Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 4 KR 123/00
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 30.10.2002 (nicht rechtskräftig)
- Sozialgericht Oldenburg S 6 KR 127/99
- Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 4 KR 123/00
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Rechtsstreit betrifft die Gewährung von Kostenerstattung für außervertragli-che Heilbehandlung.
Bei der im Januar 1957 geborenen Klägerin wurde im Sommer 1998 ein Mamma-Ca diagnostiziert. Im Rahmen einer stationären Behandlung im Reinhard-Nieter-Krankenhaus in Wilhelmshaven wurde im Sommer 1998 eine Tumorexstirpation vorgenommen. Im September 1998 wurde die linke Brust vollständig abgesetzt.
Mit Datum vom 27. August 1998 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Übernahme einer von Dr. med. C. durchzuführenden systemischen Krebs-Mehrschritt-Therapie mit den Hauptschritten Hyperthermie, Hyperglykämie und Hyperoxämie. Dies lehnte die Beklagte im Rahmen eines am 7. September 1998 mit der Klägerin geführten Telefongespräches ab. Dagegen hat die Klägerin am 8. Oktober 1998 Widerspruch eingelegt und geltend gemacht, durch die Behand-lung durch Dr. D. sei es bis zur zweiten notwendigen Operation zu einer wesentli-chen Besserung ihres Krankheitsbildes gekommen, was mittels Blutuntersuchun-gen bewiesen werden könne. Im Verlaufe der von der Beklagten durchgeführten weiteren Ermittlungen hat die behandelnde Frauenärztin der Klägerin, Dr. med. E., am 16. November 1998 mitgeteilt, dass sie zu den Erfolgsaussichten der von Dr. D. ausgeführten Therapie nicht Stellung nehmen könne, weil ihr diesbezügli-che Erfahrungen fehlten. Aus den bei der Beklagten eingereichten Behandlungs-unterlagen ging hervor, dass die Klägerin die Behandlung durch Dr. D. in der gi-sunt-Klinik in Wilhelmshaven bereits am 16. August 1998 begonnen hatte.
Die Beklagte lehnte mit schriftlichem Bescheid vom 18. Januar 1999 die von der Klägerin beanspruchte Behandlung erneut ab und legte zur Begründung dar, dass es sich bei dem Arzt Dr. D. nicht um einen Vertragsarzt handele und die an-gewandten Behandlungsmethoden von der vertragsärztlichen Versorgung grund-sätzlich ausgeschlossen seien. Mit ihrem Widerspruch vom 28. Januar 1999 er-läuterte die Klägerin, dass nach der Rechtsprechung des BSG auch solche Be-handlungsmethoden von der gesetzlichen Krankenversicherung gewährt werden müssten, deren Wirksamkeit nicht gesichert sei, aber für möglich gehalten wer-den könnte. Bei fast allen organbezogenen Tumorleiden sei die Schulmedizin häufig schon nach der Operation ausgeschöpft, zumindest in kurativer Anwen-dung. Selbst wenn durch einen solchen Eingriff eine Vollremission erreicht werde, könnten Rückfälle nicht ausgeschlossen werden. Deshalb gelte in der Onkologie die Regel, dass von einer Heilung frühestens nach 10 Jahren ausgegangen wer-den könne. Bis dahin liege also eine behandlungsbedürftige Krankheit vor, die mit den von Dr. D. angewandten Therapiemethoden mit dem Ziel angegangen wer-den könne, ein Fortschreiten der Krankheit aufzuhalten oder wesentlich zu verzö-gern. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 2. August 1999 zu-rück, nachdem sie zuvor eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen Niedersachsen (MDKN) vom 8. Juni 1999 eingeholt hatte. Die Ärztin Dr. F. führte in ihrem Gutachten aus, dass es sich bei den von Dr. D. an-gewandten Behandlungsmethoden um experimentelle Verfahren handele, deren Wirksamkeit wissenschaftlich nicht nachgewiesen sei. Auch sei durch nichts be-legt, dass sich durch die Behandlung eine Prognoseverbesserung erreichen las-se.
Mit ihrer am 23. August 1999 erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Das Sozialgericht (SG) Oldenburg hat die Klage durch Urteil vom 31. Mai 2000 abgewiesen. In der Begründung hat es erläutert, dass die Klägerin zum einen die Behandlung bereits begonnen habe, ohne eine Entscheidung der Beklagten abzuwarten und durch diese Obliegenheitsverletzung bereits einen eventuellen Kostenerstattungsanspruch verwirkt habe. Zum anderen sei die Krebs-Mehrschritt-Therapie (wenngleich möglicherweise in anderer Ausformung) als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung bereits wiederholt ausge-schlossen worden. Ferner sei unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG zu beachten, dass die Beklagte ohnehin nicht befugt sei, Kosten für eine Behandlung zu übernehmen, für die – wie hier – keine Empfehlung des Bundes-ausschusses der Ärzte und Krankenkassen bestehe.
Gegen dieses ihrem Bevollmächtigten am 8. Juni 2000 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 9. Juni 2000 Berufung eingelegt. Die systemische Krebs-Mehrschritt-Therapie sei bei ihr erfolgreich gewesen und werde von einer nennenswerten An-zahl von Ärzten angewandt. Sie habe daher einen Anspruch auf die Begleichung der von ihr aufgewandten Behandlungskosten.
Die Klägerin beantragt,
1. das Urteil des SG Oldenburg vom 31. Mai 2000 sowie die Bescheide der Beklagten vom 7. September 1998 und 18. Januar 1999 jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbe-scheides vom 2. August 1999 aufzuheben,
2. die Beklagte zu verurteilen, die entstandenen Kosten der systemischen Krebs-Mehrschritt-Therapie zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Kostenerstattung für die systemische Krebs-Mehrschritt-Therapie, weil es sich um eine Behandlungsmethode handele, die im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung nicht zur Verfügung stehe. Die Behandlung sei zudem von Ärzten durchgeführt worden, die nicht zur vertrags-ärztlichen Versorgung zugelassen seien, wobei ein Notfall nicht unterstellt werden könne.
Der Senat hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes eine Stellungnahme des die Klägerin seinerzeit behandelnden Arztes Dr. H. D. vom 19. Juni 2002 ein-geholt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt des beigezogenen Verwaltungsvorganges der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 143 und § 144 Abs. 1 Ziffer 1 SGG statthafte Berufung, über die der Senat mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte (§ 124 Abs 2 SGG), ist form- und fristgerecht eingelegt worden, mithin zulässig.
Sie ist jedoch unbegründet.
Das SG und die Beklagte haben zutreffend entschieden, dass die Klägerin von der Beklagten die Erstattung der Behandlungs- und Fahrtkosten der im Au-gust/September 1998 durchgeführten systemischen Krebs-Mehrschritt-Therapie nicht verlangen kann.
Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin ist – nachdem die Leistung be-reits erbracht und von ihr bezahlt wurde – § 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch (SGB V). Diese Vorschrift lautet:
Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechzeitig erbrin-gen (Voraussetzung 1) oder hat sie die Leistung zu Unrecht abgelehnt (Voraus-setzung 2) und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kos-ten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) muss zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründenden Umstand (bei Voraussetzung 1: Unvermögen zur rechtzeitigen Leistungserbringung; bei Voraussetzung 2: rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) ein Kausalzusammenhang bestehen, ohne den die Bedingung des § 13 Abs. 1 SGB V für eine Ausnahme vom Sachleistungsgrundsatz nicht erfüllt ist. Das bedeutet einmal, dass die Krankenkasse nur für solche Leistungen aufzukommen hat, die sie auch bei rechtzeitiger bzw. ordnungsgemäßer Bereitstellung der geschuldeten Behandlung hätte gewähren müssen. Des weiteren bedeutet es, dass Kosten für eine selbstbeschaffte Leistung, soweit diese nicht unaufschiebbar war, nur zu ersetzen sind, wenn die Krankenkasse die Leistungsgewährung vorher abgelehnt hatte; ein Kausalzusammenhang und damit eine Kostenerstattung scheiden aus, wenn der Versicherte sich die streitige Behandlung außerhalb des vorgeschrie-benen Beschaffungsweges selbst besorgt, ohne sich vorher mit seiner Kranken-kasse ins Benehmen zu setzen oder deren Entscheidung abzuwarten (vgl. BSG SozR 3-2500 § 13 SGB V Nr. 15, Seite 74). Dies entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senates (vgl zuletzt Senatsurteil vom 27. Au-gust 2002, Az. L 4 KR 152/00 mwN).
