Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 16 KR 188/09

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen

Urteil vom 25.02.2010 (rechtskräftig)

  • Sozialgericht Dortmund S 8 KR 122/08
  • Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 16 KR 188/09

 

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 05.08.2009 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe eines befundbezogenen Festzuschusses bei der Versorgung mit Zahnersatz gemäß § 55 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – SGB V -.

Der 1965 geborene, geistig und körperlich schwerbehinderte Kläger ist Mitglied der Beklagten. Kostenerstattung für Krankenbehandlung wurde von ihm nicht gewählt.

Aufgrund eines vom V-klinikum N – Zahnklinik – erstellten Heil- und Kostenplans vom 22.06.2007 (geschätzte Behandlungskosten insgesamt 4697,52 EUR) bewilligte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 18.07.2007 einen Festzuschuss in Höhe von 1987,52 EUR (doppelter Festzuschuss aus sozialen Gründen gemäß § 55 Abs. 2 SGB V – darin enthalten u.a. 558,82 EUR für den auch eine Rückenschutzplatte als zahntechnische Leistung 2081 umfassenden Befund 3.1 entsprechend der Bekanntmachung des gemeinsamen Bundesausschusses über die Befunde, die zugeordneten Regelversorgungsleistungen, für die Festzuschüsse nach den §§ 55,56 des SGB V zu gewähren sind – Festzuschuss-Richtlinien). Der Bescheid enthält auch den Hinweis, dass mit dem Zahnarzt privatrechtlich vereinbarte Leistungen, die über die Regelversorgung hinausgehen oder davon abweichen (beispielsweise Mehrkosten für Edelmetalle), nicht übernommen werden könnten.

Der unter Verwendung einer hochgoldhaltigen Edelmetalllegierung gefertigte Zahnersatz (auf die Rückenschutzplatte entfiel ein Materialmehrverbrauch von 23,5 Gramm, der bei Materialkosten von 36,83 EUR je Gramm zu Mehrkosten von 865,50 EUR führte) wurde in der vorgesehenen Weise bis zum 13.02.2008 dem Kläger eingegliedert.

Ein gegen den Bewilligungsbescheid gerichteter Widerspruch blieb ohne Erfolg und wurde von der Widerspruchsstelle der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 09.05.2008 zurückgewiesen.

Mit der dagegen gerichteten Klage vom 09. Juni 2008 hat der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihm weitere 1017,47 EUR für behinderungsbedingte Mehrkosten der zahnärztlichen Behandlung und prothetischen Versorgung zu gewähren. Er hat dazu geltend gemacht, die Behandlung habe zu einem von ihm gezahlten Eigenanteil in Höhe von 3245,30 EUR geführt. Mit der Klage mache er die darin enthaltenen Zusatzkosten für eine Rückenschutzplatte in Höhe von 1017,47 EUR geltend, denn der Festzuschuss orientiere sich unrichtigerweise allein an den Verhältnissen nicht behinderter Menschen. Es sei unberücksichtigt geblieben, dass von ihm behinderungsbedingt eine aufwändigere Prothetik benötigt werde. Es stelle eine Ungleichbehandlung zum Nachteil behinderter Menschen dar, wenn von der Beklagten dieser behinderungsbedingte Mehrbedarf nicht übernommen werde. Er hat dazu zahnärztliche Bescheinigungen vorgelegt, in denen es heißt, wegen der geistigen und körperlichen Schwerstbehinderung des Patienten seien besondere Anforderungen an die Stabilität und das Handling der Prothetik zu stellen, welche allein durch eine teleskopierend verankerte Prothese erfüllt werden könnten. Da der Patient über die frontale Restbezahnung im Unterkiefer sehr starke unkontrollierte Kräfte auf die oberen Zähne übertrage, sei zusätzlich zur Cover-Denture-Form der Prothese eine stabile Rückenschutzplatte notwendig gewesen.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 05.08.2009 abgewiesen und zur Begründung der Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe es nicht zu Unrecht abgelehnt, die über den Zuschuss hinausgehenden Kosten und insbesondere die Kosten für die massive Rückenschutzplatte zu übernehmen. Der bewilligte Zuschuss sei zutreffend berechnet worden. Die Notwendigkeit der streitigen zahnärztlichen Versorgung habe ihre Bedingung nicht im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, denn die Versorgung mit einer Rückenschutzplatte sei aufgrund der angeborenen Behinderung des Klägers erforderlich. Es liege damit weder ein Sonderopfer vor, noch könne der Kostenerstattungsanspruch aus Art. 3 des Grundgesetzes – GG – hergeleitet werden, denn es fehle an einer Ungleichbehandlung. Der Kläger habe die gleichen Zuschüsse zum Zahnersatz erhalten wie Nichtbehinderte. Er begehre jedoch mit Verweis auf seine Behinderung eine darüber hinausgehende Leistung.

