Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 5 KR 142/04

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen

Urteil vom 30.03.2006 (nicht rechtskräftig)

Sozialgericht Münster S 11 KR 215/00
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 5 KR 142/04
Bundessozialgericht B 3 KR 20/07 R

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 25.03.2004 geändert. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 81.688,31 Euro nebst Zinsen in Höhe von 2 %-Punkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 27.12.2000 zu zahlen. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der klagende Krankenhausträger verlangt von der beklagten Krankenkasse die Zahlung von 81.688,31 Euro für die stationäre Behandlung der beigeladenen Versicherten der Westfälischen Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, N (WKPP), in dem Zeitraum vom 19.08.1996 bis 04.11.1997.

Die am 00.00.1933 geborene und bei der Beklagten krankenversicherte Beigeladene hält sich seit dem 31.08.1949 wegen einer Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis in stationären Einrichtungen auf. Von 1973 an befand sie sich ununterbrochen auf der Station 20.2 der Westfälischen Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie (WKPP), die ausschließlich für Krankenhausbehandlung vorgesehen ist. Hier hatte sie vor dem streitigen Zeitraum zuletzt vom 01.05.1990 bis 30.05.1995 stationäre Krankenhausbehandlung erhalten, deren Kosten von der Beklagten getragen wurde. Anfang 1998 wurde sie in den Wohnverbund der WKPP verlegt.

Am 05.07.1996 beantragte die WKPP erneut die Kostenübernahme der stationären Krankenhausbehandlung für die Zeit ab 25.06.1996. Die Beklagte erteilte eine Kostenübernahmeerklärung bis zum 18.08.1996. Auf die von der WKPP gestellten Kostenverlängerungsanträge vom 30.07.1996 und 22.10.1996 holte die Beklagte ein Gutachten des Dr. N, Medizinischer Dienst der Krankenversicherung (MDK), ein. Der Sachverständige gelangte unter dem 09.06.1997 zu dem Ergebnis, dass eine weitere Kostenübernahme zunächst nicht empfohlen werden könne, weil der Behandlungsschwerpunkt auf soziotherapeutischen Maßnahmen sowie ergotherapeutischen Maßnahmen i.S.d. Trainierens alltagspraktischer Fertigkeiten liege. Dies rechtfertige keine Krankenhausbehandlung. Dr. O, WKPP, entgegnete mit Schreiben vom 07.07.1997: Die Beigeladene leide unter Beeinflussungs- und Beziehungsideen, Wahnvorstellungen und Halluzinationen. Sie sei im Antrieb und Affekt gestört. Immer wieder komme es zu aggressiven Übergriffen. Aus diesem Grunde werde sie sozio-, psycho- und psychopharmakotherapeutisch behandelt. Dies geschehe mit erheblichem ärztlichem und pflegerischem Aufwand. Sie erhalte eine mehrdimensionale Einzelbehandlung bzw. eine gruppentherapeutische Förderung mit der Zielsetzung der Stabilisierung von Antrieb und Affekt sowie der Erweiterung kognitiver sozialer und lebenspraktischer Kompetenzen.

Die Beklagte zog die Krankenunterlagen über die Beigeladene bei und holte ein weiteres Gutachten des MDK ein: Dr. X gelangte im Gutachten vom 17.06.1999 zu dem Ergebnis, dass die Aufnahme in die WKPP wegen eines akuten schizophrenen Schubes notwendig gewesen sei, da ein ausgeprägtes Rezidiv mit akuter psychotischer Symptomatik bestanden habe. Dr. B, MDK, stellte dagegen in dem Gutachten vom 27.06.2000 fest, dass die therapeutischen Möglichkeiten bei der Beigeladenen ausgeschöpft gewesen seien; die Notwendigkeit stationärer Krankenhausbehandlung sei nicht gegeben. Daraufhin verweigerte die Beklagte die Übernahme weiterer Kosten der stationären Behandlung.

