Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 5 KR 39/01

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen

Beschluss vom 08.04.2002 (rechtskräftig)

  • Sozialgericht Dortmund S 44 (12,36) KR 136/96
  • Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 5 KR 39/01

 

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 09.02.2002 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist die Erstattung der Kosten einer Behandlung im Ausland.

Der bei der Beklagten versicherte Kläger litt nach einem Sportunfall im Jahre 0000 an einem Knorpelschaden 4. Grades im linken Knie. Er beantragte am 00.00.0000 die Übernahme der Kosten einer beabsichtigten Behandlung in H. Dort werde von Prof. Q als neuartige Methode zur Behandlung solcher Knorpelschäden eine autologe Knorpeltransplantation (autologe Chondrocytenimplantation (ACT)) durchgeführt. Die Kosten für eine solche Behandlung beliefen sich auf rund 10.000,- DM.

Die Beklagte holte eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) ein. Dr. I führte in seinem Gutachten vom 09.03.1995 aus, bei der ATC handele es sich nicht um eine anerkannte Methode, zudem sei schon ihr theoretischer Ansatz zu bezweifeln. Im Falle des Klägers biete sich die Anwendung bewährter Schulmethoden wie einer Knorpelknochentransplantation en bloc an. Mit Bescheid vom 11.04.1995 lehnte die Beklagte gestützt auf diese Stellungnahme den Antrag des Klägers ab.

Der Kläger ließ sich ab 21.05.1995 durch Prof. Q am H1 Medical Center H behandeln und wurde im Juni 1995 operiert. Für die gesamte Behandlung (einschließlich Nachbehandlung, Fahrt- und Unterkunftskosten) hat er 16.232,66 DM (= 8.299,63 Euro) aufgewendet.

Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, die durchgeführte Operation sei erfolgreich gewesen. Er verwies auf eine Stellungnahme von Prof. Dr. Q vom 23.05.1995, in der dieser ausführte, die Stellungnahme des MDK zum wissenschaftlichen Ansatz der autologen Knorpeltransplantation sei unzutreffend. Richtig sei, dass zur Wirksamkeit der Methode noch keine randomisierte Studie vorliege und die Methode noch nicht wissenschaftlich geprüft sei. Dies gelte aber gleichermaßen für die von Dr. I genannte Alternativmethode.

Die Beklagte holte im Widerspruchsverfahren zwei weitere Stellungnahmen des MDK ein. Dr. I blieb in seiner Stellungnahme vom 20.10.1995 bei seiner Beurteilung, da nach eigener Aussage von Prof. Q die Erprobung der Methode noch nicht abgeschlossen sei und über Qualität und Wirkungsweise noch keine zuverlässige, wissenschaftlich überprüfbare Aussagen gemacht werden könnten. Auch der Arzt für Orthopädie Dr. M bezeichnete in seinem Gutachten vom 05.03.1996 die autologe Knorpeltransplantation als experimentelles Verfahren. Vor allem aufgrund der geringen Fallzahlen stehe der wissenschaftliche Nachweis der Wirksamkeit noch aus. Mit Widerspruchsbescheid vom 24.10.1996 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Im Klageverfahren hat der Kläger unter Aufrechterhaltung seines Vorbringens aus dem Widerspruchsverfahren vorgetragen, die ACT habe inzwischen das experimentelle Stadium verlassen. Sie werde inzwischen auch in der Bundesrepublik an drei Kliniken angewandt.

Das Gericht hat Auskünfte von Dr. M1, St. N-Hospital H2 (Auskünfte vom 05.01.1998 und 24.08.1998), Dr. S, P GmbH E (Auskünfte vom 26.01.1998 und 11.08.1998) und Dr. L, Krankenhaus U, J (Auskünfte vom 04.02.1998 und 25.08.1998) eingeholt. Auf die vorgenannten Unterlagen wird Bezug genommen.

