Landessozialgericht Hamburg L 1 KR 87/19

Kernpunkte

  • Die Durchführung einer Operation darf auch angenommen (und kodiert) werden, wenn im OP-Bericht die betreffende OP genannt, aber nicht vollständig beschrieben wurde.
  • Nach einer Material-Lockerung nach Spondylodese wurden weitere Etagen versteift. Im OP-bericht wurde das Einbringen von Spongiosa zwischen den Facettengelenke nicht explizit beschrieben. Trotzdem ist eine Spondylodese kodierfähig.

 

 

Landessozialgericht Hamburg

Urteil vom 23.01.2020
(rechtskräftig)

Sozialgericht Hamburg S 8 KR 2233/16
Landessozialgericht Hamburg L 1 KR 87/19

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts aufgehoben und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 3.769,67 EUR nebst 5% Zinsen seit dem 11. August 2016 zu zahlen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand:

 

Die Beteiligten streiten um die Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung.

Eine bei der Beklagten Versicherte befand sich vom 07.10.2015 bis 16.10.2015 in stationärer Behandlung im Krankenhaus der Klägerin. Bei der Versicherten wurde eine Wirbelsäulenoperation durchgeführt, nachdem sich mehrere Schrauben, die bereits bei einer vorangegangenen Wirbelsäulenoperation eingebracht worden waren, gelockert hatten.

Am 10.11.2015 stellte die Klägerin der Beklagten für den Krankenhausaufenthalt insgesamt 14.429,09 EUR in Rechnung. Die Beklagte zahlte auf diese Rechnung zunächst den vollen Betrag und teilte der Klägerin gleichzeitig mit, dass sie den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Prüfung des Falls beauftragt habe.

In seinem sozialmedizinischen Gutachten vom 17.06.2016 kam der MDK zu dem Ergebnis, dass die von der Klägerin verschlüsselte OPS 5-836.32 nicht kodierbar sei. Eine Spondylodese (Wirbelsäulenversteifung) sei hier nicht nachvollziehbar. Es könne hier nur eine sogenannte Osteosynthese mit dem OPS-Code 5-839.0 verschlüsselt werden. Nachdem die Klägerin auf mehrere diesbezügliche Anschreiben der Beklagten nicht reagierte, verrechnete die Beklagte am 11.08.2016 den streitigen Betrag in Höhe von 3.769,67 EUR.

Am 12.10.2016 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie ist der Auffassung, dass die Prozedur 5-836.32 kodierbar sei. Die bereits im Jahre 2011 eingebrachte Instrumentation in der Wirbelsäule bis zum Segment Th10/11 sei nun bis zum Segment Th8/9 uns Th9/10 verlängert worden sei. Dabei handele es sich um eine Spondylese in 3 Segmenten. Eine Osteosynthese, wie von der Beklagten angenommen, hätte bei dem vorliegenden Krankheitsbild der Versicherten keinen Sinn gemacht.

Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch ein medizinisches Sachverständigengutachten von Dr. K., Facharzt für Chirurgie-Unfallchirurgie und Rettungsmedizin vom 25.06.2017, welches dieser in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 25.06.2019 erläutert hat. Der Sachverständige hat die Auffassung des MDK, dass als Prozedur 5-836.32 nicht verschlüsselt werden könne, bestätigt. Die Formulierung “Spondylodese durch Dekortizierung” im OP-Bericht mache die tatsächliche Vornahme einer Spondylodese nicht hinreichend deutlich.

Dieser Einschätzung hat sich das Sozialgericht angeschlossen und mit Urteil vom 25.06.2019 die Klage abgewiesen. Es sei nicht erkennbar, ob eine dauerhafte Versteifung der Wirbelsäule angelegt worden sei, was eine Spondylodese vorausgesetzt hätte oder ob eine wieder auflösbare Fusion durchgeführt worden sei. Auch wenn die Klägerin darauf beharre, dass hier eine Spondylodese durchgeführt worden sei, weil der Operateur im Operationsbericht aufgeschrieben habe, dass er eine Dekortizierung vorgenommen habe, so vermöge die Kammer dieser Argumentation nicht zu folgen. Denn der Sachverständige Dr. K. habe in der mündlichen Verhandlung vom 25.06.2019 noch einmal ausgeführt, dass eine Dekortizierung (Entfernen von Knochenrinde) allein noch nicht dazu führe, dass eine Spondylodese vorliege. Es sei zusätzlich erforderlich, dass dieses gewonnene Knochenmaterial wieder im Körper angelagert werde. Deshalb lasse sich aus dem Operationsbericht nicht erkennen, was dekortiziert worden sei und dass tatsächlich eine dauerhafte Fusion angelegt worden sei.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat gegen das ihm am 02.07.2019 zugestellte Urteil am 31.07.2019 Berufung eingelegt. Der OP-Bericht sei eine Urkunde, der die Vermutung der Vollständigkeit zukomme. Durch die Verknüpfung von “Spondylodese” und “Dekortizierung” durch das Wort “durch” werde deutlich, dass eine Spondylodese durch Anlagerung von Spongiosa erfolgt sei. Dies sei auch nach Ansicht des Sachverständigen die zutreffende OP-Methode für den vorliegenden Fall gewesen. Für die Vermutung des Sachverständigen, es sei eine Dekortizierung ohne Spondylodese durchgeführt worden, gebe es keinerlei einleuchtenden Grund. Auch habe der Operateur in einer übersandten E-Mail die Durchführung einer Spondylodese bestätigt.

 

Die Klägerin beantragt,

Das Urteil des Sozialgerichtes Hamburg aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 3.769,67 EUR nebst 5% Zinsen seit dem 11.08.2016 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

 

In seiner vom Gericht angeforderten ergänzenden Stellungnahme ist Dr. K. bei seiner Auffassung geblieben, hat jedoch darauf hingewiesen, dass die Aussage des Operateurs juristisch zu bewerten sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Die Berufung der Klägerin ist statthaft (§§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) erhoben.

Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg.

Streitig ist einzig und allein die Frage, ob davon auszugehen ist, dass tatsächlich eine Spondylodese durchgeführt worden ist. Dies hat das Sozialgericht – unter Zugrundelegung der zutreffenden rechtlichen Grundlagen, auf deren Darstellung Bezug genommen wird – zu Unrecht verneint.

Wie Dr. K. in seinem Gutachten ausgeführt hat, liegt die Unterscheidung zwischen der Osteosynthese und der Spondylodese darin, dass bei Letzterer durch die Anlagerung von Knochen- bzw. Knorpelmaterial an den Wirbelzwischenräumen die Wirbel zu einer knöchernen Einheit zusammenwachsen sollen.

In dem OP-Bericht wird zunächst das für eine Osteosynthese typische Geschehen geschildert, nämlich die Einbringung von Schrauben und diese Schrauben verbindende Verbindungsstangen. Im Anschluss folgt die streitige Formulierung “Spondylodese durch Dekortizierung”. Dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist darin zuzustimmen, dass zum einen durch die Verwendung des Wortes “durch” deutlich wird, dass die Dekortizierung nicht einfach so erfolgte, sondern zum Zwecke der Spondylodese, nämlich um damit das Knochenmaterial zu gewinnen, welches dann im Wirbelzwischenraum angelagert wird. Hätte man das durch die Dekortizierung gewonnene Material nicht hierzu verwenden wollen, wäre völlig unklar, wofür diese Maßnahme am Ende der OP durchgeführt wurde. Wenn man sich dann noch vor Augen führt, dass die Spondylodese auch nach Dr. K. die richtige Maßnahme für den vorliegenden Fall gewesen ist und eine solche wohl auch von vornherein Ziel der OP war (Verlängerung der vorhandenen Spondylodese), so hält es der Senat für eine Übertrapazierung der Dokumentationspflichten, eine Spondylodese abzulehnen, weil nicht ausdrücklich ausgeführt wurde, dass das gewonnene Knochenmaterial zur Anlagerung verwendet wurde.

Es handelt sich dabei auch nicht um eine medizinische, sondern eine juristische Frage. Denn die medizinischen Umstände und Grundlagen sind klar. Es geht nur um die Frage, wie die Formulierung im OP-Bericht im Rahmen der Beweiswürdigung zu bewerten ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO. Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.