Der Kläger hat am 27.12.2000 Klage vor dem Sozialgericht Münster erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen: Die stationäre Behandlung der Beigeladenen sei während des gesamten Zeitraums erforderlich gewesen, weil ein akutes Krankheitsbild vorgelegen habe. Aufgrund dieser Behandlung sei die Unterbringung der Beigeladenen in einer betreuten Wohngruppe möglich geworden.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 81.688,31 Euro zu zahlen nebst 4 % Zinsen ab dem 22.12.2000.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat darauf verwiesen, dass die Krankenhausbehandlung auf der selben Station erfolgt sei, auf der sich die Versicherte schon seit dem Jahre 1981 befunden habe. Der Krankengeschichte sei zu entnehmen, dass die Beigeladene auch vor Beginn der streitigen stationären Behandlung ähnliche Verhaltensweisen gezeigt habe, die aber nicht Anlass zur stationären Krankenhausbehandlung gegeben hätten. Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens der Dr. L, F. Die gerichtliche Sachverständige ist in dem Gutachten vom 23.05.2003 zu dem Ergebnis gelangt, dass in dem streitigen Zeitraum eine stationäre Krankenhausbehandlung der Beigeladenen nicht notwendig gewesen sei. Wegen der Einzelheiten der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten der Dr. L Bezug genommen.

Das Sozialgericht Münster hat die Klage durch Urteil vom 25.03.2004 abgewiesen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.

Gegen das ihm am 21.07.2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 18.08.2004 Berufung eingelegt. Zur Begründung bringt er vor: Bei der Versicherten habe ein äußerst schweres Krankheitsbild vorgelegen. Ein Heim, in dem sie adäquat hätte versorgt werden können, habe im Bereich der Klinik in Münster lange Zeit nicht existiert, so dass die Beigeladene stets auf der Station 20.2 verblieben sei. Erst mit der Errichtung des Wohnverbundes sei Anfang 1998 eine Verlegung der Beigeladenen möglich geworden. Im Juni 1996 habe das Zustandsbild der Versicherten einen akuten Schub erfahren, der eine solche Intensivierung der ärztlichen und pflegerischen Bemühungen notwendig gemacht habe, die ausschließlich unter vollstationären Bedingungen zu leisten gewesen seien. Dies habe die gerichtliche Sachverständige verkannt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 25.03.2004 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, 81.688,31 Euro nebst Zinsen in Höhe von 2 % über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 27.12.2000 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen. hilfsweise Frau N als Zeugin zu vernehmen zu der Frage, woher ihr am 19.06.1996 bekannt war, dass die Beigeladene am 25.06.1996 wieder krankenhausbehandlungsbedürftig sei, und Dr. O dazu zu vernehmen,

a) was für ihn Veranlassung zu dem Bericht vom 25.06.1996 war und welche Veränderung im Krankheitsbild dazu geführt haben,

b) weshalb die von ihm in diesem Bericht angekündigten therapeutischen Maßnahmen dann doch bei Weitem nicht in dem dort erwähnten Umfang stattgefunden haben,

c) weshalb insbesondere die für erforderlich gehaltene Umstellung der Medikation dann doch nicht täglich, sondern nur halbjährlich stattgefunden hat,

d) welche therapeutischen Optionen ihm nach der vorangegangenen (zuletzt) fünfjährigen Behandlung prognostisch noch zu einer Linderung oder Änderung des Krankheitsbildes geeignet erschienen und inwieweit diese Optionen nur in einem Krankenhaus umgesetzt werden konnten und inwieweit das tatsächlich geschehen ist,

