Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 4 KR 89/97

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen

Urteil vom 15.05.2002 (nicht rechtskräftig)

  • Sozialgericht Osnabrück S 3 Kr 155/94
  • Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 4 KR 89/97

 

Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Kostenübernahme der Behandlungskosten für den Aufenthalt der Klägerin im Niedersächsischen Landeskrankenhaus Osnabrück (NLKH) vom 27. November 1993 bis 1. August 1994.

Die im Jahre 1946 geborene Klägerin leidet an einer chronifizierten Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis. Sie befand sich vom 4. November 1992 bis 1. August 1994 zum bislang siebten Male in stationärer Behandlung des NLKH Os-nabrück. Vorangehende stationäre Aufnahmen datieren aus den Jahren 1978, 1979, 1981, 1987, 1988 sowie 1991 und vom 1. bis 2. August 1992. Die Klägerin war zuletzt als technische Zeichnerin beschäftigt. Sie bezieht seit März 1994 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Vor ihrer siebten Aufnahme im NLKH Osna-brück lebte sie in einer Wohngemeinschaft, danach wieder in einer eigenen Wohnung. Die stationäre Aufnahme am 4. November 1992 erfolgte wegen einer erneuten akuten Psychose, die seinerzeit im Zusammenhang mit einer konflikt-haften Auseinandersetzung in der Wohngemeinschaft der Klägerin stand. Es be-standen Verfolgungs- und Beeinträchtigungsideen mit deutlicher psychotischer Realitätsverkennung. Ab April 1994 bezog die Klägerin, die sich zu diesem Zeit-punkt noch in Behandlung im NLKH Osnabrück befand, eine eigene Wohnung. Die Klägerin wurde während ihres Aufenthaltes im NLKH Osnabrück ua medika-mentös behandelt (ua Fluanxiol und Decentan). Die ergriffenen psychiatri-schen/sozialtherapeutischen Maßnahmen beinhalteten eine Arbeitstherapie, an der die Klägerin seit Mitte Oktober 1993 teilnahm. Vom 3. Mai 1994 bis zu ihrer Entlassung am 1. August 1994 wurde die Klägerin in der Tagesklinik des NLKH Osnabrück behandelt.

Die stationären Behandlungskosten wurden von der Beklagten zunächst bis zum 14. Juli 1993 übernommen (Bescheid vom 12. Juli 1993). Nach Einlegung des Widerspruches gegen diese Entscheidung der Beklagten durch die Betreuerin der Klägerin holte die Beklagte Stellungnahmen bei dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung –MDK-, Dr D., vom 31. August 1993 und 16. November 1993 ein und half dem Widerspruch insoweit ab, als sie sich bereit erklärte, die Kosten der stationären Behandlung noch bis zum 26. November 1993 zu über-nehmen. Die Klägerin hielt ihren Widerspruch aufrecht und legte eine Stellung-nahme des NLKH Osnabrück vom 3. Dezember 1993 vor. Die Beklagte veran-lasste daraufhin eine Begutachtung der Klägerin durch Dr D. – MDK – (Gutachten vom 22. März 1994 nach Exploration der Klägerin). Mit Widerspruchsbescheid vom 11. November 1994 wies sie den Widerspruch der Klägerin zurück. Unter Zugrundelegung der Ausführungen des Gutachters bestehe über den 26. No-vember 1993 hinaus keine Notwendigkeit für eine stationäre Krankenhausbe-handlung nach § 39 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – SGB V. Dabei scheide auch eine Übernahme der Kosten nach § 40 Abs 2 SGB V aus.

Die hiergegen am 22. November 1994 vor dem Sozialgericht (SG) Osnabrück erhobene Klage hat die Klägerin insbesondere damit begründet, dass auch über den 26. November 1993 hinaus Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit vorgele-gen habe. Bei einer Entlassung auf Probe am 20. November 1993 in den eigenen Haushalt sei eine physische und psychische Dekompensation eingetreten, so dass sie von ihren Angehörigen im Rahmen einer sofortigen familiären Interven-tion in das NLKH Osnabrück habe zurückgebracht werden müssen. Erst die wei-tere Behandlung mit Umstellung der Medikation sowie therapeutischen Gesprä-chen unter ärztlicher Aufsicht hätte zu einer Besserung des Zustandes geführt. So sei es im Frühjahr 1994 verantwortet worden, dass sie nicht mehr vollstationär untergebracht, sondern in der Tagesklinik weiter behandelt worden sei. Die Be-handlung sei am 1. August 1994 erfolgreich abgeschlossen worden. Sie werde seitdem ambulant durch die Institutsambulanz des NLKH weiter behandelt.

Das SG hat ein Gutachten nach Aktenlage bei dem Arzt für Neurologie und Psy-chiatrie Dr E. eingeholt. In seinem Gutachten vom 5. April 1995 ist dieser zu dem Ergebnis gelangt, bei der Klägerin sei ab 27. November 1993 keine stationäre Krankenhausbehandlung erforderlich gewesen. Es wäre ausreichend gewesen, die Klägerin in ein Übergangswohnheim für psychisch Kranke oder in einer thera-peutischen Wohngemeinschaft, in denen die Bewohner regelmäßig psycholo-gisch betreut würden, aufzunehmen. Eine ambulante psychiatrische Mitbehand-lung hätte dann genügt.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid (GB) vom 2. Juni 1997 abgewiesen. Der vom Gericht gehörte Sachverständige Dr E. habe in seinem Gutachten aus-geführt, die bei der Klägerin durchgeführte Behandlung sei im Grundsatz zweck-mäßig und nützlich gewesen. Es sei jedoch nicht zwingend erforderlich gewesen, dass eine solche Behandlung in einem Krankenhaus durchgeführt werde. Viel-mehr hätte die Klägerin auch in einem Übergangswohnheim für psychisch Kranke oder in einer therapeutischen Wohngemeinschaft aufgenommen werden können. Bei dieser Beweislage sei nicht der volle Nachweis erbracht, dass die Klägerin nur durch eine stationäre Behandlung in einem Krankenhaus erfolgreich habe behandelt werden können, wenn dies vielleicht auch eine optimale Betreuung gewesen sei. Dr E. sei weder der Ansicht, dass der akute Schub der Psychose, zu dem es am 22. November 1993 gekommen sei, noch die Umstellung der Me-dikation einen über den 26. November 1993 hinaus gehenden Krankenhausauf-enthalt zwingend erforderlich gemacht habe, somit habe die Beklagte auch nicht zu einer Kostenübernahme verurteilt werden können.

Gegen diesen ihr am 13. Juni 1997 zugestellten GB hat die Klägerin am 27. Juni 1997 Berufung vor dem SG Osnabrück eingelegt. Sie bezieht sich insbesondere auf die Stellungnahmen des NLKH vom 3. Dezember 1993 und 31. August 1994, worin im Einzelnen belegt sei, warum die Therapiemaßnahmen nur in einem Fachkrankenhaus hätten durchgeführt werden können. Eine Unterbringung in einem „Übergangswohnheim für psychisch Kranke” oder in einer „therapeutischen Wohngemeinschaft”, wie dies der Sachverständige Dr E. vorgeschlagen habe, wäre nicht möglich gewesen. Sie lebe seit dem 1. August 1994 in einer eigenen Wohnung und könne mit ambulanter Behandlung ein geordnetes und normales Leben selbstständig gestalten. Ohne die Behandlung im NLKH, insbesondere in der Zeit vom 26. November 1993 bis 1. August 1994, wäre sie mit großer Wahr-scheinlichkeit sehr bald wieder in den alten Zustand der Dekompensation zurück gefallen und hätte in mehr oder weniger kurzen Abständen in ein Landeskran-kenhaus eingewiesen werden müssen. Es wären dann Kosten entstanden, die die streitigen Krankenhauskosten um ein Vielfaches übertreffen würden.

