Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 5 KR 41/97

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen

Beschluss vom 22.06.1998 (rechtskräftig)

  • Sozialgericht Duisburg S 9 Kr 90/96
  • Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 5 KR 41/97
  • Bundessozialgericht B 1 B 33/98 KR

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 11.07.1997 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist die Erstattung der Kosten einer Behandlung nach Professor Tomatis.

Der 1984 geborene Kläger ist über seinen Vater bei der Beklagten versichert. Nach einer Bescheinigung der Kinderärztin Dr. B. besteht bei ihm das Krankheitsbild eines Prader-Willi-Syndroms mit Minderwuchs und Verhaltensauffälligkeiten. Im März 1995 beantragte der Vater des Klägers bei der Beklagten die Übernahme der Kosten einer Behandlung nach Professor Tomatis, die ab 06.03.1995 in einem Behandlungszentrum in Belgien durchgeführt wurde. Der das Zentrum leitende “Tomatis-Therapeut” ist kein Arzt, sondern Hauptschullehrer. Die behandelnde Kinderärztin Dr. B. hielt in einer Bescheinigung vom 02.02.1995 die Behandlung wegen einer Wahrnehmungsstörung für erforderlich und befürwortete eine Befreiung von der Schule für die vom 06. bis 18.03.1995 durchgeführte Behandlung. Nach Beiziehung von Unterlagen und Einholung einer Stellungnahme des MDK (Dr. U.) lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 10.08.1995 die Kostenübernahme für die Tomatis-Therapie ab. Nachdem der Vater des Klägers weitere Unterlagen vorgelegt hatte, hörte die Beklagte erneut Dr. U., der in einem Gutachten vom 12.02.1996 ausführte, bei der Tomatis-Therapie handele es sich nicht um ein anerkanntes Behandlungsverfahren, die Wirksamkeit der Methode sei nicht nachgewiesen. Die Beklagte lehnte mit weiterem Bescheid vom 20.02.1996 erneut die Kostenübernahme ab und wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 13.08.1996 zurück.

Zur Begründung der am 16.09.1996 erhobenen Klage hat der Kläger darauf verwiesen, daß es eine Anzahl von Krankenkassen gebe, die die Kosten übernähmen. Durch die Behandlung seien Erfolge eingetreten. Die Therapie sei vor einer Entscheidung der Beklagten begonnen worden, weil sie dringlich erschienen sei. Man habe das Behandlungszentrum in Belgien gewählt, weil dort die Behandlung am kostengünstigsten durchgeführt werde.

Das Gericht hat eine Auskunft des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen Arbeitsausschuß “NUB-Richtlinien” eingeholt, der mitgeteilt hat, der Ausschuß habe sich mit der Tomatis-Therapie bisher nicht befaßt.

Mit Urteil vom 11.07.1997 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen.

Der Kläger hat gegen das ihm am 09.08.1997 zugestellte Urteil am 09.09.1997 Berufung eingelegt. Er wiederholt seine Auffassung, daß die Therapie erforderlich und erfolgreich gewesen sei. Zur Wirksamkeit der Behandlungsmethode verweist er auf ein “Grundsatzgutachten” von Dr. F.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 11.07.1997 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 10.08.1995 und 20.02.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.08.1996 zu verurteilen, die Kosten der Tomatis-Therapie zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und weist darauf hin, das auch nach dem vom Kläger vorgelegten Gutachten von Dr. F. die Wirksamkeit der streitigen Therapie durch statistisch gesicherte wissenschaftlich-medizinische Arbeiten noch nicht belegt ist.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

II.

Der Senat konnte nach Anhörung der Beteiligten die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückweisen, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat (§ 153 Abs. 4 SGG).

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten der Tomatis-Therapie.

Nach den hier anwendbaren Vorschriften der EG-VO 1408/71, die die Ruhensregelung des § 16 Abs. 1 Ziffer 1 SGB V verdrängen, besteht allenfalls ein Sachleistungsanspruch gegen den aushelfenden belgischen Krankenversicherungsträger (Artikel 22 Abs. 1 lit.i EG-VO 1408/71). Selbst wenn man davon ausgeht, bei selbstbeschafften Sachleistungen in EG-Staaten komme auch eine Kostenerstattung in Betracht, würde eine Kostenerstattung schon daran scheitern, daß sich der Kläger ohne vorherige Genehmigung der Beklagten gezielt zur Behandlung ins Ausland begeben hat (Artikel 22 Abs. 1 lit.c EG-V0 1408/71).

Ob § 18 Abs. 1 SGB V über seinen Wortlaut hinaus neben der Kostenübernahme auch die Erstattung bereits entstandener Kosten erlaubt, kann dahinstehen. Ein Kostenerstattungsanspruch besteht auch nach dieser Vorschrift nicht. Hinsichtlich der vom 6. bis 18.3.1995 durchgeführten Therapie scheitert die Kostenerstattung bereits daran, daß die Leistung erst am 17.3.1995 beantragt worden ist.

Die Kostenübernahme für die Auslandsbehandlung muß vor Beginn der Behandlung bei der Krankenkasse beantragt werden, denn diese hat nach § 275 Abs. 2 Nr. 3 SGB V die Notwendigkeit der Auslandsbehandlung durch den MDK prüfen zu lassen. Dieser muß auch die Möglichkeit haben, den Versicherten ggf. zu untersuchen (vgl. Mengert in Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 18 Rdnr. 19). Zutreffend weist das LSG Berlin (NZS 1997, 519, 520) auch darauf hin, daß der Versicherte die Entscheidung der Krankenkasse abwarten müsse, um ihr die Möglichkeit zu geben, die Behandlung ggf. in einer durch §§ 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 SGB V gebotenen wirtschaftlichen Form zu gewähren. Im übrigen steht der Kostenerstattung entgegen, daß es sich nicht um eine ärztliche Behandlung im Sinne des § 28 SGB V gehandelt hat. Auch im Rahmen des § 18 Abs. 1 SGB V ist zu fordern, daß die Behandlung ärztlich verordnet wird. In der GKV erstreckt sich der Anspruch auf Krankenbehandlung im Rahmen der ärztlichen Behandlung nur auf die Behandlung durch einen Arzt (§§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 SGB V), Hilfeleistungen anderer Personen gehören nur zur ärztlichen Behandlung, wenn sie vom Arzt angeordnet und von ihm verantwortet sind (§ 28 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Dieser Arztvorbehalt in der GKV ist verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfGE 78, 155, 163; BVerfG, 2. Kammer des 1. Senats, NJW 1998, 1775, 1776). Hier ist die Behandlung in Belgien durch einen nicht ärztlichen Therapeuten eigenverantwortlich durchgeführt worden. Die Kinderärztin Dr. B. hat ersichtlich diese Therapie nicht angeordnet, geschweige denn die ärztliche Verantwortung hierfür übernommen, in dem sie auf Ziele, Umfang und Ablauf der Behandlung Einfluß genommen hätte. Mit der Bescheinigung vom 2.2.1995 hat sie lediglich die Befreiung vom Unterricht befürwortet, aus ihren weiteren Bescheinigungen vom 10.7.1995 und 14.9.1995 ergibt sich nichts dafür, daß sie die Therapie verantwortet hätte. An dem Arztvorbehalt ist auch bei einer Auslandsbehandlung festzuhalten. Zwar soll § 18 Abs. 1 SGB V einer inländischen Systemlücke Rechnung tragen. Da es sich dabei aber um Krankenbehandlung im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V handelt, kann bei einer Auslandsbehandlung nichts anderes gelten als bei einer Behandlung im Inland, so daß in beiden Fällen nur eine ärztliche Behandlung im o.g. Sinne als Leistung in Betracht kommt.

Aus dem Urteil des EuGH vom 28.4.1998 – Rs C – 158/96 (NJW 1998, 1771) ergibt sich keine für den Kläger günstigere Rechtsfolge. Welche Folgerungen aus dem Urteil im einzelnen für das deutsche Krankenversicherungsrecht zu ziehen sind, kann dabei dahinstehen. Der EuGH hat nur entschieden, daß eine Krankenkasse die Kostenerstattung für Leistungen, die in einem anderen Mitgliesdstaat der EG in Anspruch genommen worden sind, dann nicht verweigern kann, wenn sie nach nationalem Recht bei einer Inlandsbehandlung die gleichen Kosten zu erstatten hätte. Bei einer Behandlung im Inland wäre hier aber eine Kostenerstattung ausgeschlossen gewesen, da die Behandlung nicht durch einen Arzt erbracht worden ist; insoweit kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.