e) wodurch sich die anschließende Behandlung in dem Pflegeförderzentrum von der Behandlung im streitigen Zeitraum unterschieden hat.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen Dr. L eingeholt. Unter dem 21.11.2005 hat die Sachverständige ausgeführt, dass eine vom Gesamtkrankheitsverlauf deutlich abgrenzbare akute Verschlechterung des zweifellos sehr schweren Krankheitsbildes der Beigeladenen ab Juni 1996 nicht dokumentiert sei. Eine stationäre Behandlungsbedürftigkeit sei nicht zu begründen. Auf den weiteren Inhalt der ergänzenden Stellungnahme wird Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Krankenblattunterlagen des Klägers verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Beklagte hat die Kosten der stationären Behandlung der Beigeladenen auch für den Zeitraum vom 19.08.1996 bis 04.11.1997 in Höhe von 81.688, 31 EUR zu übernehmen und Zinsen in Höhe von 2 % – Punkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank ab dem 27.12.2000 zu zahlen.

1. Die auf die Zahlung der stationären Behandlungskosten der Beigeladenen im Zeitraum vom 19.08.1996 bis 04.11.1997 gerichtete Berufung ist gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und auch sonst zulässig. Die Klage ist als Leistungsklage i.S.d. § 54 Abs. 5 SGG zulässig, da es sich um ein Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis handelt (BSG SozR 3?2500 § 112 Nr. 1; SozR 4?5565 § 14 Nr. 3).

2. Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs des Krankenhauses ist § 109 Abs. 4 Satz 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) i.V.m. dem aus § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V folgenden Leistungsanspruch des Versicherten. Die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse entsteht unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten. Bei einem zugelassenen Krankenhaus i.S.d. § 108 SGB V ist die Krankenkasse als Korrelat zu dessen Behandlungspflicht auch bei Fehlen weiterer vertraglicher Vereinbarungen zur Bezahlung der normativ bzw. vertraglich festgelegten Entgelte verpflichtet (BSG SozR 3?2500 § 112 Nr. 2). Zur rechtlichen Begründung des Vergütungsanspruchs eines Krankenhauses bedarf es daher keines Rückgriffs auf den auf Landesebene gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V geschlossenen Vertrag (Senatsurteil vom 06.05.2004, Az.: L 5 KR 197/03; Urteil vom 03.02.2005, Az.: L 5 KR 1/04).

Die Beklagte hat die Kosten der stationären Krankenhausbehandlung, die der Höhe nach nicht streitig sind, zu tragen, denn diese Behandlung war erforderlich (§ 39 SGB V).

a) Die Beigeladene leidet an einer chronischen psychiatrischen Erkrankung mit erheblichen Verhaltensauffälligkeiten. Bei ihr besteht – wie auch die Sachverständige festgestellt hat – eine seit mehreren Jahrzehnten bekannte Schizophrenie, die von Wahnhaftigkeit, Halluzinationen, Erregungszuständen, nächtlicher Unruhe sowie körperlicher und verbaler Aggressivität begleitet wird.

Die Schizophrenie ist nach heutigem allgemein anerkannten wissenschaftlichem Standard auch bei langanhaltendem chronifizierten Dauerzustand einer Erkrankung, die medizinisch-ärztlich beeinflussbar ist. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) jüngst ausführlich unter Hinweis auf die von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde herausgegebene „Behandlungsrichtlinie Schizophrenie“ und auf zahlreiche weitere Belege überzeugend dargelegt (Urteil vom 16.02.2005, Az.: B 1 KR 18/03 R = SozR 4-2500 § 39 Nr. 4). Diesen Ausführungen schließt sich der erkennende Senat an. Anhaltspunkte dafür, dass die Erkrankung der Beigeladenen ausnahmsweise einen therapieresistenten Zustand erreicht hat, sind nicht vorhanden. Wenn die Sachverständige insoweit auf einen nahezu unveränderten Zustand der Beigeladenen in einer geschlossenen psychiatrischen Abteilung hinweist, ist dies – da auch die Verhütung der Verschlimmerung einer Erkrankung und die Linderung der Beschwerden die Behandlungsbedürftigkeit begründet – wenig überzeugend. Außerdem würdigt sie insoweit nicht hinreichend, dass psychiatrische Erkrankungen – wie auch die der Klägerin – oft in Schüben und Wellenlinien verlaufen, die dann besonderer Behandlung bedürfen (vergl. auch BSG, Urteil vom 20.01.2005). Problematisch kann im Fall der Beigeladenen nur sein, ob eine Behandlung stationär erfolgen musste oder ambulant etwa in einem Pflegeheim oder einer betreuten Wohneinrichtung hätte erbracht werden können (vergl. BSG, Urteil vom 16.02.2005, aaO).

b) Die Behandlung dieser Erkrankung mit den Mitteln des Krankenhauses war auch im Zeitraum vom 19.08.1996 bis zum 04.11.1997 erforderlich und ist fachgerecht durchgeführt worden (vgl. BSG, Urteil vom 20.01.2005, Az.: B 3 KR 9/03 R).

aa) Eine Krankenhausbehandlung hat in dem streitigen Zeitraum stattgefunden. Krankenhäuser sind „Einrichtungen, die der Krankenhausbehandlung oder Geburtshilfe dienen, fachlich-medizinisch unter ständiger ärztlicher Leitung stehen, über ausreichende, ihrem Versorgungsauftrag entsprechende diagnostische und therapeutische Möglichkeiten verfügen und nach wissenschaftlich anerkannten Methoden arbeiten und mit Hilfe von jederzeit verfügbarem ärztlichem Pflege-, Funktions- und medizinisch-technischem Personal darauf eingerichtet sind, vorwiegend durch ärztliche und pflegerische Hilfeleistung Krankheiten der Patienten zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten, Krankheitsbeschwerden zu lindern oder Geburtshilfe zu leisten“ (§ 107 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 SGB V). Besondere Mittel des Krankenhauses sind insbesondere eine apparative Mindestausstattung, besonders geschultes Pflegepersonal und ein jederzeit präsenter und rufbereiter Arzt (BSG, SozR 4-2500 § 39 Nr. 2 Rdnr. 16; BSGE 83, 254, 259 = SozR 3-2500 § 37 Nr. 1). Die WKPP ist ein zugelassenes Krankenhaus. Die Beigeladene wurde auf der Station 20.2 behandelt, die – was auch von der Beklagten nicht bestritten wird – in dem maßgeblichen Zeitraum ausschließlich für Behandlungen mit den Mitteln des Krankenhauses, nicht etwa auch für Rehabilitationsmaßnahmen oder bloße Pflegemaßnahmen vorgesehen war (insoweit unterscheidet sich die vorliegende Fallkonstellation von derjenigen, die dem Urteil des erkennenden Senats vom 15.12.2005, Az. L 5 KR 162/04, zugrunde lag). Unerheblich ist insoweit, dass die Beigeladene bereits seit Jahrzehnten in der WKPP auf dieser Station gelebt hat und dass dieser Zeitraum wegen des Fehlens der permanenten Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung nicht durchgehend von der Beklagten finanziert worden ist.

Diese Feststellungen scheinen nach der jüngeren Rechtsprechung des 3. Senats des BSG für die Annahme der Durchführung einer Krankenhausbehandlung im Falle einer schweren psychiatrischen Krankheit auszureichen (BSG, Urteil vom 20.01.2005, aaO). Die Abgrenzung zwischen vollstationärer Krankenhausbehandlung und den übrigen Formen der Krankenbehandlung (stationäre Rehabilitation, ambulante Behandlung bei stationärer Pflege) ist nämlich bei langanhaltenden schweren psychiatrischen Leiden in der Regel schwierig. So ist in der Rechtsprechung schon seit langem anerkannt, dass bei psychiatrischer Behandlung der Einsatz von krankenhausspezifischen Gerätschaften in den Hintergrund und allein schon der notwendige Einsatz von Ärzten, therapeutischen Hilfskräften und Pflegepersonal sowie die Art der Medikation eine stationäre Behandlung begründen kann (BSG, SozR 2200 § 184 Nr. 28, 42). Vor diesem Hintergrund spricht sehr viel dafür, in solchen Fällen allein von der faktischen Behandlung in einer psychiatrischen Abteilung auf die Anwendung von Mitteln des Krankenhauses zu schließen.