Im vorliegenden Fall hat das SG zu Recht entschieden, dass es in Bezug auf die von der Klägerin in Anspruch genommene systemische Krebs-Mehrschritt-Therapie an dem notwendigen Kausalzusammenhang zwischen der durch diese verursachten Kostenlast und der Ablehnungsentscheidung der Beklagten fehlt, weil die Klägerin die streitige Behandlung zum Zeitpunkt der Ablehnungsent-scheidung der Beklagten am 7. September 1998 bereits begonnen hatte. Das ergibt sich aus der Rechnung der gisunt-Klinik in Wilhelmshaven vom 18. Sep-tember 1998, wonach bereits ab 16. August 1998 Behandlungen bei der Klägerin durchgeführt wurden.
Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin schriftliche Behandlungs- bzw. Ho-norarvereinbarungen mit der Von Ardenne Klinik für systemische Krebs-Mehrschritt-Therapie am Von Ardenne Institut für Angewandte Medizinische For-schung GmbH erst am 14. September 1998 abgeschlossen und die Behandlung an der Klinik in Dresden auch erst vom 14. bis 16. September 1998 in Dresden stattgefunden hat. Nach der Rechtsprechung des BSG ist im Zusammenhang der Prüfung der Erstattungsfähigkeit von Behandlungskosten grundsätzlich von dem therapeutischen Gesamtkonzept des behandelnden Arztes und nicht von der einzelnen medizinischen Maßnahme (Injektion, Massage, Medikament usw.) aus-zugehen. Eine getrennte Beurteilung der Kostenerstattung hinsichtlich einzelner Behandlungsmaßnahmen ist nicht zulässig (vgl BSG in SozR 3-2500 § 135 SGB V Nr 4, Seite 11).
Die von Dr. D. unter dem 19. Juni 2002 im Berufungsverfahren abgegebenen Stellungnahme macht deutlich, dass es sich bei der Behandlung durch Dr. D. in der gisunt-Klinik in Wilhelmshaven und in der Von Ardenne Klinik in Dresden im vorgenannten Sinne um eine einheitliche Behandlung unter einem Gesamtkon-zept handelte. Dr. D. gibt dort an, dass er die Klägerin als leitender Arzt der gi-sunt-Klinik in Wilhelmshaven ebenso betreut habe, wie nachfolgend als Chefarzt der Von Ardenne Klinik für systemische Krebs-Mehrschritt-Therapie und Rehabi-litation in Dresden. Daraus folgt, dass bei dem Beginn der Behandlung der Kläge-rin in Wilhelmshaven am 16. August 1998 und bei am 27. August 1998 bei der Beklagten gestelltem Kostenerstattungsantrag keine Kausalität zwischen der Ab-lehnung der Leistung durch die Beklagte am 7. September 1998 und der bei der Klägerin angefallenen Kostenlast besteht. Bei dieser Sachlage braucht der Senat nicht zu prüfen, ob die Beklagte die Leistung unter Berücksichtigung des § 27 Abs. und § 28 Abs. 1 SGB V inhaltlich zu Recht abgelehnt hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Es hat keine Veranlassung bestanden, die Revision zuzulassen.