Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 11 (16) KR 315/03

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen

Urteil vom 19.10.2005 (rechtskräftig)

  • Sozialgericht Düsseldorf S 8 KR 102/02
  • Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 11 (16) KR 315/03

 

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 12.09.2003 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über Kostenerstattung.

Die Klägerin ist die Rechtsnachfolgerin ihres am 00.12.2004 verstorbenen Ehegatten S M, der bei der Beklagten versichert war (im Folgenden: Versicherter). Der 1934 geborene Versicherte war 1994 an einem Kolon-Carzinom erkrankt. Im Juni 2001 wurden Lebermetastasen festgestellt. Da wegen der ungünstigen Lage der Metastasen eine operative Resektion nicht für sinnvoll gehalten wurde, wurde zunächst eine Chemotherapie durchgeführt, die nicht zu einer Remission der Metastasen führte.

Der Versicherte beantragte Anfang September 2001 bei der Beklagten die Behandlung mittels perkutan durchgeführter laserinduzierter Thermotherapie (LITT) durch Prof. Dr. W, Zentrum für Radiologie, Institut für diagnostische und interventionelle Radiologie, Universitätsklinikum G. Prof. Dr. W nimmt nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teil, das Institut für diagnostische und interventionelle Radiologie verfügt auch nicht über eine Ermächtigung als Hochschulambulanz. Prof. Dr. W führt die Behandlung ambulant durch, die Patienten übernachten nach der Behandlungsmaßnahme in einem nahegelegenen Hotel. Die Beklagte holte eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (Dr. C) vom 19.09.2001 ein und lehnte am gleichen Tag die Gewährung der Behandlung ab. Der Versicherte hat sich am 14.10.2001 und am 25.10.2001 durch Prof. Dr. W behandeln lassen, der hierfür jeweils 11.001,74 DM liquidiert hat. Ferner sind dem Versicherten für eine Kernspinuntersuchung am 31.08.2001 1.772,89 DM in Rechnung gestellt worden.

Der Versicherte legte mit Schreiben vom 30.10.2001 Widerspruch ein und machte geltend, aus gesundheitlichen Gründen habe er sich inzwischen behandeln lassen, da er ein langes Genehmigungsverfahren nicht habe abwarten können. Eine Operation der Metastasen sei wegen ihrer Lokalisation und ihrer Größe abgelehnt worden. Die Beklagte holte nochmals eine Stellungnahme des MDK ein, die vom Kompetenzzentrum Onkologie unter dem 19.12.2001 erstellt wurde. In dieser Stellungnahme wurde darauf hingewiesen, unabhängig von der Inoperabilität der Metastasen sei die Wirksamkeit der LITT anhand der publizierten Daten nicht beurteilbar. Zudem liege die nach dem Gesetz erforderliche Bewertung durch den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (jetzt: Gemeinsamer Bundesausschuss) nicht vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 30.04.2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung der am 13.05.2002 erhobenen Klage hat der Versicherte vorgetragen, die Beklagte sei zur Erstattung der ihm entstandenen Kosten verpflichtet, weil die durchgeführte Behandlung in seinem Fall medizinisch notwendig gewesen sei. Die fehlende Anerkennung der Behandlungsmethode durch den Bundesausschuss stehe seinem Anspruch nicht entgegen, da dessen Entscheidung nur für die vertragsärztliche Versorgung gälten und hier eine ambulante Behandlung in einem Krankenhaus durchgeführt worden sei.

Mit Urteil vom 12.09.2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Ein Kostenerstattungsanspruch scheitert schon daran, dass die Behandlung nicht durch einen zugelassenen Behandler erfolgt sei. Da der Versicherte die streitige Behandlung hätte stationär in Berlin und Leipzig erlangen können, sei auch eine als Systemmangel zu beurteilende Versorgungslücke zu verneinen. Der Versicherte könne auch nicht die Kostenerstattung unter dem Gesichtspunkt eines Herstellungsanspruchs beanspruchen, weil sich der Beklagten nicht aufgedrängt habe, den Versicherten auf die stationäre Behandlungsmöglichkeit hinzuweisen.

