Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 5 KR 83/09

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen

Urteil vom 24.09.2009 (rechtskräftig)

  • Sozialgericht Dortmund S 8 KR 5/08
  • Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 5 KR 83/09

 

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 17.03.2009 wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 100,- Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Streitig ist die Zahlung einer Aufwandspauschale in Höhe von 100,- Euro.

Die Klägerin ist Trägerin des St. K Hospitals in U. Dort wurde der bei der Beklagten versicherte I. N. (Versicherter) in der Zeit vom 14.03. bis 15.03.2007 stationär behandelt. Unter Zugrundelegung der DRG G 67 E stellte die Klägerin der Beklagten mit Rechnung vom 02.05.2007 für die Behandlung des Versicherten insgesamt 411,73 Euro in Rechnung. Die Beklagte veranlasste daraufhin unter dem 21.05.2007 eine Überprüfung der Notwendigkeit der stationären Behandlung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK). Nachdem Dr. Q (MDK Nordrhein) die Abrechnung nach Kenntniserlangung von den Nebendiagnosen Tetraparese und Adipositas als ordnungsgemäß erachtet hatte und die Rechnung vollumfänglich beglichen worden war, stellte die Klägerin der Beklagten unter dem 26.09.2007 eine Aufwandspauschale in Höhe von 100,- Euro in Rechnung, die seitens der Beklagten jedoch nicht beglichen wurde.

Am 07.12.2007 hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund erhoben und vorgetragen, die Regelung bezüglich der Aufwandspauschale gemäß § 275 Abs. 1c Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in der ab 01.04.2007 geltenden Fassung finde auf alle Fälle Anwendung, in denen die Rechnung hinsichtlich der stationären Behandlung nach dem Inkrafttreten der Vorschrift zugegangen sei. Da der Gesetzgeber bei der Neuregelung auf den Zeitpunkt der Abrechnung abstelle, sei es unerheblich, dass der stationäre Aufenthalt des Versicherten vor dem Inkrafttreten der Regelung gemäß § 275 Abs. 1c SGB V erfolgt sei. Die Zahlungspflicht habe der Gesetzgeber ausschließlich an die Minderung des Abrechnungsbetrages gebunden, so dass es auch nicht darauf ankomme, wodurch eine Überprüfung veranlasst worden sei, sondern nur mit welchem Ergebnis sie abgeschlossen worden sei. Es liege deshalb auch keine unzulässige Rechtsausübung vor.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 100,- Euro zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie meint, § 275 Abs. 1c SGB V sei nur anwendbar, sofern das Aufnahmedatum bezüglich der stationären Behandlung nach dem 01.04.2007 liege. Mit der Vorschrift habe der Gesetzgeber auf die Krankenkassen einwirken wollen, ihr Fallmanagement umzustellen und Einzelfallprüfungen gezielter und zeitnah einzuleiten. Das Fallmanagement beginne jedoch nicht mit der Rechnungsstellung, sondern mit der stationären Aufnahme des Versicherten, gegebenenfalls sogar früher, falls auf Antrag vorab über die Kostenübernahme zu entscheiden sei. Die Neuregelung könne nur den vollständigen Fall erfassen, der in der Regel mit der Aufnahme beginne. Außerdem könnten die Krankenhäuser das Datum der Rechnungsstellung beeinflussen. Schließlich stelle die Geltendmachung der Aufwandspauschale im vorliegenden Fall eine unzulässige Rechtsausübung dar. Die Klägerin sei nämlich ihrer Pflicht zur vollständigen und korrekten Übermittlung der Daten nach § 301 SGB V nicht nachgekommen. Sie habe es versäumt, die maßgeblichen Neben-diagnosen – Tetraparese und Adipositas – zu melden. Bei einer korrekten Datenübermittlung habe die Beklagte keine Veranlassung gehabt, die Erforderlichkeit der stationären Behandlung in Zweifel zu ziehen.

Durch Urteil vom 17.03.2009 hat das SG die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf die Aufwandspauschale, denn § 275 Abs. 1c SGB V finde nur Anwendung auf ab dem 01.04.2007 begonnene Behandlungsfälle. Aus Gründen der Rechtsklarheit und Praktikabilität könne grundsätzlich nur die zur Zeit der Aufnahme eines Versicherten geltende Rechtslage zur Anwendung kommen. Bei einem alleinigen Abstellen auf den Zeitpunkt der Abrechnung nach dem 01.04.2007 werde überdies dem Krankenhaus eine einseitige Steuerungs- bzw. Missbrauchsmöglichkeit eröffnet. Im Übrigen könne die Klage auch deshalb keinen Erfolg haben, weil es nicht sachgerecht sei, wenn im Fall einer – wie hier – aufgrund unvollständiger Daten ausgelösten Überprüfung das Krankenhaus für den durch die unvollständige Übermittlung ausgelösten Verwaltungsaufwand durch eine Aufwandspauschale entlohnt werde.

Gegen das ihr am 15.04.2009 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 07.05.2009 Berufung eingelegt. Sie wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und trägt ergänzend vor, der Gesetzgeber habe durch die Neuregelung eine zeitnahe Prüfung gewährleisten und Liquiditätsproblemen der Krankenhäuser vorbeugen wollen. Dieses Ziel könne nicht erreicht werden, wenn sämtliche Altfälle mit einem Aufnahmedatum vor dem 01.04.2007 nicht erfasst wären. Die klägerseitig vertretene Auffassung bedeute eine unechte Rückwirkung, die verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich sei. Dem Anspruch auf die Aufwands-pauschale stehe auch keine unzulässige Rechtsausübung entgegen. Die Überprüfung der Abrechnung der Behandlungsfälle diene einzig und allein der Kontrolle. Eine Schadenser-satz- oder Aufwandsentschädigungsregelung zu Gunsten der Krankenkassen habe der Gesetzgeber nicht geschaffen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 17.03.2009 zu ändern und nach ihrem Klageantrag zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erachtet das angefochtene Urteil für zutreffend. Mittlerweile habe auch das Bundessozialgericht klargestellt (Urteil vom 16.12.2008 – B 1 KN 1/07 KR R -), dass Nichts für die Rückwirkung der Neuregelung spreche. Im Übrigen stehe der Geltendmachung der Aufwandspauschale hier auch der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen. Zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen bestehe eine öffentlich-rechtliche Dauerbeziehung, die gegenseitige Rücksichtnahme und Einhaltung einer erhöhten Sorgfaltspflicht auf beiden Seiten bei der Abwicklung des Tagesgeschäfts beinhalte.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach-und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung der Aufwandspauschale in Höhe von 100,- Euro.

Als Anspruchsgrundlage des Begehrens der Klägerin kommt lediglich § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V in Betracht, der mit Wirkung vom 01.04.2007 durch Art. 1 Nr. 185 Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung – GKV-WSG – vom 26.03.2007 eingefügt wurde. § 275 SGB V in der bis zum 31.03.2007 geltenden Fassung enthielt keine Anspruchsgrundlage für die Zahlung einer Aufwandspauschale.

§ 275 Abs. 1c SGB V, der in Satz 1 bis 3 Einzelheiten, besondere Pflichten und eine sechswöchige Ausschlussfrist für die Einleitung einer Einzelfallprüfung sowie eine Aufwandspauschale bei fehlender Minderung des Abrechnungsbetrages, regelt und gemäß Art. 46 Abs. 1 GKV-WSG am 01.04.2007 in Kraft getreten ist, findet jedoch auf Behandlungsfälle, in denen die Krankenhausbehandlung – wie hier – vor dem 01.04.2007 abgeschlossen wurde, keine Anwendung.

Dies folgt zum einen aus dem Regelungsgehalt der Norm. § 275 Abs. 1c SGB V enthält spezielle Regelungen für Prüfungen durch den MDK bei Krankenhausbehandlungen nach § 39 SGB V. Entscheidend ist mithin das Vorliegen einer Krankenhausbehandlung. Ausgehend davon, dass der Vorschrift keine Rückwirkung zukommt (vgl. BSG Urteil vom 16.12.2008 – B 1 KN 3/08 KR R -; Urteil vom 30.11.2008 – B 3 KN 4/08 KR R -), werden vor dem 01.04.2007 abgeschlossene stationäre Behandlungen nicht erfasst werden (vgl. ebenso Sächsisches LSG Beschluss vom 25.04.2008 – L 1 B 198/08 KR ER -; SG Koblenz Urteil vom 24.09.2008 – S 6 KR 328/07 -; ähnlich auch die Rahmenempfehlung zu Fragen der Umsetzung des KHRG zwischen dem GKV-Spitzenverband und der Deutschen Krankenhausgesellschaft vom 25.03.2009 hinsichtlich der erhöhten Aufwandspauschale).

Für diese Ansicht sprechen zum anderen auch Sinn und Zweck der Vorschrift. Nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers wurde mit der Vorschrift ein Bürokratieabbau für die Zukunft angestrebt. Es sollte ein Anreiz geschaffen werden, “um Einzellfallprüfungen zukünftig zielorientierter und zügiger einzusetzen”. Dabei wurde zudem eine Aufwandspauschale eingeführt, “um einer ungezielten und übermäßigen Einleitung von Begutachtungen entgegenzuwirken” (vgl. BT-Drucksache 16/3100 S. 171). Dies verdeutlicht die Ausrichtung der Vorschrift auf die Zukunft. Hinzu kommt, dass es sich bei der Krankenhausbehandlung um den Zeitpunkt handelt, der einer maßgeblichen Steuerungsmöglichkeit durch die Beteiligten entzogen ist.

Soweit die Auffassung vertreten wird, § 275 SGB V stelle auf die Prüfung durch den MDK ab und die Regelung gemäß § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V finde deshalb auf alle Fälle Anwendung, in denen die Prüfung durch den MDK ab dem 01.04.2007 erfolgt sei (vgl. LSG Baden-Württemberg Urteil vom 19.05.2009 – L 11 KR 5231/08 -; SG München Urteil vom 28.02.2008 – S 43 KR 806/07 -; SG Köln Urteil vom 29.07.2009 – S 34 (5) KR 514/08 -), vermag diese Ansicht nicht zu überzeugen. Zum einen stellt die Vorschrift – wie dargelegt – im Wesentlichen auf die Krankenhausbehandlung ab und zum zweiten führt die obige Auffassung für zahlreiche Sachverhaltskonstellationen zu einer echten Rückwirkung, die jedoch – auch nach Auffassung der Klägerin – nicht zulässig wäre. Bezöge man die Neuregelung auf sämtliche Prüfungen ab dem 01.04.2007, führte dies nämlich in den Fällen, in denen sowohl die Behandlung als auch die Rechnungsstellung vor dem 01.04.2007 stattfanden, entweder zum Verlust des Prüfungsrechts wegen Ablaufs der sechswöchigen Ausschlussfrist gemäß § 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V bzw. zur Verkürzung der dortigen Ausschlussfrist oder aber zur Notwendigkeit die Vorschrift praeter legem auszulegen, wofür hier aber keine Handhabe besteht (vgl. dazu im Einzelnen Sächsisches LSG a.a.O.).

Soweit in der Entscheidung des LSG Baden-Württemberg vom 19.05.2009 (a.a.O.) obiter dictum die Auffassung vertreten wird, § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V finde Anwendung auf alle Fälle, in denen die Prüfung durch den MDK ab dem 01.04.2007 erfolge, während dies für die Ausschlussfrist gemäß § 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V durchaus anders sein könne, wird nicht hinreichend berücksichtigt, dass § 275 Abs. 1c SGB V in sämtlichen Sätzen die Prüfung bei Krankenhausbehandlung regelt. Die Aufwandspauschale gemäß Satz 3 bezieht sich nach dem Wortlaut auf Prüfungen gemäß Satz 1 und Satz 2. Eine unterschiedliche Bewertung ein und derselben Prüfung einer Krankenhausbehandlung hinsichtlich der Regelungen in § 275 Abs. 1c Satz 1 und 2 SGB V einerseits und § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V andererseits scheidet deshalb aus.

Die Auffassung der Klägerin, § 275 Abs. 1c SGB V sei anwendbar, wenn – wie hier – die Rechnung ab dem 01.04.2007 eingegangen sei, überzeugt ebenfalls nicht. Der gesetzlichen Regelung ist nicht zu entnehmen, dass dem Eingang der Rechnung eine entscheidende Bedeutung für die Anwendbarkeit der Norm zukommen soll. Vielmehr regelt § 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V lediglich, wann eine Prüfung jedenfalls nicht mehr zeitnah i.S.v. § 275 Abs. 1c Satz 1 SGB V ist. Außerdem würden bei einem alleinigen Abstellen auf den Zeitpunkt der Abrechnung ab dem 01.04.2007 dem Krankenhaus durch eine verzögerte Rechnungstellung gegebenenfalls einseitige Steuerungsmöglichkeiten eröffnet.

Da nach alledem ein Anspruch gemäß § 275 Abs. 1 c SGB V ausscheidet, kann offen bleiben, ob und inwieweit im Rahmen des § 275 Abs. 1 c SGB V danach zu differenzieren ist, durch welche Umstände die Prüfung ggf. veranlasst wurde.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil es sich um eine Übergangsproblematik mit nur noch wenigen laufenden Verfahren von überdies geringer wirtschaftlicher Tragweite und daher um keine Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung handelt.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 197a SGG i.V.m. §§ 63 Abs. 2, 47, 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz.