen.

Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Verwaltungsvorgang der Beklagten und die Gerichtsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung sein werden, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte Berufung ist zulässig und begründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Verzinsung des ihr zustehenden Kostenerstattungsanspruches.

Die Verzinsung von Sozialleistungsansprüchen ist in § 44 SGB I, dem Allgemeinen Teil, geregelt. Bereits daraus ergibt sich, dass entgegen der Auffassung des Sozialgerichts nicht überall dort, wo in den einzelnen Büchern des Sozialgesetzbuches Geldleistungen – wie die Kostenerstattungspflicht aus § 13 Abs. 5 SGB V – normiert sind, eine gesonderte Regelung über die Verzinsung notwendig ist. Dann wäre nämlich die Regelung des § 44 SGB I überflüssig. Sie soll aber gerade im Gegenteil dazu dienen, dass eine einheitliche Regelung in Bezug auf die Verzinsung dem Sozialgesetzbuch vorangestellt wird. Darüber hinaus besteht keinerlei sachlicher Grund, einem Versicherten, der ursprünglich einen Sachleistungsanspruch hatte, diesen aber, wie es Anspruchsvoraussetzungen z. B. des § 13 Abs. 3 SGB V ist, die Beklagte nicht rechtzeitig erbringen konnte oder sie, wie hier, die Leistung zunächst zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch dem Versicherten Kosten entstanden sind, die Verzinsung nicht zu gewähren. Ein solcher Versicherter ist ebenso einem Zinsverlust für das aufgebrachte Geld ausgesetzt wie ein Versicherter, dem eine Leistung, die von Anfang an eine Geldleistung war, wie z. B. eine Rente, zu Unrecht vorenthalten wurde. Die Verzinsung schien dem Gesetzgeber deshalb geboten, weil der Berechtigte bei einer verspäteten Auszahlung der Leistungen oftmals gezwungen wird, Ersparnisse aufzulösen oder Einschränkungen in der Lebensführung hinzunehmen (vgl. BT-Drucksache 7/4067). Dementsprechend wird auch in der Literatur, soweit erkennbar, ausschließlich (abweichend Meyer, Die Verzinsung von rückständigen Geldleistungen und des Anspruchs auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge nach § 24 und § 27 SGB IV in RV 1978, 128 ff.) die Auffassung vertreten, dass ursprüngliche Sachleistungen von dem Zeitpunkt an, an dem sie in Geldleistungen umgewandelt sind, der Verzinsung gemäß § 44 SGB I unterliegen (Kurzkommentar der Deutschen Rentenversicherung zu SGB I, Allgemeiner Teil, 11. Auflage, April 2007, § 44 Seite 192; Kretschmer/von Maydell/Schellhorn, Gemeinschaftskommentar zum Sozialgesetzbuch, Allgemeiner Teil, 3. Auflage, § 44 Nr. 11; Hauck/Haines, SGB I, § 44 Rdnr. 3; Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, § 44 Nr. 2). Schließlich hat das Bundessozialgericht (BSG) bereits in seinem Urteil vom 25. Juni 1985 – 9 a RV 23/83 (SozR 1200 § 44 Nr. 13) – dargelegt, dass eine versorgungsberechtigte Kriegswitwe, die Zuschüsse zu den Kosten notwendiger Krankenhausbehandlungen, also einer Sachleistung, erhält, einen Verzinsungsanspruch hat. Denn, so das BSG (a. a. O.), zu den Geldleistungen gemäß § 44 SGB I rechneten grundsätzlich alle an Leistungsberechtigte erbrachten Sozialleistungen in Geld, mit denen soziale Rechte im Sinne der §§ 1 10, 18 ff., 38 ff. SGB I erfüllt würden (Hinweis auf BSGE 50, 40, 44 = SozR 2100 § 27 Nr. 2; BSG SozR 1200 § 44 Nr. 9). Allgemein sei der Begriff der Geldleistungen im Sinne des SGB I schon deshalb einheitlich zu verstehen, weil sich dieses Gesetz die Vereinheitlichung des Sozialrechts zum obersten Ziel gesetzt habe (Hinweis auf Gitter in: Bochumer Kommentar zum Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil -, 1979, § 44 Rz. 2). Wenn ein Versorgungsberechtigter auf die Krankenhausbehandlung als Sach- und Dienstleistung verzichte und stattdessen den Zuschuss gemäß § 18 Abs. 5 Bundesversorgungsgesetz (BVG) in Anspruch nehme und damit die von ihm selbst direkt zu bezahlenden Krankenhausleistungen teilweise selbst bestreite, sei die übliche Sachlage gegeben, die eine Verzinsung rechtfertigen. Zinsen seien Vergütungen für die Möglichkeit, Kapital auf Kosten eines anderen, des Zinsgläubigers, zu nutzen.

Es ist nicht ersichtlich, weshalb diese Darlegungen nicht auf den Fall zutreffen, wenn ein Leistungsträger einem Versicherten rechtswidrig eine diesem zustehende Leistung gemäß § 13 Abs. 3 SGB V vorenthält und diesen dadurch veranlasst, Aufwendungen in Geld zu erbringen und damit der Krankenkasse gewissermaßen ein “Darlehen” gewährt. Der Zinsanspruch beginnt zur Überzeugung des Senats mit dem Zeitpunkt, an dem die Sachleistung in eine Geldleistung umgewandelt wird, mithin von dem Tage an, an dem die Lieferung des begehrten Heilmittels erfolgt. Dies war hier der 3. März 2006. Die Verzinsung begann demgemäß am 1. Mai 2006 und endete am 30. November 2008.

In Anbetracht dessen waren der Beklagten die Kosten des Verfahrens gemäß § 193 SGG aufzuerlegen.

Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG zugelassen; dem BSG soll Gelegenheit gegeben werden, sich dazu zu äußern, ob seine nunmehr über 20 Jahre alte Rechtsprechung auch auf den hier zu entscheidenden Sachverhalt zu übertragen ist.