Die Klägerin zweifelt die fachliche Kompetenz des Gutachters Dr E. an und rügt insbesondere, dass dieser fälschlicherweise in seinem Gutachten davon ausge-gangen sei, dass es während ihres letzten Aufenthaltes im NLKH nicht zu gravie-renden Dekompensationen gekommen sei. Die Beweiskraft des Gutachtens von Dr E. nehme auch deshalb Schaden, weil dieser sich mit den Behandlungszielen des NLKH und den Argumenten für die Erforderlichkeit des Krankenhausaufent-haltes über den 26. November 1993 hinaus nicht ernsthaft auseinandergesetzt habe.

Die Klägerin überreicht die Entlassungsberichte des St. F. GmbH, Fachkranken-haus für Psychiatrie und Neurologie, vom 21. Juni 1988 und 2. Mai 1990 sowie eine Bescheinigung des Osnabrücker Vereins zur Hilfe für seelisch Behinderte eV vom 24. März 1998. Sie weist darauf hin, dass die Kosten ihrer stationären Be-handlung im NLKH Osnabrück vom 7. Februar 1994 bis 1. August 1994 von der Beigeladenen zu 1 übernommen worden seien. Hierzu legt sie eine Fotokopie des Bescheides der Beigeladenen zu 1 vom 9. August 1995 vor.

Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Osnabrück vom 2. Juni 1997 aufzuheben und die Bescheide der Beklagten vom 12. Juni 1993 und 24. November 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. November 1994 zu ändern, die Beklagte zu verurteilen, die Kosten der Krankenhausbehandlung vom 27. November 1993 bis 6. Februar 1994 zu übernehmen und sie für den Zeitraum vom 7. Februar 1994 bis 1. August 1994 von den Kosten freizu-stellen;

hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, die Kosten der Krankenhausbehandlung der Klägerin im NLKH Osnabrück vom 27. November 1993 bis 6. Februar 1994 zu übernehmen;

weiter hilfsweise,

die Beklagte zu verurteilen, die Kosten der Krankenhausbehandlung der Klägerin im NLKH Osnabrück seit dem 27. November 1993 bis zu der Hö-he zu übernehmen bzw zu erstatten, die der Beklagten entstanden wären bei einer Aufnahme der Klägerin in eine stationäre Rehabilitationseinrich-tung oder für eine ambulante psychiatrische Behandlung oder für eine psy-chotherapeutische Behandlung bzw Betreuung in einer therapeutischen Wohneinrichtung;

die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und weist ergänzend darauf hin, dass einem Erfolg der Klage der Einwand des fehlenden Rechts-schutzbedürfnisses für den gesamten Behandlungszeitraum der Klägerin entge-genstehe.

Die Beigeladene zu 2 beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,

die Beklagte entsprechend den Anträgen der Klägerin zu verurteilen.

Die Beigeladene zu 1 hat keinen Antrag gestellt.

Auf Antrag der Klägerin ist gem § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten bei Prof Dr W. G., Nervenarzt/Psychotherapie, Ärztlicher Direktor des Nieder-sächsischen Landeskrankenhauses Osnabrück, eingeholt worden. In seinem Gutachten vom 28. August 2000 kommt der Sachverständige zu dem Ergebnis, es sei erforderlich gewesen, die Behandlungsmaßnahmen für die Klägerin für den maßgeblichen streitigen Zeitraum stationär durchzuführen. Wegen der Art und Schwere des Krankheitsbildes seien die besonderen Mittel des psychiatrischen Fachkrankenhauses, nämlich der ständige Einsatz eines besonders geschulten und erfahrenen multiprofessionellen psychiatrischen Behandlungs- und Pflege-teams zur Gestaltung des Milieus und Tagesablaufes im Rahmen eines wissen-schaftlich begründeten, laufend fortzuschreibenden Gesamtbehandlungsplanes unter fachärztlicher Leitung und Verantwortung, erforderlich gewesen.

Im Rahmen der Amtsermittlung ist ein weiteres Gutachten bei Dr M. H., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Lüneburg, eingeholt worden. Der Sachverständige Dr H. kommt in seinem Gutachten vom 23. Januar 2002 zu der Beurteilung, dass die bei der Klägerin durchgeführten Behandlungsmaßnahmen über den gesam-ten hier strittigen Zeitraum zwar medizinisch erforderlich gewesen seien. Spätes-tens ab 24. November 1993 hätte jedoch eine Beendigung der stationären Be-handlung erfolgen können.

Mit den Beteiligten haben Erörterungstermine vor dem Berichterstatter und der Vorsitzenden des Senats stattgefunden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes, des Ergebnisses der Be-weisaufnahme und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Pro-zessakten des ersten und zweiten Rechtszuges, die beigezogene Verwaltungs-akte der Beklagten und die beigezogene Krankenakte des NLKH Osnabrück ver-wiesen. Diese waren Gegenstand der Entscheidung.

Entscheidungsgründe:

Mit Einverständnis der Beteiligten hat der Senat gem § 124 Abs 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden.

Die Berufung ist zulässig, denn sie ist gem §§ 143 f SGG statthaft und im Übrigen frist- und formgerecht erhoben worden.

Dem Erfolg der Klage steht nicht ein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis der Kläge-rin entgegen. Entgegen der Ansicht der Beklagten besteht für die Klägerin ein berechtigtes Interesse daran, feststellen zu lassen, ob die Beklagte zur Kosten-tragung verpflichtet ist. Zwar ist der beigeladene Sozialhilfeträger (Beigeladene zu 1) hier im Rahmen der vorläufigen Leistungsgewährung (§ 43 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – SGB I) tätig geworden. Dennoch ist nicht ausgeschlossen, dass seitens der Beigeladenen zu 1) gegenüber der Klägerin Rückforderungsan-sprüche geltend gemacht werden. Darüber hinaus begründet die beim Landge-richt Osnabrück anhängige Zivilrechtsklage gegen die Klägerin (Az: S O 64/98) das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage.

Die Berufung ist aber weder im Sinne des Hauptantrages noch im Sinne der Hilfsanträge begründet. Die Entscheidung des SG ist zutreffend. Krankenhaus-pflegebedürftigkeit lag für den streitigen Zeitraum nicht vor. Demgemäß besteht kein Anspruch auf Kostenübernahme für die Krankenhausbehandlung vom 27. November 1993 bis 6. Februar 1994 oder auf Freistellung von den Kranken-hauskosten im NLKH Osnabrück vom 7. Februar 1994 bis 1. August 1994.

Nach § 39 Abs 1 SGB V wird die Krankenhausbehandlung vollstationär, teilstatio-när, vor- und nachstationär (§ 115 a) sowie ambulant (§ 115 b) erbracht. Versi-cherte haben Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus (§ 108) wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Kranken-pflege erreicht werden kann. Die Krankenhausbehandlung umfasst im Rahmen des Versorgungsauftrages des Krankenhauses alle Leistungen, die im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinische Versorgung der Versi-cherten im Krankenhaus notwendig sind, insbesondere ärztliche Behandlung (§ 28 Abs 1), Krankenpflege, Versorgung mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln, Unter-kunft und Verpflegung. Voraussetzung für eine Krankenhausbehandlung ist da-nach, dass die Krankheit einer Behandlung zugänglich ist und ihr mit den Mitteln des Krankenhauses begegnet werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben.

Die Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung richtet sich allein nach den medi-zinischen Erfordernissen. Es kommt entscheidend darauf an, ob die für den Ver-sicherten erforderliche Behandlung ausschließlich mit den Mitteln und Einrichtun-gen des Krankenhaus durchgeführt werden kann. Dazu gehören insbesondere die Art und Intensität der ärztlichen Behandlung, die technisch-apparative Aus-stattung und die qualifizierte pflegerische Tätigkeit, soweit sie der ärztlichen Be-handlung untergeordnet ist. Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit ist mithin so-lange gegeben, wie eine außerklinische Behandlung – auch in einer Anstalt, ei-nem Pflegeheim usw – zur Erreichung des Behandlungszieles nicht ausreicht (vgl Urteil des Senats vom 24. Mai 1995 – L 4 Kr 157/94 -). Insbesondere kann Kran-kenhausbehandlung erforderlich sein, weil die notwendige Intensität und das gleichzeitige Zusammenwirken verschiedener Therapiearten ambulant nicht ge-währleistet sind oder Umfang und Vielgestaltigkeit der Therapiemaßnahmen eine ambulante Behandlung nicht zulassen (vgl Höfler in KassKomm, § 39 SGB V, Rdziff 18, 20).

Eine solche Notwendigkeit der Krankenhauspflege mit den besonderen Mitteln eines Krankenhauses vermag der Senat bei der Klägerin in dem streitigen Zeit-raum vom 27. November 1993 bis 1. August 1994 nicht zu erkennen.

Nach den übereinstimmenden Feststellungen der insoweit schlüssigen Gutachten des I. und des J. (30. Mai 2001) lässt sich auf der Grundlage der Krankenakten nicht belegen, dass der Zustand der Klägerin die besonderen Mittel eines Kran-kenhauses mit geschultem Pflegepersonal und einem jederzeit rufbereiten Arzt im Rahmen der laufenden Behandlung erforderlich machte. Notfallmäßige ärztli-che Interventionen wurden während des strittigen Zeitraumes überhaupt nicht berichtet (vgl Gutachten J., S 20 f.). Dies deckt sich mit der Bewertung des Sach-verständigen I., der ausführt, dass ein rufbereiter Arzt und die „besonderen Mittel eines Krankenhauses” nicht erforderlich waren. Soweit apparative Untersuchun-gen wie Hirn- und Herz-Strombild, Laboruntersuchungen sowie Konsiliaruntersu-chungen bei Internisten und Gynäkologen stattfanden, hätten diese auch ambu-lant erfolgen können. Zwar habe – so der Sachverständige I. – bei der Klägerin bis zu ihrer Entlassung eine gesteigerte cerebrale Anfallsbereitschaft, bedingt durch die notwendige Einnahme eines antipsychotisch wirksamen Medikaments und vermutlich einer ohnehin vorher bestehenden Krampfschwelle, bestanden, zu weiteren Anfällen sei es hier im strittigen Zeitraum jedoch nicht gekommen, wie sich aus den Aufzeichnungen des NLKH ergäbe. Eine regelmäßige Kontrolle des Hirn-Strombildes und des sogenannten Serumspiegels des antikonvulsiv wirksa-men Medikamentes (hier Tegretal) hätten auch durch einen ambulant tätigen Nervenfacharzt erfolgen können. Diese Ausführungen der Sachverständigen sind für den Senat anhand der beigezogenen Krankenakten nachvollziehbar. Aus den Unterlagen ist nicht ersichtlich, dass ein jederzeit rufbereiter Arzt erforderlich war. Es findet sich keine dokumentierte Eintragung über den notfallmäßigen Einsatz eines Arztes im streitigen Zeitraum. Soweit die Klägerin in diesem Zusammen-hang rügt, der Sachverständige K. habe die Dekompensation im Rahmen seines Gutachtens vom 23. November 1993 nicht bewertet, ist dem zu entgegnen, dass sich die Beweisfragen lediglich auf den streitigen Zeitraum vom 27. November 1993 bis August 1994 bezogen (vgl auch Beschluss des Senats vom 10. April 1996 – L 4 S (Kr) 266/95 -).

Die von L. in seinem Gutachten vom 28. August 2000 beschriebenen krisenhaf-ten Zuspitzungen während des streitigen Zeitraumes sind nicht belegt. Hierzu hat der Sachverständige I. ausgeführt, dass sich aus den Aufzeichnungen in keiner Weise ergäbe, dass tatsächlich eine erhöhte Suzidialität bestanden oder auch nur hätte vermutet werden können. Zwar habe eine erhöhte Krampfbereitschaft für den gesamten hier strittigen Zeitraum bestanden. Zu tatsächlichen Krampfanfäl-len oder auch nur Vorboten solcher Krampfanfälle sei es aber zu keinem Zeit-punkt gekommen. Insofern könne man auch nicht von einer krisenhaften Zuspit-zung sprechen. Dies gelte auch für die von L. angesprochene problematische Regelung des Trinkverhaltens. Zwar sei in der Vergangenheit tatsächlich eine passagere Elektrolytverschiebung aufgetreten und auch im Februar 1994 eine minimale Herabsetzung des Natriumgehaltes im Blut festgestellt worden; es sei aber nicht zu einer krisenhaften Zuspitzung gekommen, auch nicht zu speziellen notfallmäßig ergriffenen ärztlichen Maßnahmen (wie zB die intravenöse Verabrei-chung von Natriumclorid). Diese Feststellungen des Sachverständigen I. lassen entgegen den Bewertungen des Sachverständigen Prof. Dr. G. den Schluss zu, dass eine in diesem Zusammenhang erforderliche Überwachung der Klägerin sicherlich sinnvoll gewesen war, diese hätte aber auch außerhalb einer Kranken-hausbehandlung erfolgen können.

Die von L. in seinem Gutachten angesprochenen Behandlungen, wie der Leber-zellschaden, das beginnende Klimakterium mit sekundärer Amenorrhoe und die Umstellung der Medikation von Fluanxol auf Decentan, haben ebenso wenig den Bedarf eines jederzeit rufbereiten Arztes oder die besonderen apparativen Mittel des Krankenhauses erforderlich gemacht. Der Senat folgt insoweit den schlüssi-gen Ausführungen des Sachverständigen I., wonach auch hier eine ambulante Behandlung in den genannten Fällen ohne weiteres ausgereicht hätten. Soweit die Umstellung der Medikation erfolgte, war damit eine besondere Gefährdung für die Klägerin nicht verbunden, da es sich bei den genannten Medikamenten um potentiell gleichgefährdende Substanzen handelte. Die in diesem Zusammen-hang erforderliche kontinuierliche Überwachung bestimmter Blutparameter (zB des Blutbildes und der sogenannten Leberwerte) hätte ambulant durchgeführt werden können.

Auch J. hat in seiner Stellungnahme (ebda) zusammenfassend ausgeführt, dass die in den Krankenakten dokumentierten Behandlungskomplexe, wie Umstellung der Medikamente, Bereitschaft zu Krampfanfällen, Überwachung der Trinkmenge und klimakterische Beschwerden, nicht die Mittel eines Krankenhauses mit einem jederzeit rufbereiten Arzt erforderlich machten.

Bezogen auf das veränderte psychische Zustandsbild der Klägerin bestand ab dem 24. November 1993 nicht mehr die Notwendigkeit einer Krankenhausbe-handlung. Hier hätte beispielsweise die Betreuung in einem Wohnheim mit psy-chiatrisch geschultem Pflegepersonal und kontrollierter fachärztlicher Behandlung ausgereicht.

Soweit für die Klägerin eine den modernen Grundsätzen gemäße Behandlung ihrer psychischen Krankheit entsprechend den Empfehlungen der Fachgesell-schaft stattgefunden hat, begründet dies auch keinen Anspruch auf Kranken-hauspflege iSd § 39 SGB V. Nach den Ausführungen des L. wurden im Rahmen des hier eingesetzten Verfahrens für die Klägerin spezielle angepasste Arbeits-diagnostik und Arbeitstraining einschließlich Belastungserprobung im Arbeitsdia-gnostischen Zentrum, integriertes psychologisches Therapieprogramm für schi-zophrene Menschen als anerkanntes Verfahren der Bewältigungsverbesserung mit psychoedukativen und verhaltenstherapeutischen Mitteln, Therapiegruppen zur Verbesserung der Krankheitseinsicht und der Krankheitsbewältigung, psy-chologische Einzelgespräche, Klärung und Management der sozialen Situation durch den Sozialdienst, Milieugestaltung und Alltagstraining durchgeführt (vgl S 20 f des Gutachtens).

