Landessozialgericht Rheinland-Pfalz L 5 KR 200/12

  • L 5 KR 200/12
  • SG Speyer S 17 KR 190/11

Verkündet am: 18.04.2013

LANDESSOZIALGERICHT RHEINLAND-PFALZ

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

Klägerin

gegen

Beklagte

hat der 5. Senat des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz in Mainz aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 18. April 2013 durch

  • Vizepräsident des Landessozialgeriehts Dr. Follmann
  • Richter am Landessozialgerieht Keller
  • Richter am Landessozialgericht Wiemers
  • ehrenamtliche Richterin Dreßing-Steinhübel
  • ehrenamtlichen Richter Brahm

für Recht erkannt:

  1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 20.6.2012 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin wegen der am 16.7.2008 vom MDK durchgeführten Abrechnungsprüfung der stationären Behandlung des Versicherten eine (weitere) Aufwandspauschale von 100,-  € zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.4.2011 zu zahlen.
  2. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen
  3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die klagende Krankenhausträgerin verlangt von der beklagten Krankenkasse eine zweite Aufwandspauschale, nachdem in einem Behandlungsfall eine zweite Abrechnungsprüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) durchgeführt worden war, die nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrags geführt hatte.

Die Klägerin ist Trägerin des nach § 108 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) zugelassenen in dem vom 11. bis 13.2.2008 der bei der Beklagten krankenversicherte (Versicherter) stationär behandelt wurde. Nach Eingang der Rechnung des Krankenhauses bei der Beklagten am 12.3.2008 beauftragte die Beklagte am 28.3.2008 den MDK mit der Prüfung der Notwendigkeit und Dauer der Krankenhausbehandlung. Der MDK führte eine Einzelfallprüfung mit Begehung des Krankenhauses der Klägerin am 23.4.2008 durch und kam zu dem Ergebnis, dass die Notwendigkeit der stationären Behandlung und die Verweildauer im Krankenhaus medizinisch nachvollziehbar seien. Die Beklagte zahlte die hierauf von der Klägerin in Rechnung gestellte Aufwandspauschale nach § 275 Abs. 1c SGB V in Höhe von 100,-  € am 9.6.2008. Am 4.6.2008 beauftragte die Beklagte erneut den MDK mit der Prüfung, ob während des stationären Aufenthalts des Versicherten tatsächlich eine Dialyse durchgeführt worden sei; diese sei im Vorgutachten nicht aufgeführt, Mit Schreiben vom 9.6.2008 zeigte der MDK dem Krankenhaus der Klägerin erneut eine Prüfung nach § 275 Abs. 1 c SGB V an und führte am 16.7.2008 dort eine Begehung durch. In seinem Gutachten vom 16.7.2008 stellte der MDK fest, dass eine Hämodialyse durchgeführt worden sei. Mit Rechnung vom 24.7.2008 forderte die Klägerin von der Beklagten nochmals die Aufwandspauschale nach § 275 Abs. 1c SGB V, deren Bezahlung die Beklagte verweigerte. Die am 12.4.2011 erhobene Klage auf Zahlung der zweiten Aufwandspauschale hat das Sozialgericht Speyer mit Urteil vom 20.6.2012 abgewiesen und die Berufung zugelassen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der sich aus § 275 Abs, 1 c Satz 3 SGB Vergebende Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf die Aufwandspauschale sei durch die Zahlung der Beklagten vom 9.6.2008 gemäß § 69 Abs, 1 Satz 3 SGB V in Verbindung mit § 362 Abs. 1 BGB erloschen. Bei der zweiten Begutachtung durch den MDK habe es sich nicht um eine weitere Prüfung im Sinne des § 275 Abs. 1 c Satz 3 SGB V gehandelt. Der dort verwendete Begriff der “Prüfung” sei im umfassenden Sinn als ein auf die Krankenhausbehandlung bezogener, ggf. umfassender Prüfungsvorgang durch den MDK zu verstehen. Dafür spreche der Wortlaut ‘des § 275 Abs. 1 c SGB V, der den Begriff der “Prüfung” im Singular verwende. Die Prüftätigkeit umfasse die Erhebung von Sozialdaten beim Krankenhaus durch den Zugriff auf zusätzliche medizinische Unterlagen, insbesondere die Krankenbehandlungsakte oder Teile davon, sowie Angaben des Krankenhauses zur Beurteilung der Ordnungsmäßigkeit einer Abrechnung (Hinweis auf BSG 16.5.2012 – B 3 KR 14/11 R, juris Rn, 22), Der Begriff der Prüfung beziehe sich daher auf die als einheitlichen Vorgang zu verstehende Krankenhausbehandlung des Versicherten im Sinne des § 39 SGB V, nicht aber auf jeden einzelnen PrOfungsvorgang des MDK, Dies werde bestätigt durch die Begründung zum Entwurf des GKV-WSG (BT-Drs. 16/3200, Seite 171), in der es heiße: “Die Aufwandspauschale ist nach Satz 3 für alle diejenigen Krankenhausfälle zu zahlen, in denen die Einzelfallprüfung nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages durch die Krankenkasse führt”. Der mit der Aufwandspauschale verfolgte Zweck, einer ungezielten und übermäßigen Einleitung von Begutachtungen entgegenzuwirken (BT-Drs. 16/3100, Seite 171), rechtfertige keine andere Auslegung. Zwar habe die erneute Begutachtung durch den MDK bei dem Krankenhaus weiteren Aufwand verursacht. Andererseits müsse die Krankenkasse auch bei Sammelprüfungen gleich gelagerter Fälle für jede unbeanstandet gebliebene Abrechnung die Aufwandspauschale zahlen.

Hiergegen hat die Klägerin am 17.7.2012 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, die Beklagte habe die in § 275 Abs. 1 c SGB V bestimmte Aufwandspauschale zweimal zu entrichten, da zwei Prüfungen vom MDK angezeigt und auch einschließlich zweier Begehungen im Krankenhaus der Klägerin durchgeführt worden seien. Bei der Klägerin sei durch Erfassung der jeweiligen Prüfaufträge im Controlling, die zweimalige Herbeischaffung der Fallunterlagen aus dem (ausgelagerten) Archiv, die zweimalige Begehung durch den MDK-Arzt, die zweimalige Erfassung des MDK-Gutachtens und den jeweiligen Rücktransport der Unterlagen in das Archiv ein doppelter Aufwand entstanden. Die beiden Prüfungen seien als zwei getrennte Lebenssachverhalte zu betrachten. Zudem sei die Beklagte zu der zweiten Prüfung wegen des Ablaufs der Sechs-Wachen-Frist des § 275 Abs. 1c SGB V nicht mehr berechtigt gewesen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 20.6.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie 100,- € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.4.2011 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Aus der Begründung zum Gesetzentwurf sei zu folgern, dass für jeden abgerechneten Krankenhausfall eine Aufwandspauschale nur einmal gefordert werden dürfe. Damit sei jeglicher Aufwand anlässlich der Prüfung eines abgerechneten Falles abgegolten.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts verweist der Senat auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung war.

Entscheidungsgründe

Die auf Grund der Zulassung durch das Sozialgericht statthafte (§ 144 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz, SGG) und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin ist auch begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Klägerin hat Anspruch auf eine weitere Aufwandspauschale in Höhe von 100,- € für die am 16.7.2008 vom MDK durchgeführte Abrechnungsprüfung.

Rechtsgrundlage für den Anspruch der Klägerin auf die (zweite) Aufwandspauschale ist § 275 Abs. lc Satz 3 SGB V in der hier maßgeblichen Fassung des GKV-WSG vom 26.3.2007 (BGBI. I S. 378). Nach § 275 Abs. lc SGB V ist bei Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V eine Prüfung nach § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V zeitnah durchzuführen (Satz 1). Die Prüfung nach Satz 1 ist spätestens sechs Wochen nach Eingang der Abrechnung bei der Krankenkasse einzuleiten und durch den MDK dem Krankenhaus anzuzeigen (Satz 2). Falls die Prüfung nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrags führt, hat die Krankenkasse dem Krankenhaus eine Aufwandspauschale in Höhe von 100,- € zu entrichten (Satz 3). Voraussetzung für den Anspruch auf die Aufwandspauschale ist, dass (1.) das Krankenhaus die Aufnahmeanzeige unverzüglich an die Krankenkasse übersandt hat und (2.) berechtigterweise eine Abrechnung – Schlussrechnung oder Zwischenrechnung – erteilt hat (BSG 16.5.2012 – B 1 KR 12111 R, juris Rn. 15, 19), (3.) die Krankenkasse dem MDK einen Prüfauftrag mit dem Ziel der Abrechnungsprüfung erteilt hat (BSG a.a.O. Rn. 15), (4.) der MDK auf Veranlassung der Krankenkasse beim Krankenhaus Sozialdaten zur Rechnungsprüfung anfordert (BSG a.a.O. Rn. 14, sog. dritte Ebene des Auskunfts- und Prüfverfahrens) und (5.) die Prüfung nicht zu einer (berechtigten) Minderung des Abrechnungsbetrags des Krankenhauses führt (BSG a.a.O. Rn. 14).

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass das Krankenhaus die Aufnahmeanzeige nicht rechtzeitig erteilt hätte und die Beklagte deshalb nicht ausreichend Gelegenheit gehabt hätte, die Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung im Vorfeld der Abrechnung zu überprüfen (vgl. dazu BSG a.a.O. Rn. 19). Die Klägerin hatte nach Abschluss der stationären Behandlung auch berechtigterweise eine Schlussrechnung erteilt. Sowohl der erste PrOfauftrag der Klägerin an den MDK vom 28.3.2008 als auch der hier maßgebliche zweite Prüfauftrag vom 4.6.2008 erfolgten nach Eingang der Rechnung mit dem Ziel der Abrechnungsprüfung. Diese Zielsetzung wird unwiderleglich vermutet, wenn – wie hier – zum Zeitpunkt der Auftragserteilung an den MDK bereits eine Krankenhausrechnung berechtigerweise erstellt und bei der Krankenkasse eingegangen war (BSG a.a.O. Rn. 17). Bei der vom MDK am 16.7.2008 im Rahmen einer Krankenhausbegehung durchgeführten Prüfung handelte es sich auch um eine Prüfung auf der vom Bundessozialgericht so bezeichneten dritten Stufe der Sachverhaltserhebung, bei der der MDK auf Veranlassung der Krankenkasse beim Krankenhaus Sozialdaten zur Rechnungsprüfung anfordert. Diese Voraussetzung ist auch dann erfüllt, wenn der MDK sich die Unterlagen im Rahmen einer Begehung des Krankenhauses vorlegen lässt. Denn auch diese Form der Prüfung verursacht, wie von der Klägerin geschildert, beim Krankenhaus einen beachtlichen bürokratischen Aufwand, der dem Aufwand bei einer Übersendung der Unterlagen an den MDK nicht wesentlich nachsteht. Die Abrechnungsprüfung hat schließlich auch nicht zu einer Minderung des Abrechungsbetrags des Krankenhauses geführt, sondern vielmehr die Richtigkeit der Abrechnung der Klägerin bestätigt.

Nicht anzuschließen vermag sich der Senat der Auffassung des Sozialgerichts und der Beklagten, dass der Anspruch auf die Aufwandspauschale durch Zahlung der ersten Aufwandspauschale erloschen sei, weil je Behandlungsfall die Aufwandspauschale nur einmal abgerechnet werden dürfe. Diese Auslegung ergibt sich nach Auffassung des Senats nicht zwingend aus dem Wortlaut des § 275 SGB V. Zwar bestimmt § 275 Abs. 1c Satz 1 SGB V, dass bei Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V “eine Prüfung” nach Absatz 1 Nr. 1 durchzuführen ist. Das Wort “eine” ist hier als unbestimmter Artikel und nicht als anzahl mäßige Begrenzung zu verstehen. Diese Formulierung schließt daher nicht aus, dass “eine Prüfung” zur Klärung der ordnungsgemäßen Abrechnung, z.B. wenn sich weitere Fragen ergeben, auch mehrfach durchzuführen ist und für jede dieser Prüfungen eine Aufwandspauschale anfällt. Auch das Bundessozialgericht geht davon aus, dass eine Aufwandspauschale bei lang dauernder Krankenhausbehandlung rnehrfach anfallen kann, wenn es sich um mehrere selbständige Prüfaufträge seitens der Krankenkasse handelt (BSG a.a.O. Rn. 16). Zwar handelt es sich im vorliegenden Fall nicht um eine “lang dauernde” Krankenhausbehandlung, auch wurden nicht mehrere Abrechnungen im Sinne einer Zwischen- und Schlussrechnung erteilt. Der Zweck der Aufwandspauschale, den bürokratischen Aufwand und dessen Folgen infolge der Kontrolle von Krankenhausabrechnungen auf Krankenhausseite möglichst gering zu halten (dazu BSG a.a.O. Rn. 9 m.w.N.), rechtfertigt jedoch auch bei der vorliegenden Fallgestaltung den mehrfachen Ansatz der Aufwandspauschale. Die Beklagte hat auch hier zunächst am 28.3.2008 und dann erneut am 4.6.2008 zwei gesonderte Prüfaufträge an den MDK erteilt. Der MDK führte die Prüfungen am 23.4.2008 und 16.7.2008 durch. Zwischenzeitlich hatte er dem Krankenhaus das erste Gutachten bekanntgegeben und die Beklagte hatte die erste Aufwandsentschädigung bereits gezahlt. Bei diesem zeitlichen Ablauf konnte das Krankenhaus daher davon ausgehen, dass die am 23.4.2008 durchgeführte Prüfung abgeschlossen war und die Prüfunterlagen weggelegt werden konnten. Die zweite Prüfung verursachte daher einen erneuten bürokratischen Aufwand durch erneute Beiziehung der archivierten Unterlagen und Vorbereitung der zweiten MDK-Prüfung im Rahmen der Begehung. Zudem handelte es sich bei den beiden Prüfungen auch inhaltlich eher um selbständige Prüfungen. Während der erste Prüfauftrag sich auf die Notwendigkeit und die Dauer der stationären Behandlung bezog, betraf der zweite Prüfauftrag die Frage, ob die in der Abrechnung angegebene Dialyse tatsächlich durchgeführt worden sei. Jedenfalls unter den gegebenen besonderen Umständen erscheint es dem Senat gerechtfertigt, die beiden Prüfaufträge der Beklagen als “selbständige” Prüfaufträge zu werten, die den zweifachen Ansatz der Aufwandspauschale zulassen. Ob bei einem, anderen zeitlichen Ablauf oder einem anderen Inhalt der Prüfaufträge von einem einheitlichen Prüfverfahren auszugehen ist, bedarf hier keiner Entscheidung.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 69 Satz 3 SGB V in Verbindung mit §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB (vgl. BSG 23.3.2006 – B 3 KR 6/05 R, juris).

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).