Gegen das ihm am 11.08.2009 zugestellte Urteil wendet sich der Kläger mit der am 07.09.2009 eingelegten Berufung. Zu deren Begründung trägt er vor, es handele sich um einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 GG, wenn Festzuschüsse nach § 55 SGB V nicht für die behinderungsbedingten Mehrkosten einer Zahnbehandlung gewährt würden, weil damit jedenfalls eine Benachteiligung solcher Versicherter verbunden sei, die – wie er – allein aufgrund ihrer Behinderung eine Versorgung mit einer massiven Rückenschutzplatte benötigten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 05.08.2009 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 18.07.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.05.2008 zu verurteilen, weitere Kosten für die zahnärztliche Versorgung nach dem Heil- und Kostenplan vom 22.06.2007 in Höhe von 458,65 Euro zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und verweist zudem auf ihre Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid.

Die den Vorgang betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten und die Gerichtsakten des Sozialgerichts Dortmund zum Aktenzeichen S 8 KR 122/08 haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft. Die Berufung war nicht gemäß § 144 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG – beschränkt. Danach bedarf eine Berufung der Zulassung durch das Sozialgericht, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer auf eine Geldleistung gerichteten Klage 750,- EUR nicht übersteigt. Der maßgebliche Wert ergibt sich bei Zahlungsansprüchen aus dem Geldbetrag, um den unmittelbar gestritten wird. Das heißt, maßgebend ist die Leistung, die im Streit ist. Hier hat der Kläger im sozialgerichtlichen Verfahren einen bezifferten – und 750,- EUR übersteigenden – Betrag geltend gemacht. Eine Beschränkung dieses Betrages bei Einlegung der Berufung als dem maßgeblichen Zeitpunkt zur Bestimmung des Wertes des Beschwerdegegenstandes gemäß § 144 SGG ist nicht erfolgt. Erst in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger nach rechtlichen Hinweisen des Gerichts den geltend gemachten Anspruch auf einen unter 750,- EUR liegenden Betrag beschränkt. Eine nachträgliche Beschränkung des Berufungsantrags unter den in § 144 Abs. 1 Nr. 1 genannten Wert lässt eine zuvor gegebene Zulässigkeit der Berufung jedoch nicht entfallen. Unbedeutend ist bei dieser Sachlage, dass der Kläger – rechtlich aufgeklärt – möglicherweise von Anfang an nur den geringeren Betrag eingeklagt hätte, denn es fehlen jegliche Anhaltspunkte für ein allein, um Zugang zum Berufungsverfahren zu gelangen, zunächst willkürlich überhöhtes Berufungsbegehren mit späterer Berufungsbeschränkung.

Die Berufung ist nicht begründet. Dem Kläger stehen gegenüber der Beklagten wegen der zahnprothetischen Behandlung keine weiteren Ansprüche (Kostenerstattungsansprüche) zu.