Ob diese Schlussfolgerung generell zu ziehen ist, kann hier letztlich dahinstehen, da auch nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme Krankenhausbehandlung durchgeführt worden ist. So hat auch die Sachverständige in ihrem Gutachten vom 06.06.2003 der Sache nach die Anwendung von Mitteln des Krankenhauses bejaht: Es sei davon auszugehen, dass Ärzte, geschultes Pflegepersonal und therapeutische Hilfskräfte zusammen gearbeitet hätten, der Arzt jederzeit rufbereit in die laufende Behandlung eingebunden gewesen sei und die Beigeladene ständig durch psychiatrisch geschultes Pflegepersonal betreut worden sei. Wenn Dr. L gleichzeitig als zweifelsfrei feststellt, dass die pflegerische und nichtärztliche Betreuung im Vordergrund gestanden und eine ärztliche Behandlung nur im Bedarfsfall und bei bestimmten Gelegenheiten erforderlich gewesen sei, so schließt dies die Durchführung einer Krankenhausbehandlung in einer psychiatrischen Station gerade nicht aus, sondern ist hierfür geradezu charakteristisch. Unmaßgeblich ist in diesem Zusammenhang, dass – worauf die Sachverständige hingewiesen hat – die Dokumentation des Krankenhauses lückenhaft und wenig aussagekräftig sei. Maßgeblich ist insofern allein der tatsächliche Geschehensablauf und nicht seine Dokumentation (BSG, Urteil vom 20.01.2005, aaO).

bb) Auch die Erforderlichkeit (Notwendigkeit) der Behandlung der Beigeladenen in einem psychiatrischen Krankenhaus ist zu bejahen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist die Behandlung in einem Krankenhaus erforderlich, wenn die notwendige medizinische Versorgung nur mit den besonderen Mitteln des Krankenhauses durchgeführt werden kann und eine ambulante ärztliche Versorgung nicht ausreicht, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern (vgl. zum Ganzen BSG-Urteil vom 16.02.2005, Az.: B 1 KR 18/03 R m.w.N.). Dabei ist die Notwendigkeit von Krankenhausbehandlung davon abhängig, dass die Behandlung primär dazu dient, eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern (vgl. § 27 Abs. 1 SGB V) und dass gerade bezogen auf eines dieser Behandlungsziele die besonderen Mittel des Krankenhauses erforderlich sind (vgl. BSG SozR 4?2500 § 39 Nr. 2, 14, BSGE 86, 166, 168 = SozR 3?2500 § 112 Nr. 1). Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 16.02.2005, aaO) ist einem Versicherten mit einem schweren psychiatrischen Leiden ein Anspruch auf stationäre Krankenhausbehandlung zuzubilligen, wenn nur auf diese Weise ein notwendiger komplexer Behandlungsansatz erfolgversprechend verwirklicht werden kann, d.h. wenn es auf das Zusammenwirken eines multiprofessionellen Teams aus Diplompsychologen, Sozialpädagogen, Ergotherapeuten und Bewegungstherapeuten sowie psychiatrischem Krankenhauspflegepersonal unter fachärztlicher Leitung ankommt. Auch das Vorliegen eines chronischen, seit Jahren bestehenden Krankheitsbildes, wie bei der Beigeladenen, schließt die Notwendigkeit stationärer Behandlung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht aus (vergl. BSG, Urteile vom 20.01.2005 und 16.02.2005, aaO). Dies wird auch von der Beklagten nicht bestritten, die ja die Kosten des Beginns der Krankenhausbehandlung vom 25.06.1996 bis zum 18.08.1996 wie auch zahlreicher Krankenhausbehandlungen der Beigeladenen zuvor getragen hat.

Die Entscheidung über die Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung trifft der behandelnde Krankenhausarzt, der im Hinblick auf die zu ergreifenden Maßnahmen eine Prognose zu erstellen hat. Diese Prognose muss von der Krankenkasse hingenommen werden, sofern sie vertretbar ist, da der Arzt auch die volle strafrechtliche und zivilrechtliche Verantwortung trägt. Die Prognoseentscheidung ist nur dann nicht vertretbar, wenn sie im Widerspruch zur allgemeinen ärztlichen Erfahrung steht oder medizinische Standards verletzt (BSG, Urteil vom 20.01.2005, aaO).

Die behandelnden Ärzte der Beigeladenen haben aufgrund einer von ihnen festgestellten Befundverschlechterung ab 25.06.1996 Krankenhauspflege verordnet. Die Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung wurde mit einem akuten schizophrenen Schub, der mit aggressiven Ausbrüchen sowie einer Selbst- und Fremdgefährdung verbunden war, begründet. Bezüglich der weiteren Krankenhausbehandlung finden sich in dem Verlaufsbericht des behandelnden Arztes Dr. O kurz vor und in dem streitigen Zeitraum mehrere Beschreibungen von Dekompensationen der Beigeladenen (24.09.1996; 05.11.1996; 07.12.1996; 13.01.1997; 06.02.1997), die teilweise mit Fremdaggressionen einhergingen (14.08.1996; 10.10.1996; 25.03.1997; 30.06.1997; 21.07.1997; 10.08.1997). Hinzu kommt, dass im streitigen Zeitraum die Medikation der Beigeladenen umgestellt wurde. Wenn es zwischen diesen Ereignissen relative stabile Ruhephasen gab, so schätzte der behandelnde Arzt diese Phasen als notwendige Zeiten der Stabilisierung und Enthospitalisierung ein, um letztlich den Übergang der Beigeladenen in einen Wohnverbund zu ermöglichen. Diese prognostische Entscheidung, die Krankenhausbehandlung für notwendig zu halten, ist als vertretbar einzustufen.

Gegen diese Prognose könnte die Krankenkasse lediglich den Einwand erheben, dass der Krankenhausarzt vorausschauend („ex ante“) hätte erkennen können, dass die Beschwerden des Patienten nicht die Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung begründeten, de lege artis also eine Fehlentscheidung getroffen wurde (BSG, Urteil vom 20.01.2005, aaO). Dies ist aber der Beurteilung der gerichtlichen Sachverständigen Dr. L nicht zu entnehmen. Die Sachverständige hat lediglich in der nachträglichen („ex post“) Sicht eine stationäre Behandlung in einem Krankenhaus nicht für notwendig gehalten; auch die Beklagte bzw. der von ihr eingeschaltete MDK hat nicht den Vorwurf einer im Zeitpunkt der Aufnahme bzw. der Gewährung der Behandlung fachlich falschen Entscheidung der Krankenhausärzte erhoben.

Selbst wenn davon auszugehen wäre, dass der Krankenhausarzt eine nicht vertretbare Entscheidung über die Notwendigkeit der Fortdauer der Krankenhausbehandlung getroffen hätte, so wäre die Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit psychiatrisch schwer erkrankter Versicherter nach der jüngeren Rechtsprechung des 3. Senats des BSG, der sich der 1. Senat insofern angeschlossen zu haben scheint, nicht schon bei der rein theoretischen Möglichkeit ambulant-ärztlicher Versorgung zu verneinen. Da die Krankenkasse dem Versicherten die notwendige medizinische Behandlung als Sachleistung schuldet (§ 2 Abs. 2, § 27 SGB V) und dem Versicherten nach § 14 Erstes Buch des Sozialgesetzbuches (SGB I) zur Beratung über seine Rechte und Pflichten aus dem Sozialversicherungsverhältnis verpflichtet ist, muss sie vielmehr eine tatsächlich für die Beigeladene vorhanden gewesene Behandlungsalternative für den streitigen Zeitraum nachgewiesen haben (BSG, Urteil vom 13.05.2004, Az.: B 3 KR 18/03 R = SozR 4-2500 § 39 Nr. 2; Urteil vom 16.02.2005, aaO). Hat der Patient nämlich keine eigene Wohnung oder keinen Platz in einer Einrichtung bzw. einem Pflegeheim, wo er angemessen ambulant-medizinisch versorgt werden kann, so kann er nicht aus dem Krankenhaus entlassen werden. Die stationäre Behandlung ist dann bis zum Aufzeigen einer solchen Behandlungsalternative weiterhin „erforderlich“ im Sinne des § 39 Abs. 1 SGB V (vergl. BSG, Urteil vom 13.05.2004, aaO).

Die Möglichkeit einer konkreten Alternative der ambulanten medizinischen Versorgung der Beigeladenen hat die Beklagte für den streitigen Zeitraum nicht aufgezeigt. Sie hat nach den – von der Beklagten insoweit unwidersprochen unterschriebenen – Darlegungen der Klägerin in ihrem Einflussbereich auch nicht bestanden. Für die dauerhaft behandlungsbedürftigen Patienten mit schwersten Krankheitsbildern und erheblichen Verhaltensauffälligkeiten wurde im Bereich der WKPP erst nach dem streitigen Zeitraum ein sog. Wohnverbund geschaffen, der unmittelbar an die Klinik angeschlossen ist und so die medizinische Versorgung von schwerstkranken Patienten garantiert. Dorthin ist die Beigeladene dann auch verlegt worden.

Auf die Umstellung der stationären Behandlung der Beigeladenen auf einen sog. „Nichtbehandlungsfall“ bei gleichzeitigem weiteren Aufenthalt in der Station 20.2 und der Kostenübernahme durch den Träger der Sozialhilfe kann die Klägerin nicht verwiesen werden. Die Rechtsprechung des 3. Senats zur „konkreten ambulanten Behandlungsalternative“ ist gerade deshalb entwickelt worden, um auch eine adäquate ambulante Versorgung der schwerpsychisch erkrankten Patienten zu fördern. Dieses Ziel würde verfehlt, wenn die stationäre Versorgung bestehen und allein die Kostenträgerschaft wechseln würde.

c) Ferner ist nicht ersichtlich, dass die psychiatrische Behandlung der Beigeladenen nicht fachgerecht erfolgt sein könnte. Soweit die Dokumentation der Behandlung lückenhaft ist, vermag damit allenfalls die rechtliche Konsequenz verbunden sein, dass es hinsichtlich der für den Vergütungsanspruch des Krankenhauses maßgeblichen Tatsachen zu einer Beweislastumkehr kommen könnte (BSG, Urteil vom 20.01.2005, aaO). Dies wäre aber nur dann der Fall, wenn das Krankenhaus durch dieses Verhalten die Sachaufklärung der entscheidungserheblichen Fragen vereitelt hätte. Dies ist jedoch nicht so. Die Frage nach der Art der durchgeführten Behandlung lässt sich auch unabhängig von der Dokumentation beantworten (vergl. oben).

Weitere Sachaufklärung brauchte der Senat nicht vorzunehmen. Die von der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung am 30.03.2006 beantragte weitere Beweiserhebung hätte für den Ausgang des Rechtsstreits keine Bedeutung gewonnen, weil sämtliche dort festzustellenden Tatsachen für die Entscheidung unerheblich sind.

3. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 15 Abs. 1 Satz 3 des Sicherstellungsvertrages. Einwendungen hinsichtlich des Beginns der Verzinsung hat die Beklagte nicht erhoben.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (in der bis zum 01.01.2002 geltenden Fassung).

Der Senat hat dem Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung beigemessen und die Revision zugelassen, weil ihm fraglich erscheint, dass die Rechtsprechung des 3. Senats zur Beurteilung der Notwendigkeit (psychiatrischer) Krankenhauspflegebedürftigkeit als gefestigt anzusehen ist.