Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 11 KR 61/07

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen

Urteil vom 07.05.2008 (rechtskräftig)

  • Sozialgericht Münster S 9 KR 61/05
  • Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 11 KR 61/07

 

Die Berufung des Klägers gegen Urteil des Sozialgerichts Münster vom 20.06.2007 wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Übernahme der Kosten für eine stationäre Behandlung der bei der Beklagten versicherten KQ (KQ) in der Zeit vom 19.05.2004 bis 25.05.2004.

Die 1980 geborene KQ wurde am 02.03.2004 in der dem Kläger zugehörigen X Klinik E zur stationären Behandlung aufgenommen; entlassen wurde sie am 25.05.2004. Behandlungsdiagnosen waren Bulimia nervosa (F50.2), mittelgradige depressive Episode (F32.1), histrionische Persönlichkeitsstörung (F60.4). Zur Notwendigkeit und Dauer der Krankenhausbehandlung holte die Beklagte ein Gutachten des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Westfalen-Lippe ein. In diesem Gutachten vom 17.02.2005 führte Dr. G u.a. aus, dass an der Stringenz der Behandlung Zweifel bestünden. Seit dem 08.05.2004 werde von umfangreichen Unternehmungen berichtet, um die von KQ angemietete Wohnung zu möblieren. Deren Umzug therapeutisch zu begleiten, falle nicht in die Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung. Eine Kostenübernahme bis zum 19.05.2004 sei vertretbar; für diesen Tag sei vermerkt, dass KQ noch eine ambulante Therapie benötige.

Die Beklagte übernahm darauf die Kosten der stationären Behandlung der KQ bis einschließlich 18.05.2004.

Der Kläger hat mit seiner daraufhin erhobenen Klage vom 17.06.2004 vorgetragen, die stationäre Behandlung der KQ sei bis zum 25.05.2004 medizinisch notwendig gewesen. Hintergrund derer Erkrankung sei u. a. ein familiärer Konflikt zu der Mutter. Erst im Zuge der Behandlung sei KQ deutlich geworden, dass die Mutter ihren Auszug aus der gemeinsamen Wohnung gewünscht habe. Hierüber sei es zu einer depressiven Dekompensation der KQ gekommen. Sie sei in weiterer Folge zielstrebig auf die Entlassung in eine eigene, schon während der Behandlungszeit gefundene Wohnung vorbereitet worden; der Umzug in diese Wohnung sei vorbereitet worden. Durch diese Konkretisierung des künftigen Alleinlebens sei dann eine Dekompensation der KQ in Bezug auf die bevorstehende Entlassung eingetreten. Dies sei weder konkret voraussehbar gewesen noch habe einer solchen Dekompensation frühzeitig entgegengewirkt werden können. Eine angemessene Verlängerung der Behandlung bis 25.05.2004 sei aus Sicht der behandelnden Ärzte notwendig gewesen, um die Gefahr eines Rückfalls zu vermeiden. Die Forderung von 962,88 Euro errechne sich aus 6 Tagen a 54,16 Euro Basispflegesatz und a 106,32 Euro Abteilungspflegesatz.

Der Kläger hat sich erIänzend auf eine Stellungnahme des Prof. Dr. I, Chefarzt der Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der X Klinik E, berufen. Prof. Dr. I vertritt darin die Meinung, auch im Zeitraum vom 19.05. bis 25.05.2004 sei eine stationäre Behandlung notwendig gewesen, insbesondere um die stationäre Psychotherapie adäquat abzuschließen, den Transfer in den ambulanten Bereich zu gewährleisten und damit den Heilerfolg zu sichern. Aus der in der Krankengeschichte enthaltenen Eintragung vom 29.04.2004 ergebe sich, dass sich KQ zu diesem Zeitpunkt mit der ins Auge gefassten Entlassung überfordert gefühlt habe. Der Visiteneintrag vom 04.05.2004 berichte über Wutanfälle, ausgeprägtes Weinen und Gefühle der Überforderung. Noch am 17.05.2004 habe KQ im Rahmen der Gruppentherapie Unterstützung bedurft.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 962,88 Euro nebst Zinsen in Höhe von 2 %-Punkten über den Basiszinssatz der EZB seit dem 07.06.2005 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat sich auf ein weiteres Gutachten von Dr. G vom 15.12.2005 berufen, in dem dieser bei seiner bisherigen Beurteilung verblieb. Nach der Krankengeschichte habe KQ bereits für den 08.05.2004 Möbelkaufen mit Besuchen bei IKEA, Zurbrüggen und Ostermann geplant. In welchem Umfang die Pläne umgesetzt worden seien bzw. wie der Verlauf der Wochenendbeurlaubung gewesen sei, ergebe sich aus der ärztlichen Dokumentation nicht. In der Pflegedokumentation sei von völliger Erschöpfung die Rede, nach allerdings auch 9 h Herumfahren und Möbelanschauen. Im Ergebnis werde aus der Krankengeschichte nicht deutlich, warum über den 19.05.2004 hinweg die vollstationäre Komplexleistung eines Krankenhauses zur Behandlung erforderlich gewesen sein solle. KQ sei bereits am 19.05.2004 stabilisiert gewesen und hätte entlassen werden können. Eine ambulante Psychotherapie wäre ausreichend gewesen.

Das Sozialgericht (SG) Münster hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens (vom 15.02.2006) von dem Facharzt für Psychiatrie und Neurologie Prof. Dr. C. Dieser hat u.a. ausgeführt, KQ sei im Rahmen einer ärztlichen Visite am 27.04.2004 zwar weiterhin verhaltensauffällig im Sinne ihrer histrionischen Persönlichkeitsstruktur gewesen, habe sich aber mit der Lösung aus dem Elternhaus auseinandergesetzt und habe auch eine eigene Wohnung gefunden. Dies sei spätestens der Zeitpunkt gewesen, die von KQ angestrebte Loslösung nicht durch eine Fortsetzung stationärer Maßnahmen zu behindern, sondern, im Gegenteil, im Sinne der mit dieser Aufnahme ursprünglich ins Auge gefassten therapeutischen Zielsetzung zu fördern und zu unterstützen. Eine stationäre Behandlung der KQ in der Zeit vom 19.05. bis zum 25.05.2004 sei nicht notwendig gewesen, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlechterung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 20.06.2007 abgewiesen: Die stationäre Krankenhausbehandlung der KQ in der Zeit ab 19.05.2004 sei nicht medizinisch notwendig gewesen. Der Sachverständige Prof. Dr. C sei aufgrund der Angaben in der Krankenakte zu dem Ergebnis gelangt, dass die Aufnahme zur stationären Behandlung wegen einer sich zuspitzenden Krisensituation erfolgt, seit Anfang Mai eine Fortsetzung der psychotherapeutischen Behandlungsmaßnahmen im stationären Rahmen aber nicht mehr zu begründen gewesen sei. Die Krankenhausärzte hätten dies „ex ante“ erkennen müssen. Im Rahmen einer ärztlichen Visite habe sich gezeigt, dass KQ sich mit der Lösung aus dem Elternhaus auseinandergesetzt und auch eine eigene Wohnung gefunden habe. Dies sei nach der Überzeugung des Sachverständigen der Zeitpunkt, zu dem die stationäre Behandlung nicht fortgesetzt hätte werden, sondern vielmehr die angestrebte Loslösung vom Elternhaus hätte bewirkt werden müssen. Der Kontakt zu der KQ schon zuvor behandelnden Diplom-Psychologin sei auch bereits wieder hergestellt worden. Gerade um einer regressionsfördernden Entwicklung entgegenzuwirken, sei die Entlassung aus der stationären Behandlung zu einem früheren Zeitpunkt notwendig gewesen. Die Stellungnahme des Prof. Dr. I führe nicht zu einer anderen Beurteilung; anhand der dokumentierten Krankengeschichte sei auch unter Berücksichtigung der Angaben von Prof. Dr. I die Notwendigkeit einer stationären Krankenhausbehandlung im streitigen Zeitraum nicht zu begründen.

Mit seiner gegen das am 28.06.2007 zugestellte Urteil gerichteten Berufung vom 18.07.2007 trägt der Kläger vor, der Schluss des Sachverständigen Prof. Dr. C, die Notwendigkeit der vollstationären Behandlung sei zu dem Zeitpunkt entfallen, in dem KQ eine eigene Wohnung gefunden und hierdurch die Lösung vom Elternhaus dokumentiert habe, sei bei der Schwere der Erkrankung der KQ nicht richtig. Mit der Krankheitsursache sei nicht die Krankheit bzw. deren Ausmaß entfallen. Richtig sei vielmehr, dass – wie auch Prof. Dr. I ausgeführt habe – gerade vor dem Hintergrund der Loslösung der KQ von deren Elternhaus ein adäquater Abschluss der stationären Psychotherapie erforderlich gewesen sei. Dies werde durch die Krankengeschichte für den Mai 2004 belegt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 20.06.2007 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 962,88 Euro nebst Zinsen in Höhe von 2 %-Punkten über den Basiszinssatz der EZB seit dem 07.06.2005 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Nach Ihrer Auffassung ist nicht ersichtlich, wie sich die noch streitigen Behandlungstage ab 19.05.2004 begründen ließen. Selbst wenn auf die Visiteneintragung vom 04.05.2004 sowie auf ein Verschieben einer ursprünglich auf den 14.05.2004 terminierten Entlassung verwiesen werde, liege die zugestandene Behandlungsdauer noch mehrere Tage nach diesen Vorfällen.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG))

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen; denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten, die infolge des stationären Aufenthalts der KQ ab 19.05.2004 entstanden sind.

Der Kläger hat mit der erhobenen echten Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs. 5 SGG die richtige Klageart gewählt. Denn er begehrt die Verurteilung der Beklagten zu einer Leistung, auf die – wenn der geltend gemachte Erstattungsanspruch denn begründet ist – ein Rechtsanspruch besteht. Ein Verwaltungsakt konnte nicht ergehen, weil sich die Kläger und Beklagte gleichgeordnet gegenüber stehen.

Der Zahlungsanspruch des Klägers korrespondiert mit dem Anspruch der Versicherten KQ auf Krankenhausbehandlung. Demgemäß müssen bei ihr die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der entsprechenden Leistungen, hier der Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit, vorliegen. Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit besteht, wenn die Behandlung der Versicherten den Einsatz der besonderen Mittel eines Krankenhauses erforderlich macht. Nach § 107 Abs. 1 SGB V sind Krankenhäuser Einrichtungen, die der Krankenhausbehandlung oder Geburtshilfe dienen, fachlich-medizinisch unter ständiger ärztlicher Leitung stehen, über ausreichende, ihrem Versorgungsauftrag entsprechende diagnostische und therapeutische Möglichkeiten verfügen, nach wissenschaftlich anerkannten Methoden arbeiten und mit Hilfe von jederzeit verfügbarem ärztlichem Personal sowie Pflege-, Funktions- und medizinisch-technischem Personal darauf eingerichtet sind, vorwiegend durch ärztliche und pflegerische Hilfeleistung Krankheiten der Patienten zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten, Krankheitsbeschwerden zu lindern oder Geburtshilfe zu leisten, wobei die Patienten dort auch untergebracht und verpflegt werden können.

Dieser Mittel müssen regelmäßig nicht alle zum Einsatz gebracht werden. Das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V erfordert es, dass vorrangig vor einer Krankenhausbehandlung andere, kostengünstigere Behandlungsmaßnahmen durchzuführen sind, wenn sie ausreichen. Der Zahlungsanspruch des Krankenhauses entsteht unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistungen durch die Patienten nur dann, wenn ihre Krankenhausbehandlung objektiv notwendig ist. Ob dies der Fall ist, ist nicht im Wege einer nachträglichen Betrachtung (ex post) zu beantworten, sondern aus einer Vorausschau (ex ante); es ist damit von dem im Behandlungszeitpunkt verfügbaren Wissens- und Kenntnisstand des aufnehmenden oder behandelnden Krankenhausarztes auszugehen (BSG, Urteil vom 07.07.2005 – B 3 KR 40/04 R -).

Zwar hat das Krankenhaus nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V bei Aufnahme oder Behandlung einer Patientin die Voraussetzungen der Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit zu prüfen. Daraus folgen für den aufnehmenden oder behandelnden Krankenhausarzt jedoch keine Einschätzungsprärogative und kein Beurteilungsspielraum im Sinne eines Entscheidungsfreiraums, der von der Krankenkasse oder dem Gericht nur in vermindertem Umfang kontrolliert werden könnte (Großer Senat des BSG, Beschluss vom 25.09.2007, GS 1/06, veröffentlicht in juris, Rz. 29). Vielmehr muss die Annahme der Voraussetzungen für die Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit nach medizinischen Maßstäben objektiv vertretbar gewesen sein. Das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 Satz 1 SGB V erstreckt sich auch auf die Krankenhausbehandlung. Danach müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein, dürfen das Maß des Notwendigen aber nicht überschreiten. Maßgeblich ist daher, ob es aus medizinischen und wirtschaftlichen Gründen vertretbar war, dass der einweisende oder behandelnde Krankenhausarzt in seiner vorausschauenden Betrachtungsweise die Notwendigkeit einer Krankenhausbehandlung annahm. Die Notwendigkeit kann unabhängig von der Vertragslage, die nach § 112 Abs. 2 Nr. 2 SGB V zwischen den Beteiligten gestaltet wurde, auch noch nachträglich verneint werden.

Davon ausgehend steht nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens fest, dass KQ in der Zeit ab 19.05.2004 nicht im oben dargelegten Sinne krankenhausbehandlungsbedürftig gewesen ist.

Zur weiteren Begründung nimmt der Senat auf das Urteil des SG vom 20.06.2007 Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG) und führt ergänzend aus:

Das SG ist zu Recht dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. C und nicht der Stellungnahme der Prof. Dr. Her Prof. Dr. I gefolgt. Denn aus der Krankengeschichte der KQ ergibt sich nicht, dass KQ in der Zeit ab 19.05.2004 krankenhausbehandlungsbedürftig war; es ist kein Grund ersichtlich, der eine über den 18.05.2004 hinausgehende stationäre Behandlung rechtfertigen könnte. Prof. Dr. I behauptet zwar pauschal eine Behandlungsbedürftigkeit; er bezieht sich dazu aber im Wesentlichen auf die Behandlungsprotokolle bis zum 29.04.2004 bzw. auf den Visiteintrag vom 04.05.2004, also auf Beschreibungen von Befunden, die lange vor dem streitigen Behandlungszeitraum erhoben worden sind. Unabhängig davon, dass bereits diese zu unterschiedlichen Interpretationen Anlass gegeben haben (s. z.B. Gutachten des Dr. G vom 17.02.2005), ist damit eine Behandlungsbedürftigkeit der KQ in stationärer Einrichtung jedenfalls für die Zeit ab 19.05.2004 nicht belegt.

Vielmehr ergibt sich aus der auch vom Senat eingehend geprüften Krankengeschichte der KQ, dass die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. C und des Dr. G, (spätestens) ab 19.05.2004 habe keine Behandlungsbedürftigkeit i.o.a.S. bestanden, zutreffend sind. Der Senat vermag ausweislich der einzelnen Eintragungen sogar schon für die Zeit ab 14.05.2004 nur schwer Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer stationären Behandlung zu erkennen. Spätestens ab 19.05.2005 fand auch eine nennenswerte Behandlung der KQ nicht mehr statt; mehr oder weniger ist einziger Gegenstand der Eintragungen die Frage der Entlassung der KQ aus dem Krankenhaus und die Modalitäten der Wohnungseinrichtung bzw. des Wohnungsbezugs durch KQ. Bezeichnend ist insoweit u.v.a. der Eintrag zur Gruppenpsychotherapie vom 19.05.2004 „Pat. ist mit dem Thema Abschied beschäftigt, die Gruppe entscheidet sich im gem. Gespräch für das Thema Konfliktumgang, da noch 2 weitere Gruppenstd zur Verfügung stehen.“ (Unterstreichung durch den Senat).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG in Verbindung mit § 154 Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).