Die Klägerseite ist zunächst darauf hinzuweisen, dass ihr bisheriges Vorbringen, die Beklagte habe den Mehrbedarf für eine Rückenschutzplatte bei der Ermittlung des Zuschusses völlig unberücksichtigt gelassen, nicht zutreffend ist. Ausweislich der auf dem Heil- und Kostenplan vorgenommenen Zuschussfestsetzung der Beklagten vom 11.07.2007 erfolgte für den Befund 3.1, der auch Kosten einer Rückenschutzplatte umfasst, entsprechend der bereits benannten Festzuschuss-Richtlinie die Bewilligung eines doppelten Festzuschusses in Höhe von 558,82 EUR. Damit hat der Kläger den befundbezogen größtmöglichen Zuschuss erhalten.

Weitere Leistungsansprüche bestehen nicht.

Der Anspruch auf Krankenbehandlung (§ 27 SGB V) wird für Zahnersatz durch die speziellen Regelungen der §§ 55 ff SGB V konkretisiert. Danach erhalten Versicherte befundbezogene Festzuschüsse bei einer medizinisch notwendigen Versorgung mit Zahnersatz. Die Festzuschüsse umfassen grundsätzlich 50 v.H. der nach § 57 Abs. 1 Satz 6 und Abs. 2 Satz 6 und 7 SGB V festgesetzten Beträge. Würde aufgrund der vorgenannten Festzuschüsse eine unzumutbare Belastung des Versicherten eintreten, besteht gemäß § 55 Abs. 2 Anspruch auf einen Betrag in jeweils gleicher Höhe, angepasst an die Höhe der für die Regelversorgungsleistungen tatsächlich anfallenden Kosten, höchstens jedoch in Höhe der tatsächlich entstandenen Kosten. Auch der zuletzt genannte Betrag (doppelter Festkostenzuschuss) ist von der Beklagten dem Kläger bewilligt worden.

Darüber hinausgehende Zuschüsse für einen behinderungsbedingten Mehrbedarf sehen die abschließenden gesetzlichen Regelungen nicht vor, so dass es an einer Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers fehlt und im Ergebnis auch offenbleiben kann, ob und in welcher Höhe tatsächlich ein mit der Behinderung des Klägers verbundener Mehrbedarf bestanden hat.

Gemäß § 56 SGB V erfolgt die Festsetzung der Regelversorgungen in Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses. Dabei wird dem jeweiligen Befund eine zahnprothetische Regelversorgung zugeordnet, welche sich an zahnmedizinisch notwendigen zahnärztlichen und zahntechnischen Leistungen zu orientieren hat, die zu einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung mit Zahnersatz gehören. Den Befunden wird mithin eine zahnprothetische Regelversorgung zugeordnet, nach der wiederum der jeweilige Festzuschuss bemessen wird. Dieser Festzuschuss ist unabhängig davon, welche Leistung im einzelnen Behandlungsfall tatsächlich notwendig ist (vgl. Hess in Kasseler-Kommentar, Stand Juli 2009, § 56 RdNr 2). Dies ergibt sich bereits aus der Gesetzesbegründung. In der Bundestagsdrucksache 15/1525 S. 91f heißt es: “Befundbezogene Festzuschüsse stellen nicht auf die medizinisch notwendige Versorgung im Einzelfall, sondern auf prothetische Regelversorgung bei bestimmten Befunden ab. Unabhängig von der tatsächlich durchgeführten Versorgung erhalten Versicherte zukünftig einen Festzuschuss, der sich auf die vom Gemeinsamen Bundesausschuss festgelegten Befunde bezieht.”

Dass der doppelte Festzuschuss für den auch eine Rückenschutzplatte umfassenden Befund 3.1 bei weitem nicht die dem Kläger tatsächlich entstandenen Kosten für die diesbezüglich für ihn erstellte Prothetik erreicht, beruht zudem jedenfalls im Wesentlichen nicht auf einem behinderungsbedingten Mehraufwand. Maßgeblich dafür ist vielmehr die auf ausdrücklichen Wunsch des Klägers verwendete hochgoldhaltige Edelmetalllegierung, die bei Kosten von 36,83 EUR pro Gramm nach den Angaben des V-klinikums N vom 27.03.2009 allein für die Rückenschutzplatte zu einem Materialverbrauch von 23,5 Gramm und damit zu Mehrkosten von 865,50 EUR geführt hat. Diese Versorgung übersteigt jedoch das Maß des medizinisch Notwendigen und kann deshalb keine Einstandspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung begründen. In § 55 Abs. 1 Satz 2 2.Halbs. SGB V wird ausdrücklich bestimmt, dass Versicherte bei der Wahl eines über die Regelversorgung hinausgehenden gleich- oder andersartigen Zahnersatz gleichwohl höchstens den doppelten Festkostenzuschuss erhalten können.