Gegen das am 03.10.2001 zugestellte Urteil hat der Versicherte am 28.10.2003 Berufung eingelegt. Der Versicherte bzw. die Klägerin wiederholen ihren erstinstanzlichen Vortrag und machen ergänzend geltend, die Beklagte sei unter dem Gesichtspunkt eines Herstellungsanspruchs zur Kostenerstattung verpflichtet. Die Ablehnung sei damit begründet worden, dass grundsätzlich keine Leistungspflicht für die LITT bestehe. Diese Begründung sei unzutreffend gewesen, da sie nur für die ambulante Durchführung der Behandlung gelte. Bei dem Versicherten sei dadurch der Eindruck erweckt worden, er brauche sich um eine Alternative nicht zu bemühen. Wenn er darauf hingewiesen worden wäre, dass bei einer stationären Behandlung eine Leistungspflicht der Beklagten bestehe, hätte er die Möglichkeit gehabt, sich anderweitig behandeln zu lassen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 12.09.2003 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19.09.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.04.2002 zu verurteilen, ihr 12.624,70 Euro zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und verneint das Bestehen eines Herstellungsanspruchs, weil eine entsprechende Beratungspflicht nicht bestanden habe. Es gebe kein Wahlrecht des Versicherten dahingehend, dass eine Behandlung, die ambulant nicht abrechenbar sei, stationär erlangt werden dürfe.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt ( § 124 Abs. Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, auch des Vorbringens der Beteiligten, wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der Beratung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet, denn das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Versicherten stand kein Anspruch auf Kostenerstattung zu, der auf die Klägerin hätte übergehen können.

I. Die Klage ist zulässig. Eine schriftliche Ablehnung des Antrags des Versicherten ist wohl nicht erfolgt. Jedoch kann ein Verwaltungsakt auch mündlich erlassen werden (§ 33 Abs. 2 Satz 1 10. Buch Sozialgesetzbuch). Offensichtlich hat die Beklagte am Tage der Erstellung des MDK-Gutachtens gegenüber dem Versicherten mündlich die Gewährung der Leistung abgelehnt, denn anders wäre nicht zu erklären, dass der Versicherte Widerspruch gegen einen „Bescheid vom 19.09.2001“ eingelegt hat. Die für einen Kostenerstattungsanspruch erforderliche Bezifferung (vgl. BSG SozR 3-2500 § 37 Nr. 1; BSG, Urteil vom 17.03.2005 – B 3 KR 35/04 R) ergibt sich aus der Kostenaufstellung des Versicherten vom 14.02.2002. Unter Berücksichtigung einer Wegstreckenentschädigung für die geforderten Fahrkosten bei 1.500 Fahrkilometern mit dem PKW (§ 60 Abs. 3 Nr. 4 5. Buch Sozialgesetzbuch (SGB V)) ergibt sich der vom Senat in den Antrag aufgenommene Betrag.

II. Dem Versicherten stand jedoch wegen der in Frankfurt durch Prof. Dr. W durchgeführten Behandlung kein Kostenerstattungsanspruch zu.

1. Unabhängig davon, ob Rechtsgrundlage eines Kostenerstattungsanspruchs § 13 Abs. 2 (in der bis 31.12.2003 geltenden Fassung) oder Abs. 3 Satz 1 SGB V ist, setzt ein solcher Anspruch voraus, dass die in Frage stehende Leistung als Sachleistung in Betracht gekommen wäre. Das ist zu verneinen.