Der Senat kann offen lassen, ob eine solche komplexe Behandlung nur im Rah-men der Organisationsstruktur eines Krankenhauses möglich ist (so der Sachver-ständige I.) oder ob eine solche komplexe Behandlung auch von einem be-schützten Wohnbereich (Wohngruppe, psychiatrisches Heim) aus organisierbar und durchführbar wäre. Ferner kann offen bleiben, ob die Klägerin seit Aufnahme ihrer Arbeitstherapie Mitte Oktober 1993 bis zum Ende des streitigen Zeitraumes an dieser und den flankierenden Maßnahmen durchgehend teilgenommen hat. Ausweislich der Krankenakten endet die Dokumentation über die Arbeitstherapie am 29. April 1994. Inwieweit für den späteren Zeitraum noch eine Arbeitstherapie durchgeführt wurde, lässt sich aus den Unterlagen nicht ersehen. Dort befinden sich ab Mai 1994 keine Eintragungen über die Teilnahme an der Arbeitstherapie in den Rubriken über die Dokumentation der Pflege (vgl Abschnitt 3 der Kranken-akten). Denn unabhängig davon begründet eine wie von L. beschriebene komple-xe Behandlung grundsätzlich keine Krankenhauspflegebedürftigkeit iSd § 39 SGB V. Zwar ist es für den Senat nachvollziehbar, wenn der Sachverständige L. ausführt, empirisch sei nachgewiesen, dass die Kombination einer gut ange-passten neuroleptischen Medikation mit psychotherapeutischen und soziothera-peutischen, insbesondere verhaltenstherapeutischen und psychoedukativen Be-handlungsverfahren unter Einbezug der relevanten Bezugspersonen, die besten Ergebnisse liefere. Denn nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse seien bei schwer und chronisch verlaufenden schizophrenen Psychosen teilweise lange Behandlungszeiten bis zu mehreren Jahren erforderlich, um den Krank-heitsverlauf entsprechend zu beeinflussen und eine günstige Langzeitprognose und Vermeidung der Dauerhospitalisierung und der Ausbildung einer schweren Behinderung zu erreichen. Derartige Behandlungsangebote – so der Sachver-ständige – seien nur von einem multiprofessionellen Team, entsprechend auch den Bestimmungen der Psychiatrie-Personalverordnung, mit insbesondere Ärz-ten, Diplom-Psychologen, Sozialpädagogen, Ergotherapeuten, Bewegungsthera-peuten sowie fachlich besonders geschultem, erfahrenem, psychiatrischem Kran-kenpflegepersonal, zu leisten.

Eine diese Grundsätze beachtende Behandlung mit einem multiprofessionellen Team wäre auch nach Auffassung des Senats wünschenswert. Sie begründet jedoch nicht – wie oben ausgeführt – Krankenhauspflegebedürftigkeit iS des § 39 SGB V. Einer solchen multikomplexen Behandlungsform käme vorwiegend ein psychotherapeutisch-rehabilitativer Charakter zu (vgl auch Gutachten des K., S 12 f), die im Rahmen einer stationären Rehabilitationsmaßnahme zu erbringen wäre. Die Bewilligung einer stationären Rehabilitationsmaßnahme unterliegt je-doch anderen Tatbestandsvoraussetzungen (vgl. § 40 Abse 1, 2 SGB V), die hier nicht erfüllt waren. Darauf hat die Beklagte zutreffend in ihrem Widerspruchsbe-scheid hingewiesen. Dementsprechend konnte der auf Rehabilitationsleistungen bzw Kostenerstattung in Höhe dieser Leistungen gerichtete Hilfsantrag der Kläge-rin auch keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision haben nicht vorgelegen, § 160 Abs 2 Zif-fern 1 und 2 SGG.