Der Kläger kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, die hochgoldhaltige Edelmetalllegierung stelle für ihn – auch aus behinderungsbedingten Gründen – eine bessere, haltbarere und damit auf Dauer sogar kostengünstigere Versorgung dar. Die verfassungsgemäße (vgl. BSG Urteil vom 08.03.1995 – 1 RK 7/95) Beschränkung von Zahnersatzleistungen auf einen Zuschuss durch sich an der Regelversorgung orientierende befundbezogene Festbeträge stellt – wie bereits dargelegt – gerade nicht auf die wegen der Besonderheiten des Einzelfalls individuell notwendig werdende Versorgung ab. Damit können sich auch die Angaben des V-klinikums N im Schreiben vom 23.02.2010, der Kläger habe sich für eine hochgoldhaltige Edelmetalllegierung entschieden, weil aufgrund seiner sehr schweren Behinderung eine kontrollierte zahnärztliche Behandlung regelmäßig nur in Vollnarkose möglich sei und deshalb eine besonders langlebige und wartungsarme Prothetik für ihn von besonderer Bedeutung sei, im Ergebnis nicht zu seinen Gunsten auswirken.

Der Erheblichkeit dieses Vorbringens steht zudem die Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 06.10.1999, B 1 KR 9/99 R – zitiert nach juris) entgegen, wonach die gesetzlichen Regelungen einen höheren Zuschuss auch für den Fall nicht vorsehen, dass die Versorgung mit Zahnersatz aus anderen als zahnmedizinischen Gründen erforderlich ist bzw. andere als zahnmedizinische Gründe eine aufwändigere Versorgung erfordern. Die Beschränkung der Leistungsansprüche gemäß §§ 55 ff SGB V knüpft an den Gegenstand (Zahnersatz) und nicht an die Ursache des Behandlungsbedarfs an. Im Gesetz wird deshalb von medizinisch – und nicht von zahnmedizinisch – notwendiger Versorgung gesprochen. Aufgrund der abschließenden Gesetzesregelung ist auch ein Rückgriff auf die allgemeinen Bestimmungen über die Verschaffung ärztlicher bzw. zahnärztlicher Behandlung als Sach- und Dienstleistung ausgeschlossen.

Der Senat schließt sich nach eigener Prüfung der vorgenannten Rechtsprechung des BSG (aaO) an und ist mit diesem Gericht der Auffassung, dass auch in besonders gelagerten Einzelfällen eine teleologische Reduktion der Zuschussregelungen mit der Folge weiter-gehender Leistungsansprüche nicht in Betracht kommt. Denn seitdem der Gesetzgeber zahnmedizinische Ansprüche im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung in den wesentlichen Einzelheiten selbst festgelegt hat, können Krankenkassen und Gerichte nicht mehr als befugt angesehen werden, sich bei Zahnersatzleistungen unter Berufung auf besondere medizinische Zusammenhänge über die eindeutige gesetzliche Beschränkung auf einen bestimmten Kostenanteil hinwegzusetzen und dem Gesetz eine weitergehende Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung mit der Folge eines geringeren oder ganz entfallenden Eigenanteils des Versicherten zu entnehmen. Diese Rechtslage stellt auch keine verfassungswidrige Benachteiligung behinderter Menschen dar, worauf vom Senat bereits im Beschluss über die Ablehnung von Prozesskostenhilfe, auf den insoweit ausdrücklich Bezug genommen wird, hingewiesen wurde.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.