a) Ein Leistungsanspruch des Versicherten schied schon deshalb aus, weil Prof. Dr. W nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnimmt. Die Behandlung ist in Frankfurt ambulant durchgeführt worden, denn der Versicherte ist nicht über Nacht in die Klinik aufgenommen worden (zur Abgrenzung von ambulanter und stationärer Behandlung siehe BSG SozR 4-2500 § 39 Nr. 1, 3). Im Rahmen der ambulanten Behandlung können die Versicherten nur die an der vertragsärztlichen Versorgung beteiligten Ärzte in Anspruch nehmen (§ 76 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Prof. Dr. W zählt nicht zu diesem Kreis, er verfügt weder über eine Ermächtigung noch ist sein Institut als Hochschulambulanz im Sinne des § 117 Abs. 1 SGB V ermächtigt. Auch bei Praktizierung des Kostenerstattungsverfahrens durften bis zum 31.12.2003 nach § 13 Abs. 2 Satz 2 SGB V in der damals geltenden Fassung nur die im Vierten Kapitel genannten Leistungserbringer in Anspruch genommen werden. Ein Notfall im Sinne des § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V lag ersichtlich nicht vor.

b) Unabhängig davon scheitert ein Leistungsanspruch auch daran, dass die in Frage stehende Behandlung nicht von der Beklagten geschuldet wurde. Für die vertragsärztliche Versorgung im ambulanten Bereich ist der Vorbehalt des § 135 Abs. 1 SGB V zu beachten. Nach dieser Vorschrift dürfen neue Behandlungsmethoden nur abgerechnet werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (früher: Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen) in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen unter anderem zum therapeutischen Nutzen der Therapie abgegeben hat. Diese Vorschrift legt nach gefestigter Rechtsprechung des BSG (grundlegend Urteile vom 16.09.1997, u. a. SozR 3-2500 § 135 Nr. 4; zuletzt etwa SozR 4-2500 § 135 Nr. 1) für ihren Anwendungsbereich zugleich den Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten Leistungen fest. Die einschlägigen Richtlinien (Richtlinien über die Bewertung ärztlicher Behandlungs- und Untersuchungsmethoden (BUB-Richtlinien) in der Fassung vom 01.12.2003) sind untergesetzliche Rechtsnormen, die in Verbindung mit § 135 Abs. 1 SGB V für Ärzte, Krankenkassen und Versicherte verbindlich regeln, welche neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden vom Anspruch auf Krankenbehandlung umfasst sind.

Das Fehlen einer positiven Entscheidung des Bundesausschusses steht einer Leistungspflicht der Krankenkasse entgegen. § 135 Abs. 1 SGB V ist in der Art eines Verbots mit Erlaubnisvorbehalt gefasst und schließt neue Behandlungsmethoden so lange von der Abrechnung zu Lasten der Krankenkassen aus, als sich der Bundesausschuss sie als zweckmäßig anerkannt hat (BSG SozR 3-2500 § 135 Nr. 4 Seite 14). Da die LITT noch nicht Gegenstand des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung ist und der Bundesausschuss ihre Zweckmäßigkeit nicht anerkannt hat, bestand für diese Methode keine Leistungspflicht der Beklagten. Die Beschränkung des § 135 Abs. 1 SGB V gilt auch für ambulante Behandlungen, die (zulässigerweise) in einem Krankenhaus durchgeführt werden.

2. Das Sozialgericht hat im Ergebnis auch zu Recht einen Erstattungsanspruch unter dem Gesichtspunkt einer Versorgungslücke verneint. Insoweit ist allerdings irrelevant, ob und wo die in Frage stehende Behandlungsmethode im Rahmen einer stationären Behandlung hätte erlangt werden können. Ebenso ist irrelevant, ob im konkreten Fall anerkannte Behandlungsalternativen bestanden. Eine Leistungspflicht für eine nicht anerkannte Methode besteht auch für den Fall nicht, dass anderweitige Therapieoptionen ausgeschöpft sind. Eine Erweiterung der Leistungspflicht der Krankenkassen auf Behandlungsmethoden, die noch nicht im allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen, lässt das Gesetz auch bei schweren und vorhersehbar tödlich verlaufenden Krankheiten grundsätzlich nicht zu. Die Einstandspflicht der gesetzlichen Krankenkassen für eine nicht ausreichend geprüfte Behandlung lässt sich somit nicht damit begründen, dass es eine „anerkannte“ Heilmethode für die Krankheit (noch) nicht gibt (BSG SozR 3-2500 § 135 Nr. 14).

