Landessozialgericht Rheinland-Pfalz L 5 KR 59/12

  • LSG Rheinland-Pfalz: L 5 KR 59/12
  • SG Koblenz: S 3 KR 363/10

Verkündet am: 18.04.2013

LANDESSOZIALGERICHT

RHEINLAND-PFALZ

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

#####, Vertreten durch den Geschäftsführer,

– Klägerin und Berufungsklägerin –

gegen

AOK Rheinland-Pfalz/Saarland: – Die Gesundheitskasse, vertreten durch den Vorstand,Virchowstraße 30, 67304 Eisenberg

– Beklagte und Berufungsbeklagte –

hat der 5. Senat des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz in Mainz aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 18. April 2013 durch

  • Vizepräsident des Landessozialgerichts Dr. Follmann
  • Richter am Landessozialgericht Keller
  • Richterin am Landessozialgericht Dr. Jutzi
  • ehrenamtliche Richterin Dreßing-Steinhubel
  • ehrenamtlichen Richter Brahm

für Recht erkannt:

  1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 24.1 .2012 abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin eine Vergütung von 1.027,35 € nebst zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus ab dem 12.6.2009 zu zahlen.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten beider Rechtszüge.
  3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Umstritten ist ein Anspruch auf Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung in Höhe von 1.027,35 € nebst Zinsen.

Der bei der Beklagten versicherte befand sich vom 15. bis zum 16.1.2009 auf Einweisung des Internisten/Pneumologen/Allergologen PD Dr A (Chefarzt des Zentrums für Pneumologie und Allergologie) zur Therapie einer “Rheumalunge” und von beidseitigen Pleuraergüssen in stationärer Behandlung in dem nach § 108 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zugelassenen Krankenhaus der Klägerin Während des stationären Aufenthalts wurde eine Pleurapunktion links durchgeführt. Die Klägerin verlangte von der Beklagten mit Rechnung vom 28.5.2009 eine Vergütung von 1.027,35 €. Der Arzt im Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) Dr B führte in seinem Gutachten vom Mai 2009 mit (zusammen mit dem Arzt im MDK C erstatteter) ergänzender Stellungnahme vom Januar 2010 aus, die Notwendigkeit einer stationären Behandlung sei nicht nachvollziehbar. Darauf gestützt lehnte die Beklagte eine Vergütung der stationären Krankenhausbehandlung ab.

Am 23.8.2010 hat die Klägerin Klage erhoben. Das Sozialgericht (SG) hat ein Gutachten des Facharztes für innere Medizin und Sozialmedizin Dr D vom November 2010 eingeholt, der dargelegt hat: Bei dem Versicherten sei eine Entlastungspunktion eines Pleuraergusses linksseitig bei Polyserositis und chronischer Polyarthritis erforderlich gewesen. Theoretisch könnte diese Punktion bei einem kleineren Erguss, wie er bei dem Patienten vorgelegen habe, bei einem entsprechenden Spezialisten ambulant vorgenommen werden. Grundsätzlich sei aber wegen möglicher Komplikationen ein kurzer eintägiger stationärer Aufenthalt sinnvoller. Der stationäre Aufenthalt könne in einem solchen Fall bei komplikationslosem Eingriff auf wenige Stunden begrenzt werden. Die zwingende Notwendigkeit eines zwei- oder mehrtägigen stationären Aufenthalts sei medizinisch nicht zu begründen.

Die Klägerin hat dazu eine Stellungnahme des PD Dr A vom Dezember 2010 vorgelegt: Bei dem Versicherten sei bereits im November 2008 eine Pleurapunktion durchgeführt worden. Der Erguss habe sich seinerzeit als Pleuraemphyem herausgestellt. Auch bei dem Eingriff am 15.1.2009 sei wegen der rezidivierend aufgetretenen subfebrilen Temperaturen sowie mäßiggradigen CRP-Erhöhungen ein erneutes Pleuraemphyem nicht auszuschließen gewesen. In den Jahren 2001 bis 2009 seien bei dem Versicherten wechselnde immunsuppressive Therapien durchgeführt worden, weshalb von einer geschwächten Abwehrsituation auszugehen gewesen sei. Somit habe vor dem erneuten Eingriff ein eindeutiges Risiko einer Infektion bestanden. Als weitere Risikofaktoren für die Punktion müsse auf eine deutliche Verdickung der Pleura visceralis beidseits hingewiesen werden, welche die Gefahr der Entstehung eines Pneumothorax erhöht habe, zumal im Rahmen der pulmonalen Manifestation der Polyarthritis im Bereich der Lungenbasis beidseits eine Lungenfibrose bestanden habe. Erschwerend sei hinzugekommen, dass bei dem Patienten eine medikamententoxische Leberzirrhose mit erhöhten Transaminasensowie einem Quickwert im untersten Normbereich dokumentiert sei. Die Blutungsgefahr sei bei einem Quickwert von 74 % bei gleichzeitig bestehender toxischer Hepatopathie erhöht gewesen. Im Februar 2010 sei bei dem Versicherten erneut ein Pleuraerguss festgestellt worden, der in einem 18tägigen stationären Aufenthalt behandelt worden sei.

Das SG hat hierzu eine weitere Stellungnahme des Dr. D vom Januar 2011 eingeholt: Das von PD Dr A betonte besondere Risiko bei dem Versicherten sei offenbar zu dem Zeitpunkt der streitgegenständlichen Behandlung nicht beschrieben worden. Da der Quickwert im Normbereich gelegen habe, habe von einer erhöhten Blutungsneigung nicht ausgegangen werden können. Unter Zugrundelegung einer geschwächten Abwehrsituation hätte man eine entsprechende Prophylaxe erwarten müssen, die aber nicht erfolgt sei. Die subfebrilen Temperaturen des Patienten hätten ebenfalls nicht zu relevanten Konsequenzen geführt. Die Gefahr der Entstehung eines Pneumothorax habe durch verantwortungsbewusstes Vorgehen verhindert werden können. Auch hier gingen die Erwägungen von PD Dr A an den Tatsachen vorbei; es handele sich um reine Spekulationen. Sachlich hätten keine Hinweise für einen Pneumothorax bestanden.

Dazu hat sich PD Dr A im März 2011 erneut geäußert: Bei der Messmethode des Quickwerts komme es insbesondere im niedrig-normalen Bereich zu deutlich erhöhten Schwankungsbreiten. Deshalb sei ein Quickwert nicht als Absolutwert aufzufassen. Bei einer erneuten Messung könne der zweite Wert durchaus im pathologischen Bereich liegen. Bei einer geschwächten Abwehrsituation sei eine anitibiotische Prophylaxe vor einer Punktion wenig sinnvoll, da sie die Erstellung eines Antibiogramms aus dem gewonnenen Pleuraerguss verfälschen könne. Subfebrile Temperaturen hätten vorliegend zu keinen Konsequenzen geführt, jedoch die Differentialdiagnose einer bakteriellen Besiedlung des Pleuraergusses zugelassen. Aus diesem Grunde hätte es nach der Punktion zu einem septischen Geschehen und damit einer Gefährdung des Patienten kommen können. Aufgrund der pulmonalen Manifestation des Rheumas und der damit verbundenen Fibrosierung der Lunge bei einer Punktion sei der Patient einem deutlich erhöhten Pneumothoraxrisiko ausgesetzt gewesen. Bei zeitlich verzögertem Handeln lasse sich ein solcher Pneumothorax auch durch Anlage einer Thoraxdrainage nicht wieder beseitigen. Die Pleuraschwarte in Kombination mit der Lungenfibrose habe eine deutliche Gefahr für den Patienten dargestellt. Ein Pneumothorax habe bis zu 24 Stunden nach der Punktion entstehen können. Die Risikosituation sei in den Akten nicht besonders betont, ergebe sich aber aus den Arztbriefen sowie auch aus den. in der Akte dokumentierten Diagnosen.

Durch Urteil vom 24.1.2012 hat das SG Koblenz die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Vergütung des stationären Aufenthalts nach § 109 Abs 4 Satz 3 SGB V ivm dem rheinlandpfälzischen Krankenhausbehandlungsvertrag (KBV), weil eine ambulante Behandlung ausgereicht hätte, wie aus den Ausführungen des Dr.  D hervorgehe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die am 24.2.2012 eingelegte Berufung der Klägerin. Der Senat hat eine weitere ergänzende Stellungnahme von Dr. D vom Dezember 2012 eingeholt, der dargelegt hat: Die Argumentation von PD Dr A der niedrig-normale Quickwert sei nicht aussagekräftig gewesen, überzeuge schon deshalb nicht, weil der Quickwert seinerseits nicht nochmals überprüft worden sei. Bei der Annahme, der Versicherte habe sich in einer geschwächten Abwehrsituation befunden und eine septische Gefährdung sei zu befürchten gewesen, handele es sich um eine nicht näher belegte Spekulation. Ausgeprägte zusätzliche Risiken hätten bei dem Patienten nicht bestanden. Er weise nochmals darauf hin, dass er einen eintägigen stationären Aufenthalt für sinnvoll erachtet habe. Hier hätten alle “Faktoren”, welche PD Dr A angeführt habe, “abgedeckt” werden können. In einer modernen Klinik benötige man hierfür keine vier Tage, zumal bei dem Patienten alle Komplikationen eher hypothetisch gewesen seien.

Zuletzt hat die Klägerin eine Stellungnahme des PD Dr A vom 16.4.2013 vorgelegt: Eine aktuelle Studie vom März 2013 weise darauf hin, dass die Komplikationsrate bei Pleurapunktionen bei ungefähr 2,8 % liege. Außerdem könne das Risiko eines Pneumothorax bei bestimmten Risikogruppen deutlich ansteigen. Zu diesen gehörten ua Patienten mit kleinem Erguss, Patienten mit gekammertem Erguss und Patienten mit Pleuraschwarte (verdickter Pleura). Diese Feststellung stehe in Übereinstimmung mit früheren Literaturstellen. Der Versicherte habe einen relativ kleinen Pleuraerguss von nur 400 ml und eine deutliche Pleuraverdickung von 2 cm gehabt und daher genau im Risikoprofil gelegen. Mögliche schwere Komplikationen seien bei solchen Patienten nicht nach wenigen Stunden erkennbar, weshalb diese 24 Stunden nachbeobachtet werden müssten.

Die Klägerin trägt vor: Sie stütze sich auf die Darlegungen des PD Dr A. Auch ausgehend von den Ausführungen des Dr D sei von der Notwendigkeit der stationären Krankenhausbehandlung auszugehen, da dieser einen stationären Aufenthalt als sinnvoller als eine ambulante Behandlung bezeichnet habe. Da Dr D kein Pulmologe sei, verfüge er nicht über eine ausreichende Kompetenz für die Beantwortung der streiterheblichen Fragen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des SG Koblenz vom 24.1.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.027,35 € nebst Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus ab dem 12.6.2009 zu zahlen, hilfsweise, den Beweisanträgen aus seinem Schriftsatz vom 17.4.2013 nachzukommen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor: Das angefochtene Urteil sei zutreffend. Die rein abstrakte Möglichkeit von Komplikationen begründe nicht die Notwendigkeit eines stationären Krankenhausaufenthalts (Hinweis auf BSG 23.4.1996 – 1 RK 10/95; LSG Hamburg 14.6.2006 – L 1 KR 96/05).

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Krankenhausakte, die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Prozessakte verwiesen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die nach §§ 143 f, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG – zulässige Berufung ist begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Vergütung des stationären Aufenthaltes des Versicherten vom 15. bis 16.1.2009. Das angefochtene Urteil des SG ist deshalb aufzuheben.

Wegen der rechtlichen Grundlagen des Vergütungsanspruchs verweist der Senat auf die Ausführungen des angefochtenen Urteils (§ 153 Abs 2 SGG). Entgegen der Auffassung des SG war die stationäre Behandlung des Versicherten notwendig. In dieser Überzeugung stützt sich der Senat auf die Ausführungen von PD Dr A die in wesentlichen Punkten durch das Gutachten des Sachverständigen Dr D bestätigt wurden. Dr D hat eine kurze (“eintägige”) stationäre Behandlung ausdrücklich als sinnvoll und eine ambulante Behandlung nur als “theoretisch” möglich (vgl Seite 5 des Gutachtens vom November 2010), aber “eher ungünstig” (Seite 6 des Gutachtens vom November 2010) bezeichnet. Unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls war die stationäre Behandlung des Versicherten nicht nur sinnvoll, sondern in dem tatsächlich stattgefundenen Umfang von zwei Tagen notwendig. Die Risiken bei einer ambulanten Behandlung mögen nicht massiv gewesen sein. Wie PD Dr A überzeugend aufgezeigt hat, wäre der Verzicht auf eine zweitägige stationäre Behandlung indes mit nicht unerheblichen Gefahren verbunden gewesen. Zwar kann insoweit auf die von PD Dr A zitierte aktuelle Studie vom März 2013 nicht abgestellt werden, da diese im Behandlungszeitraum noch nicht bekannt war. Diese Studie steht aber in Übereinstimmung mit anderen, schon im Behandlungszeitpunkt bekannten wissenschaftlichen Erkenntnissen. Bedeutung kommt insbesondere auch dem Umstand zu, dass der Versicherte einen relativ kleinen Pleuraerguss sowie eine deutliche Pleuraverdickung aufwies.

Der Zinsanspruch folgt aus § 9 Abs 7 des rheinland-pfälzischen Krankenhausbehandlungsvertrages (KBV).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG iVm § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 SGG nicht vorliegen.

– Rechtsmittelbelehrung –