Mit Urteil vom 09.02.2001 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, da die ACT jedenfalls Mitte des Jahres 1995 nicht dem anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprochen habe.

Gegen das ihm am 19.02.2001 zugestellte Urteil hat der Kläger am 14.03.2001 Berufung eingelegt, zu deren Begründung er im Schriftsatz vom 24.01.2002 vorträgt, eine dem allgemeinen Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechende Behandlung sei im Inland nicht möglich gewesen, da die ACT seinerzeit nur im Ausland praktiziert worden sei. Alternative Behandlungsmethoden im Inland seien nicht wissenschaftlich abgesichert gewesen, während demgegenüber die ACT wesentlich bessere Ergebnisse zu verzeichnen gehabt habe. Wie sich aus neuen Veröffentlichungen ergebe, seien inzwischen in Studien gute bis sehr gute Ergebnisse in 70 % der Fälle nachgewiesen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 09.02.2001 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11.04.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.10.1996 zu verurteilen, ihm die durch die Behandlung durch Prof. Q entstandenen Kosten in Höhe von 8.299,63 Euro zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

II.

Der Senat konnte über die zulässige Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Berufsrichter des Senats die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten haben (§ 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Die Beteiligten sind zu dieser Möglichkeit angehört worden.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der ihm durch die Behandlung in T entstandenen Kosten.

Die Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) sind nicht erfüllt. Bei einer Behandlung im Ausland hat die Krankenkasse ausnahmsweise die Kosten dann zu übernehmen, wenn die im Ausland angebotene Behandlung dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse genügt und im Inland keine diesem Standard entsprechende Behandlung der beim Versicherten bestehenden Erkrankung möglich ist (BSG SozR 3-2500 § 18 Nr. 4).

Unabhängig davon, ob 1995 in der Bundesrepublik wissenschaftlich fundierte und zumutbare Methoden zur Behandlung der beim Kläger bestehenden Krankheit grundsätzlich angeboten worden sind und ob ausreichende Behandlungsmöglichkeiten bestanden haben, scheitert der Anspruch daran, dass die von Prof. Dr. Q angewandte Behandlungsmethode jedenfalls im Jahre 1995 nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprochen hat. Die Krankenkasse darf nach Wortlaut und Zweck des § 18 Abs. 1 SGB V die Kosten einer Auslandsbehandlung nur übernehmen, wenn diese dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht. Der Versicherte soll eine dem aktuellen medizinischen Standard entsprechende Behandlung seiner Krankheit auch dann erhalten, wenn eine solche Behandlung in Deutschland aus irgendwelchen Gründen nicht verfügbar ist. Dies bedeutet aber, dass an die wissenschaftliche Akzeptanz der angewandten Behandlungsmethode keine geringeren, aber auch keine höheren Anforderungen zu stellen sind als bei einer Behandlung im Inland (BSG, a.a.O., Seite 18).

Dem von § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V geforderten allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht eine Behandlungsmethode, wenn in der medizinischen Wissenschaft von einzelnen Gegenstimmen abgesehen weitgehend Konsens herrscht. Dies setzt im Regelfall voraus, dass die Therapie sich in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen bewährt hat, wobei sich der Erfolg aus wissenschaftlich einwandfrei geführten Statistiken über die Zahl der Behandlungsfälle und die Wirksamkeit der Methode ablesen lassen muss (BSG SozR 3-2500 § 27 Nr. 5 Seite 12; SozR 3-2500 § 18 Nr. 4 Seite 19). Diese Bedingungen waren im Jahre 1995 nicht erfüllt. Schon Prof. Dr. Q hat in seiner Stellungnahme vom 23.05.1995 eingeräumt, dass eine randomisierte Kontrollstudie gerade erstellt werde und die Methode noch nicht wissenschaftlich geprüft sei (“not yet scientificly proven”). Bestätigt wird dies durch die vom Sozialgericht eingeholten Auskünfte. Dr. M1 hat in der Auskunft vom 05.01.1998 ausgeführt, die autologe Knorpelzelltransplantation befinde sich zur Zeit weiterhin in einem Stadium, das durch wissenschaftliche Studien seine Überlegenheit gegenüber den bisher geübten Verfahren beweisen müsse. Auch Dr. L gibt in der Auskunft vom 25.08.1998 an, die autologe Chondrozytenimplantation sei eine in medizinischen Fachkreisen heftig diskutierte Methode. Schließlich ist auch der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in seinem Beschluss vom 10.04.2000 davon ausgegangen, dass der therapeutische Nutzen der autologen Chondrozytenimplantation nicht belegt sei. Auch wenn diese im Rahmen des § 135 Abs. 1 SGB V ergangene Entscheidung des Bundesausschusses nur für ambulante ärztliche Behandlungen im Inland gilt, bestätigt sie doch, dass der wissenschaftliche Nachweis der Wirksamkeit der hier in Frage stehenden Methode noch aussteht. Jedenfalls zu dem für einen eventuellen Kostenerstattungsanspruch des Klägers maßgeblichen Zeitpunkt der Leistungsinanspruchnahme (vgl. BSG SozR 3-2500 § 135 Nr. 12) entsprach die ACT somit nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse.

Diese Auslegung des § 18 Abs. 1 SGB V ist auch mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vereinbar. Im Urteil vom 12.07.2001 (Smits/ Peerbooms, NZS 2001, 478) hat es der EuGH gebilligt, dass ein Mitgliedsstaat die hinreichende Erprobung und Anerkennung der ärztlichen oder klinischen Behandlung als Kriterium für die Kostenübernahme durch sein System der sozialen Sicherheit fordert und hiervon auch die Genehmigung einer Behandlung im Ausland abhängig macht (a.a.O. Rz. 98). Er hat lediglich verlangt, dass dabei nicht nur die inländischen wissenschaftlichen Erkenntnisse berücksichtigt werden dürfen, sondern auch im Licht der internationalen Wissenschaft beurteilt werden muss, ob die Behandlung als übliche Behandlung angesehen werden kann (a.a.O Rz. 97). Dies ist nach dem deutschen Krankenversicherungsrecht gewährleistet, wie auch der vorliegende Fall zeigt: Dr. M1 würdigt in seiner Stellungnahme vom 05.03.1996 auch eine ausländische Arbeit. Im Übrigen hat Prof. Q selbst in seiner Stellungnahme die im Juli 1995 noch ausstehende wissenschaftliche Prüfung der Wirksamkeit der autologen Knorpeltransplantation eingeräumt, d.h. auch international stand der Nachweis der Wirksamkeit noch aus.

Auch aus Vorschriften des überstaatlichen Rechts lässt sich ein Anspruch des Klägers nicht herleiten. Artikel 22 Abs. 1 lit. c EG-VO 1408/71 macht den Anspruch auf eine Behandlung in einem Mitgliedsstaat der EG von der Genehmigung des zuständigen Trägers abhängig, wobei nach Nr. i die Leistungsgewährung auch nur im Wege der Sachleistungsaushilfe durch den Träger des Leistungsortes erfolgt. Es kann dahinstehen, welche Bedeutung in diesem Zusammenhang dem Umstand zukommt, dass nach der von der Beklagten im Widerspruchsverfahren eingeholten Auskunft der T Verbindungsstelle auch für T Bürger eine Kostenübernahme für die hier in Frage stehende Behandlung nicht in Betracht gekommen wäre. Ein bei rechtswidriger Verweigerung der Genehmigung unter Umständen entstehender Kostenerstattungsanspruch besteht nämlich schon deshalb nicht, weil die Beklagte nach dem oben Gesagten die Genehmigung für eine Auslandsbehandlung gem. Art. 22 Abs. 2 EG-VO 1408/71 zu Recht verweigert hat, weil die ACT nicht zu den nach den deutschen Rechtsvorschriften vorgesehenen Leistungen zählt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.