3. Ein Kostenerstattungsanspruch ergibt sich auch nicht aus einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch.

Der Senat teilt die Auffassung des 5. Senats des LSG NRW (Urteil vom 20.01.2005 – L 5 KR 227/03), dass der Gesetzgeber im § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V abschließend die Folgen einer Pflichtverletzung der Krankenkassen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben geregelt hat und daneben wegen eines – behaupteten – Beratungsfehlers ein Herstellungsanspruch nicht anwendbar ist (so auch BSG SozR 3-2600 § 58 Nr. 2 S. 4; SozR 3-2500 § 13 Nr. 11 Seite 51; ebenso LSG Berlin, Urteil vom 24.10.2003 – L 9 KR 118/02; a. A.: BSGE 89, 50, 54; ohne Erörterung, jedoch im Ergebnis ebenso LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 18.02.2004 – L 4 KR 229/01; Bayerisches LSG, Beschluss vom 08.09.2003 L 4 B 347/03 KR ER). Der 5. Senat hat in dem genannten Urteil überzeugend dargelegt, dass ein Herstellungsanspruch auf Naturalrestitution und nicht die Gewährung einer monetären Kompensation gerichtet ist, so dass mit der Einräumung eines Kostenerstattungsanspruchs bei unterbliebener oder falscher Beratung über einen – möglicherweise zustehenden – Sachleistungsanspruch die Grenzen zu einem Schadenersatzanspruch überschritten werden. Soweit in der früheren Rechtsprechung bei „Vereitelung“ eines Leistungsanspruchs in Folge der Verweigerung der Leistung oder einer unzureichenden Beratung über die Möglichkeiten der Inanspruchnahme ein Kostenerstattungsanspruch bejaht wurde (BSGE 35, 10; BSG SozR 2200 § 182 Nr. 57, 80, 82, 86) ist diese Rechtsprechung durch § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V überholt. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber versehentlich die Regelung des § 13 Abs. 3 SGB V zu eng gefasst hat (so aber BSGE 89, 50, 54).

Unabhängig davon hält es der Senat auch für fernliegend, dass in einer Fallkonstellation wie der vorliegenden die Krankenkasse den Versicherten auf eine Behandlungsmöglichkeit im stationären Bereich hinweisen müsste. Ein Versicherter, der um die Gewährung einer bestimmten Behandlung nachsucht, die wegen des Vorbehalts des § 135 Abs. 1 SGB V im ambulanten Bereich von der Krankenkasse nicht geschuldet wird, muss nicht darüber beraten werden, dass diese Behandlungsmethode wegen der abweichenden Rechtslage im stationären Bereich (§ 137 c SGB V, siehe dazu BSGE 90, 289, 293) bei einer stationären Behandlung im Krankenhaus erlangt werden kann. Diese Auffassung liefe darauf hinaus, die „Erforderlichkeit“ einer stationären Behandlung (allein) damit zu begründen, dass die im ambulanten Bereich ausgeschlossene Methode nur im Krankenhaus erlangt werden kann. Die stationäre Behandlung ist aber nur bei medizinischer Notwendigkeit zu leisten, also dann, wenn die Behandlungsziele nur mit den Mitteln eines Krankenhauses erreicht werden können (statt aller: Schmidt in Peters, Handbuch der Krankenversicherung – SGB V, § 39 Randnr. 165). Diese Voraussetzung ist offensichtlich nicht gegeben, wenn ausdrücklich eine ambulante Behandlung beantragt wird, so dass die Krankenkasse auch keine Veranlassung haben kann, den Versicherten auf stationäre Behandlungsmöglichkeiten hinzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Der Senat hat die Revision zugelassen, da er von einer Entscheidung des BSG abweicht und der Rechtsstreit auch im Hinblick auf die schon beim BSG anhängige Revision (Az.: B 1 KR 5/05 R) grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG).