Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 5 KR 192/00

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen

Urteil vom 24.04.2001 (rechtskräftig)

  • Sozialgericht Aachen S 6 KR 115/99
  • Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 5 KR 192/00

 

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 28.08.2000 wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Beklagten in beiden Rechtszügen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Klägerin ein weiterer Vergütungsanspruch für Krankenhausleistungen (Sonderentgelte) in Höhe von 1.362,40 DM zusteht.

Die bei der Beklagten versicherte M … S … (Versicherte) befand sich vom 03.04.1997 bis 21.04.1997 in stationärer Behandlung der Klägerin. Am 03.04.1997 erfolgte eine Linksherzkatheteruntersuchung und am 15.04.1997 eine koronare Ballon-Dilatation (PTCA).

Die Klägerin stellte der Beklagten für die Behandlung der Versicherten mit Schreiben vom 22.04.1997 neben dem Abteilungs- und Basispflegesatz für die Linksherzkatheteruntersuchung das Sonderentgelt 21.01 (1.747,46 DM) und für die PTCA das Sonderentgelt 20.02 (6.666,77 DM) in Rechnung. Die Beklagte zahlte neben den Pflegesätzen anstelle der Sonderentgelte 21.01 und 20.02 das Sonderentgelt 21.02 (7.051,83 DM), mithin einen um 1.362,40 DM geminderten Betrag. Die Beklagte teilte hierzu mit, dass die Sonderentgelte 20.02 und 21.01 nicht parallel abrechnungsfähig seien und stattdessen das Sonderentgelt 21.02 zur Anwendung komme.

Am 15.12.1999 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Aachen erhoben. Zur Begründung hat sie vorgebracht: Da Anspruchsgrundlage nicht § 39 SGB V, sondern § 14 Abs. 3 BPflV sei, habe die Beklagte keine Notwendigkeitsbeurteilung vorzunehmen. In den Abrechnungsbestimmungen werde die angefallene Leistungskonstellation nicht erwähnt. Eine Abrechnung beider Sonderentgelte sei nach den Leistungsdefinitionen nicht ausgeschlossen. Voraussetzung sei jedoch, dass die Linksherzkatheteruntersuchung vor der PTCA in getrennter Sitzung durchgeführt werde. Erst zum 01.01.1998 habe der Verordnungsgeber eine Mehrfachabrechnung ausgeschlossen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.362,40 DM zu bezahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat entgegnet: Mit den Sonderentgelten werde nur der Leistungskomplex eines Behandlungsfalles vergütet. Der in 21.02 definierte Komplex umfasse auch Eingriffe an verschiedenen Tagen. Die bei mehrzeitigen Eingriffen entstehenden höheren Kosten seien im Fallmix berücksichtigt, so dass das Sonderentgelt 21.02 nur einmal pro stationärem Behandlungsfall abrechenbar sei. Mit der ab dem 01.01.1998 geltenden Neufassung der Textdefinitionen sei keine Änderung der Rechtslage erfolgt, sondern lediglich klargestellt worden, dass mit dem Sonderentgelt 21.02 auch die mehrfache Durchführung der definierten Leistung abgegolten sei. Auch der systematische Zusammenhang der Entgeltdefinitionen ergebe, dass das Sonderentgelt 21.02 ein zusammengesetztes Komplexentgelt aus beiden vorhergehenden Sonderentgelten darstelle.

Mit Urteil vom 28.08.2000 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, das Sonderentgelt 21.02 gelte auch die mehrzeitigen Eingriffe ab. Dies sei durch die Rechtsänderung zum 01.01.1998 lediglich klargestellt worden. Eine Neudefinition liege schon deshalb nicht vor, weil der Gesamtpunktwert für dieses Sonderentgelt nicht geändert worden sei.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 14.09.2000 zugestellte Urteil am 12.10.2000 Berufung eingelegt. Sie wiederholt ihr Vorbringen aus dem Klageverfahren und trägt ergänzend vor: Die Leistungsdefinition des Sonderentgeltes 21.02 sei schon grammatikalisch so auszulegen, dass Linksherzkatheteruntersuchung und PTCA während eines Eingriffes erfolgen müssten. Bei zeitlich getrennten Leistungen sei das Sonderentgelt 21.02 weder vor noch nach der gesetzlichen Änderung anwendbar. Der Ausschluss der Parallelabrechenbarkeit beziehe sich nur auf die Mehrfacherbringung des Sonderentgeltes 21.02 selbst.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 28.08.2000 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.362,40 DM zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und entgegnet: Die Leistungsbeschreibung differenziere nicht danach, ob die Leistungen während eines oder mehrerer Eingriffe oder ob sie an einem oder mehreren Gefäßen erbracht würden. Damit seien auch mehrzeitige Eingriffe den Leistungskomplexen der Gruppen 20 und 21 zugeordnet. Ein Sonderentgelt dieser Gruppen sei demzufolge nur einmal je Behandlungsfall abrechenbar. Die Bezeichnung “während des Eingriffs” beziehe sich im Übrigen nur auf die mit dem Sonderentgelt verbundenen Nebenleistungen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie die Abrechnungsunterlagen der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Zutreffend hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Ein weitergehender Vergütungsanspruch der Klägerin besteht nicht.

Die Klage ist als echte Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig (vgl. BSG SozR 3-2500 § 39 SGB V Nr. 4).

Die Klage ist unbegründet, denn die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen (weiteren) Anspruch auf Zahlung von 1.362,40 DM für die Behandlung der Versicherten in der Zeit vom 03.04. bis 21.04.1997.

Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs der Klägerin ist § 112 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V). Nach Abs. 1 dieser Vorschrift schließen die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen gemeinsam mit der Landeskrankenhausgesellschaft Verträge, um sicherzustellen, dass Art und Umfang der Krankenhausbehandlung den Anforderungen des SGB V entsprechen. Die Klägerin ist als Hochschulklinik gemäß § 108 Nr. 1 SGB V in die Versorgung der Versicherten der Beklagten eingebunden. Gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 1 b SGB V regelt der Sicherstellungsvertrag u.a. die Kostenübernahme und Abrechnung der Entgelte.

Die Höhe des Vergütungsanspruchs der Klägerin beurteilt sich nach den Vorschriften der Bundespflegesatz-Verordnung (BPflV) in der hier anzuwendenden Fassung der Vierten Verordnung zur Änderung der Bundespflegesatz-Verordnung vom 17.04.1996 (BGBl. I S. 619). Nach § 1 Abs. 1 BPflV werden die vollstationären Leistungen der Krankenhäuser nach dieser Verordnung vergütet. Was Krankenhausleistungen sind, definiert § 2 BPflV. Die von der Klägerin erbrachten Leistungen gehören unstreitig dazu.

Gemäß § 10 Abs. 1 BPflV werden die allgemeinen Krankenhausleistungen vergütet durch Pflegesätze nach § 11 (Fallpauschalen und Sonderentgelte), einen Gesamtbetrag nach § 12 (Budget) sowie tagesgleiche Pflegesätze nach § 13. Fallpauschalen vergüten die allgemeinen Krankenhausleistungen für einen Behandlungsfall (§ 11 Abs. 1 BPflV). Mit den Sonderentgelten wird nach § 11 Abs. 2 Satz 1, § 14 Abs. 3 Satz 1 ein Teil der allgemeinen Krankenhausleistungen für einen in Anlage 2 bestimmten oder auf Landesebene nach § 16 Abs. 2 vereinbarten Leistungskomplex eines Behandlungsfalles vergütet. Sie umfassen im Rahmen der Leistungsabgrenzung die Kostenarten nach den Nummern 1 bis 4 und 14 in Blatt 1 der Leistungs- und Kalkulationsaufstellung (§ 11 Abs. 2 Satz 2 BPflV) und werden zusätzlich zu dem Abteilungs- und dem Basispflegesatz berechnet (§ 14 Abs. 3 Satz 2 BPflV).

Da die stationäre Behandlung der Versicherten im April 1997 erbracht worden ist, gilt gemäß Art. 1 Nr. 4, Art. 2 der Dritten Verordnung zur Änderung der Bundespflegesatz-Verordnung vom 18.12.1995 (BGBl. I S. 2006) der in Anhang 2 zu Art. 1 Nr. 11 die ser Änderungs-Verordnung abgedruckte Sonderentgelt-Katalog.

Dieser sieht bei Versorgung durch Hauptabteilungen Sonderentgelte wie folgt vor:

Das Sonderentgelt 20.02 (II sonstige therapeutische Maßnahmen, Gruppe 20: Maßnahmen für den Blutkreislauf) betrifft nach dem ICPM-Schlüssel (Spalte 4: Internationale Klassifikation der Prozeduren in der Medizin in der Fassung nach § 301 Abs. 2 SGB V) die Leistung 8-837.0 (Ballon-Dilatation). Textlich erfasst sie folgende Definition: “Dilatation eines oder mehrerer koronarer Gefäße (PTCA): Perkutane, transluminale Dilatation und Rekanalisation von Koronararterien; einschl. der Kontrastmitteleinbringung und Durchleuchtungen während des Eingriffs bei Ein- und Mehr-Gefäßerkrankungen.”

Die diagnostischen Maßnahmen der Gruppe 21 (Untersuchungen der Körpersysteme) enthalten die Sonderentgelt-Nrn. 21.02 und 21.02. Das Sonderentgelt 21.01 betrifft nach dem ICPM die Leistung 1-275.0 bis 2 und erfasst textlich: “Linksherzkatheteruntersuchung mit Koronarangiographie, ggf. mit Anlage eines temporären Schrittmachers, einschl. der Kontrastmitteleinbringung und Durchleuchtungen während des Eingriffs.”

Das Sonderentgelt 21.02 betrifft nach dem ICPM die Leistung 1-275.0 bis 2, kombiniert mit 8-837.0. Die Textdefinition lautet: “Linksherzkatheteruntersuchung bei Ein- oder Mehr-Gefäßerkrankungen mit Koronarangiographie und Dilatation, ggf. mit Anlage eines temporären Schrittmachers, einschl. der Kontrastmitteleinbringung und Durchleuchtungen während des Eingriffs.”

Ausgehend von diesem Sonderentgelt-Katalog und dem Wortlaut des § 11 Abs. 2 BPflV, wonach Sonderentgelte einen bestimmten Leistungskomplex eines Behandlungsfalles vergüten, kann auch bei einer Linksherzkatheteruntersuchung und anschließender PTCA in getrennten Eingriffen, aber während eines stationären Aufenthaltes nur das Sonderentgelt 21.02 abgerechnet werden.

Nach dem ICPM-Schlüssel kombiniert das Sonderentgelt 21.02 die Leistungen 1-275.02 bis 2 (Linksherzkatheter) mit 8-837.0 (Dilatation der Herzkranzgefäße), die sonst als Einzelleistungen in den Sonderentgelten 20.02 und 21.01 genannt sind. Hierbei unterscheidet der ICPM-Schlüssel nicht danach, ob die Einzelleistungen gleich- oder mehrzeitig oder ob sie einmal oder mehrfach während eines stationären Aufenthaltes erbracht werden. Er stellt beim Sonderentgelt 21.02 nur auf die Kombination, nicht auf die zeitliche Reihenfolge ab. Die Textdefinitionen erfassen bei allen drei Sonderentgelten den jeweiligen Ansatz der Maßnahme nur einmal und zwar unabhängig davon, ob sie einmal oder mehrfach erbracht werden. Es wird nicht danach unterschieden, ob eine Ein- oder Mehrgefäßerkrankung vorliegt oder für etwaige Kontrollangiographien erneute Eingriffe erforderlich sind. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass bei einer mehrfachen Erbringung der Einzelleistungen während eines stationären Aufenthaltes das jeweilige Sonderentgelt nicht mehrfach abgerechnet werden kann. Dass dies so ist, ergibt sich nicht nur aus der Vergütungsregelung des § 11 Abs. 2 BPflV für einen Behandlungsfall, sondern auch aus einem Vergleich mit der ab 01.01.1998 geltenden Fünften Verordnung zur Änderung der BPflV vom 09.12.1997 (BGBl. I S. 2874 ff.). Aus drücklich sind in der Neufassung mehrfache Eingriffe während eines stationären Aufenthaltes von der jeweiligen Entgeltdefinition umfasst. Insbesondere sieht das Entgelt 21.02 im letzten Halbsatz der Textdefinition vor, dass es nicht zusätzlich abrechenbar zu den Sonderentgelten 20.02 und 21.01 ist. Der Verordnungsgeber ist lediglich von redaktionellen und klarstellenden Änderungen in der Neufassung ausgegangen (vgl. Bundesrats-Drucks. 802/97 S. 54). Hierfür spricht auch, dass die Bewertungsrelationen unverändert geblieben sind.

Ergibt sich somit, dass der “Eingriff” den jeweils gesamten Leistungskomplex erfasst, unabhängig davon, ob er mehrfach oder mehr zeitig erbracht wird, handelt es sich bei dem Leistungskomplex Linksherzkatheteruntersuchung und Dilatation um einen Eingriff i.S.d. Sonderentgeltnr. 21.02 während eines Behandlungsfalles, ohne dass es darauf ankommt, in welcher zeitlichen Reihenfolge die Einzelleistungen erbracht werden.

Da mit den Sonderentgelten einzelne Leistungskomplexe eines Behandlungsfalles vergütet werden, ist der Behandlungsfall in seiner Gesamtheit, wie er sich bei seinem Abschluss darstellt, zu betrachten. Dies gilt jedenfalls, soweit sich die Krankenhausleistungen auf ein einheitliches Krankheitsgeschehen – wie hier die Herzerkrankung der Versicherten – beziehen. Ein Behandlungsfall, der – wie vorliegend – eine Linksherzkatheteruntersuchung als diagnostische Maßnahme und eine Dilatation als therapeutische Maßnahme erforderlich macht, wird durch diese zwei Maßnahmen nicht zu zwei Behandlungsfällen, sondern bleibt einer. Schon der Wortlaut der Begriffe “Leistungskomplexe” und “Behandlungsfall” sowie die Einbeziehung von Reinterventionen innerhalb eines Sonderentgeltes verdeutlichen, dass durch die Abrechnungsvorschriften eine Aufsplittung in Einzelleistungen eines Behandlungsfalles gerade vermieden werden sollte. Ob die Klägerin die Sonderentgelte 20.02 und 21.01 parallel hätte abrechnen können, wenn die Versicherte – wie ursprünglich vorgesehen – nach der Linksherzkatheteruntersuchung entlassen und für die Dilatation erneut stationär aufgenommen worden wäre und ob damit zwei Behandlungsfälle vorgelegen hätten, kann offen bleiben. Eine solche Abrechnungskonstellation liegt wegen des durchgehenden stationären Aufenthaltes nicht vor.

Dass Linksherzkatheteruntersuchungen während desselben stationären Aufenthaltes vor der Ballon-Dilatation nicht gesondert, sondern nur als Kombinationsentgelt über 21.02 abgerechnet werden können, hat der Senat im Übrigen für die ab 01.01.1998 geltende Rechtslage bereits unter Zulassung der Revision mit Urteil vom 10.04.2001 – L 5 KR 112/00 – entschieden. Dies wird auch in den Kommentierungen überwiegend so gesehen (vgl. Strehlau/Schwoll: Handbuch zur Abrechnung von Krankenhausleistungen, Ausgabe Dezember 1999, Teil 3: Abrechnung von Sonderentgelten/2 zu SE 21.02; Dietz/ Bofinger, Krankenhausfinanzierungsgesetz, Bundespflegesatz-Verordnung, Kommentar Band 1, Stand: Dezember 2000 S. 622, 651 mit Darstellung der auf Länderebene in Baden-Württemberg geltenden “Gemeinsamen Absprache III” zur näheren Ausgestaltung der Abrechnungsregeln nach der BPflV).

Entgegen der Auffassung der Klägerin kann aus der Wendung der Textdefinition “während des Eingriffs” keine andere Schlussfolgerung gezogen werden. Denn diese bezieht sich nur auf die Kontrastmitteleinbringung und Durchleuchtungen und stellt damit klar, dass auch solche Nebenleistungen von dem Sonderentgelt mit umfasst sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 4 Satz 2 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Insbesondere hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG), da es sich durch die Änderung der Rechtslage zum 01.01.1998 mit Ausgestaltung der Abrechnungsvorschriften auf vertraglicher Grundlage nur noch um einen sog. Altfall handelt.